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Schaufeln und Gewehre

Von Harry Tuttle | 28.12.2012

Der bewaffnete Konflikt im Kongo ist erneut eskaliert. Finanziert werden die Kämpfe durch den Abbau von Coltan, einem Erz.
Die Produktion etwa jedes zehnten Handys beginnt im Kongo. Gruppen von Männern heben dort mit Schaufeln kleine Bassins aus, an deren Boden sich das Erz Coltan absetzt. Pro Tag kann ein Team etwa ein Kilogramm fördern, das einen Weltmarktpreis von 120 Dollar erzielt.

Der bewaffnete Konflikt im Kongo ist erneut eskaliert. Finanziert werden die Kämpfe durch den Abbau von Coltan, einem Erz.
Die Produktion etwa jedes zehnten Handys beginnt im Kongo. Gruppen von Männern heben dort mit Schaufeln kleine Bassins aus, an deren Boden sich das Erz Coltan absetzt. Pro Tag kann ein Team etwa ein Kilogramm fördern, das einen Weltmarktpreis von 120 Dollar erzielt.

Ein Arbeiter erhält etwa zehn Dollar pro Monat – wenn überhaupt, denn viele sind Zwangsarbeiter. Und viele müssen in improvisierten Bergwerkstollen arbeiten, die, da es keinerlei Sicherheitsbestimmungen gibt, oft zusammenstürzen.
Das Geschäft mit dem vor allem in der Mikroelektronik, aber auch in der Kraftwerks- und Rüstungsindustrie begehrten Erz, aus dem das Metall Tantal gewonnen wird, ist lukrativ. Mit Coltan und anderen Bodenschätzen finanzieren die Warlords ihre Truppen, aber auch die Regierung des Kongo sowie der Nachbarländer Ruanda und Uganda kassieren mit.

Coltan kommt vor allem in der Region des Kivu-Sees im Osten des Kongo vor, jener Region, in der der Krieg trotz aller Friedensabkommen nie endete und in den vergangenen Wochen erneut eskaliert ist.
Am 20. November 2012 nahmen Kämpfer der Bewegung M23, die sich auch als Kongolesische Revolutionsarmee bezeichnet, Goma ein, eine der beiden bedeutenden Städte der Region. Dabei soll es nicht bleiben, kündigte Oberstleutnant Vianney Kazarama, ein Sprecher der M23, bei einer Siegesfeier im Stadion an: „Wir werden Bukavu, Kisangani und dann Kinshasa befreien.“ 2100 Soldaten und 700 Polizisten schlossen sich bei dieser Gelegenheit der M23 an.
Vom Kriegsverbrecher zum General
Ein solcher Wechsel zwischen Regierungs- und Rebellenarmee ist im Kongo nicht ungewöhnlich. Das Kürzel M23 steht für den 23. März 2009. An diesem Tag wurde das Abkommen geschlossen, das ehemalige Rebellen in die Regierungsarmee integrierte. Ihr Anführer Bosco Ntaganda wurde zum General ernannt, obwohl der Internationale Strafgerichtshof ihn seit Jahren per Haftbefehl als Kriegsverbrecher sucht.

Den ehemaligen Rebellen wurde garantiert, dass sie nicht in andere Landesteile versetzt werden – faktisch eine Bestätigung ihrer Machtposition und eine Lizenz zur Ausplünderung der von ihnen beherrschten Gebiete.
Dann aber kam es zum Streit. Die Regierung kündigte an, Ntaganda doch noch verhaften zu lassen, und bereitete den Transfer der Ex-Rebellen in andere Landesteile vor. Im April 2012 entstand die M23, die binnen weniger Monate zur stärksten Kraft im Ostkongo wurde.

Ob die Guerilleros tatsächlich die Hauptstadt Kinshasa erreichen werden, ist fraglich. Doch dürfte Präsident Joseph Kabila sich daran erinnern, dass seinem Vater Laurent mit einer Guerillaarmee eben dies in den Jahren 1996/97 in nur acht Monaten gelungen war und er derzeit kaum besser dasteht als der damalige Diktator Mobutu.
Mobutu hatte den génocidaires, den für den Völkermord in Ruanda verantwortlichen Hutu-Extremisten, einen Teil des Ostkongo als Operationsbasis überlassen. Die neue ruandische Regierung unterstützte Kabilas Bewegung, um diese terroristische Bedrohung zu beseitigen.

Als Mobutu, ein Symbol des Neokolonialismus wie der Korruption, stürzte, keimte in der gesamten Region die Hoffnung auf einen Neuanfang auf. Doch in den folgenden Bürgerkriegsjahren verdiente auch Ruanda an der Kriegsökonomie, Milizen aller Kriegsparteien terrorisierten die Zivilbevölkerung.

Der Einsatz von UN-Truppen änderte daran nichts. Mittlerweile sind 20.000 UN-Soldaten im Kongo stationiert, ihnen stehen Kampfhubschrauber und andere moderne Waffensysteme zur Verfügung. Dass die „internationale Gemeinschaft“ so wenig tat, um das bereits seit Juli 2012 belagerte Goma zu halten, deutet auf Unzufriedenheit mit Kabila hin.
Zwangsarbeit und Globalisierung
Joseph Kabila erbte sein Amt von seinem Vater, der 2001 ermordet worden war. Er wurde in formal freien, aber in vielerlei Hinsicht manipulierten Wahlen 2006 und 2011 im Amt bestätigt. Möglicherweise wünscht die „internationale Gemeinschaft“ n
un eine Neuverteilung der Macht.

Kabila hat nicht nur bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse versagt. Auch der Aufbau staatlicher Institutionen kommt nicht voran, und bei der Kompensation dieses Mangels, den Deals mit den wahren Machthabern, hat Kabila sich beim Umgang mit M23 und in vielen anderen Fällen in gefährlicher Weise verkalkuliert. Der Verlust Gomas schwächt seine Autorität und könnte ihn zu Verhandlungen mit regionalen Machthabern zwingen.

Eine Lösung für den Kongo wäre das nicht. Ein nation building, der Aufbau von Institutionen, die Bildungsmöglichkeiten und Gesundheitsversorgung bereitstellen, kann nur von unten erfolgen. Doch wer vor einer Gewehrmündung Coltan schaufelt, hat wenig Chancen, eine Gewerkschaft zu gründen. Die Zwangsarbeit ist als Teil der kapitalistischen Globalisierung institutionalisiert worden.

Einer Berechnung des International Rescue Committee zufolge wurden zwischen 1998 und 2008 im Kongo 5,4 Millionen Menschen Opfer der bewaffneten Konflikte. Die Berechnung gilt mittlerweile als fehlerhaft, doch selbst wenn es „nur“ knapp drei Millionen gewesen sein sollten, handelt es sich um den schlimmsten Konflikt seit 1945. Ein Ende ist nicht in Sicht, und das vielleicht Erschreckendste ist, dass es im globalisierten Kapitalismus kaum von Interesse ist, ob es zweieinhalb Millionen KongolesInnen mehr oder weniger gibt.

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