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Innenpolitik

Robin Rüttgers

Von Walter W. | 01.01.2007

Mit seinem Vorschlag den Bezug des Arbeitslosengelds 1 (ALG1) für ältere Erwerbslose zu verlängern und die Bezugsdauer von den geleisteten Beitragszeiten abhängig zu machen, versucht sich NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit in den Reihen der Union zu profilieren. Ein Blick hinter die Kulissen belehrt uns eines Besseren!

Mit seinem Vorschlag den Bezug des Arbeitslosengelds 1 (ALG1) für ältere Erwerbslose zu verlängern und die Bezugsdauer von den geleisteten Beitragszeiten abhängig zu machen, versucht sich NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit in den Reihen der Union zu profilieren. Ein Blick hinter die Kulissen belehrt uns eines Besseren!

Wer sich an Rhein und Ruhr politisch profilieren will, muss sich ein ausgeprägtes sozialpolitisches Profil zulegen. In der NRW-CDU geht das auf den christlichen Gewerkschafter und Nachkriegsministerpräsidenten Karl Arnold zurück. Der langjährige Ministerpräsident Heinz Kühn, ein Kind der Arbeiterbewegung, der die Lernmittelfreiheit einführte, repräsentierte die sozialdemokratische Variante einer solidarischen Politik. Hintergrund war einerseits der relativ moderate „rheinische Kapitalismus“ im Gefolge des Nachkriegsbooms, andererseits das solidarische Lebensgefühl im Ruhrgebiet, geprägt durch die schwere und gefahrvolle Arbeit im Stahlbereich und unter Tage. So ist es nicht verwunderlich, dass professionelle Zyniker wie die SPD-Politiker Clement und Steinbrück nicht recht Fuß in der Region fassen konnten.
Rüttgers Vorschlag
Nach Jürgen Rüttgers würde im Kern ein älterer Erwerbsloser nach ca. 40 Versicherungsjahren 6 Monate später Mitglied der HartzIV-Gemeinde. Rüttgers‘ Vorschlag fand Anklang in der Öffentlichkeit, denn er schloss anscheinend eine Gerechtigkeitslücke. 80% aller Bundesbürger begrüßten ihn. Übersehen wurde nur, dass durch ihn im Bereich des ALG1 eine Art Kastensystem mit Erwerbslosen der 1.,2.,3., … Klasse geschaffen würde. Denn das ganze Manöver sollte natürlich kostenneutral über die Bühne gehen. Das geht nur in zwei –schlechten– Varianten. Entweder Erwerbslose mit kurzen Beitragszeiten in der Arbeitslosenversicherung erhalten ein erheblich reduziertes ALG1 oder sie werden in kürzester Zeit in den HartzIV-Sektor katapultiert. Letzteres würde den üppigen Überschuss der Bundesagentur für Arbeit nochmals ansteigen lassen. Insgesamt würde die innere Zersplitterung unter den Erwerbslosen zunehmen. Die Spaltung der Klasse würde also vertieft. Die Zustimmung aus Teilen des DGB-Apparats dokumentiert nur dessen Bewusstlosigkeit. Der ganze Vorschlag ist nur eine Heiße-Luft-Nummer im Stil David Copperfields, der keine Gerechtigkeitslücke schließt, sondern bestehende Ungerechtigkeiten vertieft.
Die Realpolitik des
Jürgen Rüttgers
Dank der permanenten Gehirnwäsche durch eine fast hundertprozentig neoliberale Medienkultur hält sich hartnäckig der Eindruck, Jürgen Rüttgers sei ein aufrechter Vorkämpfer der Entrechteten und Gedemütigten. In NRW ist davon allerdings überhaupt nichts zu spüren! Helmut Kohls ehemaliger Zukunftsminister, der als erster den Bildungsetat absenkte (!), ist ein gnadenloser Sozialdemonteur und Vorkämpfer und Einführer von Studiengebühren als Beitrag zur „Chancengleichheit“. Da werden 4000 Lehrerstellen versprochen, aber erst einmal 2000 abgeschafft. Und damit Kinder aus finanzschwachen Familien erst gar nicht die lange Reise zum Abitur antreten, entfällt die Lernmittelfreiheit gänzlich. Das Nachholen von Hauptschulabschlüssen wird erschwert, denn die Landeszuschüsse für die Volkshochschulen werden von 50% auf 15% reduziert. Das schränkt auch die Arbeit für MigrantInnen z.B. Sprachkurse erheblich ein.

Die ganze Bigotterie der rüttgerschen Politik wird beim Thema Familie deutlich. Die Familie, so verkünden Jürgen Rüttgers und die Mutter der Nation, – nein nicht Inge Meysel, sondern Ursula von der Leyen –, ist die Säule der christlich-abendländischen Kultur. Dazu passt es dann natürlich, 84 Millionen Euro für Kindergartenplätze zu streichen. Nachdem sich unter Schröder die Kinderarmut verdoppelt hat, wird der vorhandene Torso Kinder- und Jugendarbeit weiter durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Der Wiedereinstieg von Frauen ins Berufsleben wird durch die Streichung von 4,5 Millionen Euro Landeszuschüsse gewiss nicht gefördert. Die Folgen eines solchen Sozialkahlschlags sind vor Ort dramatisch. So soll die Ruhrgebietsstadt Recklinghausen die Kindergartengebühren um 200 % (!) erhöhen, was der Rat der Stadt ablehnt.

Die Einsparungen im sozialen Wohnungsbau korrespondieren vortrefflich mit dem Verkauf von 100 000 landeseigenen Wohnungen. Auch die Zuschüsse für Krankenhäuser werden reduziert.

Erscheint die neueste PISA-Studie legt Pharisäer Jürgen sein Gesicht in tiefe Sorgenfalten. Hat mensch erst einmal Studiengebühren eingeführt und die Lernmittelfreiheit abgeschafft, dann können Unis wie reine Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Das geschieht in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung, dem ideologischen Leuchtturm des Neoliberalismus in der BRD.

Die erhöhte Absenkung des CO2-Ausstoßes lehnt Rüttgers im Interesse der heimischen Energiewirtschaft ab und durch die Reaktivierung der Reaktorforschung garantiert uns der „Landesvater“ eine strahlende Zukunft.
Resümee
Das Anliegen Jürgen Rüttgers‘, sich als sozialer Politiker darzustellen, – und er ist zur Zeit nicht der Einzige – hat einen realen Hintergrund. Große Teile der Bevölkerung betrachten die gegenwärtige Politik als ungerecht. Da muss mindestens die Illusion genährt werden, es gäbe gerechte PolitikerInnen. Hartz IV hat zu viele Menschen erreicht. Jede/r achte in der Ruhrgebietsstadt Hagen, jede/r vierte(!) in Bremerhafen – insgesamt 7,4 Millionen Menschen. Die Partei der Nichtwähler pendelt zwischen 40 und 50 %. Da antwortet die bürgerliche Politik mit sozialer Demagogie. Die macht auf Dauer nicht satt. Bevor diese moralische Empörung in Resignation oder in eine Hinwendung zur extremen Rechten umschlägt, ist die Entwicklung einer gesellschaftlichen Alternative eine vordringliche Aufgabe. Nach wie vor gilt: Der Aufbau der außerparlamentarischen Opposition ist das Gebot der Stunde!

Leitfaden für Alg II / Sozialhilfe von A-Z
Der Leitfaden ist von seinen Autoren Rainer Roth und Harald Thomé auf den aktuellsten Stand gebracht worden. Er ist eine wirksame Waffe gegen die Anmaßungen der ARGEs. Der Gang zur ARGE mit Begleitung (Recht zur Begleitung §13 Abs. 4 SGB 10 ) plus Leitfaden stärkt die eigene Position. Er umfasst 434 Seiten und kostet 8 Euro inkl. Versand.

Bezug: AG TuWas – Gleimstraße 3 – 60318 Frank
furt

Weg mit Hartz IV
Bundespresseball Berlin
Auf dem Bundespresseball in Berlin wurde 2500 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Medien und dem Showgeschäft serviert: 2200 Flaschen Champagner, 5500 Austern, 1500 Spanferkelhaxen, 65 Kilo Flusskrebse

BILD 25.11.06

EU-Parlament Straßburg
Die Stadt Straßburg hat nachgewiesener Weise den EU-SteuerzahlerInnen Millionen Euro zu viel abgeknöpft. Der EU-CSU-Abgeordnete Markus Ferber hat dies lautstark im EU-Gremium kritisiert. Pikanterweise ertappte das Fernsehteam von n-tv Herrn Ferber, wie er verstohlen zu einem Galadinner der Stadt Straßburg ging. Dieses wurde wiederum von den Millionen der SteuerzahlerInnen bezahlt!
Für die EU-Abgeordneten sind Empfänge, Luxusessen, Galadinner gratis. Jede/r EU-Abgeordnete erhält außerdem pro Tag 268 Euro als Hotel- und Essenpauschale. Und die „Diät“ beträgt ca. 8000 Euro pro Abgeordnete/n im Monat!

Leo, Celle
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