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Betrieb & Gewerkschaft

Rettet das Leipziger Volkshaus!

Von Korrespondent Leipzig | 01.12.2006

Im September wurden die Pläne der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG (BGAG) bekannt, sich bis 2007 von ihrer Immobiliensparte Gesellschaft für Gewerbeimmobilien (GGI) zu trennen und ein Paket von insgesamt 46 Objekten zu verkaufen. Besonders pikant an dieser Entscheidung ist, dass sich darunter auch elf Gewerkschaftshäuser befinden.

Im September wurden die Pläne der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG (BGAG) bekannt, sich bis 2007 von ihrer Immobiliensparte Gesellschaft für Gewerbeimmobilien (GGI) zu trennen und ein Paket von insgesamt 46 Objekten zu verkaufen. Besonders pikant an dieser Entscheidung ist, dass sich darunter auch elf Gewerkschaftshäuser befinden.
 
Davon steht eines in Westdeutschland (Hannover) und zehn im Osten (Dresden, Leipzig, Chemnitz, Magdeburg, Rostock, Zwickau, Bautzen, Jena, Suhl und Cottbus).
Die betroffenen GewerkschafterInnen wurden vor vollendete Tatsachen gestellt und erfuhren von dem Beschluß entweder von der jeweiligen Hausverwaltung oder gar aus der Presse.
 
BGAG und DGB-Spitze begründen ihre Entscheidung mit Finanzproblemen, die auf die rückläufige Entwicklung der Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zurückzuführen seien. Zudem verschanzen sie sich hinter einem Beschluß des DGB vom Mai 1990. Damals hatten sich die Gewerkschaften dazu entschlossen, zukünftig auf Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen zu verzichten, weil die gewerkschaftseigenen Wohnungsgesellschaft „Neue Heimat” durch Spekulationen des Geschäftsführers ins Trudeln geratenen. Dass für die unmittelbare Arbeit notwendige Unternehmungen – und dazu gehören die Gewerkschaftshäuser ja zweifellos – von dem damaligen Beschluss explizit ausgenommen waren, ficht die Verantwortlichen von heute nicht an. So ist es auch nicht verwunderlich, dass neben den Gewerkschaftshäusern auch die zu 88 Prozent in Gewerkschaftsbesitz befindliche Alpha Print Medien AG in Darmstadt (s. Artikel).
 
Geradezu absurd ist die Einschätzung der Gewerkschaftsspitzen, dass ein Verkauf der Häuser keinen Einfluß auf die Arbeit der lokalen Gliederungen hätte. Abgesehen von einer zukünftig möglichen Kündigung der Mietverhältnisse durch die neuen BesitzerInnen zeigt der Blick auf schon vorhandene Beispiele, dass die Realität anders aussieht: In Chemnitz etwa mietete sich der DGB in ein Bürohaus ein und hat nun keine Gelegenheit mehr, an diesem Haus mit Plakaten, Fahnen oder Transparenten in die Öffentlichkeit zu wirken.
Im Spiegel der Geschichte
Exemplarisch für die meisten der ostdeutschen Gewerkschaftshäuser ist wohl die Geschichte des Leipziger Volkshauses. Das 1905 mit Hilfe von Spendengeldern errichtete Gebäude wurde 1920 im Kapp-Putsch zerstört und musste wiederum mit Spenden der ArbeiterInnen neu aufgebaut werden. Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen und das Volkshaus besetzt. Bis zu seiner Zerstörung durch eine Fliegerbombe 1945 nistete sich hier nun die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ein. Nach 1945 wurde das Gebäude neu aufgebaut und vom DDR-staatsoffiziellen Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) bezogen. Mit der Angliederung Ostdeutschlands an die Bundesrepublik fiel das Vermögen des FDGB der Treuhand zu. Von dieser kaufte die gewerkschaftseigene GGI das Gebäude 1993 zusammen mit anderen ostdeutschen Gewerkschaftshäusern zurück – also drei Jahre nach dem DGB-Beschluß, zukünftig auf Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen zu verzichten.
Symbolische Besetzung
Im Jahre 1999 wurde das Haus schließlich aufwendig saniert. Dass es nun verkauft werden soll, stößt vor Ort auf Empörung. Bereits unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Verkaufspläne äußerten lokale GewerkschaftsfunktionärInnen und der sächsische DGB-Chef Hanjo Lucassen öffentlich ihren Unmut über die Entscheidung und ihr undemokratisches Zustandekommen und begannen mit einer Unterschriftensammlung gegen das Verkaufsvorhaben. Es blieb jedoch der Gewerkschaftsbasis vorbehalten, sich dem Kurs der Gewerkschaftsspitzen aktiv zu widersetzen.
So besetzten am 26. Oktober etwa 40 GewerkschafterInnen von der Basis das Leipziger Volkshaus für eine Nacht, um ihrer Forderung nach dem Verbleib dieses und anderer Gewerkschaftshäuser im DGB-Besitz Nachdruck zu verleihen. Die lokalen FunktionärInnen äußerten zwar mehrheitlich ihr Wohlwollen zu dieser Aktion, wollten sich jedoch meist nicht aktiv beteiligen. So meinte etwa der Leipziger DGB-Regionalvorsitzende, er könne ja schlecht zur Besetzung des eigenen Hauses aufrufen. FunktionärInnen, die bei dieser und anderen Gelegenheiten engagierter auftraten, wurde von den Bundesspitzen der Gewerkschaften mit Abmahnungen und Versetzung gedroht.
 
Mit dem Verkauf der Gewerkschaftshäuser droht den Gewerkschaften auch der Verlust ihrer Glaubwürdigkeit insbesondere im Kampf gegen Privatisierung. Besonders deutlich wurde dies am 15. November in Leipzig. Für den Nachmittag mobilisierten die Gewerkschaften zunächst etwa 1.500 ArbeiterInnen und Angestellte zum Protest im und vor dem Rathaus, in dem der Stadtrat gerade mit 36 zu 34 Stimmen den Teilverkauf der kommunalen Stadtwerke sowie die Vorbereitung der Privatisierung einer Reihe weiterer stadteigener Unternehmen beschloß.

Anschließend zogen die GewerkschafterInnen zum Volkshaus, wo am Abend eine außerordentliche Regiononaldelegiertenkonferenz des DGB stattfand, zu der auch DGB-Chef Michael Sommer und VertreterInnen der BGAG eingeladen waren. Der einzige, der schließlich von Führungsseite an der Konferenz teilnahm, war der Bereichsleiter Finanzen des DGB, Norbert Haak. Dieser hatte keine Ohren für die vorgebrachten Argumente und bekräftigte nur noch einmal den Willen des DGB, in dieser Frage nicht einzulenken.

Die Regionaldelegiertenkonferenz beschloss schließlich fast einstimmig eine Resolution gegen die Verkaufsabsichten. Die Auseinandersetzung geht also in die nächste Runde. Für den 22. November mobilisiert die Initiative gegen den Volkshausverkauf nach Berlin. Dort will man dem DGB-Bundesvorstand aufs Dach steigen. Ob man damit Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist hingegen, dass die gegen den Verkauf ihrer Häuser engagierten GewerkschafterInnen fest entschlossen sind, weiterhin Widerstand zu leisten.
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