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Innenpolitik

Reallöhne im Sinkflug

Von Konrad Reich | 01.05.2010

Nach wie vor hinterlässt die Krise tiefe Spuren. Am deutlichsten wird dies bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der Arbeitslosigkeit und der Löhne und Gehälter jeweils von 2008 nach 2009.

Nach wie vor hinterlässt die Krise tiefe Spuren. Am deutlichsten wird dies bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der Arbeitslosigkeit und der Löhne und Gehälter jeweils von 2008 nach 2009.

Insgesamt ging das BIP innerhalb der EU 27 um 4,1 % zurück. Den stärk­sten Einbruch gab es in den baltischen Staaten, Estland minus 14 % und Lettland und Litauen minus 18 %. In der alten EU hatte Irland mit minus 7,5 % den stärksten Wirtschaftsrückgang, gefolgt von Finnland mit minus 6,9 % und Deutschland mit minus 5 %. Der Rückgang war in den stark exportabhängigen Ländern besonders ausgeprägt. Demgegenüber war das mehr binnenwirtschaftlich orientierte Frankreich mit 2,2 % Rückgang deutlich geringer von der Krise betroffen.

Die Arbeitslosenquote stieg (nach den offiziellen Statistiken!) in der EU 27 von 7 % auf 8,9 %. In Spanien stieg die Arbeitslosigkeit von 11,3 % auf 18,1 %. In Irland verdoppelte sich die Quote von 6 % auf 11,8 %. In Deutschland stieg sie 2009 dank Kurzarbeit lediglich von 7,3 % auf 7,7 %. Im Jahr 2010 wird allerdings durchgängig in allen Ländern ein Anstieg der Arbeitslosigkeit erwartet, für Deutschland dann eine Quote von 9,2 %. Insgesamt droht 25 Millionen Menschen 2010 in Europa die Arbeitslosigkeit bzw. sind größtenteils schon davon erfasst.
Unterschiedliche Reallohnentwicklung
Besonderes Augenmerk bedarf die völlig auseinanderdriftende Entwicklung der Löhne und Gehälter in Europa. In den Jahren 2000 – 2009 stiegen die nominalen Tariflöhne z. B. beim Spitzenreiter Finnland um 41,6 % beim Ranglistenvorletzten Deutschland dagegen lediglich um 22 %. Auch bei einer inflationsbereinigten Berechnung liegt Finnland bei einem Plus von 22,1 % während Deutschland lediglich 5,1 % erreicht. Für die weitere Beurteilung sind allerdings die Effektivlöhne von Bedeutung, also die tatsächlich an alle Beschäftigten ausbezahlten Löhne, in die vor allem auch Überstunden, Kurzarbeit und andere betrieblichen Leistungen/Kürzungen eingehen. Hier zeigt sich, dass in Deutschland die effektiven Bruttoeinkommen im Jahr 2009 erneut nominal um 0,4 % gesunken sind, preisbereinigt sogar um 0,8 %. Damit ist 2009 das sechste Jahr in Folge, in dem die Beschäftigten effektive Reallohnverluste hatten. Kein Wunder, denn eine WSI-Befragung hat ergeben, dass in 22 % der Betriebe Abstriche beim Entgelt vorgenommen wurden oder geplant sind.

Mit dieser Dumpingstrategie bei der Entlohnung hat sich die deutsche Wirtschaft unter Mithilfe fast aller Gewerkschaften einen sehr großen Konkurrenzvorsprung verschafft. So hat der preisliche Wettbewerbsvorteil auf Basis der Lohnstückkostenentwicklung in Deutschland zwischen 1999 und 2009 um 13,5 % zugenommen. Das ist einsame Spitze in Europa, wo alle Konkurrenten im gleichen Zeitraum zwischen 2,7 % und 16,7 % an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Wenn Länder wie Griechenland, Irland oder Spanien in ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit mit Deutschland gleichziehen wollten, so müssten sie auf einen Schlag die Löhne um 20 % kürzen. Diese Entwicklung hat einerseits zu stetig wachsenden Ungleichgewichten in den Handelsbilanzen der Länder geführt, einer der Gründe für die Krise. Und diese Entwicklung hat gerade nicht dazu geführt, dass in Deutschland die Löhne nicht weiter sinken und die private kaufkräftige Nachfrage anzog. Im Gegenteil: Sie hat den Konkurrenzdruck insgesamt verschärft und damit die Spirale weiter nach unten getrieben.

Mühsam reagiert der Europäische Gewerkschaftsbund auf diese Situation und hat für 2010 die Parole herausgegeben „Kein Lohnstopp und keine Lohnsenkung“. Eine öffentliche Reaktion der deutschen Gewerkschaftbewegung zu dieser ausgesprochen matten Linie ist nicht zu sehen. Im Gegenteil, die letzten Tarifergebnisse lassen das Schlimmste befürchten, nämlich ein erneuter verschärfter europaweiter Lohnsenkungswettbewerb.

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