Die Frage der Arbeitzeitverkürzung ist eine strategische!
Die Bedeutung des Kampfs um eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich ist strategischer Natur. In einem Grundsatztext des Arbeitsausschusses der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken aus dem Jahr 2018 hieß es dazu:
«Heute kommt der Geisel Erwerbslosigkeit mehr denn je
eine Schlüsselrolle zu. Solange sich auf dem Arbeitsmarkt keine nennenswerte
Verschiebung der Kräfteverhältnisse durchsetzen lässt, werden sich
Niedriglohnsektor, Prekarisierungen und Stellenabbau ungeschmälert fortsetzen
und verschärfen, während gleichzeitig die Reichen immer reicher werden. Klar
muss sein, dass im Kapitalismus die Erwerbslosigkeit nicht zu beseitigen ist,
aber es macht schon einen gewaltigen Unterschied, ob die Gewerkschaften mit
einem entschlossenen Kampf und auf Kosten der Profite eine Verkürzung der
Arbeitszeit durchsetzen und damit die Zahl der Erwerbslosen spürbar reduzieren.
Ein solcher Erfolg hätte nicht nur auf dem Arbeitsmarkt seine bedeutsamen
Auswirkungen: Die KollegInnen in den Betrieben würden sich wieder mehr trauen
(weil die Angst vor Erwerbslosigkeit geringer würde) und auch weit darüber
hinaus würde es der Klasse der Lohnabhängigen wieder Mut machen.
Ein solcher Kampf lässt sich nicht von oben verordnen und auch nicht von unten
einfach mal ‹lostreten›. Das gesellschaftliche Umfeld (nicht nur in den Medien)
aber auch und vor allem die innergewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse und die
sehr starke Skepsis unter den KollegInnen erfordern einen langen Atem und einen
mittel- bis langfristig angelegten Kampf um die Köpfe.»**
Der strategische Wert einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich wäre mindestens fünffach:
- Sie brächte mehr Menschen in Arbeit oder sicherte ihre Arbeit;
- bei abnehmender Arbeitszeit bliebe das Entgelt gleich wie vorher;
- das Selbst- bzw. Klassenbewusstsein würde durch einen solche (sicherlich harte) Auseinandersetzung massiv steigen;
- das wiederum würde die Kampfkraft der Gewerkschaftsbewegung auch für andere Forderungen stärken;
- und trüge damit für zu einer Änderung des generellen Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit und in der Gesamtgesellschaft bei.
Klimwandel – Konversion und Arbeitszeitverkürzung
Zu den hier angesprochenen klassischen Gründen für die Neuaufnahme dieses
Kampfes kommt heute ein weiterer Grund hinzu, der die Sache noch dringlicher
macht: Soll der Klimawandel halbwegs unter Kontrolle zu bekommen sein, müssen
in allernächster Zeit große Sektoren der Wirtschaft (nicht nur, aber vor allem
die Automobilindustrie) auf klimafreundliche Produktionsweisen und Produkte
umgestellt werden.
Eine durchgreifende Konversion (z.B. in Richtung des Baus von Bahnen, Oberleitungsbussen usw.) ist nur über einen harten Kampf der abhängig Beschäftigten gegen die Interessen des Kapitals durchsetzbar. Und dies ist nur vorstellbar, wenn sich eine breite Kampffront in den umzustellenden Betrieben für eine Arbeitsplatzgarantie und eine weitreichende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich einsetzt. Parallel dazu muss eine breite gesellschaftliche Debatte hierüber angestoßen werden. Nur dann sind die KollegInnen für eine solche Umstellung zu gewinnen. Denn schon aus rein technischen Gründen ist eine Produktion von Bahnen und Straßenbahnen in den hergebrachten Industriebetrieben (selbst in der Autoindustrie) nicht in wenigen Wochen oder Monaten zu erreichen.
Hinzu kommt, dass eine solche Perspektive nur über eine entschädigungslose Enteignung des Kapitals eine ökonomische Chance hat. Somit sind die politischen Implikationen riesig und lassen das Ganze als Mammutaufgabe erscheinen. Aber so kann angesichts des drohenden Klimakollapses ein realistischer Weg beschritten werden: als strategische Gesamtorientierung, um ökologische und soziale Anliegen miteinander zu verbinden.
Der Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital um die Länge des Arbeitstages
begleitet den Kapitalismus von Anfang an. Die Entwicklung der Arbeitszeit wurde
immer sehr stark von den wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnissen
und den politischen Niederlagen und Siege der ArbeiterInnenbewegung bestimmt.
Auf der großen IG-Metall-Kundgebung «Für eine gerechte Transformation» im
vergangenen Juni in Berlin wurde deutlich, dass die IG-Metall-Führung der
Perspektive einer erneut massiv steigenden Erwerbslosigkeit infolge der
Strukturkrise der Automobilindustrie völlig hilflos gegenübersteht. Sie setzt
auf zwei falsche Pferde: auf die E-Mobilität, (die das Arbeitsplatzproblem
verschärfen wird) und auf die Förderung einer CO2-Steuer, was die Ängste der
KollegInnen und die Ablehnung wirksamer Klimaschutzprogramme nur steigern kann.
Eckpunkte einer neuen Kampagne für Arbeitszeitverkürzung
- Eine Arbeitszeitverkürzung bringt nur dann wirklich einen messbaren Erfolg, wenn sie in großen Schritten erfolgt. Es müssen mehrere Stunden in der Woche sein, damit die Unternehmen auch gezwungen sind, neues Personal einzustellen und die Arbeitszeitverkürzung nicht mit höherer Arbeitsintensität auffangen können.
- Es darf nicht der geringste Zweifel daran aufkommen, dass die Gewerkschaft ohne wenn und aber auf einem vollen Entgeltausgleich besteht. Würde die Möglichkeit eines Teillohnverzichts offengelassen, hätte dies einen fatalen Demobilisierungseffekt.
- Ziel muss sein, einen vollen Personalausgleich (bzw. definierte Arbeitsbedingungen) durchzusetzen, damit die Zahl der Erwerbslosen sinkt. Unser gesellschaftspolitisches Ziel: Verteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe! Und auch unabhängig von der Arbeitszeitverkürzung gilt: Es braucht mehr Personal im Erziehungsbereich, in der Alten- und Krankenpflege usw.
Wie kann das angegangen werden?
- In den Gewerkschaften muss dafür gekämpft werden, an den positiven Erfahrungen von 1984 anzuknüpfen, als vor allem die IG-Metall-Frauen die Kampagne für Arbeitszeitverkürzung unter dem Motto führten: «Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen, Lernen.»
- Innerhalb der Gewerkschaften muss die Diskussion vorangetrieben werden, verbunden mit einer breiten Informationskampagne unter den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben.
- Parallel dazu muss ein breites gesellschaftliches Bündnis aufgebaut werden.