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Innenpolitik

Protest gegen ACTA: Vom „Recht am geistigen Eigentum“

Von Klaus Engert | 07.03.2012

Der weltweite Aktionstag gegen ACTA am 9. Februar übertraf in Deutschland alle Erwartungen. In über 60 Städten fanden Aktionen und Demonstrationen statt mit über 50 000 Teilnehmer­Innen.

Der weltweite Aktionstag gegen ACTA am 9. Februar übertraf in Deutschland alle Erwartungen. In über 60 Städten fanden Aktionen und Demonstrationen statt mit über 50 000 Teilnehmer­Innen.

In München 16 000, 10 000 in Hamburg, 6 000 in Berlin, 2 000 in Köln, 1 500 in Dortmund – national wie international war die Resonanz auf den Aufruf zum Protest überwältigend. Aber meist griffen die Proteste deutlich zu kurz: Das eigentliche, hinter dem Abkommen stehende Problem wurde nicht thematisiert.
Worum geht es?
ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, zu deutsch: Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) ist gedacht als die Ergänzung und teilweise Verschärfung bereits bestehender Abkommen zum Schutz des sogenannten Urheberrechtes, wie z. B. des TRIPS (das TRIPS-Übereinkommen ist das „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ in Anhang 1C des WTO-Übereinkommens). Es bezieht sich nicht, wie man meinen könnte, wenn man nur den derzeitigen öffentlichen Diskurs verfolgt, ausschließlich auf das sogenannte „geistige Eigentum“, sondern auf „Produktpiraterie“ in sämtlichen Bereichen, von der gefälschten Markenjeans bis zum kostenlosen Download „geschützter“ Inhalte, seien es Musikstücke, Texte oder Filme.

Die Proteste richteten sich allerdings in erster Linie gegen die möglichen Auswirkungen auf die „Freiheit“ im Internet. Dieser Teil des Abkommens findet sich in Abschnitt 5 des Vertrags mit dem Titel „Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld“. Kurz gesagt geht es darum, wie weitgehend Provider im Netz gesetzlich gezwungen werden können, Informationen über ihre Kunden herauszugeben, Sperren einzurichten und Ähnliches mehr, sowie darum, wer für was haftbar gemacht werden kann.

Anzumerken ist, dass der Text sehr allgemein bleibt. Kostprobe aus Artikel 27: „Eine Vertragspartei kann in Übereinstimmung mit ihren Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihre zuständigen Behörden dazu ermächtigen, einem Online-Diensteanbieter gegenüber anzuordnen, einem Rechteinhaber unverzüglich die nötigen Informationen zur Identifizierung eines Abonnenten offenzulegen, dessen Konto zur mutmaßlichen Rechtsverletzung genutzt wurde, falls dieser Rechteinhaber die Verletzung eines Marken-, Urheber- oder verwandten Schutzrechts rechtsgenügend geltend gemacht hat und die Informationen zu dem Zweck eingeholt werden, diese Rechte zu schützen oder durchzusetzen. Diese Verfahren sind so anzuwenden, dass rechtmäßige Tätigkeiten, einschließlich des elektronischen Handels, nicht behindert werden und dass – in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei – Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faire Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre beachtet werden.“ Ähnlich schwammig ist der gesamte Text gehalten.
Berechtigte Aufregung?
Unbestreitbar öffnet dieses Abkommen die Tür zum überwachten und reglementierten Netz ein Stück weiter. Und natürlich ist es so, dass die Maßnahmen und Techniken, die jetzt zum „Schutz des geistigen Eigentums“ eingeführt werden, im Bedarfsfall auch zu anderen Zwecken, zum Beispiel der politischen Überwachung, benutzt werden könnten. Sich dagegen zu wenden, ist notwendig.
Aber Verschwörungstheorien sind fehl am Platze. In erster Linie geht es schlicht um Geld. Das belegt das obige Zitat in seinem letzten Satz schlagend: Alles darf man machen, solange man den Handel nicht behindert. Für das Kapital ist das Internet etwas ganz Simples: eine Maschine, mit der man Geld noch schneller verdienen und transferieren kann. Überwachung im Netz dagegen findet im Zweifelsfall eher mit einem Bundestrojaner oder Ähnlichem statt.

Um die Zwickmühle, in der die Interessengruppen stecken, die ACTA durchgesetzt haben, wirklich zu verstehen, muss man etwas in der Geschichte zurückgehen. Das Urheberrecht ist eine relativ junge Angelegenheit. Bis zur Erfindung des Buchdrucks im Mittelalter gab es keinen Schutz geistigen Eigentums: Man konnte z. B. ein Buch abschreiben und die Kopie verkaufen. Mit der Musik war es ebenso. Im Gegenteil galt es bis in die Neuzeit als völlig normal und sogar gelegentlich als erwünscht, wenn beispielsweise ein Komponist ein musikalisches Thema eines Kollegen paraphrasierte oder neu interpretierte.

Erst mit der Entwicklung von Vervielfältigungstechniken wie dem Buchdruck oder – sehr viel später – der Schallplatte änderte sich die Lage: Der Buchdrucker, der unter Umständen einem Autor ein Honorar bezahlt hatte, wollte einen Schutz gegen Raubkopien, der Plattenproduzent ebenso. Das „geistige Eigentum“ wurde zur Ware, und die Warengesellschaft benötigte seinen Schutz aus Verwertungsgründen. Es kam nicht von ungefähr, dass z. B. in Frankreich gleich nach der bürgerlichen Revolution, die in Frankreich den Industriekapitalismus einläutete, mit zwei Gesetzen 1791 und 1793 eine „Propriété littéraire et artistique“  (Literarisches und künstlerisches Eigentum“) eingeführt wurde. In England gab es ein Gesetz in Bezug auf Buchrechte bereits 1710, in Preußen bzw. im Deutschen Bund wurde 1837 ein Schutz für Urheberrechte eingeführt. Bis 1965 galt übrigens in Deutschland das entsprechende Gesetz aus dem Jahr 1901.

1952 einigte man sich auf ein Welturheberrechtsabkommen, und seit den neunziger Jahren wurden die Bestimmungen kontinuierlich verschärft.
Hintergrund ist, dass mit der technischen Entwicklung das Kopieren und Verbreiten entsprechender Produkte bzw. Inhalte immer einfacher wurde.  Kopierer, Tonband, Kassettenrekorder, Videorekorder, CD, DVD, USB-Stick, Verbreitung über das Netz – die Möglichkeiten vervielfachten und vereinfachten sich. Und da wären wir wieder bei der Zwickmühle:

Auf der einen Seite hat das Kapital natürlich einen unstillbaren Drang, die entsprechende Hard- und Software in möglichst großer Zahl unter die Leute zu bringen – und die benutzen sie dann auch. (Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an die hitzigen Debatten um Kopierschutztechnologien bzw. GEMA-Abgaben, wenn die entsprechenden Produkte auf den Markt kamen.).
Auf der anderen Seite unterhöhlen die verlockenden Möglichkeiten zum (fast) kostenlosen Kopieren natürlich in anderen Geschäftsbereichen die Basis für die schönen Profite, die das Urheberrecht eigentlich garantieren soll. Und da kommt dann die Gesetzesmaschinerie in Gang, denn wenn einen Kapitalisten etwas richtig in Harnisch bringt, dann, dass er etwas kostenlos herausrücken soll. Und diesem Dilemma sollen immer schärfere gesetzliche Eingriffe und Kontrollen zu Leibe rücken.
Protest – aber wogegen?
Die Kritiker­
;Innen des heutigen Urheberrechts unter denen, die jetzt gegen ACTA demonstriert haben, sind zahlreich. Aber die meisten stellen eben dieses Urheberrecht nicht grundsätzlich infrage. Manche fordern eine Verkürzung der Schutzfristen, andere, wie die Piratenpartei, eine „Beschränkung“ des Urheberrechts, die Grünen wiederum eine sogenannte Kulturflatrate, über die dann die Künstler bezahlt werden sollen.
Das ist zu kurz gegriffen, weil alle diese Vorschläge den Kern der Sache verfehlen. Zum einen gibt es in Wirklichkeit so etwas wie eine individuelle Urheberschaft nicht. Das ist ein historisch relativ spät aufgetauchtes Konstrukt. Die individuelle Hervorbringung einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Leistung ist in erster Linie das Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses – eine Erkenntnis, die übrigens weit zurückreicht. Der frühscholastische Philosoph Bertrand von Chartres formulierte 1120 das Gleichnis von den „Zwergen, die auf den Schultern von Riesen sitzen“, womit er darauf hinweisen wollte, dass ohne die vorausgegangenen Generationen und Individuen der „Zwerg“ von heute nicht den weiten Blick hätte und in dem er mit seinem Bild auch das sozusagen quantitative Verhältnis zwischen individueller Leistung und dem kollektiven kulturellen Erbe illustrierte.

Zum anderen verkennen die genannten Forderungen, dass man selbstverständlich in einer kapitalistischen Warengesellschaft mit dem individuellen Eigentum als konstitutivem Element nicht einfach das Urheberrecht beschränken kann, ohne, wie oben ausgeführt, den Kapitaleignern einen Profithahn abzudrehen. Und das rührt an die Grundfesten der herrschenden Ordnung. Wenn man dann erst einmal die weitergehende Frage stellt, ob denn so etwas wie „geistiges Eigentum“ eigentlich existiert respektive Berechtigung hat, dann stößt man zwangsläufig auf die nächste, nämlich, wie es denn sonst so mit der Berechtigung des Privateigentums steht.

Unter diesem Aspekt könnten die Proteste gegen ACTA über ihre kurzfristige konkrete Zielsetzung – die Verhinderung der Ratifizierung – hinaus eine grundsätzliche Debatte befördern, nämlich die zum kollektiven Eigentum. Da ist man doch gerne dabei.

Übrigens: Dass das Urheberrecht, das ja in seinen Anfängen über die sogenannte Naturrechtstheorie begründet wurde, nicht die Selbstverständlichkeit ist, als die sie die meisten Menschen heute gedankenlos hinnehmen, zeigt sich an bestimmten verbliebenen indigenen Gemeinschaften, die es nicht kennen und deren (kollektives) Wissen dadurch schamlos ausgebeutet werden kann und auch wird. Sie kämpfen am konsequentesten gegen Abkommen wie ACTA.

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