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Länder

Postkarte aus Le Havre

Von Vincent Alès, NPA Le Havre | 01.12.2010

An der Mündung der Seine, 175 km von Paris, liegt Le Havre: ein Ballungsgebiet mit 250 000 Einwohnern, zweitgrößter Hafen des Landes und eine alte Hochburg der organisierten und kämpferischen Arbeiterbewegung. Hier war die Bewegung hinsichtlich der Selbstorganisierung und der Verallgemeinerung der Streiks mithin am weitesten fortgeschritten im Land.

An der Mündung der Seine, 175 km von Paris, liegt Le Havre: ein Ballungsgebiet mit 250 000 Einwohnern, zweitgrößter Hafen des Landes und eine alte Hochburg der organisierten und kämpferischen Arbeiterbewegung. Hier war die Bewegung hinsichtlich der Selbstorganisierung und der Verallgemeinerung der Streiks mithin am weitesten fortgeschritten im Land.

Denn über die landesweiten Aktionstage hinaus, an denen bis zu 40 000 Teilnehmer­Innen demonstrierten, wurden in etlichen wichtigen Betrieben im Hafenbereich die Streiks ausgeweitet. In manchen, wie bei der Raffinerie Total, Chevron, CIM, Petrochemicals und dem Kraftwerk der EdF, kam die Produktion völlig zum Erliegen. Bei der SNCF, Exxon, Foure Lagadec, Vinci, Ponticelli, der Post, Debris, im Erziehungswesen, beim Transportunternehmen Loheac, Renault Sandouville oder bei den öffentlich Bediensteten etlicher Gemeinden stieß die Mobilisierung auf breite Resonanz und konnte mit wechselnder Beteiligung zwei Wochen lang aufrecht erhalten werden. Indem täglich über die Weiterführung des Streiks entschieden wurde, waren immer mindestens ein paar Hundert, mitunter sogar mehrere Tausend Menschen aktiv dabei, das wichtigste Industriegebiet der Stadt zu blockieren. Diese Blockaden fanden bei der Bevölkerung breite Unterstützung, auch wenn sie Unannehmlichkeiten mit sich brachten. Allerdings ist es nicht gelungen, das ganze Ballungsgebiet zum Generalstreik zu mobilisieren.
Eine ermutigende Strukturierung der Bewegung
Auch wenn die Konflikte zwischen den Einzelgewerkschaften und die politischen Meinungsverschiedenheiten dieselben waren wie anderswo, tragen die Arbeit der Gewerkschaftskoordination (CGT, FSU, CFDT und Solidaires) und das Vertrauensverhältnis, das in den letzten Jahren bei den Protesten gegen den EU-Vertrag und später im Kampf gegen die Entlassungen bei Renault gewachsen ist, ihre Früchte. Der Einfluss der Aktivist­Innen der radikalen Linken und ein besonders kämpferisches Organisationsteam der CGT sind inzwischen eine feste Größe. Seit 7. September fanden auf unser Betreiben hin branchenübergreifende Vollversammlungen statt. Die Perspektivlosigkeit der nationalen Gewerkschaftsverbände machte die Selbstorganisation an der Basis unumgänglich. Ab dem 12. Oktober, als täglich über die Fortführung der Streiks entschieden wurde, fanden die Vollversammlungen jeden Abend um 17:00 statt, um die Lage zu erörtern und die Ausweitung der Streiks zu organisieren. Wir schufen ein eigenes Organ – „Le Havre de Grève [Le Havre im Streik] – das als Informationsbulletin der Vollversammlung jeden Abend um 21h per mail versandt und mithilfe der technischen Ausrüstung der einzelnen Gewerkschaften gedruckt wurde. Es wurde rasch sehr populär und erschien neunzehn Mal. Auf diesem Weg konnten wir im Rahmen unserer Mittel das leisten, was Viele erhofften: ein eigenes Organ, mit dem sich unsere Klasse mit einer Stimme Ausdruck verschaffen konnte. Dadurch waren wir auch als nahezu Einzige in der Lage, die Kontrolle der landesweiten Gewerkschaftskoordination durch die branchenübergreifenden Vollversammlungen zu einem Thema zu machen. Am Abend des Aktionstags am 19. Oktober war beispielsweise in der Nr. 15 zu lesen: „Was in Le Havre passiert, ist der Beweis, dass man vereint diskutieren und Zehntausende Demonstrant­Innen und Streikende unter einen Hut kriegen kann, um aktiv zu werden und die Rücknahme des Gesetzes zu fordern“.

Das Gleiche fordern wir von den Gewerkschaftsführungen. Mit 151 Für-Stimmen und 3 Enthaltungen haben wir die folgende Resolution verabschiedet, um die Delegierten aus allen Städten aufzufordern, die nationale Gewerkschaftskoordination wachzurütteln: ‚Die branchenübergreifende Vollversammlung von Le Havre…) fordert die landesweite Gewerkschaftskoordination auf, zu ihrer Sitzung am 4. November repräsentative Delegationen der Streikversammlungen und der aktiven Basis aus den Städten einzuladen, um die weiteren Aktionen zu diskutieren und eine Mobilisierung bis zur Rücknahme des Gesetzes zu organisieren.‘ “
Und als später die Gewerkschaftsführungen einen weiteren dezentralen Aktionstag vorschlugen, gab es eine Stellungnahme von 120 Aktiven in der Vollversammlung: „Die demonstrative Einheit der nationalen Gewerkschaftsführungen und branchenübergreifenden Vereinigungen hat dazu beigetragen, dass eine riesige Volksbewegung entstanden ist, die ausdauernd und entschlossen ist und von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird. Weiterhin ist ihr zu verdanken, dass Millionen von Lohnabhängigen, die unter der Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen, dem Rückgang ihrer Kaufkraft, der „Flexibilisierung“ ihrer Arbeitsplätze, Entlassungen und Arbeitslosigkeit zu leiden haben, wieder Vertrauen in die Kraft der Mobilisierung gefasst haben…). Wir sind bereit, alles dafür zu tun, damit wir zu Millionen in der Hauptstadt demonstrieren. Die landesweiten Organisationen müssen zu einer landesweiten Demonstration in Paris am Samstag, den 13. November, aufrufen. Wenn diese friedliche und entschlossene Demonstration der Stärke nicht ausreicht, sollen die nationalen Gewerkschaftsführungen ein Treffen der Delegationen aller Städte und Großunternehmen des Landes in Paris organisieren, um über einen Aufruf zum eintägigen Generalstreik der Bewegung zu beschließen, der solange verlängert wird, bis die Regierung auf das Inkrafttreten oder die Anwendung des Gesetzes verzichtet und beschließt, endlich richtige Verhandlungen aufzunehmen.“ (120 Für-, 7 Gegenstimmen und 7 Enthaltungen). Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass wir keinerlei Antwort auf unsere Beschlüsse und Forderungen erhalten haben.

Übers. MiWe

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