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Innenpolitik

Politischer Crash mit dem Bobbycar

Von Oskar Kuhn | 21.02.2012

Unvollständiger Lagebericht aus der präsidialen Wulffschanze im Schloss Bellevue: Eigenheimfinanzierung durch kapitalkräftigen Freundeskreis, Vorzugszinsen bei der kreditierten Umfinanzierung, Gratis-Urlaub im Unternehmerrefugium, Businessklasse beim Abflug, Oktoberfest deluxe, staatliche Finanzspritze für den guten Freund aus der Filmproduktion, Sponsoring-Tour im Nord-Süddialog, von Industrie-Marmelade geschmiert, ein Bobbycar für die gesponserten Rennrunden des Junior.

Unvollständiger Lagebericht aus der präsidialen Wulffschanze im Schloss Bellevue: Eigenheimfinanzierung durch kapitalkräftigen Freundeskreis, Vorzugszinsen bei der kreditierten Umfinanzierung, Gratis-Urlaub im Unternehmerrefugium, Businessklasse beim Abflug, Oktoberfest deluxe, staatliche Finanzspritze für den guten Freund aus der Filmproduktion, Sponsoring-Tour im Nord-Süddialog, von Industrie-Marmelade geschmiert, ein Bobbycar für die gesponserten Rennrunden des Junior.

Soweit, so bekannt. Wenn zudem noch Bild-Dieckmann, Chefredakteur zur politischen Hypnose der Arbeiter­Innenklasse, per Telefon beweint und genötigt wird, ist die Krise im Schloss Bellevue komplett.

Die Affäre Wulf ist seit zwei Monaten wesentlicher Teil der politischen Debatte. Bei der Betrachtung des gesamten Spektrums dieser Diskussion können wir im bürgerlichen Lager zwei entgegengesetzte Positionen herausfiltern: zum Ersten die Kritiker Wullfs, die seine angebliche Unabhängigkeit verloren sehen, sein Krisenmanagement bemängeln und seine versuchte Gängelung von Medienvertretern zum Beleg heranführen, dass er sich als repräsentative Werbefigur für die bürgerliche Demokratie disqualifiziert. Diesem Flügel ist die Integrität und Wirkung des Bundespräsidentenamtes auf die breite Masse der Bevölkerung zentrales Anliegen und hat – Stand Ende Januar – bei allen demoskopischen Operationen am offenen Herzen der Meinungsbildung die mittlerweile deutliche Mehrheit in der Debatte errungen.
Die entgegengesetzte momentane Minderheitenmeinung im bürgerlichen Lager beklagt zur Verteidigung Wulffs eine Medienhatz, angeführt von großen auflagenstarken Tages- und Wochenblättern. Dabei wird ihm zwar mitunter auch schlechtes Krisenmanagement bescheinigt, hervorgehoben bei dieser Position ist jedoch die Ablehnung einer als heuchlerisch gekennzeichneten Kampagne besagter Printmedien (Bild, Spiegel, etc.) gegen einen politischen Repräsentanten, der sich mit seiner privaten Finanzierung offenkundig nicht von dem üblichen Gebaren in diesen Kreisen unterscheidet. Sie sehen durch die attestierte Kampagne letztlich das politische Gleichgewicht der repräsentativen Demokratie in Gefahr.

Jenseits dieser Pole im bürgerlichen Lager entziehen sich viele Menschen aus Arbeiter­Innenklasse und Mittelschicht angesichts dieser weiteren Affäre im politischen Establishment dem aktiven Zuspruch zum bundesrepublikanischen System oder verhalten sich politisch indifferent. Dadurch wächst die Zahl derjenigen, die dem politischen Geschehen den Rücken kehren und erst durch gewaltige politische und gesellschaftliche Erschütterungen zu einer erneuten Positionierung und aktiven Rolle gezwungen werden.

Nicht zuletzt müssen wir diejenigen nennen, die nicht allein mit Schuhen in arabischer Tradition und Lesart ihre Verachtung für diesen obersten Repräsentanten ausdrücken sondern auch zum Kummer der Verfassungshüter dem Präsidentenamt als solchem den erwarteten Respekt versagen.
Individueller Ausrutscher oder Affäre mit System?
Die Dimension der Affäre Wulff ist im Vergleich zu dem Ausmaß der Flick-Affäre in den achtziger Jahren, dem bajuwarischen Amigo-Filz oder der Bimbes-Spendenaffäre mit verlogener antisemitischer Rechtfertigung durch die CDU zur Jahrtausendwende eher eine Provinzposse. Dass sie trotzdem heftige politische Unruhe stiftet, ist weniger einer Beschädigung des obersten Staatsamtes geschuldet sondern ist ein Fingerzeig, dass vor dem Hintergrund der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise das soziale Reizklima innerhalb der bundesrepublikanischen Klassengesellschaft deutlich zugenommen hat.

Wer bei der eigenen Meinungsbildung und Schlussfolgerung zur ruchbar gewordenen Selbstvermarktung des obersten Moralapostels der bürgerlichen Demokratie nicht abtauchen will, muss sich grundsätzlich mit folgender Frage auseinander setzen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen:
Ist das wieder nur eine individuelle Verfehlung, charakterloser Auftritt , taktischer Fehltritt oder hat das System? Wer hier überzeugend antworten will, sollte sich zunächst die materiellen Bedingungen in Erinnerung rufen, unter denen das politische Führungspersonal der Bourgeoisie Karriere machen kann, den politischen Alltag bewältigt und schließlich für die Zeit nach der aktiven Amts- oder Mandatszeit Vorsorge trifft.

Die Wulffs, Merkels, Gabriels, Künasts und wie sie alle heißen, betrachten und nutzen die Machtorgane des bürgerlichen Staates als Werkzeug und Arena ihrer politischen Ziele. Den einen dient der bürgerliche Staat dabei zur Konservierung von bestehenden Machtverhältnissen, andere glauben mit ihm Verhältnisse zum Tanzen bringen zu können. Gemeinsam ist ihnen die Sorge um den Erhalt des Staatsapparates zur Regulierung des kapitalistischen Regimes.Das ist der Kreislauf bürgerlicher Politik in zugespitzter Kurzform.

Marx nannte den bürgerlichen Staat nicht von ungefähr den ideellen Gesamtkapitalisten. Er ist im anarchischen Kampf der verschiedenen Kapitalien wirtschaftspolitischer Schiedsrichter mit bestimmten und durchaus variablen Eingreiffunktionen und muss umgekehrt die Kapitalherrschaft ideologisch, moralisch und auch bewaffnet absichern und mit demokratischer Maskerade staffieren. Das Anforderungsprofil für das politische Personal ergibt sich daraus. Unabhängiges und unbestechliches Image als Zertifikat für das Schiedsrichteramt und intellektuelle und charakterliche Fertigkeiten als Prellbock oder Abzugshaube für die sozialpolitischen Folgen des kapitalistischen Alltags.
Um diesem Anforderungsprofil genügen zu können, müssen sie sich einer Ausbildung unterziehen – Jurist geht immer –, im politischen Casting positionieren, kontinuierlich präsentieren, Bündnispartner suchen und… vor allem finanzieren. Die in Kreisen des etablierten politischen Personals empfundene Unterbezahlung im Vergleich zu ihrer Klientel aus Industrie, Waren- und Finanzwirtschaft macht für besondere Zuwendungen und Verbindungen zusätzlich empfänglich.

Denn falls der Familienfonds selbst nicht reicht, ist auch schon in jungen Jahren ein Sponsor, Mäzen oder Gönner von nicht zu unterschätzendem Vorteil. Altkanzler Kohl hatte seit Studienzeiten einen Förderer aus Ludwigshafener Chemieverbindungen im Kreuz. Nicht jeder kann sich über so einen stabilen und treuen Förderer freuen, da muss hier und da gepunktet und gesammelt werden. Biegsamkeit und Willfährigkeit werden notgedrungen zum weiteren Charaktervorzug.

Ein wichtiger Begleitaspekt des umfassenden Lobbyismus der Interessenverbände und Kapitalgesellschaften im Umfeld der Berliner Showbühne und der föderalen Provinz ist denn auch die Sichtung neuer Talente.
Empfehlungen in den einflussreichen Kreisen aus Politik, Medien und Wirtschaft kann aber nicht jede/r abgeben. AWD-Maschmeyer sollte schon sein.
Der Begünstigte solch einflussreicher Gönner darf aber tunlichst seine Förderer nicht vergessen. Die einen brauchen kurzfristige Dankbarkeit, die anderen erwarten darüber hinaus Rendite im langfristigen Prozess. Das einmal geknüpfte Band muss halten; Liebesentzug ist hier schmerzhaft. Schnell sind dann Vertraulichkeiten im veröffentlichen Diskurs und die Karriere ist, wenn nicht vernichtet, so doch schwer beschädigt.

Die politischen Akteure, die durch solche Schule gehen, von ihr profitieren und geprägt werden, schließlich an die Fleischtöpfe der Macht gelangen, haben ihre Lektion gelernt. Wulff ist da keine Ausnahme sondern voll im Langzeittrend des bürgerlichen Politikbetriebs.
Beim Führen des Präsidentenamtes besteht allerdings besondere Heiligenscheinpflicht. Das ist die Planstelle für den obersten Werbekasper der repräsentativen Demokratie. Mussten wir doch vierzig Jahre warten, bis 1985 Richard von Weizsäcker für die Bundesrepublik die geeignete Formel zum Kriegsende 1945 gefunden hatte; eine Sichtweise, die den deutschen Wirtschaftsverbänden nach ihrem vergangenen Hitler-Sponsoring die aktuelle Weltmarktposition moralisch verbessern und den alten Landser mit CDU-Parteibuch nicht überforderten sollte.
Wulff bringt für diesen Posten zwar viele Eigenschaften wie Schwiegersohn-Image, Glamour-Faktor für die bunten Blätter und eine sonore Stimme mit Hypnose-Potenzial mit. Allerdings gerieten ihm die dazu notwendigen eigenen Selbstvermarktungsstrategien samt Haushaltsführung ins Unübersichtliche. In den oberen Etagen der Klassengesellschaft wird ihm letztlich nicht die Tatsache zum Verhängnis, dass er einen Warenpreis hat und ausgehalten wird. Hier wird ihm vielmehr zum Verhängnis, dass es öffentlich wurde. Der diskrete Charme der Bourgeoisie funktioniert eben nur diskret.

Damit kann sich die lohnabhängige Bevölkerung nicht zufriedengeben. Ihre heutigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse stehen im diametralen Gegensatz zu der finanziellen Leichtigkeit des Präsidentenseins. Wut darüber hat nichts Engstirniges, sie ist absolut legitim. Mehr noch, hinter den Zuwendungen an Wulff stehen die eigentlichen Akteure. AWD, Zentis oder die BIG Spielwarenfabrik suchen sich solange ihre Marionetten im Politikbetrieb, bis ihnen ihre Belegschaften betriebsübergreifend das Ruder entreißen.

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