Die Universitätsstudentin Sudaba Kabiri hat schon kurz nach der Machtübernahme der Taliban mit drei Freundinnen in Kabul gegen die neuen Machthaber demonstriert. Seither lebt sie im Untergrund, aber ihre Aktion ermutigte andere Frauen, sagt sie. Der Journalist Farooq Sulehria hat sie interviewt.
Während die Welt entsetzt den Siegeszug der Taliban auf Kabul verfolgte, hatten sich die Bewohner*innen der Stadt buchstäblich eingeschlossen. Am nächsten Tag, als der Kabuler Flughafen von verängstigten Afghan*innen bevölkert war, die versuchten, den Taliban zu entkommen, herrschte andernorts in der Fünf-Millionen-Stadt absolute Stille. „Diese Stille ist noch beängstigender als die Bombenexplosionen, die wir in den letzten 20 Jahren immer gehört haben“, sagte ein Bekannter.
Inmitten dieser Angst und Panik beschlossen vier afghanische Frauen zu protestieren, um Widerstand zu leisten. Spontan beschlossen sie eine Demonstration zu veranstalten.
Dieser erste Akt des Widerstands am 17. August war peinlich klein, als sich diese vier Frauen, alle Mitte 20, vor dem Präsidentenpalast versammelten.
In den Videoaufnahmen, die sich sofort verbreiteten, kann man sehen, wie sie den Taliban Plakate entgegenhalten. Sie skandieren: „Es gibt uns. Wir sind halb Afghanistan. Tut nicht so, als gäbe es uns nicht. Tut uns nichts an. Unterstützt uns.“
Die bewaffneten Taliban, die sichtlich nervös sind, wirken ratlos, da lokale und internationale Medien über das Ereignis berichten.
Dieser Protest, der zwar klein ist, aber einen Mut so groß wie der Himalaja aufbringt, beherrschte allmählich die Fernsehbildschirme und die Blogosphäre. Verschwörungstheorien verbreiteten sich ebenso schnell. „Die Taliban selbst haben die Demonstration gesponsert“, kommentierten Kritiker*innen ungläubig. Ungeachtet der abfälligen Verschwörungstheorien hatte die Aktion viele Menschen im ganzen Land elektrisiert. In den folgenden zwei Tagen fanden in vielen Städten Demonstrationen statt. In zwei Fällen reagierten die Taliban mit Schüssen auf die Agitation. In Dschalalabad gab es 3 Tote, in Asadabad 16 (die genaue Zahl der Todesopfer ist noch nicht bekannt, Anm. d. Red.).
Wer sind diese vier tapferen Frauen? Diese Frage beschäftigte alle Menschen in Afghanistan und vielleicht darüber hinaus. Sudaba Kabiri, die Initiatorin der spontanen Demonstration, ist zufällig die Freundin eines in Kabul lebenden Journalisten. Obwohl sie seit der verhängnisvollen Demonstration untergetaucht war, erklärte sie sich bereit, meine Fragen auf WhatsApp zu beantworten. „Ich werde Ihnen Sprachnotizen schicken“, sagte sie mir in einem kurzen WhatsApp-Anruf. Ihre sachlichen Antworten waren ebenso kurz, aber auf den Punkt gebracht, wie ihr Anruf.
FAROOQ SULEHRIA: Erzählen Sie uns etwas über sich.
Sudaba Kabiri: Ich bin Universitätsstudentin. Ich wurde in der Zeit der ersten Taliban-Herrschaft (1997 bis 2001) geboren. Ich arbeite auch bei einem privaten Arbeitgeber.
SULEHRIA: Wo wurde dieser Protest organisiert? Wie sind Sie auf die Idee des Protests gekommen und wie viele weitere Freundinnen waren beteiligt?
Kabiri: Sie fand vor dem Präsidentenpalast statt. Wir waren eine Gruppe von Studentinnen. Wir waren sehr aufgeregt. Unser Entschluss war plötzlich. Es war keine im Voraus geplante Aktion. Alle Männer und Frauen haben Angst vor den Taliban. Sie waren nicht bereit aus ihren Häusern zu gehen. Wir wollen (mit dieser Aktion, Anm. d. Red.) unsere Rechte einfordern und andere ermutigen, ihre Rechte einzufordern.
SULEHRIA: Bewaffnete Taliban waren anwesend. Was haben sie gesagt?
Kabiri: Ja, Taliban mit Gewehren waren da. Sie haben uns nicht respektiert. Sie waren sehr wütend. Sie haben uns die Papiere und Handys abgenommen. Als aber nationale und internationale Medienleute eintrafen, änderte sich ihr Verhalten. Zuvor hatten sie mit ihren Waffen auf uns gezielt.
SULEHRIA: Sind Sie nach der Demo im Untergrund? Gab es Drohungen nach der Demo?
Kabiri: Wir sind im Untergrund. Jeden Tag ziehen wir anderswo hin um. Unsere Familien bleiben jedoch in ihrem jeweiligen Zuhause. Sie haben Angst. Wir sind alle in großen Schwierigkeiten. Das ist nachvollziehbar.
SULEHRIA: Glauben Sie, dass Ihr Protest zu weiteren Protesten geführt hat, die am nächsten Tag begannen?
Kabiri: Diese Demonstration hatte erhebliche Auswirkungen auf die afghanische Gesellschaft. Sie ermutigte vor allem die Frauen, aus ihren Wohnungen zu kommen und die Demonstrationen anzuführen.
SULEHRIA: Wie geht es weiter? Planen Sie, Afghanistan zu verlassen?
Kabiri: Wir haben vor, so lange zu bleiben, bis sie nicht mehr drohen, uns zu töten.
SULEHRIA: Wie haben Ihre Familien reagiert, wussten sie im Voraus von Ihrer Aktion?
Kabiri: Unsere Familien wussten nichts. Sie wussten nicht einmal, dass wir aus den Wohnungen herausgegangen waren. Als sie die Demonstration im Fernsehen sahen, waren sie wütend auf uns. Wir können sie verstehen. Sie wollen, dass wir in Sicherheit sind. Aber es ist eine kritische Zeit. Wir können nicht schweigen.
Das Interview erschien zuerst auf der Seite des International Viewpoint in englischer Sprache unter dem Titel: „Afghanistan’s bravest woman: Sudaba organized first anti-Taliban demo“.
Zum Autor: Farooq Sulehria ist ein pakistanischer Journalist, der seit einigen Jahren in Schweden lebt. Er hat die Labour Party Pakistan (LPP) unterstützt und Tariq Alis Buch „Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung: Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln“ (2002) aus dem Englischen ins Urdu, die Amtssprache in Pakistan, übersetzt.