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Betrieb & Gewerkschaft

nora systems Weinheim: Mobbing gegen Betriebsrat

Von Korrespondent Mannheim | 28.09.2012

Mit Kündigung und Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat wollen Geschäftsleitung und Betriebsratsmehrheit Widerstand gegen Verkaufspläne verhindern.

Mit Kündigung und Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat wollen Geschäftsleitung und Betriebsratsmehrheit Widerstand gegen Verkaufspläne verhindern.

Anfang Mai hat die Geschäftsleitung des Bodenbelagherstellers nora systems GmbH in Weinheim (ca. 900 Beschäftigte) über den erneut anstehenden Verkaufsprozess durch die Eigentümer (Finanzinvestor Capiton und L-EigenkapitalAgentur (L-EA)) informiert.

Am 29. 6. 2012 hat die Betriebsratsmehrheit ein Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat gegen das kritische BR-Mitglied Helmut Schmitt beim Arbeitsgericht Mannheim eingeleitet. Gleichzeitig hat die Geschäftsleitung beim Betriebsrat die Zustimmung zur fristlosen Kündigung von Helmut Schmitt beantragt und am 2. 7. 2012 auch bekommen.

Seit dem 2. 7. 2012 ist der Kollege Schmitt nach fast 36-jähriger Betriebszugehörigkeit (davon 31 Jahre ununterbrochene BR-Mitgliedschaft) mit der Zustimmung der Betriebsratsmehrheit fristlos gekündigt.

Das alles ist kein Zufall! Das zwischen Geschäftsleitung und Betriebsratsmehrheit abgesprochene Vorgehen gegen das Betriebsratsmitglied Schmitt dient offenkundig dazu, den neuen Verkaufsprozess möglichst störungsfrei durchziehen zu können. Selbst wenn das eingeleitete Kündigungsschutzverfahren positiv für den Kollegen Schmitt ausgeht, ist mit einer Rückkehr in den Betrieb nicht vor einem halben Jahr zu rechnen. Dieses halbe Jahr reicht aber aus, um den Verkauf von nora systems abzuschließen.

Natürlich lehnen die Geschäftsführung und die BR-Mehrheit jeglichen Zusammenhang mit dem beabsichtigten Verkauf ab. Ihre Begründung für die Kündigung bzw. das Ausschlussverfahren ist in den wesentlichen Punkten fast gleich lautend: Helmut Schmitt habe u. a. auf der Betriebsversammlung am 20.6.2012 vertrauliche Informationen über den Ablauf des Tarif-Schlichtungsverfahrens anlässlich der Haustarifrunde 2012 an die Belegschaft weitergegeben und dadurch massiv den Betriebsfrieden gestört. Eine weitere Zusammenarbeit und Weiterbeschäftigung von Helmut Schmitt sei deshalb nicht mehr zumutbar.

Es ist offensichtlich – das zeigt auch die Vorgeschichte  –, dass mit diesen vorgeschobenen Gründen ein kritisches Betriebsratsmitglied ausgeschaltet werden soll. Geschäftsleitung und Betriebsratsmehrheit wollen im Vorfeld des aktuell geplanten Verkaufs eine „Flurbereinigung” durchführen, um den Finanzinvestoren beim Verkauf den Rücken freizuhalten. Das allerdings verheißt nichts Gutes für die Belegschaft. Es muss möglicherweise mit Arbeitsplatzabbau und Einschnitten bei den Löhnen gerechnet werden.

Auf Initiative der gewerkschaftlichen Vertrauensleute der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) werden derzeit im Betrieb Unterschriften gesammelt. Die Forderung an die Geschäftsleitung und die Betriebsratsmehrheit lautet: Rücknahme der Kündigung von Helmut Schmitt und Rücktritt des Betriebsrats, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Die bisherige Betriebsratsmehrheit um den Betriebsratsvorsitzenden Baumann hat mit der jetzigen Vorgehensweise jegliches Vertrauen bei der Belegschaft verspielt!

Aber nicht nur im Betrieb entwickelt sich die Solidarität mit ­Helmut. Auch außerhalb im Industriepark Weinheim, in der Region und sogar überregional wird das skandalöse Vorgehen von Geschäftsleitung und Betriebsratsmehrheit wahrgenommen und darauf reagiert. So erhält Helmut nicht nur die Solidarität der IG BCE, er wird auch vom Konzernbetriebsrat Freudenberg am gemeinsamen Standort sehr stark unterstützt. Außerdem wurde Helmut z. B. von den Vertrauensleuten und dem Betriebsrat von ALSTOM Power in Mannheim eingeladen, um seine Situation darstellen zu können. Viele Protestschreiben an die Geschäftsleitung und an den Betriebsrat sowie Soliadressen an Helmut wurden schon verschickt. Darüber hinaus hat sich in Mannheim ein „Solikomitee für Helmut Schmitt” gegründet, das Stände und Veranstaltungen zur Unterstützung organisiert. Für den Herbst ist z. B. ein Solifest mit Künstlern aus der Region geplant. Bislang wird die Auseinandersetzung bei nora systems auch von den regionalen Medien sehr interessiert wahrgenommen und durchaus positiv berichtet.

Am 23. August fand der Gütetermine beim Arbeitsgericht in Mannheim statt. Über den weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung werden wir in der Avanti berichten.

Hintergründe:

Seit einigen Wochen ist bekannt, dass die nora systems GmbH wieder verkauft werden soll. Eigentümer sind der Finanzinvestor Capiton aus Berlin und die L-EA, eine Tochter der L-Bank Baden Württemberg.

Im Jahr 2007 war ein erster Verkauf der damals noch unter dem Namen Freudenberg Bausysteme KG firmierenden nora systems GmbH an einen Konkurrenten am massiven Widerstand der Belegschaft gescheitert. Helmut Schmitt hatte damals eine maßgebliche Rolle beim Widerstand gespielt. Erst nach dem Abflauen des Widerstands konnte der Betrieb an die jetzigen Eigentümer verkauft werden.

Es ist zu befürchten, dass die Eigentümer beim neuerlichen Verkauf möglicherweise mit einschneidenden Maßnahmen gegen soziale und finanzielle Besitzstände der Belegschaft rechnen. Um eine Wiederholung der Proteste aus dem Jahr 2007 zu verhindern, ist es offensichtlich das Ziel, Helmut Schmitt zugunsten eines ungestörten Verkaufsprozesses auszuschalten.

Helmut Schmitt ist nicht nur Betriebsratsmitglied, sondern gleichzeitig auch Vorsitzender der Ortsgruppe Weinheim der IG BCE und Aufsichtsratsmitglied bei nora systems. In der letzten BR-Legislaturperiode (2006 – 2010) war er noch stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats. Bei der Aufsichtsratswahl 2008 und bei der Betriebsratswahl 2010 erhielt er, als bekannt kritischer Gewerkschafter, die mit Abstand meisten Stimmen aller Kandidaten und damit auch das Vertrauen der Belegschaft.

Mit einer Intrige einer neuen Mehrheit im BR wurde 2010 seine Wahl zum Vorsitzenden des BR verhindert. Seit dieser Zeit sieht er sich massiven Angriffen von Seiten der BR-Mehrheit und der neuen Geschäftsführung ausgesetzt.

Im Oktober 2010 wurde von der Geschäftsführung ein Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht wegen angeblicher Falschinformation in einer Betriebsversammlung und damit verbundener Störung des Betriebsfriedens gegen ihn eingeleitet. Vor Gericht wurde dieser Vorwurf von der Geschäftsführung dann aber wieder zurückgezogen. Der Versuch, Helmut mundtot zu machen, war damit gescheitert.

Danach versuchte die Geschäftsführung, Helmuts Einfluss in der Belegschaft zu verringern, indem sie
den BR-Vorsitzenden schriftlich zu einer Begrenzung von Helmuts Betriebsratsarbeit aufforderte. Helmut Schmitt, der die Belegschaft über dieses Ansinnen informierte, erhielt darauf hin zwei Abmahnungen, abermals wegen Störung des Betriebsfriedens. Die erste, weil er die Belegschaft informiert hat, und die zweite, weil er die Geschäftsleitung verunglimpft habe. Beide Abmahnungen wurden in den nachfolgenden Arbeitsgerichtsprozessen vom Gericht für unwirksam erklärt.

Während das Arbeitsgericht die Einschränkung der Betriebsratsarbeit durch die Geschäftsführung als unzulässig zurückgewiesen hat, wurde nun aber von Seiten der Betriebsratsmehrheit reagiert.

Die Geschäftsordnung des Betriebsrats wurde geändert und Helmut aus wichtigen Kommissionen und Ausschüssen des Betriebsrats einfach abgewählt. Dazu gehört z. B. der Personalausschuss, der Gesundheitsausschuss oder auch der Industrieparkausschuss am Standort in Weinheim.

Gleichzeitig wurde das generelle Anwesenheitsrecht der Gewerkschaft bei den Betriebsratssitzungen eingeschränkt. Der Gewerkschaftsvertreter soll dementsprechend nur noch auf persönliche Einladung durch den Betriebsrat an den Sitzungen teilnehmen dürfen.

Tipp: www.gegen-br-mobbing.de

Am 23. August fanden vor dem Arbeitsgericht Mannheim die gebündelten Gütetermine wegen der fristlosen Kündigung Helmuts und wegen des Ausschlusses aus dem Betriebsrat statt.

Es kam wie erwartet zu keiner gütlichen Einigung. Deshalb wurde ein neuer Gerichtstermin für den 15. November 2012 anberaumt.

Zahlreiche KollegInnen unterstützten Helmut. Der „Mannheimer Morgen” (24. 8. 12) berichtete unter der Überschrift „Harte Fronten nach Rauswurf aus Betriebsrat”: „Der gestrige Gütetermin war von Solidaritätsbekundungen für Schmitt begleitet; rund 150 Zuschauer unterbrachen die Verhandlungen immer wieder mit hämischem Gelächter, Applaus oder Zwischenrufen. Für längst nicht jeden von ihnen fand sich überhaupt ein Platz im Sitzungssaal.”

Natürlich waren die Minderheit von unbestechlichen nora-Betriebsräten und KollegInnen aus der Fußbodenfertigung von nora anwesend, aber auch BetriebsrätInnen von ALSTOM, Bombardier, Freudenberg, Giulini, John Deere oder Rhenus, KollegInnen aus den Gewerkschaften – darunter das Mannheimer IG BCE-Büro und das Komitee „Solidarität mit Helmut Schmitt!”, AktivistInnen der sozialen Bewegungen (attac, Aktionsbündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise!”) und GenossInnen der DKP, der Linkspartei und des RSB/IV. Internationale.

Solidarität ist in Mannheim und Umgebung kein Fremdwort!

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