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Betrieb & Gewerkschaft

Nokia: Enteignen statt entlassen!

Von Korrespondent Ruhr | 01.02.2008

Die Bilder von den verweinten Gesichtern bei Nokia gingen durch die bürgerliche Presse. Der Schock über die angekündigte Werksschließung sitzt tief. Sie löste Emotionen aus, nicht weil es sich bei Nokia um einen „Frauenbetrieb“ handelt, sondern weil der Widerspruch zwischen eingefleischter Sozialpartnerschaft und kapitalistischer Abzocke besonders groß ist. Von der Reinigungskraft bis zur Geschäftsführung duzen sich alle bei Nokia.

Die Bilder von den verweinten Gesichtern bei Nokia gingen durch die bürgerliche Presse. Der Schock über die angekündigte Werksschließung sitzt tief. Sie löste Emotionen aus, nicht weil es sich bei Nokia um einen „Frauenbetrieb“ handelt, sondern weil der Widerspruch zwischen eingefleischter Sozialpartnerschaft und kapitalistischer Abzocke besonders groß ist.

Von der Reinigungskraft bis zur Geschäftsführung duzen sich alle bei Nokia. Die Vornamen stehen groß auf den Namensschildern, die Nachnahmen klein dahinter. Ein Viertel der Belegschaft ist miteinander verheiratet. Noch im letzten Sommer fand das Nokia-Familienfest statt. Die meisten ArbeiterInnen und Angestellten glaubten tatsächlich, zu einer großen Nokiafamilie zu gehören.
Nokia ­eiskalt
Nachdem Nokia mindestens 88 Mio. Euro Steuergelder als Investitionshilfen – es werden immer mehr – abgezockt hatte, plante der Vorstand die Schließung des Bochumer Werks und seine Verlagerung nach Rumänien. Während die KollegInnen per Waschzettel am Schwarzen Brett von der Entscheidung informiert wurden, lief in Rumänien bereits die Produktion der ersten Handys an. Die Teilnahme an einem ersten Gespräch mit der Landesregierung und dem Betriebsrat zur Rettung des Bochumer Standorts lehnte Nokia brüsk ab. Das war neu.
Rüttgers „kämpft“
Die neoliberale CDU-FDP-Landesregierung um Herrn Rüttgers forderte vollmundig gezahlte Investitionshilfen von Nokia zurück und will nun 41 Mio. der nunmehr 88 Millionen Euro „überprüfen“ lassen. Dabei stellte sich heraus, dass die Auflagen für und die Berichte der subventionierten Betriebe nie von der zuständigen landeseigenen NRW-Bank kontrolliert wurden. Das Förderinstitut verließ sich auf die „Ehrlichkeit“ der Unternehmen, das Wirtschaftsministerium auf die NRW-Bank, die Landesregierung auf das Wirtschaftsministerium und die regierenden Parteien auf die staatlichen Behörden. Sie alle versicherten sich gegenseitig ihrer neoliberalen Gesinnung und lobten in vergangenen Tagen Nokia als High-Tech-Vorzeigeunternehmen. Und welche Kontrolle ist schon von einer NRW-Landesregierung zu erwarten, deren Westdeutsche Landesbank gerade erst 2 Mrd. Euro Verluste in US-Immobiliengeschäften gemacht hat? Die Sprüche der SPD- und CDU-PolitikerInnen vom „Karawanenkapitalismus“, von „Subventionsheuschrecken“ und Kanzlerin Merkels Verständnis für den Boykott von Nokia-Handys zeigen nicht die Stimmung der bürgerlichen PolitikerInnen an, – in der Landesregierung herrscht Panik –, sondern die der lohnabhängigen Bevölkerung. Die Solidarität im Ruhrgebiet mit den KollegInnen von Nokia ist groß. Rund 15000 Menschen nahmen am 22. Januar an der Solidaritäts-Kundgebung auf dem Markt in Bochum-Riehmke teil, für die nur kurzfristig mobilisiert wurde.
Betriebsrat: kein Streik!
Der Nokia-Betriebsrat und seine Vorsitzende wollen von einer Verlagerung nichts gewusst haben. Das glaube, wer will. In der Presse wurde vor rund zwei Jahren der Bau eines Werkes in Rumänien angekündigt; die Information machte im letzten Sommer auch in der Belegschaft die Runde. Trotzdem genehmigte der Betriebsrat bis zu dem Samstag vor der Schließungsnachricht Überstunden und Sonderschichten.
Im Betriebsrat von Nokia sitzen eingefleischte SozialpartnerInnen. Nachdem bei der ersten Kundgebung vor dem Werkstor der Opel-Betriebsratsvorsitzende einen eintägigen Solidaritätsstreik ankündigte, wenn die KollegInnen von Nokia streiken würden, war die sofortige Reaktion des Nokia-Betriebsrates: Wir streiken nicht! Nachdem er mit dem Vertrauen in die Unternehmensleitung Schiffbruch erlitten hat, vertraut er nun der „Politik“. Das Vertrauen in die Kraft der ArbeiterInnen von Nokia fehlt völlig.
Wie bei Opel oder wie bei Nokia?
Nokia und Opel in Bochum stehen für entgegengesetzte Antworten der Belegschaften auf die ständigen Angriffe des Kapitals. Bei Opel der Kampf für die eigenen Interessen, bei Nokia extreme Sozialpartnerschaft und Verzicht auf Aktionen. Eine kämpferische Belegschaft, aktive und kritische Vertrauensleute und alternativ-oppositionelle Listen zu den Betriebsratswahlen – das macht genau die Differenz aus.
Auch die IG Metall gab mit der Demonstration vom 22. Januar nur dem Druck der Gewerkschaftsbasis und der Öffentlichkeit nach. Der IGM-Vorsitzende Huber philosophierte auf der Kundgebung darüber, dass die IG Metall nicht um des Kampfes willen kämpfen würde. Aber, wenn es sein müsste, dann wäre sie zum Kampf bereit – wenn … So diente die Demo dazu, und das hat leider Tradition im Ruhrgebiet, Dampf abzulassen. Schon vorher war der neue IGM-NRW-Bezirksleiter Burkhard einem Boykott-Aufruf gegen Nokia öffentlich entgegengetreten. Die IG Metall ist nicht in der Lage, offensiv auf die Schließung bei Nokia zu reagieren, sondern bereitet sich auf die Auseinandersetzung um einen Sozialtarifvertrag (Sozialplan) vor. An diesem Punkt kann die Empörung noch einmal auflodern.
Nokia enteignen!
Das Gerede vom „Karawanenkapitalismus“ und von den „Subventionsheuschrecken“ trifft eine Stimmung, an die sich anknüpfen lässt. Konzerne, die trotz Profite Entlassungen vornehmen, sind zu enteignen! Aus den großen Kämpfen der ArbeiterInnenbewegung um die Vergesellschaftung der Stahlindustrie und Bergwerke nach 1945 stammt der Artikel 27 der NRW-Landesverfassung. Er besagt:

(1) Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.

(2) Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten.

Dass Nokia seine wirtschaftliche Macht missbraucht, ist das allgemeine Empfinden der meisten Menschen im Ruhrgebiet. Klar ist, dass weder eine Landesregierung CDU-FDP noch SPD-Grüne den Artikel 27 anwenden wollen. Nur eine breite Massenmobilisierung, die die Ruhr „in Brand setzt, dass die Wasser des Rheins nicht ausreichen, um sie zu löschen“ – die Horrorvision Konrad Adenauers – könnte dies durchsetzen. Für die Forderung der Enteignung von Nokia, die als Lösung wieder ins Bewusstsein der Lohnabhängigen gebracht werden muss, ist der RSB auf der Demonstration in Bochum-Riehmke aufgetreten.

Den Flyer des RSB, der bei der Demonstration am 22.01. gegen die Schließung des Nokia Werks verteilt wurde herunterladen.

 

Weshalb Verlagerung?
Nokia ist Marktführer bei Handys (38,1%). Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit heute ca. 1.3 Milliarden Nokia-Handys in Betrieb sind! Nokia dürfte allein dieses Jahr – trotz vorübergehendem Imageschaden – 400 bis 500 Mio. Handys verkaufen. Aber aufgrund der heftiger werdenden Konkurrenz fallen die Preise (sie liegen laut FTD v. 16.1.08 bei Nokia im Schnitt bei 82 Euro).
„Schon seit Jahren streben die Handyhersteller und -zulieferer nach Osten. Gewinner sind neben Billiglohnländern in Asien auch die neuen EU-Staaten in Osteuropa. So wird der Großteil der Produktion aus Bochum ins rumänische Cluj verlagert. Dort hat Nokia eine neue Fabrik für 60 Mio. Euro errichtet – für zunächst 500, später bis zu 3500 Mitarbeiter.“ (FTD, 16.1.08) Der Grund ist einfach: Für die reine Handymontage (also in Bochum) belaufen sich die Lohnkosten auf etwa 4% des Verkaufswertes. Aber die Produktion der Zulieferteile, soweit sie vom Konzern selbst produziert oder direkt kontrolliert werden, hat einen Gesamtlohnkostenanteil von 24%. Bei dieser Größenordnung lohnt es sich allemal, aufgrund logistischer Vorteile die gesamte Komponentenfertigung zusammenzulegen und dies dann in einem großen Industriepark in einem Billiglohnland fertig zu lassen.
Die größten Profite erzielt der Konzern heute zunehmend mit der Software für Handys, MP3-Player, Videokameras und Navigationsmodule für Handys. Um der Konkurrenz in dieser Sparte zu begegnen, hat der Konzern letztes Jahr die US-amerikanische Navteq (5,4 Mrd. Dollar) übernommen.
D. B.

 

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