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Kultur

Nicht nur die Bilanzen werden gefälscht, auch die Sprache!

Von Arthur | 01.11.2006

Eine rhetorische Methode  der Demoralisierung eines Gegners oder der Überredung eines Unentschlossenen oder Kenntnislosen ist es, ihm zu suggerieren, etwas, das er tun oder für richtig halten soll, sei notwendig, unvermeidlich, ja sogar ein historisch unumkehrbarer Prozess. Etwas, das er nicht tun oder  anerkennen soll, sei unmöglich, unrealistisch, illusorisch, ja historisch überlebt oder überhaupt utopisch.

Eine rhetorische Methode  der Demoralisierung eines Gegners oder der Überredung eines Unentschlossenen oder Kenntnislosen ist es, ihm zu suggerieren, etwas, das er tun oder für richtig halten soll, sei notwendig, unvermeidlich, ja sogar ein historisch unumkehrbarer Prozess. Etwas, das er nicht tun oder  anerkennen soll, sei unmöglich, unrealistisch, illusorisch, ja historisch überlebt oder überhaupt utopisch.

So verhält es sich mit dem Begriff „Globalisierung”. Dieses Wort unterstellt im gegenwärtig üblichen politischen Sprachgebrauch einen weltgeschichtlichen Entwicklungsprozess, dem sich niemand und nichts dauerhaft entziehen könne. Dabei geht es doch nur um politisch gestaltbare, d.h. auch vermeidbare und verhinderbare Aspekte einer bestimmten, keineswegs dauerhaften Form international akzentuierter Politik und Wirtschaftsbeziehungen zwischen bestimmten Ländern. Dieser Trick ist so alt wie die Menschheit. Jedes Regime, angefangen bei den Ägyptern über den Feudalismus von Ludwig IV., dem Faschismus, dem Stalinismus, usw.: Immer wurde suggeriert, dass das gegenwärtige System unvermeidbar, ja das beste und richtigste der Welt ist, welches allen nur Vorteile bietet. Dass diese Systeme nur einer kleinen, überschaubaren Clique Vorteile boten und alle sich überlebten, weiß im Nachhinein natürlich jeder.

Die systematische Verzerrung ökonomischer Argumente ist nicht neu und sollte eigentlich auch nicht überraschen in einer Gesellschaft, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln basiert. Auch JournalistInnen müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um ein gesichertes Einkommen zu haben, und wenn ihr Arbeitgeber, also z.B. ein Zeitungsverlag oder Fernsehsender, hauptsächlich mit den Einnahmen aus der im Fernsehprogramm oder der Zeitung geschalteten Werbung wirtschaftet, so dürfen die JournalistInnen natürlich die Interessen dieser Werbekunden keineswegs außer Acht lassen.
Neoliberale Denkfabriken
Was in Deutschland neu ist, ist das Phänomen, dass neoliberale Denkfabriken systematisch, mit Hilfe professioneller Werbeagenturen und mit beträchtlichem Geldeinsatz seitens der Besitzenden (z.B. 100 Millionen Euro vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall im Fall der www.neosprech.de/wiki/index.php/Initiative_Neue_Soziale_Marktwirtschaft Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) versuchen, ihre Denkmodelle in der Gesellschaft zu verankern.
Ein wesentliches Mittel neoliberaler Denkfabriken ihre vorherrschende Stellung im gesellschaftlichen Diskurs zu verfestigen und aufrecht zu erhalten, ist die Sprache, die Kommunikation. Täglich findet eine symbolische Berieselung durch Fernsehen, Zeitungen und Werbung statt, durch die der Neoliberalismus sich uns im Schein einer angeblichen Unausweichlichkeit zeigt.
Pierre Bourdieu schreibt in „Gegenfeuer”:  Es gibt ein ganzes Spiel mit den Konnotationen und Assoziationen von Wörtern wie Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Deregulierung, das glauben macht, die neoliberale Botschaft sei eine der allgemeinen Befreiung. Gegen diese doxa (Meinung statt Wissen) gilt es anzugehen, (…).

Hinter schönfärberischen Worten wie Eigeninitiative, schlanker Staat, Eigenverantwortung usw. steht eine Ideologie der Kompetenz, wie Bourdieu es nennt, nach der die Fähigsten das Rennen machen werden, das Rennen um Arbeit, um gesellschaftliches Ansehen, um Macht in der Politik und dergleichen. Positiv besetzte Begriffe werden benutzt, um völlig veränderte Inhalte zu transportieren und damit zu verheimlichen oder schön zu  färben (siehe Kasten).
Der Staat soll sich im Neoliberalismus zurückziehen und die Eigeninitiative der Individuen anregen („Hilfe zur Selbsthilfe“). Hier soll auf das Buch Job Revolution von Peter Hartz verwiesen werden, der darin mit unverhüllter Sprache den Menschen auf seine Verwertbarkeit für den Profit des Kapitals reduziert und dafür letztlich alles, was den Menschen ausmacht, in die Waagschale zu werfen hat. Die Soziologin Frigga Haug hat dazu einen ausgezeichneten, höchst kritischen Beitrag in der Zeitschrift Das Argument veröffentlicht.
Neoliberales Neusprech
In dem 1949 erschienenen Roman 1984  skizziert Orwell einen totalitären Überwachungsstaat. Die Hauptfigur Winston Smith  arbeitet mit Syme im Ministerium für Wahrheit. Seine Aufgabe ist es, alte Zeitungsartikel und Bücher umzuschreiben, wenn die Parteidoktrin eine Umschreibung der Geschichte anordnet. Das Ziel des totalitären Systems ist die völlige Gleichschaltung von Gegenwart und Vergangenheit. Daher wird im Ministerium für Wahrheit auch an einer neuen Sprache – Neusprech genannt – gearbeitet. Durch eine ganze Reihe von Euphemismen (Schönfärberei) bei gleichzeitiger Reduzierung der Sprache werden klar abgegrenzte und einschränkende Denkmuster vorgegeben. Die Menschen sollen nicht mehr in der Lage sein, die Sprache gegen das System richten zu können. Syme spricht die nachfolgenden Sätze zu Winston:

„Siehst du denn nicht, dass die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite des Gedanken zu verkürzen? Zum Schluss werden wir Gedankenverbrechen buchstäblich unmöglich gemacht haben, da es keine Worte mehr gibt, in denen man sie ausdrücken könnte. Jeder Begriff, der jemals benötigt werden könnte, wird in einem einzigen Wort ausdrückbar sein, wobei seine Bedeutung streng festgelegt ist und alle seine Nebenbedeutungen ausgetilgt und vergessen sind. (…) Mit jedem Jahr wird es weniger und immer weniger Worte geben, wird die Reichweite des Bewusstseins immer kleiner und kleiner werden. Auch heute besteht natürlich kein Entschuldigungsgrund für das Begehen eines Gedankenverbrechens. Es ist lediglich eine Frage der Selbstzucht, der Wirklichkeitskontrolle. Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist”.

 

Neusprech
Demokratie: Eigentlich bekanntlich Herrschaft des Volkes, de facto leben wir in einem von selbst ernannten Eliten majorisierten oligarchisch strukturierten Klassen- und Parteienstaat. Deregulierung: Eigentlich ein wünschenswerter Bürokratieabbau, de facto werden beim neoliberalen Umbau vielfältige soziale Errungenschaften abgebaut. Deregulierung hat oft massiven Wettbewerb zur Folge. Kurzfristig kann das zwar für den Konsumenten zu Vorteilen durch Preis- und Kostensenkung führen, die jedoch mit Massenentlassungen und Lohndumping bezahlt werden. Langfristig bleiben aber nur Monopole über, die dann alleine (den hohen) Preis und (die mindere) Qualität bestimmen.
Eigeninitiative: Menschen sind in erster Linie selber für ihr Leben verantwortlich. Im Neoliberalismus heisst das, dass sie sich nicht auf das staatliche Sozialsystem verlassen sollen
. Ihre Eigeninitiative ist gefragt, wenn es darum geht, einen Arbeitsplatz zu suchen. Sie sollen sich nicht in der „sozialen Hängematte“ ausruhen. Der Begriff ist zwiespältig. Aus dem eigentlich positiven Begriff „Eigeninitiative“ wird im Neoliberalismus eine Bedrohung für viele Erwerbslose. Nicht das kapitalistisch-marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem wird angeprangert, das Arbeitsplätze abschafft, um Profite zu maximieren, sondern die Erwerbslosen sind selber schuld, wenn sie keinen Job finden oder selber schaffen.

 

 

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