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Betrieb & Gewerkschaft

Nachlese Tarifabschluss im Sozial- und Erziehungsdienst

Von Larissa R. | 01.11.2009

Nach zähem Ringen kam es bei den Tarifauseinandersetzungen im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst zu einer Einigung. Da die Ziele seitens der Gewerkschaften zu recht hoch gesteckt waren (höhere Eingruppierung und ein Gesundheitstarifvertrag) und die Arbeitgeber eigentlich zu keinerlei Zugeständnissen bereit waren, kam die Einigung am 27. Juli etwas überraschend.

Nach zähem Ringen kam es bei den Tarifauseinandersetzungen im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst zu einer Einigung. Da die Ziele seitens der Gewerkschaften zu recht hoch gesteckt waren (höhere Eingruppierung und ein Gesundheitstarifvertrag) und die Arbeitgeber eigentlich zu keinerlei Zugeständnissen bereit waren, kam die Einigung am 27. Juli etwas überraschend.

Das Ergebnis entspricht auch nicht den Erwartungen der Streikenden. Bei der Urabstimmung, die dann bis zum 18. August lief, wurde das Ergebnis von den betroffenen Gewerkschaftsmitgliedern mit nur knapper Mehrheit (55 %) angenommen. Das spiegelt wieder, wie viele der Betroffenen wohl bereit gewesen wären, weiter zu kämpfen.
Ergebnis mit zwei Bestandteilen
Das Ergebnis besteht aus zwei Teilen: Einerseits ist da die erstmalige Einführung eines Gesundheitstarifvertrags, der besagt, dass jetzt jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer im verhandelten Bereich Anspruch auf eine individuelle Gefährdungsbeurteilung und auf Gesundheitsförderung hat. Nach erster Einschätzung geht dieser Anspruch nicht wesentlich weiter als die sich aus Arbeitsschutzgesetz und EU-Recht ergebenden Ansprüche und Verpflichtungen seitens des Arbeitgebers. Auch werden in einigen Kommunen jetzt schon Gefährdungsanalysen und -beurteilungen durchgeführt. Mit der neuen Regelung haben die Beschäftigten jedoch noch ein Instrument an der Hand, das Recht auch durchzusetzen. Aber: Die entscheidende Forderung für den Erhalt der Gesundheit wurde gar nicht verhandelt – nämlich die Forderung nach mehr Personal!

Im zweiten Teil des neuen Tarifvertrags geht es um die Bezahlung. Hier hatten die Gewerkschaften unter dem Vorsatz, für die Sozial- und Erziehungsberufe mehr gesellschaftliche Anerkennung durchzusetzen, eine bedeutend höhere Eingruppierung gefordert: Das Ergebnis ist jetzt ein vollständig neues Eingruppierungssystem für Sozial- und Erziehungsberufe. Die Bezahlung dieser Berufe richtet sich somit nicht mehr nach den für die meisten anderen Bereiche des öffentlichen Dienstes wirksamen Eingruppierungen (EG 2-14) des TVÖD, sondern ist damit nicht mehr vergleichbar. Es sind jetzt 18 S-Gruppen, die sich wiederum in bis zu 6 Stufen unterteilen lassen. Jede Gruppe wird durch bestimmte Tätigkeitsmerkmale beschrieben. Die Stufen richten sich nach den Dienstjahren beim Arbeitgeber.

Durch die neuen S-Gruppen gibt es mehr Unterteilungsmöglichkeiten. Normale Sozialpädagog­­Innen sind z. B. in der Gruppe S11; diejenigen, die mit besonderen Schwierigkeiten zu tun haben, in S12 und diejenigen, die beim ASD arbeiten und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen (z. B. Kinderschutz, Mitwirkung am Gericht), werden in S14 eingeteilt. Die Begründung hierfür ist, dass damit der unterschiedlichen Schwierigkeit der Aufgaben Rechnung getragen werden soll. Tatsächlich wird so jedoch eine größere Aufspaltung gefördert.

[…] Die Verlautbarungen durch die Medien, die behaupteten, dass alle ca. 100 € mehr bekämen, lassen sich so pauschal aber nicht bestätigen. Neu eingestellte Erzieher­­Innen und Sozialpädagog­­Innen, die sich 2005 beim Wechsel vom BAT zum TVÖD massiv verschlechterten, werden jetzt tatsächlich wieder bessergestellt und anscheinend sofort 100-200 € mehr verdienen. Alle, die vorher eingestellt wurden, werden jedoch ungefähr genauso viel wie bisher bekommen.
Große Enttäuschung
Die Enttäuschung unter den Streikenden ist dementsprechend groß, u. a. an den Orten, an denen engagiert und motiviert gestreikt wurde. Nach ca. 15 Streiktagen, großer Motivation und immerhin einer Beteiligung zu Hochzeiten von 30 000 Streikenden hätten sich viele ein besseres Ergebnis erwartet! Auch die Bereitschaft, weiter zu streiken, war groß. Der Gewerkschaftsführung von Verdi zufolge war es nicht möglich, ein besseres Ergebnis zu erzielen. […] Für einen Dauerstreik und die Durchsetzung der Forderungen seien die bis zu 30 000 Streikenden bei über 200 000 Beschäftigten im kommunalen Sozialbereich eben doch nicht ausreichend gewesen. […] Ver.di hat damit eigentlich eine Niederlage zugegeben.
Streiktaktik
Schade ist, dass erst gar nicht versucht wurde, ob ein Dauerstreik über einige Wochen (wie ja schon für nach Pfingsten angedacht war, aber nicht durchgeführt wurde) etwas bewegt hätte. Auch wenn es gute Gründe gab, sich für einzelne Streiktage (z. B. einer pro Woche) zu entscheiden, so hatte dies auch einige Nachteile. Je nach Art der Tätigkeit konnte so kein wirklicher Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt werden, weil die liegen gebliebene Arbeit von den Streikenden selbst an den nachfolgenden Tagen nachgearbeitet wurde und der Arbeitgeber sich nicht um Ersatz kümmern musste. Auch waren die Kommunen nicht wirklich gezwungen, sich mit dem Problem der geschlossenen Kitas auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden, da die Eltern individuelle Lösungen suchten und fanden. Schade ist auch, dass der Streik nicht politisch geführt wurde und dass nur vereinzelt auf die derzeitige Wirtschaftssituation und die Gelder, die für Banken ausgegeben wurden, eingegangen wurde. Hier hätte es sicher mehr Potenzial gegeben, u. a. da die Stimmung in den Medien, der Politik und in der Bevölkerung eigentlich bis zum Schluss verständnisvoll war. 

Inwieweit das neue Eingruppierungssystem tatsächlich den „Einstieg zum Aufstieg“ (Zitat Ver.di) ermöglicht und nicht nur eine weitere Aufspaltung der Kampfkraft ist und letztendlich zum Sparprogramm für Arbeitgeber wird, wird sich erst zeigen – z. B. in den Lohntarifverhandlungen im ganzen TVÖD-Bereich, die im Januar 2009 beginnen. Zwei wichtige Erfahrungen lassen sich jedoch aus der ganzen Sache gewinnen: Zum einen, dass es auch in Krisenzeiten nötig und möglich ist, einen Arbeitskampf um verbesserte Arbeitsbedingungen zu führen und zum Zweiten, dass es bei dem entsprechenden Einsatz immer wieder (wenn auch nicht immer) möglich ist, Bereiche zu organisieren und motivieren, die sich bisher nur wenig an Arbeitskämpfen beteiligt haben. Für die schwierigen Zeiten, die uns ja wahrscheinlich bevorstehen, sind das keine schlechten Erfahrungen!

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