Nach der Afghanistan-Besatzung: Deshalb sind die Taliban wieder da

Taliban-Kämpfer besteigen ein Transportflugzeug Foto: Underway In Ireland, Taliban Passangers, CC BY-NC-ND 2.0

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Hintergrund

Nach der Afghanistan-Besatzung: Deshalb sind die Taliban wieder da

Von Nancy Lindisfarne und Jonathan Neale | 01.09.2021

Endlich Frieden bringen, die Korruption beenden und für Gerechtigkeit sorgen. Mit solchen Versprechen sind die Taliban zurück an der Macht. Nach langer Besatzung und Kriegen ist unklar, ob Afghanistan jetzt zur Ruhe kommen wird.

Erstens: Die Taliban haben die Vereinigten Staaten besiegt.

Zweitens: Die Taliban haben gewonnen, weil sie mehr Unterstützung in der Bevölkerung haben.

Drittens: Das liegt nicht daran, dass die meisten Menschen in Afghanistan die Taliban lieben. Es liegt daran, dass die amerikanische Besatzung unerträglich grausam und korrupt war.

Viertens: Der Krieg gegen den Terror ist auch in den Vereinigten Staaten politisch besiegt worden. Die Mehrheit der Amerikaner:innen ist jetzt für den Abzug aus Afghanistan und gegen weitere Kriege im Ausland.

Fünftens: Dies ist ein Wendepunkt in der Weltgeschichte. Die größte Militärmacht der Welt wurde von den Menschen in einem kleinen, bitterarmen Land besiegt. Dies wird die Macht des amerikanischen Imperiums überall auf der Welt schwächen.

Sechstens: Die Rhetorik der Rettung der afghanischen Frauen wurde weithin benutzt, um die Besatzung zu rechtfertigen, und viele Feministinnen in Afghanistan haben sich auf die Seite der Besatzer gestellt. Das Ergebnis ist eine Tragödie für den Feminismus.

In diesem Artikel werden diese Punkte erläutert. Da es sich um einen kurzen Artikel handelt, behaupten wir mehr, als wir beweisen. Aber wir haben viel über Geschlecht, Politik und Krieg in Afghanistan geschrieben, seit wir dort vor fast fünfzig Jahren als Anthropologen Feldforschung[1] betrieben haben. Am Ende dieses Artikels findest du Links zu vielen dieser Arbeiten, so dass unsere Argumente im Detail nachgelesen werden können. [1]

Ein militärischer Sieg in Afghanistan

Dies ist ein militärischer und politischer Sieg für die Taliban. Es ist ein militärischer Sieg, weil die Taliban den Krieg gewonnen haben. Seit mindestens zwei Jahren verlieren die afghanischen Regierungstruppen – die nationale Armee und die Polizei – jeden Monat mehr Tote und Verwundete, als sie rekrutieren. Diese Kräfte schrumpfen also. In den letzten zehn Jahren haben die Taliban die Kontrolle über immer mehr Dörfer und einige Städte übernommen.

In den letzten zwölf Tagen haben sie alle Städte eingenommen. Das war kein blitzartiger Vorstoß durch die Städte und dann weiter nach Kabul. Die Leute, die die Städte eingenommen haben, waren schon lange in der Nähe, in den Dörfern, und haben auf diesen Moment gewartet. Entscheidend ist, dass die Taliban im gesamten Norden ständig Zulauf von neuen Rekruten aus Tadschikistan, Usbekistans und arabischen Ländern bekommen haben.

Entscheiden zwischen Taliban und Besatzern

Dies ist auch ein politischer Sieg für die Taliban. Kein Guerillaaufstand der Welt kann solche Siege ohne die Unterstützung der Bevölkerung erringen. Aber vielleicht ist Unterstützung nicht das richtige Wort. Vielmehr mussten sich die Menschen in Afghanistan für eine Seite entscheiden. Und mehr Afghan:innen haben sich auf die Seite der Taliban gestellt als auf die der amerikanischen Besatzer:innen. Nicht alle, aber mehr von ihnen.

Auch haben sich mehr Afghan:innen auf die Seite der Taliban gestellt als auf die Seite der afghanischen Regierung von Präsident Aschraf Ghani. Wiederum nicht alle, aber mehr als Ghani unterstützen. Und mehr Afghan:innen haben sich auf die Seite der Taliban gestellt als auf die Seite der alten Kriegsherren. Die Niederlage von Dostum in Sheberghan und von Ismail Khan in Herat ist ein schlagender Beweis dafür.

Krieg und Bürgerkrieg zugleich

Die Taliban von 2001 waren überwiegend Paschtunen, und ihre Politik war paschtunisch-chauvinistisch. Im Jahr 2021 haben Taliban-Kämpfer vieler Ethnien die Macht in usbekisch und tadschikisch dominierten Gebieten übernommen. Eine wichtige Ausnahme bilden die von Hazara dominierten Gebiete in den zentralen Bergen. Wir werden auf diese Ausnahme zurückkommen.

Natürlich haben sich nicht alle Afghan:innen auf die Seite der Taliban geschlagen. Dies ist ein Krieg gegen ausländische Invasor:innen, aber es ist auch ein Bürgerkrieg. Viele haben für die US-Armee, die Regierung oder die Warlords gekämpft. Viele andere haben mit beiden Seiten Kompromisse geschlossen, um zu überleben. Und viele andere waren sich nicht sicher, für welche Seite sie sich entscheiden sollten, und warten mit einer unterschiedlichen Mischung aus Angst und Hoffnung darauf, was passieren wird.

Da es sich um eine militärische Niederlage für die amerikanische Macht handelt, sind Aufrufe an Biden, dies oder jenes zu tun, einfach nur dumm. Wenn die amerikanischen Truppen in Afghanistan geblieben wären, hätten sie sich ergeben oder sterben müssen. Das wäre eine noch schlimmere Demütigung für die amerikanische Macht als das aktuelle Debakel. Biden hatte, wie schon Trump vor ihm, keine andere Wahl.

Warum Afghan:innen die Taliban unterstützen

Die Tatsache, dass sich mehr Menschen für die Taliban entschieden haben, bedeutet nicht, dass die meisten Afghan:innen unbedingt die Taliban unterstützen. Es bedeutet, dass sie sich angesichts der begrenzten Wahlmöglichkeiten für die Taliban entschieden haben. Und warum?

Die kurze Antwort lautet, dass die Taliban die einzige wichtige politische Organisation sind, die gegen die amerikanische Besatzung kämpft, und dass die meisten Afghan:innen diese Besatzung inzwischen hassen. Das war nicht immer so. Die USA schickten erstmals einen Monat nach dem 11. September 2001 Bombenflugzeuge und einige Truppen nach Afghanistan. Die USA wurden von den Kräften der Nordallianz unterstützt, einer Koalition nicht-paschtunischer Kriegsherren im Norden des Landes. Doch die Soldat:innen und Anführer der Allianz waren nicht wirklich bereit, an der Seite der amerikanischen Truppen zu kämpfen. Angesichts der langen Geschichte des afghanischen Widerstands gegen ausländische Invasionen, zuletzt gegen die russische Besatzung von 1980 bis 1987, wäre das einfach zu beschämend.

Auf der anderen Seite war aber auch fast niemand bereit, für die Verteidigung der damals herrschenden Taliban-Regierung zu kämpfen. Die Truppen der Nordallianz und die Taliban standen sich in einem Scheinkrieg gegenüber. Dann begannen die Machthaber in den USA und Großbritannien gemeinsam mit ihre ausländischen Verbündeten Afghanistan zu bombardieren.

Zwei Jahre Ruhe in Afghanistan

Das pakistanische Militär und die Geheimdienste handelten ein Ende der Pattsituation aus. Die Vereinigten Staaten durften die Macht in Kabul übernehmen und einen Präsidenten ihrer Wahl einsetzen. Im Gegenzug durften die Taliban-Führer und ihre Anhänger nach Hause in ihre Dörfer oder ins Exil jenseits der Grenze in Pakistan gehen. Diese Einigung wurde damals in den USA und Europa aus offensichtlichen Gründen nicht groß bekannt gemacht, aber wir haben darüber berichtet, und sie war in Afghanistan weithin bekannt. Der beste Beweis für diese Verhandlungslösung ist das, was danach geschah.

Zwei Jahre lang gab es keinen Widerstand gegen die amerikanische Besatzung. Keiner, in keinem Dorf. Viele Tausende ehemaliger Taliban blieben in diesen Dörfern. Dies ist eine außergewöhnliche Tatsache. Der Kontrast wird besonders deutlich im Vergleich mit dem Irak, wo es vom ersten Tag der Besetzung 2003 an weit verbreiteten Widerstand gab – sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Ebenso bei der russische Invasion in Afghanistan im Jahr 1979, die auf den gleichen Widerstand stieß.

Die Menschen hofften auf Frieden

Der Grund für das Ausbleiben des Widerstands war nicht nur, dass die Taliban nicht kämpften. Es lag daran, dass die einfachen Menschen, selbst im Kernland der Taliban im Süden, zu hoffen wagten, dass die amerikanische Besatzung Afghanistan Frieden bringen und die Wirtschaft entwickeln würde, um die schreckliche Armut zu beenden. Der Frieden war entscheidend. Bis 2001 waren die Menschen in Afghanistan dreiundzwanzig Jahre lang im Krieg gefangen gewesen, zunächst in einem Bürgerkrieg zwischen Kommunist:innen und Islamist:innen, dann in einem Krieg zwischen Islamist:innen und sowjetischen Invasor:innen, dann in einem Krieg zwischen islamistischen Kriegsherren und schließlich in einem Krieg im Norden des Landes zwischen islamistischen Kriegsherren und den Taliban.

Dreiundzwanzig Jahre Krieg bedeuteten Tod, Verstümmelung, Exil und Flüchtlingslager, Armut, so viele Arten von Leid und endlose Angst und Unruhe. Das vielleicht beste Buch darüber, wie sich das anfühlte, ist »Love and War in Afghanistan« aus dem Jahre 2005 von Alex und Gulmamadova Klaits. Die Menschen sehnten sich verzweifelt nach Frieden. Im Jahr 2001 hielten selbst Taliban-Anhänger:innen einen schlechten Frieden für besser als einen guten Krieg.

Wie der Krieg zurückkehrte

Außerdem waren die Vereinigten Staaten märchenhaft reich. Viele Afghan:innen glaubten, die Besetzung könne zu einer Entwicklung führen, die sie aus der Armut befreien würde. Die Menschen in Afghanistan warteten ab. Die USA lieferten Krieg, nicht Frieden. Das US-amerikanische und das britische Militär besetzten Stützpunkte in den Dörfern und Kleinstädten des Taliban-Kernlandes, den hauptsächlich von Paschtun:innen bewohnten Gebieten im Süden und Osten.

Diese Einheiten wurden nie über die informelle Einigung informiert, die zwischen der US-Administration und den Taliban ausgehandelt worden war. Es konnte nicht offiziell verlautbart werden, weil das die Regierung von Präsident Bush diskreditiert hätte. Also sahen es die US-Einheiten als ihre Aufgabe an, die verbliebenen »Bösewichte«, die offensichtlich noch da waren, aufzuspüren.

Razzien und Folter in Afghanistan

In nächtliche Razzien brachen sie Türen auf, demütigten und verängstigten Familien und verschleppten Männer, die gefoltert wurden, um Informationen über die anderen »Bösewichte« zu erhalten. Hier und an anderen geheimen Orten auf der ganzen Welt entwickelten das amerikanische Militär und die Geheimdienste neue Foltermethoden, die die Welt kurz darauf in Abu Ghraib, dem amerikanischen Gefängnis im Irak, zu sehen bekam.

Einige der inhaftierten Männer waren Taliban, die nicht gekämpft hatten. Andere waren einfach Menschen, die von lokalen Feinden, die ihr Land begehrten oder einen Groll hegten, an die Amerikaner verraten wurden. Der amerikanische Soldat Johnny Rico beschreibt in seinen Memoiren »Blood Makes the Grass Grow Green« von 2007, was dann geschah. Empörte Verwandte und Dorfbewohner schossen in der Dunkelheit ein paar Mal auf US-Soldat:innen. Doch das amerikanische Militär trat weitere Türen ein und folterte mehr Menschen. Die Dorfbewohner:innen feuerten noch mehr Schüsse ab. Das US-Militär forderten Luftangriffe an, und ihre Bomben töteten eine Familie nach der anderen.

Ungleichheit und Korruption

Der Krieg kehrte in den Süden und Osten des Landes zurück. Ungleichheit und Korruption nahmen zu. Die Afghanen hatten auf eine Entwicklung gehofft, die sowohl den Reichen als auch den Armen zugute kommen würde. Es schien so offensichtlich und so einfach zu sein. Aber sie verstanden die amerikanische Außenpolitik nicht. Und sie verstanden nicht, wie sehr sich die reichen 1 Prozent in den Vereinigten Staaten der wachsenden Ungleichheit in ihrem eigenen Land verschrieben haben.

Es floss amerikanisches Geld nach Afghanistan. Aber es ging an die Leute in der neuen Regierung unter Hamid Karsai. Es ging an die Leute, die mit der US-Administration und den Besatzungstruppen anderer Nationen zusammenarbeiten. Und es ging an die Kriegsherren und ihre Gefolgsleute, die tief in den internationalen Opium- und Heroinhandel verstrickt waren, der von der CIA und dem pakistanischen Militär gefördert wurde. Es ging an die Leute, die das Glück hatten, luxuriöse, gut verteidigte Häuser in Kabul zu besitzen, die sie an ausländische Mitarbeiter vermieten konnten. Es ging an die Männer und Frauen, die in den vom Ausland finanzierten NGOs arbeiteten.

Taliban als Kontrast

Natürlich gab es in all diesen Gruppen Überschneidungen. Die Afghan:innen waren schon lange an Korruption gewöhnt. Sie erwarteten sie und hassten sie zugleich. Doch dieses Mal war das Ausmaß beispiellos. Und in den Augen der Mehrheit Bevölkerung – von niedrigen und mittleren Einkommen – schien all der obszöne neue Reichtum, ganz gleich wie er erwirtschaftet wurde, Korruption zu sein. In den letzten zehn Jahren haben die Taliban im ganzen Land zwei Dinge angeboten. Erstens, dass sie nicht korrupt sind, da sie auch vor 2001 nicht korrupt im Amt waren. Sie sind die einzige politische Kraft im Lande, auf die dies jemals zutraf.

Entscheidend ist, dass die Taliban in den von ihnen kontrollierten ländlichen Gebieten ein ehrliches Justizsystem betrieben haben. Ihr Ruf ist so gut, dass sich viele Menschen, die in den Städten in Zivilprozesse verwickelt sind, darauf geeinigt haben, dass beide Parteien sich an Taliban-Richter auf dem Land wenden. Dies ermöglicht ihnen eine schnelle, billige und faire Rechtsprechung ohne hohe Bestechungsgelder. Da das Urteil gerecht war, können beide Parteien damit leben. Für die Menschen in den von den Taliban kontrollierten Gebieten war die faire Justiz auch ein Schutz vor Ungleichheit. Wenn die Reichen die Richter bestechen können, können sie mit den Armen machen, was sie wollen.

Land war der entscheidende Punkt. Reiche und mächtige Männer, Warlords und Regierungsbeamte konnten sich das Land von Kleinbauern aneignen, stehlen oder betrügen und die noch ärmeren Pächter:innen unterdrücken. Aber die Taliban-Richter, das war allen klar, waren bereit, für die Armen zu entscheiden. Der Hass auf Korruption, Ungleichheit und die Besatzung verschmolzen miteinander.

Die Taliban 20 Jahre später

2001, als die Taliban nach dem 11. September 2001 von der US-Armee gestürzt wurden, ist nun zwanzig Jahre her. In zwanzig Jahren Krieg und Krise vollziehen sich enorme Veränderungen in politischen Massenbewegungen. Die Taliban haben gelernt und sich verändert. Wie könnte es anders sein. Viele Afghan:innen und viele ausländische Expert:innen haben sich dazu geäußert. Antonio Giustozzi hat den nützlichen Begriff »Neo-Taliban«verwendet [2].

Dieser Wandel, wie er öffentlich dargestellt wird, hat mehrere Aspekte. Die Taliban haben erkannt, dass der paschtunische Chauvinismus eine große Schwäche war. Sie betonen nun, dass sie Muslime sind, Brüder aller anderen Muslime, und dass sie die Unterstützung von Muslimen vieler ethnischer Gruppen wollen und haben. In den letzten Jahren haben sich die Taliban-Kräfte jedoch bitter gespalten. Eine Minderheit von Taliban-Kämpfern und -Anhängern hat sich mit dem Islamischen Staat verbündet.

Propaganda und Wahrheit

Der Unterschied ist, dass der Islamische Staat Terroranschläge auf Schiit:innen, Sikhs und Christ:innen verübt. Die Taliban in Pakistan tun dasselbe, ebenso wie das kleine Haqqani-Netzwerk, das vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt wird. Aber die Mehrheit der Taliban hat alle diese Angriffe zuverlässig verurteilt. Wir werden später auf diese Spaltung zurückkommen, da sie Auswirkungen auf die nächsten Ereignisse hat.

Die neuen Taliban haben auch betont, dass sie sich für die Rechte der Frauen einsetzen. Sie sagen, sie begrüßen Musik und Videos und haben die schärfsten und puritanischsten Seiten ihrer früheren Herrschaft abgemildert. Und sie sagen jetzt immer wieder, dass sie in Frieden regieren wollen, ohne sich an den Menschen der alten Ordnung zu rächen. Wie viel davon Propaganda und wie viel Wahrheit ist, ist schwer zu sagen. Was als Nächstes geschieht, hängt außerdem stark von der Entwicklung der Wirtschaft und von den Aktionen ausländischer Mächte ab. Doch dazu später mehr. Wir wollen damit sagen, dass die Afghan:innen Gründe haben, die Taliban den westlichen Besatzern, den Warlords und der Regierung von Ashraf Ghani vorzuziehen.

Was ist mit den afghanischen Frauen?

Viele Leser:innen werden jetzt eindringlich fragen: Was ist mit den afghanischen Frauen? Die Antwort ist nicht einfach. Wir müssen zunächst in die 1970er Jahre zurückgehen. Überall auf der Welt sind bestimmte Systeme der geschlechtsspezifischen Ungleichheit mit einem bestimmten System der Klassenungleichheit verwoben. Das war in Afghanistan nicht anders.

Nancy Lindisfarne führte Anfang der 1970er Jahre eine anthropologische Feldforschung mit paschtunischen Frauen und Männern im Norden des Landes durch. Sie lebten von Landwirtschaft und Viehzucht. Ihr späteres Buch »Bartered Brides: Politics and Marriage in a Tribal Society (Politik und Heirat in einer Stammesgesellschaft)« erklärt die Zusammenhänge zwischen Klasse, Geschlecht und ethnischen Unterschieden zu jener Zeit. Und wer wissen möchte, was diese Frauen selbst über ihr Leben, ihre Sorgen und Freuden dachten, haben Nancy Lindisfarne und Richard Tapper vor kurzem »Afghan Village Voices« veröffentlicht, eine Übersetzung vieler der Tonbänder, die Frauen und Männer vor Ort für sie gemacht haben.

Diese Realität war komplex, bitter, bedrückend und voller Liebe. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich nicht von der Komplexität von Sexismus und Klassenunterschieden in den Vereinigten Staaten. Doch die Tragödie des nächsten halben Jahrhunderts sollte vieles davon ändern. Dieses lange Leiden brachte den besonderen Sexismus der Taliban hervor, der aber nicht automatisch ein Produkt der afghanischen Tradition ist.

Bürgerkrieg in Afghanistan

Die Geschichte dieser neuen Wendung beginnt im Jahr 1978. Damals begann der Bürgerkrieg zwischen der Regierung der Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA) und dem islamistischen Widerstand der Mudschaheddin. Die Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA) bezeichneten sich selbst als Kommunist:innen. Die Islamist:innen gewannen, so dass die Sowjetunion Ende 1979 einmarschierte, um die DVPA-Regierung zu unterstützen. Es folgten sieben Jahre brutaler Krieg zwischen den Sowjets und den Mudschaheddin.

Im Jahr 1987 zogen die sowjetischen Truppen besiegt ab. Als wir in den frühen 1970er Jahren in Afghanistan lebten, gehörten die Kommunist:innen zu den wirklich bewundernswerten Menschen. Sie wurden von drei Leidenschaften angetrieben: das Land zu entwickeln, die Macht der Großgrundbesitzer zu brechen sowie das Land unter sich aufteilen, und sie wollten die Gleichberechtigung der Frauen.

Ein Putsch der Minderheit

Doch es kam anders. 1978 hatten die kommunistische DVPA durch einen Militärputsch unter Führung fortschrittlicher Offiziere die Macht übernommen. Aber die Kommunist:innen hatten nicht die politische Unterstützung der Mehrheit der Dorfbewohner:innen in einem überwiegend ländlich geprägten Land gewonnen. Das Ergebnis war, dass die einzigen Mittel, mit denen sie gegen den islamistischen Widerstand auf dem Land vorgehen konnten, Verhaftung, Folter und Bombardierung waren. Je mehr die »kommunistisch« geführte Armee solche Grausamkeiten anwandte, desto mehr wuchs der Aufstand. Die stalinistische Methoden der Unterdrückung jeder Opposition mit Gewalt funktionierte nicht.

Dann marschierte die Sowjetunion ein, um die DVPA-Regierung zu unterstützen. Ihre Hauptwaffe war die Bombardierung aus der Luft, und große Teile des Landes wurden zu Freiflächen. Zwischen einer halben und einer Million Afghan:innen wurden getötet. Mindestens eine weitere Million wurde für immer verstümmelt. Zwischen sechs und acht Millionen wurden ins Exil in den Iran und nach Pakistan getrieben, und weitere Millionen wurden zu Binnenflüchtlingen. Und das alles in einem Land mit nur fünfundzwanzig Millionen Einwohner:innen.

Im Namen von Kommunismus und Feminismus

Als die Kommunist:innen an die Macht kamen, versuchten sie als Erstes, eine Landreform durchzuführen und Gesetze für die Rechte der Frauen zu erlassen. Als die russische Armee einmarschierte, schlug sich die Mehrheit der Kommunist:innen auf deren Seite. Viele dieser Kommunist:innen waren Frauen. Das tragische Ergebnis war, dass der Name des Kommunismus und vor allem des Feminismus mit der Unterstützung von Folter und Massakern beschmutzt wurde.

Stellen wir uns vor, die Vereinigten Staaten würden von einer fremden Macht überfallen, die zwischen zwölf und vierundzwanzig Millionen Amerikaner:innen tötete, Menschen in jeder Stadt foltert und 100 Millionen Amerikaner:innen ins Exil treibt. Stellen wir uns außerdem vor, dass fast alle Feministinnen in den Vereinigten Staaten die Invasor:innen unterstützt haben. Was glaubt ihr wie die meisten Amerikaner:innen nach dieser Erfahrung über eine zweite Invasion durch eine andere ausländische Macht oder über den Feminismus denken würden?

Tod im Namen der Rettung von Frauen

Was meint ihr, was die meisten afghanischen Frauen von einer weiteren Invasion, diesmal durch die Amerikaner, halten, die mit der Notwendigkeit der Rettung afghanischer Frauen begründet wird? Vergessen wir nicht, dass die Statistiken über die Toten, die Verstümmelten und die Geflüchteten unter der sowjetischen Besatzung keine abstrakten Zahlen waren. Es waren lebende Frauen und ihre Söhne und Töchter, Ehemänner, Brüder und Schwestern, Mütter und Väter. Als die Sowjetunion besiegt abzog, atmeten die meisten Menschen erleichtert auf.

Doch dann wurden die lokalen Anführer des Mudschaheddin-Widerstands gegen die Kommunist:innen und die Invasor:innen zu lokalen Kriegsherren und bekämpften sich gegenseitig um die Beute des Sieges. Die Mehrheit der Afghan:innen hatte die Mudschaheddin unterstützt, doch nun waren sie angewidert von der Gier, der Korruption und dem endlosen sinnlosen Krieg.

Der Klassen- und Fluchthintergrund der Taliban

Im Herbst 1994 waren die Taliban in Kandahar, einer mehrheitlich paschtunischen Stadt und der größten im Süden Afghanistans, angekommen. Die Taliban waren mit nichts in der afghanischen Geschichte zu vergleichen. Sie waren das Ergebnis von zwei Innovationen des 20. Jahrhunderts, nämlich der Bombardierung aus der Luft und den Flüchtlingslagern in Pakistan. Sie gehörten einer anderen sozialen Schicht an als die Eliten, die Afghanistan regiert hatten.

Die Kommunist:innen waren die Söhne und Töchter des städtischen Mittelstandes und der Bauern auf dem Lande, die über genügend Land verfügten, um es ihr Eigen zu nennen. Sie wurden von Menschen angeführt, die die einzige Universität des Landes in Kabul besucht hatten. Sie wollten die Macht der Großgrundbesitzer brechen und das Land modernisieren.

Die Islamist:innen, die die Kommunist:innen bekämpften, waren Menschen aus ähnlichen Schichten und meist ehemalige Studierende derselben Universität. Auch sie wollten das Land modernisieren, aber auf eine andere Art und Weise. Und sie orientierten sich an den Ideen der Muslimbruderschaft und der Al-Alzhar-Universität in Kairo. Das Wort Taliban steht für Studierende einer islamischen Schule, nicht für eine staatliche Schule oder eine Universität.

Dorfmullahs und Kriegsopfer

Die Kämpfer der Taliban, die 1994 in Kandahar einmarschierten, waren junge Männer, die in den freien islamischen Schulen in den Flüchtlingslagern in Pakistan studiert hatten. Sie waren Kinder gewesen, die nichts hatten. Die Anführer der Taliban waren Dorfmullahs aus Afghanistan. Sie hatten nicht die elitären Verbindungen wie viele der Imame der städtischen Moscheen. Dorfmullahs konnten lesen, und sie genossen bei den anderen Dorfbewohner:innen ein gewisses Ansehen. Aber ihr sozialer Status lag weit unter dem eines Grundbesitzers oder eines Schulabgängers in einem Regierungsamt. Die Taliban wurden von einem Komitee aus zwölf Männern angeführt. Alle zwölf hatten im Krieg durch sowjetische Bomben eine Hand, einen Fuß oder ein Auge verloren. Die Taliban waren u. a. die Partei der armen und mittelmäßigen paschtunischen Dorfbewohner. [3]

Zwanzig Jahre Krieg hatten Kandahar in einen rechtsfreien Raum verwandelt, der der Gnade der sich bekriegenden Milizen ausgeliefert war. Der Wendepunkt kam, als die Taliban einen lokalen Kommandanten verfolgten, der einen Jungen und zwei (möglicherweise drei) Frauen vergewaltigt hatte. Die Taliban fingen ihn und hängten ihn auf. Was ihre Intervention so bemerkenswert machte, war nicht nur ihre Entschlossenheit, den mörderischen Kämpfen ein Ende zu setzen und den Menschen ihre Würde und Sicherheit zurückzugeben, sondern auch ihre Abscheu gegenüber der Heuchelei der anderen Islamisten.

Unterstützung von außen

Die Taliban wurden von Anfang an vom saudi-arabischen, amerikanischen und dem pakistanischen Militär finanziert. Washington wollte ein friedliches Land, das Öl- und Gaspipelines aus Zentralasien aufnehmen konnte. Die Taliban zeichneten sich dadurch aus, dass sie keine Ausnahmen von den Verboten zuließen, die sie durchsetzen wollten, und dass sie die Regeln mit aller Härte durchsetzten. Viele Afghan:innen waren dankbar für die Rückkehr zur Ordnung und ein Mindestmaß an Sicherheit, aber die Taliban waren sektiererisch und unfähig, das Land zu kontrollieren, und 1996 zog die US-Regierung ihre Unterstützung zurück. Damit lösten sie eine neue, tödliche Form der Islamophobie gegen die Taliban aus.

Fast über Nacht galten die afghanischen Frauen als hilflos und unterdrückt, während die afghanischen Männer – alias die Taliban – als fanatische Wilde, Pädophile und sadistische Patriarchen verschrien wurden, also kaum als Menschen. Vier Jahre vor dem 11. September 2001 wurden die Taliban von der US-Administration ins Visier genommen, während Feministinnen und andere für den Schutz der afghanischen Frauen eintraten. Als die amerikanischen Bombenangriffe begannen, sollte jeder verstehen, dass die afghanischen Frauen Hilfe brauchten. Was konnte da schon schief gehen?

9/11 und der amerikanische Krieg

Die Bombardierung begann am 7. Oktober 2001. Innerhalb weniger Tage wurden die Taliban in den Untergrund gedrängt – oder sie wurden buchstäblich kastriert, wie ein Foto auf der Titelseite der britischen Zeitung Daily Mail verkündete. Die veröffentlichten Bilder des Krieges waren in ihrer Gewalttätigkeit und ihrem Sadismus wirklich schockierend. Viele Menschen in Europa waren entsetzt über das Ausmaß der Bombardierungen und die völlige Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Leben der Afghan:innen [4]. Doch in den Vereinigten Staaten bedeutete die Mischung aus Rachegefühlen und Patriotismus in jenem Herbst, dass abweichende Stimmen selten und meist unhörbar waren.

Fragen wir uns, wie Saba Mahmood es damals tat: »Warum wurden die Kriegsbedingungen (Migration, Militarisierung) und der Hunger (unter den Mudschaheddin) als weniger schädlich für Frauen angesehen als der Mangel an Bildung, Beschäftigung und vor allem – in der Medienkampagne – westlicher Kleidung (unter den Taliban)?« [5] Und dann fragen wir uns noch deutlicher: Wie konnten die afghanischen Frauen »gerettet« werden, indem die Zivilbevölkerung bombardierte, zu der neben den Frauen selbst auch ihre Kinder, ihre Ehemänner, Väter und Brüder gehörten? Mit dieser Frage hätte die Diskussion beendet werden müssen, aber das wurde sie nicht.

Unterstützt von Laura Bush und Cherie Blair

Der ungeheuerlichste Ausdruck feministischer Islamfeindlichkeit kam etwas mehr als einen Monat nach Beginn des Krieges. Ein höchst ungleicher Rachefeldzug macht in den Augen der Welt keinen guten Eindruck, also ist es besser, etwas zu tun, das tugendhaft aussieht. In Erwartung des amerikanischen Thanksgiving-Festes am 17. November 2001 beklagte Laura Bush, die Frau des damaligen Präsidenten George W. Bush, lautstark die Notlage der verschleierten afghanischen Frauen. Cherie Blair, die Frau des damaligen britischen Premierministers Tony Blair, schloss sich ihr einige Tage später an. Die Ehefrauen dieser reichen Kriegstreiber nutzten das ganze Gewicht des orientalistischen Paradigmas, um den Opfern die Schuld zu geben und einen Krieg gegen einige der ärmsten Menschen der Welt zu rechtfertigen.

Und die »Rettung der afghanischen Frauen« wurde zum ständigen Ruf vieler liberaler Feministinnen, um den amerikanischen Krieg zu rechtfertigen [6]. Mit der Wahl Obamas im Jahr 2008 wurde der Chor der Islamophobie unter den amerikanischen Liberalen hegemonial. In diesem Jahr löste sich die amerikanische Antikriegsallianz auf, um Obamas Wahlkampf zu unterstützen. Die Demokraten und jene Feministinnen, die Obamas kriegslüsterne Außenministerin Hillary Clinton unterstützten, konnten die Wahrheit nicht akzeptieren, dass sowohl der Afghanistankrieg als auch der Irakkrieg hauptsächlich für das schwarze Gold »Öl« waren [7].

Das Leid der Frauen als Rechtfertigung

Sie hatten nur eine einzige Rechtfertigung für die endlosen Ölkriege – das Leid der afghanischen Frauen. Der feministische Dreh war ein cleverer Trick. Sie schloss Vergleiche zwischen der zweifellos sexistischen Herrschaft der Taliban und dem Sexismus in den Vereinigten Staaten aus. Weitaus schockierender ist, dass die feministische Sichtweise die hässlichen Wahrheiten über einen äußerst ungleichen Krieg zähmte und dann effektiv verdrängte. Und sie trennte diese fiktiven »zu rettenden Frauen« von den Zehntausenden realen afghanischen Frauen, Männern und Kindern, die durch die amerikanischen Bomben getötet, verwundet, verwaist oder obdachlos und ausgehungert worden waren.

Viele unserer Freund:innen und Familienmitglieder in Amerika sind Feministinnen, die diese Propaganda mit gutem Gewissen glaubten. Aber sie wurden aufgefordert, ein Netz von Lügen zu unterstützen, eine Perversion des Feminismus. Es war der Feminismus der Invasor:innen und der korrupten Regierungselite. Es war der Feminismus der Folterer und der Drohnen. Wir glauben, dass ein anderer Feminismus möglich ist.

Tragisches Scheitern

Aber es bleibt wahr, dass die Taliban zutiefst sexistisch sind. Die Frauenfeindlichkeit hat in Afghanistan einen Sieg errungen. Aber es hätte nicht so kommen müssen. Die Kommunist:innen, die sich den Grausamkeiten der sowjetischen Invasor:innen anschlossen, hatten den Feminismus in Afghanistan mindestens eine Generation lang diskreditiert. Doch dann marschierten die Vereinigten Staaten ein, und eine neue Generation afghanischer Frauen schlug sich auf die Seite der neuen Invasor:innen, um den Frauen Rechte zu verschaffen. Auch ihr Traum endete in Kollaboration, Schande und Blut. Einige von ihnen waren natürlich Karrieristinnen, die im Tausch gegen Geld Plattitüden von sich gaben. Aber viele andere waren von einem ehrlichen und selbstlosen Traum beseelt. Ihr Scheitern ist tragisch.

Stereotype und Verwirrungen

Außerhalb Afghanistans herrscht große Verwirrung über den Charakter der Taliban, es sind eine Vorurteile in den letzten fünfundzwanzig Jahren entstanden. Aber wir sollten genau nachdenken, wenn wir das Klischee hören, dass die Taliban nur »mittelalterlich, brutal und primitiv« sind. Es sind Menschen aus Fleisch und Blut mit Waffen und Laptops, die seit vierzehn Jahren mit der mächtigen US-Administration in Katar verhandeln.

Die Taliban sind nicht das Produkt des Mittelalters. Sie sind das Produkt einiger der schlimmsten Zeiten des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts. Wenn sie in gewisser Weise auf eine vermeintlich bessere Zeit zurückblicken, ist das nicht überraschend. Aber das Leben unter Luftangriffen, in Flüchtlingslagern, im »Kommunismus«, im Krieg gegen den Terror, in nicht aufhöhrenden Verhören, im Klimawandel, in der Internetpolitik und in der Ungleichheitsspirale des Neoliberalismus hat sie geprägt. Sie leben, wie wir alle anderen auch, im Jetzt.

Mythen über die Taliban

Ihre Wurzeln in einer Stammesgesellschaft können ebenfalls verwirrend sein. Aber wie Richard Tapper dargelegt hat, sind Stämme keine atavistischen (kultureller Rückfall) Institutionen. Sie sind die Art und Weise, wie die Bäuerinnen und Bauern in diesem Teil der Welt ihre Verflechtung mit dem Staat organisieren. Und in der Geschichte Afghanistans ging es nie nur um konkurrierende ethnische Gruppen, sondern vielmehr um komplexe Bündnisse zwischen den Gruppen und um Spaltungen innerhalb der Gruppen [8].

In der Linken gibt es eine Reihe von Vorurteilen, die manche Leute zu der Frage veranlassen, wie die Taliban auf der Seite der Armen stehen und antiimperialistisch sein können, wenn sie nicht »fortschrittlich« sind. Lassen wir einmal beiseite, dass das Wort »fortschrittlich« oder »progressiv« wenig aussagt. Natürlich stehen die Taliban dem Sozialismus und dem Kommunismus ablehnend gegenüber. Sie selbst oder ihre Eltern und Großeltern wurden von sogenannten Sozialisten und Kommunisten getötet und gefoltert. Außerdem ist jede Bewegung, die einen zwanzigjährigen Guerillakrieg geführt und ein großes Imperium besiegt hat, antiimperialistisch, oder die Worte haben keine Bedeutung.

Die Realität ist, wie sie ist. Die Taliban sind eine Bewegung armer Bauern, die gegen eine imperiale Besatzung kämpfen, zutiefst frauenfeindlich sind, aber auch von vielen Frauen unterstützt werden, manchmal rassistisch und sektiererisch sind und manchmal nicht. Das ist ein Bündel von Widersprüchen, die die Geschichte hervorgebracht hat.

Die Klassenpolitik der Taliban

Eine weitere Quelle der Verwirrung ist die Klassenpolitik der Taliban. Wie kann es sein, dass sie auf der Seite der Armen stehen, wie es offensichtlich der Fall ist, und dennoch so erbittert gegen den Sozialismus sind? Die Antwort ist, dass die Erfahrung der russischen Besatzung die Möglichkeit echter sozialistischer Klassenpolitik zunichte gemacht hat. Aber sie hat nichts an der Realität der Klasse geändert. Niemand hat jemals eine Massenbewegung unter den armen Bauernfamilien aufgebaut, die die Macht übernommen hat, ohne auf der Seite der Armen zu stehen und ihre Unterstützung zu haben.

Die Taliban benutzen zwar keine klassenkämpferischen Sprache, aber sie sprechen über »Gerechtigkeit« und »Korruption«. Diese Sprache beschreibt die gleiche Situation. All dies bedeutet nicht, dass die Taliban unbedingt im Interesse der Armen regieren werden. Wir haben im letzten Jahrhundert und darüber hinaus genug Bauernaufstände gesehen, die an die Macht kamen, nur um dann von städtischen Eliten regiert zu werden. Und nichts von alledem sollte davon ablenken, dass die Taliban Diktatoren und keine Demokraten sein wollen.

Ein historischer Wandel in Amerika

Der Fall von Kabul bedeutet eine entscheidende Niederlage für die amerikanische Macht in der Welt. Er markiert aber auch eine tiefgreifende Abkehr der Amerikaner vom amerikanischen Imperium oder macht sie zumindest deutlich. Ein Beleg dafür sind die Meinungsumfragen. Im Jahr 2001, unmittelbar nach dem 11. September, befürworteten zwischen 85 und 90 Prozent der Amerikaner die Invasion in Afghanistan. Die Zahlen sind stetig gesunken. Im letzten Monat befürworteten 62 Prozent der Amerikaner Bidens Plan für einen vollständigen Rückzug, nur 29 Prozent waren dagegen.

Diese Ablehnung des Krieges ist sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite verbreitet. Die Basis der Arbeiterklasse der Republikanischen Partei und Trump sind gegen ausländische Kriege. Viele Soldat:innen und Militärfamilien kommen aus den ländlichen Gebieten und dem Süden, wo Trump stark ist. Sie sind gegen weitere Kriege, denn sie und ihre Lieben haben gedient, sind gestorben und verwundet worden. Der rechte Patriotismus in Amerika ist heute pro-militärisch, aber das bedeutet zur Zeit nicht gleichzeitig auch für Kriegseinsätze zu ein. Wenn sie sagen »Make America Great Again«, meinen sie, dass Amerika für die Amerikaner:innen jetzt nicht großartig ist, und nicht, dass die USA sich mehr in der Welt »engagieren« sollten.

Vom Imperium abgewandt

Auch bei den Demokraten ist die Basis der Arbeiterklasse gegen die Kriege. Es gibt Leute, die weitere militärische Interventionen unterstützen. Das sind die Obama-Demokraten, die Romney-Republikaner, die Generäle, viele liberale und konservative Fachleute und fast alle Mitglieder der Washingtoner Elite.

Aber das amerikanische Volk als Ganzes und insbesondere die Arbeiterklasse – egal welcher Hautfarbe –, haben sich gegen das amerikanische Imperium gewandt. Nach dem Fall von Saigon in Vietnam 1975 war die amerikanische Regierung für die nächsten fünfzehn Jahre nicht in der Lage, größere militärische Interventionen durchzuführen. Nach dem Fall von Kabul wird es wohl noch länger dauern.

Die internationalen Folgen

Seit 1918, also seit 103 Jahren, sind die Vereinigten Staaten die mächtigste Nation der Welt. Es gab konkurrierende Mächte – zuerst Deutschland, dann die Sowjetunion und jetzt China. Aber die USA waren immer dominant. Dieses »amerikanische Jahrhundert« neigt sich nun dem Ende zu. Der langfristige Grund dafür ist der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und der relative wirtschaftliche Niedergang der Vereinigten Staaten.

Aber die Covid-Pandemie und die Niederlage in Afghanistan machen die letzten zwei Jahre zu einem Wendepunkt. Die Pandemie hat die institutionelle Inkompetenz der herrschenden Klasse und der Regierung der Vereinigten Staaten offenbart. Das System hat beim Schutz des Volkes versagt. Dieses chaotische und beschämende Versagen ist für die Menschen auf der ganzen Welt offensichtlich.

Die schwindende Macht der USA

Und dann ist da noch Afghanistan. Gemessen an den Ausgaben und der Ausrüstung sind die Vereinigten Staaten die dominierende Militärmacht in der Welt. Diese Macht wurde von armen Menschen in Sandalen in einem kleinen Land besiegt, die nichts als Ausdauer und Mut besitzen. Der Sieg der Taliban wird auch Islamist:innen verschiedenster Ausprägung in Syrien, Jemen, Somalia, Pakistan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Mali Mut machen. Aber er wird noch viel mehr entfachen als das. Sowohl das Scheitern bei der Bekämpfung der Pandemie, als auch die Niederlage in Afghanistan werden die »weiche« Macht der USA verringern.

Aber Afghanistan ist auch eine Niederlage für die »harte« Macht. Die Stärke des informellen Imperiums der Vereinigten Staaten stützt sich seit einem Jahrhundert auf drei verschiedene Säulen. Die eine ist die größte Volkswirtschaft der Welt und die Beherrschung des globalen Finanzsystems. Die zweite ist der Ruf, in vielen Kreisen für Demokratie, Kompetenz und kulturelle Führerschaft bekannt zu sein. Die dritte Säule war, dass die Vereinigten Staaten im Falle eines Versagens der »weichen« Macht, die »harte« Macht des Militärs einsetzen konnten und in Ländern einmarschieren würden, um Diktaturen zu unterstützen und ihre Feinde zu bestrafen.

Diese militärische Macht ist nun aufgebraucht. Keine Regierung wird glauben, dass die USA sie vor einem fremden Eindringling oder vor ihrem eigenen Volk retten können. Die Tötungen durch Drohnen werden weitergehen und großes Leid verursachen. Aber Drohnen allein werden nirgendwo militärisch entscheidend sein. Dies ist der Anfang vom Ende des amerikanischen Jahrhunderts.

Was passiert jetzt in Afghanistan?

Niemand weiß, was in den nächsten Jahren in Afghanistan geschehen wird. Aber wir können einige der Faktoren erkennen, welche die Situation prägen werden. Der erste und hoffnungsvollste ist die tiefe Sehnsucht nach Frieden in den Herzen der Afghan:innen. Sie haben nun dreiundvierzig Jahre Krieg erlebt. Denken wir daran, wie nur fünf oder zehn Jahre Bürgerkrieg und Invasion so viele Länder gezeichnet haben. Denken wir jetzt an dreiundvierzig Jahre!

Kabul, Kandahar und Mazar, die drei wichtigsten Städte, sind alle ohne jegliche Gewalt gefallen. Das liegt daran, dass die Taliban, wie sie immer wieder sagen, ein Land in Frieden wollen und nicht auf Rache aus sind. Es liegt aber auch daran, dass die Menschen, die die Taliban nicht unterstützen, ja die sie hassen, sich ebenfalls entschieden haben, nicht zu kämpfen. Die Taliban-Führer sind unter großem Druck, dass sie Frieden bringen müssen. Wenn sie ihr Versprechen einlösen wollen, ist es notwendig, dass die Taliban weiterhin für eine gerechte Justiz sorgen. Ihre bisherige Bilanz ist vorteilhaft. Aber die Verlockungen der Macht und der Druck der Regierung haben schon viele soziale Bewegungen in vielen Ländern vor ihnen korrumpiert.

Wirtschaftliche Probleme und internationale Einmischung

Auch ein wirtschaftlicher Zusammenbruch ist durchaus möglich. Afghanistan ist ein armes und trockenes Land, in dem weniger als fünf Prozent des Bodens bewirtschaftet werden können. In den letzten zwanzig Jahren sind die Städte immens angewachsen. Dieses Wachstum war abhängig vom Geld, das durch die Besatzung und in geringerem Maße durch den Opiumanbau floss. Ohne umfangreiche ausländische Hilfe von irgendwoher droht der wirtschaftliche Zusammenbruch. Weil die Taliban das wissen, haben sie den Vereinigten Staaten ausdrücklich einen Deal angeboten. Die amerikanische Regierung soll Hilfe leisten, und im Gegenzug werden die Taliban jenen Terroristen, die Anschläge wie den 11. September verüben könnten, keine Heimat bieten.

Sowohl die Trump- als auch die Biden-Administration haben dieses Angebot angenommen. Aber es ist keineswegs sicher, dass die USA dieses Versprechen einhalten werden. Es ist durchaus möglich, dass es noch schlimmer kommt. Frühere US-Regierungen haben den Irak, den Iran, Kuba und Vietnam für ihre Widersetzlichkeit mit lang anhaltenden und zerstörerischen Wirtschaftssanktionen bestraft. In den USA werden viele Stimmen für solche Sanktionen laut, um afghanische Kinder im »Namen der Menschenrechte« verhungern zu lassen.

Außerdem besteht die Gefahr einer internationalen Einmischung, wenn verschiedene Mächte unterschiedliche politische oder ethnische Kräfte in Afghanistan unterstützen. Die Vereinigten Staaten, Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, Iran, China, Russland und Usbekistan werden alle in Versuchung geraten. Das hat es schon einmal gegeben, und in einer Situation des wirtschaftlichen Zusammenbruchs könnte es zu Stellvertreterkriegen kommen. Im Moment wollen die Regierungen des Irans, Russlands und Pakistans jedoch eindeutig Frieden in Afghanistan.

Die Auswirkungen des Klimawandels

Auch die Taliban haben versprochen, nicht mehr mit Grausamkeit zu regieren. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Was glauben wir, was die armen Soldaten aus den Dörfern tun werden, wenn sie mit Familien konfrontiert werden, die durch Korruption und Kriminalität ein großes Vermögen angehäuft haben? Und dann ist da noch das Klima. Im Jahr 1971 verwüstete eine Dürre und Hungersnot im Norden und im Zentrum des Landes Herden, Ernten und Leben. Dies war das erste Anzeichen für die Auswirkungen des Klimawandels in der Region, der in den letzten fünfzig Jahren weitere Dürren nach sich zog. Mittel- und langfristig werden Landwirtschaft und Viehzucht noch prekärer werden.[9]

All diese Gefahren sind real. Aber der oft aufschlussreiche Sicherheitsexperte Antonio Giustozzi kennt die Denkweise sowohl der Taliban als auch ausländischer Regierungen und der Taliban. Sein Artikel in der britischen Zeitung Guardian vom 16. August 2021 war hoffnungsvoll. Er beendete ihn wie folgt: »Da die meisten Nachbarländer Stabilität in Afghanistan wünschen, ist es zumindest vorläufig unwahrscheinlich, dass etwaige Risse in der neuen Koalitionsregierung von externen Akteuren ausgenutzt werden, um diese zu vertiefen. Auch die Verlierer des Jahres 2021 werden kaum jemanden finden, der bereit oder in der Lage ist, sie beim Aufbau einer Art von Widerstand zu unterstützen. Solange der neuen Koalitionsregierung wichtige Verbündete der Nachbarländer angehören, ist dies der Beginn einer neuen Phase in der Geschichte Afghanistans.« [10]

Was wir tun können: Geflüchtete willkommen heißen

Viele Menschen im Westen fragen sich jetzt: »Was können wir tun, um den afghanischen Frauen zu helfen?« Manchmal wird bei dieser Frage davon ausgegangen, dass die meisten afghanischen Frauen die Taliban ablehnen und die meisten afghanischen Männer sie unterstützen. Das ist Unsinn. Es ist fast unmöglich, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der dies der Fall wäre. Konkreter müsste die Frage heißen: Wie können wir den afghanischen Feministinnen helfen?

Das ist eine berechtigte und vernünftige Frage. Die Antwort ist, sich zu organisieren, um ihnen Flugtickets zu kaufen und ihnen Zuflucht in Europa und Nordamerika zu gewähren. Aber nicht nur Feministinnen werden Asyl brauchen. Zehntausende von Menschen, die für die Besatzung gearbeitet haben, suchen verzweifelt nach Asyl, zusammen mit ihren Familien. Das gilt auch für eine größere Anzahl von Menschen, die für die afghanische Regierung gearbeitet haben.

Eine Entscheidung gegen Menschen

Einige dieser Menschen sind bewundernswert, andere sind korrupt, viele liegen dazwischen, und viele sind einfach nur Kinder. Aber es gibt hier einen moralischen Imperativ. Die Vereinigten Staaten und die NATO-Länder haben zwanzig Jahre lang unermessliches Leid verursacht. Das Mindeste, das Allerwenigste, was diese Länder tun sollten, ist, die Menschen zu retten, deren Leben sie zerstört haben – egal um wen es geht.

Das Versagen der westlichen Regierung bei der Rettung der Menschen, die für sie gearbeitet haben, ist beschämend und entlarvend zugleich. Es handelt sich nicht wirklich um ein Versagen, sondern um eine Entscheidung. Der Rassismus gegen die Einwanderung wiegt stärker als die Schulden der Vergangenheit. Kampagnen zur Aufnahme von Afghan:innen sind immer noch möglich. Natürlich wird ein solch starkes moralisches Argument bei jeder Gelegenheit auf Rassismus und Islamophobie stoßen. Aber in der letzten Woche haben sowohl die deutsche als auch die niederländische Regierung jegliche Abschiebung von Afghanen ausgesetzt.

Die Frage der Hazaras

Politiker:innen, egal wo, welche sich für die afghanischen Frauen einsetzen, muss immer wieder aufgefordert werden, die Grenzen für alle Afghanen zu öffnen. Und dann ist da noch die Frage, was mit den Hazaras passieren könnte. Wie wir bereits gesagt haben, sind die Taliban nicht mehr nur eine paschtunische Bewegung, sondern haben sich auf die ganze Welt ausgedehnt und viele Tadschiken und Usbeken rekrutiert. Und auch, so heißt es, einige Hazaras. Aber nicht viele.

Die Hazaras sind das Volk, das traditionell in den zentralen Bergen lebt. Viele wanderten auch in Städte wie Mazar und Kabul aus, wo sie als Träger:innen und in anderen schlecht bezahlten Jobs arbeiteten. Sie machen etwa 15 Prozent der afghanischen Bevölkerung aus. Die Wurzeln der Feindschaft zwischen Paschtunen und Hazaras liegen zum Teil in langjährigen Streitigkeiten über Land und Weiderechte.

In jüngster Zeit spielt aber auch eine Rolle, dass die Hazaras Schiiten sind, während fast alle anderen Afghan:innen Sunniten sind. Die erbitterten Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten im Irak haben zu einer Spaltung in der militanten islamistischen Tradition geführt. Diese Spaltung ist kompliziert, aber wichtig und bedarf einer kleinen Erklärung. Sowohl im Irak als auch in Syrien hat der Islamische Staat Massaker an Schiiten verübt, so wie schiitische Milizen in beiden Ländern Sunniten massakriert haben.

Al Qaida, Taliban und Islamischer Staat

Die traditionelleren Al-Qaida-Netzwerke haben sich nach wie vor entschieden gegen Angriffe auf Schiiten ausgesprochen und sich für die Solidarität zwischen den Muslim:innen eingesetzt. Es wird oft darauf hingewiesen, dass Osama Bin Ladens Mutter selbst eine Schiitin war – eigentlich eine Alawitin aus Syrien. Aber die Notwendigkeit der Einheit war wichtiger. Dies war der Hauptgrund für die Spaltung zwischen Al-Qaida und dem Islamischen Staat. In Afghanistan haben sich auch die Taliban für die islamische Einheit stark gemacht. Die sexuelle Ausbeutung von Frauen durch den Islamischen Staat ist auch den Werten der Taliban zutiefst zuwider, die zutiefst sexistisch, aber puritanisch und bescheiden sind. Seit vielen Jahren haben die afghanischen Taliban alle Terroranschläge auf Schiiten, Christen und Sikhs öffentlich verurteilt.

Dennoch finden diese Anschläge statt. Die Ideen des Islamischen Staates haben einen besonderen Einfluss auf die pakistanischen Taliban ausgeübt. Die afghanischen Taliban sind eine Organisation. Die pakistanischen Taliban sind ein lockereres Netzwerk, das nicht von den Afghanen kontrolliert wird. Sie haben wiederholt Bombenanschläge gegen Schiiten und Christen in Pakistan verübt. Der Islamische Staat und das Haqqani-Netzwerk haben die jüngsten rassistischen Terroranschläge auf Hazaras und Sikhs in Kabul verübt. Die Taliban-Führung hat alle diese Anschläge verurteilt.

Brüchige Einheit

Aber die Situation ist im Fluss. Der Islamische Staat in Afghanistan ist eine von den Taliban abgespaltene Minderheit, die hauptsächlich in der Provinz Ningrahar im Osten des Landes ansässig ist. Sie kämpfen erbittert gegen die Schiiten. Das gilt auch für das Haqqani-Netzwerk, eine seit langem bestehende Mudschaheddin-Gruppe, die weitgehend vom pakistanischen Militärgeheimdienst kontrolliert wird. In der gegenwärtigen Konstellation wurde das Haqqani-Netzwerk jedoch in die Taliban-Organisation integriert, und ihr Anführer ist einer der Anführer der Taliban. Aber niemand kann sicher sein, was die Zukunft bringt. Im Jahr 1995 verhinderte ein Aufstand von Hazara-Arbeitern in Mazar, dass die Taliban die Kontrolle über den Norden erlangten.

Die Widerstandstraditionen der Hazara reichen jedoch viel tiefer und weiter zurück als das. Auch die Hazara-Flüchtlinge in den Nachbarländern könnten jetzt in Gefahr sein. Die iranische Regierung verbündet sich mit den Taliban und fleht sie an, friedlich zu sein. Sie tun dies, weil sich bereits etwa drei Millionen afghanische Geflüchtete im Iran befinden. Die meisten von ihnen sind schon seit Jahren dort, die meisten sind arme städtische Arbeiter und ihre Familien, und die Mehrheit sind Hazaras. Vor kurzem hat die iranische Regierung, die sich selbst in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage befindet, damit begonnen, Afghan:innen zurück nach Afghanistan abzuschieben.

Die Rolle der Geflüchteten

Auch in Pakistan gibt es etwa eine Million Hazara-Flüchtlinge. In der Region um Quetta sind in den letzten Jahren mehr als 5.000 von ihnen bei sektiererischen Attentaten und Massakern getötet worden. Die pakistanische Polizei und Armee unternimmt nichts. Da die pakistanische Armee und der pakistanische Geheimdienst seit langem die afghanischen Taliban unterstützen, sind diese Menschen jetzt noch stärker gefährdet. Was sollten Sie außerhalb Afghanistans tun? Wie die meisten Afghan:innen werden sie für den Frieden sein und sich den Protesten für offene Grenzen anschließen.

Das letzte Wort überlassen wir Graham Knight. Sein Sohn, Sergeant Ben Knight von der britischen Royal Air Force, wurde 2006 in Afghanistan getötet. Diese Woche erklärte Graham Knight gegenüber einer britischen Presseagentur, dass die britische Regierung schnell hätte handeln müssen, um Zivilisten zu retten: »Wir sind nicht überrascht, dass die Taliban die Macht übernommen haben, denn als die Amerikaner und Briten sagten, sie würden abziehen, wussten wir, dass dies passieren würde. Die Taliban haben ihre Absicht sehr deutlich gemacht, dass sie einmarschieren würden, sobald wir abziehen. Was die Frage anbelangt, ob Menschenleben durch einen Krieg verloren gingen, der nicht zu gewinnen war, so glaube ich, dass sie es waren. Ich denke, das Problem war, dass wir gegen Menschen kämpften, die in diesem Land heimisch waren. Wir kämpften nicht gegen Terroristen, sondern gegen Menschen, die dort lebten und unsere Anwesenheit nicht mochten.« [11]


Literatur:

Fluri, Jennifer L. and Rachel Lehr. 2017. The Carpetbaggers of Kabul and Other American-Afghan Entanglements. Athens OH: University of Georgia Press.

Giustozzi, Antonio. 2007. Koran, Kalashnikov and Laptop: The Neo-Taliban Insurgency in Afghanistan. London: Hurst.

—, ed. 2009. Decoding the New Taliban: Insights from the Afghan Field. London: Hurst.

—, 2021. ‘The Taliban have retaken Afghanistan – this time, how will they rule it?’ The Guardian, August 16.

Gregory, Thomas. 2011. ‘Rescuing the Women of Afghanistan: Gender, Agency and the Politics of Intelligibility.’University of Manchester PhD thesis.

Hirschkind, Charles and Saba Mahmood. 2002. ‘Feminism, the Taliban and the Politics of Counterinsurgency.’ Anthropological Quarterly, 75(2): 339-354.

Hughes, Dana. 2012. ‘The First Ladies Club: Hillary Clinton and Laura Bush for the Women of Afghanistan.’ ABC News, March 21.

Jalalzai, Zubeda and David Jefferess, eds. 2011. Globalizing Afghanistan: Terrorism, War, and the Rhetoric of Nation Building. Durham: Duke University Press.

Klaits, A. & G. Gulmanadova-Klaits. 2005. Love and War in Afghanistan, New York: Seven Stories.

Kolhatkar, Sonali and James Ingalls. 200. Bleeding Afghanistan: Washington, Warlords, and the Propaganda of Silence. New York: Seven Stories.

Lindisfarne, Nancy. 2002a. ‘Gendering the Afghan War.’ Eclipse: The Anti-War Review, 4: 2-3.

—. 2002b. ‘Starting from Below: Fieldwork. Gender and Imperialism Now.’ Critique of Anthropology, 22(4): 403-423, and in Armbruster and Laerke, 23-44.

—. 2012. ‘Exceptional Pashtuns?’ Class Politics, Imperialism and Historiography.’ In Marsden and Hopkins.

Lindisfarne, Nancy and Jonathan Neale, 2015. ‘Oil Empires and Resistance in Afghanistan, Iraq and Syria.’ Anne Bonny Pirate, https://annebonnypirate.files.wordpress.com/2015/11/oil-empires-16nov2015-fin5.pdf.

—. 2019. ‘Oil, Heat and Climate Jobs in the MENA Region.’ In: Environmental Challenges in the MENA Region: The Long Road from Conflict to Cooperation, edited by Hamid Pouran and Hassan Hakimian, London: Ginko, 72-94.

Manchanda, Nivi. 2020. Imagining Afghanistan: The History and Politics of Imperial Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press.

Marsden, Magnus and Benjamin Hopkins, eds. 2012. Beyond Swat: History, Society and Economy along the Afghanistan-Pakistan Frontier. London: Hurst.

Mihailovič, Konstantin. 1975. Memoirs of a Janissary. Ann Arbor: University of Michigan Press.

Mount, Ferdinand. 2008. Cold Cream: My Early Life and Other Mistakes. London: Bloomsbury.

Mousavi, Sayed Askar, 1998. The Hazaras of Afghanistan: An Historical, Cultural, Economic and Political Study. London: Curzon.

Neale, Jonathan. 1981. ‘The Afghan Tragedy.’ International Socialism, 12: 1-32.

—. 1988. ‘Afghanistan: The Horse Changes Riders,’ Capital and Class, 35: 34-48.

—. 2002. ‘The Long Torment of Afghanistan.’ International Socialism, 93: 31-59.

—. 2008. ‘Afghanistan: The Case Against “the Good War”.’ International Socialism, 120: 31-60.
[Auf Deutsch als Broschüre: Neale, Jonathan: Der Afghanistan Krieg. Eine Kritik der Besatzung und Perspektiven für den Frieden, aus dem Englischen übersetzt von David Paenson, Bruce Paenson, Rosemarie Nünning, Frankfurt a. M.: Verein für Geschichte und Zeitgeschichte der Arbeiterbewegung, 2008, (edition aurora).]

Nojumi, Neamatollah. 2002. The Rise of the Taliban in Afghanistan. New York: Palgrave.

Rico, Johnny. 2007. Blood Makes the Grass Grow Green: A Year in the Desert with Team America. New York: Presidio.

Tapper (Lindisfarne), Nancy. 1991. Bartered Brides: Politics, Gender and Marriage in an Afghan Tribal Society. Cambridge: Cambridge University Press.

Tapper, Richard, ed. 1983. The Conflict of Tribe and State in Iran and Afghanistan. London: Croom Helm.

Tapper, Richard, with Nancy Lindisfarne. 2020. Afghan Village Voices: Stories from a Tribal Community. London: I.B. Tauris.

The Guardian, 2021. ‘Afghanistan Live News.’ August 16.

Ward, Lucy, 2001. ‘Leader’s Wives Join Propaganda War.’ The Guardian, Nov 17.

Zaeef, Abdul, 2010. My Life with the Taliban. London: Hirst.

Zilizer, Barbie. 2005. ‘Death in Wartime: Photographs and the ‘Other War’ in Afghanistan.’ The Harvard International Journal of Press/Politics, 10(3): 26-55.


Fußnoten:

[1] See especially Nancy Tapper (Lindisfarne), 1991; Lindisfarne, 2002a, 2002b and 2012; Lindisfarne and Neale, 2015; Neale, 1981, 1988, 2002 and 2008; Richard Tapper with Lindisfarne, 2020.

[2] Giustozzi, 2007 and 2009 are especially useful.

[3] On the class basis of the Taliban, see Lindisfarne, 2012, and many chapters by other authors in Marsden and Hopkins, 2012. And see Moussavi, 1998; Nojumi, 2002; Giustozzi, 2008 and 2009; Zareef, 2010.

[4] Zilizer, 2005.

[5] There is a vast literature on saving Afghan women. See Gregory, 2011; Lindisfarne, 2002a; Hirschkind and Mahmood, 2002; Kolhatkar and Ingalls, 2006; Jalalzai and Jefferess,2011; Fluri and Lehr, 2017; Manchanda, 2020.

[6] Ward, 2001.

[7] Lindisfarne and Neale, 2015.

[8] Richard Tapper, 1983.

[9] For the drought in 1971, see Tapper and Lindisfarne, 2020. For more recent climate change, see Lindisfarne and Neale, 2019.

[10] Giustozzi, 2021.

[11] The Guardian, 2021.

Übersetzung aus dem Englischen: Yaak Pabst. Das Interview erschien zuvor auf der Seite von Marx21 und am 17. August 2021 im englischen Original im Blog Anny Bonny Pirate unter dem Titel: „Afghanistan: The End of the Occupation“.


[1] https://www.marx21.de/22-07-08-marx21-gespraech-2/

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