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Innenpolitik

Mindestlohn: Wenigstens 10 Euro!

Von D. Berger | 01.07.2007

Die aktuellen politischen Debatten über den Mindestlohn sind Ausdruck der allgemeinen Kritik am fortschreitenden „Lohndumping”. Die Beschlüsse der großen Koalition aber sind keine direkte Folge des Drucks von unten, sondern beruhen auf einem unwürdigen Profilierungsversuch der SPD. Seit längerem schon musste die SPD feststellen, dass sie in der Gunst der WählerInnen ständig sinkt, nicht zuletzt aufgrund ihres mangelnden Profils in der Großen Koalition.

 

Die aktuellen politischen Debatten über den Mindestlohn sind Ausdruck der allgemeinen Kritik am fortschreitenden „Lohndumping”. Die Beschlüsse der großen Koalition aber sind keine direkte Folge des Drucks von unten, sondern beruhen auf einem unwürdigen Profilierungsversuch der SPD.

Seit längerem schon musste die SPD feststellen, dass sie in der Gunst der WählerInnen ständig sinkt, nicht zuletzt aufgrund ihres mangelnden Profils in der Großen Koalition.
SPD will sich profilieren …
Deshalb führt sie seit geraumer Zeit eine Alibikampagne für einen Mindestlohn, ohne dabei eine akzeptable Höhe im Auge zu haben, aber darauf spekulierend, dass die Partei so für gewisse Wählerschichten wieder interessant wird.
Wie wenig sie hinter ihrer eigenen Kampagne steht zeigte die Abstimmung vom 14. Juni. Die Linkspartei hatte den Text der SPD-Unterschriftensammlung im Bundestag zur Abstimmung gestellt und von 193 SPD-Abgeordneten stimmten nur 4 zu. Der Frieden in der Koalition war wichtiger als die politische Unterstützung des eigenen Antrags! Mit anderen Worten: Hauptsache dem Namen nach Mindestlohn! Was real für die Betroffenen raus kommt, spielt keine Rolle!
… und fördert den Kombilohn
Am deutlichsten wird dies mit dem von der SPD seit kurzem verstärkt vertretenen Modell der negativen Einkommenssteuer und der Steuergutschriften. Danach können die Löhne weiterhin niedrig bleiben, aber der Staat ergänzt den Lohn bis zu einer gewissen Grenze. Dies ist natürlich eine Aufforderung an die Unternehmer, die Löhne niedrig zu halten oder abzusenken, denn der Staat sorgt ja für den Rest. Dieses Modell lehnt sich an die Vorschläge von Peter Bofinger an, der für einen Mindestlohn von 4,50 € eintritt. Bofinger sitzt auf Gewerkschaftsvorschlag im Sachverständigenrat der „fünf Weisen“.
Würde das umgesetzt, dann würde zwar das Einkommen aller NiedriglöhnerInnen nicht angehoben, aber die Staatszuschüsse zu den dann sinkenden Löhnen würden beträchtlich steigen, also Kombilohn in der Fläche. Nur weil schwer abzuschätzen ist, wie viel das real kosten wird, ist dieses Modell noch nicht flächendeckend eingeführt. Es ist jedenfalls das Idealmodell für die KapitaleignerInnen, denn ihre Lohnkosten sänken und der Staat würde für das Überleben der Betroffenen sorgen.
Entsendegesetz

Die Koalitionsrunde hat sich jetzt auf die Ausdehnung der Regelung zu Branchenmindestlöhnen verständigt, um wenigstens etwas vorweisen zu können. Bisher gibt es ihn im Bauhauptgewerbe und seit März 2007 auch für die GebäudereinigerInnen. Orientierung ist hier nicht das, was die Menschen zum Leben brauchen, sondern die staatliche Absegnung niedriger Tariflöhne.
An der Masse der Billiglöhne würde dies überhaupt nichts ändern, das haben sogar die bürgerlichen Medien erkannt:

  1. Branchentarifverträge setzen eine Einigung der „Tarifvertragsparteien“ voraus, die Unternehmerverbände müssen also einer bestimmten Höhe zustimmen.
  2. Ein solcher Tarifvertrag muss bundesweite Gültigkeit haben, bevor er vom Minister für allgemein verbindlich erklärt wird.
  3. Gleichzeitig müssen mehr als 50 % der in dieser Branche Beschäftigten von einem solchen Tarifvertrag erfasst sein.


Und: Ein niedriger Branchenmindestlohn würde zum Orientierungspunkt für Bereiche dienen, in denen eine Absenkung durchgesetzt werden soll. Entsendegesetz und Branchenmindestlöhne wären nur dann akzeptabel, wenn sie deutlich über einem allgemein verbindlichen Mindestlohn liegen, mit dem ein auskömmliches Einkommen erzielt wird. Denn was nutzen Branchenlöhne von 4,38 € (Wachleute in Thüringen) oder 5,25 € (Gastronomie in NRW)? Sie können in dieser lächerlichen Höhe eventuell sogar als Argument dienen, das ergänzende ALG II abzuschaffen oder den Regelsatz des ALG II abzusenken.
Auch die jetzt ins Gespräch gebrachte Anwendung des 1952er Gesetzes (der Arbeitsminister könnte sich über den Widerstand der Unternehmer hinwegsetzen) verspricht keine Besserung: Es wäre ein aufwendiges Verfahren erforderlich (für jede Branche gesondert), mit „unabhängigen“ Gutachten usw. Wir können sicher sein, dass die Gutachten, die Wettbewerbsfähigkeit höher bewerten als die nackten Existenzinteressen der betroffenen NiedriglöhnerInnen.
Auf die Höhe kommt es an!
Entscheidend also ist: Die geplante Ausdehnung des Entsendegesetzes wird keine Mindesthöhe von Löhnen festlegen, sondern nur bestimmte Tarifverträge für die jeweilige Branche als verbindlich erklären. Aber wer kann von einem Stundenlohn von 5 € oder auch 7,50 € existieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben?
Noch wertloser ist ein anderes, ebenfalls von der SPD favorisiertes Modell, nämlich „sittenwidrige“ Löhne zu verbieten, also Löhne, die um mehr als 30 % unter den ortsüblichen Löhnen liegen. Nach den Maßstäben bürgerlicher Herrschaft ist es demzufolge nicht „sittenwidrig“, wenn ein Wachmann in Thüringen 3,01 € verdient, genauso wenig wie es in ihren Augen „sittenwidrig“ ist, wenn KapitaleignerInnen und ihre ManagerInnen Millioneneinkünfte erzielen.
Handlungsunwillige Gewerkschaften
Nicht nur haben die Gewerkschaften bisher keinen wirklichen Druck erzeugt; die gegenwärtige Kampagne mit dem Sonderbus von Verdi und NGG ist auch wenig mitreißend. Ihre Forderungen und ihre Argumentationen sind nicht überzeugend. 7,50 € (Die Linke fordert 8,- €) ist kein Betrag, der die Mehrheit der Betroffenen vom Hocker reißt. Ganz groß ist die Skepsis bei Vertrauensleuten und Betriebsräten in der Industrie, die eher befürchten, dass ein allgemeiner Mindestlohn auf diesem Niveau eher als Orientierung zum Drücken der Löhne in der Industrie dient. Schlagen wir ihnen einen Mindestlohn von 10 € vor, sieht die Sache schon ganz anders aus.

Besonders hinderlich für den Kampf um einen akzeptablen Mindestlohn sind die von den Gewerkschaften unterschriebenen Tarifverträge für Leiharbeit. Damit wurde die Schröderregierung unterstützt, die mit ihrem Gesetz die Abweichung von der EU-Richtlinie zu “equal pay and equal treatment“ (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) ermöglichte. Das Argument der G
ewerkschaftsbürokratie: Wenn wir nicht unterschrieben hätten, hätten die Christlichen einen noch schlechteren Vertrag unterschrieben. Wer aber Hungerlöhne akzeptiert, kann nicht mehr glaubwürdig für ausreichende Mindestlöhne kämpfen.
Der Kampf für einen akzeptablen Mindestlohn beginnt bei der Bekämpfung der Leiharbeitsverhältnisse. So müssen Betriebsräte konsequent aufgefordert werden, Leiharbeit mit der Begründung abzulehnen, dass der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ein höherwertiges Rechtsgut ist als das deutsche Gesetz, das eine Abweichung davon dann zulässt, wenn ein Tarifvertrag besteht. Die Tarifverträge mit den Verbänden der Leiharbeitsfirmen müssen gekündigt werden und es muss ein breiter Kampf für einen Mindestlohn von wenigstens 10.- die Stunde aufgenommen werden.

Die Desorientierung und mangelnde Entschlossenheit der Gewerkschaften sollte für die soziale Bewegung umso mehr Anlass sein, die Forderung nach 10 € Mindestlohn lautstark zu vertreten und sie immer wieder in die Gewerkschaften reinzutragen. Dies ist umso dringlicher, als die Regierung mit ihrem neuesten Gesetzentwurf den 3. Arbeitsmarkt ausdehnen will.
Ein schlüssiges Programm der sozialen Bewegung und der Gewerkschaften sollte mindestens folgende Elemente umfassen:

  • •    Kampf den Leiharbeitsverhältnissen. Für Festeinstellungen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit
  • •    Wenigstens 10 € Mindestlohn für alle Branchen, ohne jegliche Ausnahme
  • •    Jährliche Anpassung an die steigenden Lebenshaltungskosten
  • •    Kampf den 1-Jobs und allen anderen Lohndrückerverhältnissen („Bürgerarbeit“ etc.)

Literatur zum Thema Mindestlohn:

 

  • –    Schulten/ Bispinck/Schäfer (Hrsg.), Mindestlöhne in Europa, Hamburg 2006.
  • –    Sterkel/Schulten/Wiedemuth (Hrsg.), Niedriglöhne in Deutschland, Hamburg 2006.
  • –    Artus/Schmidt/Sterkel, Brüchige Tarifrealität, Berlin 2000.

 

Was ist Kombilohn?
Ein Kombilohn setzt sich zusammen aus einem Niedriglohn und einem vom Staat finanzierten Zuschuss. Auch die herrschende Politik weiß, dass bei einer flächendeckenden Einführung ein Drehtüreffekt eintritt: Die Unternehmer werden im Niedriglohnbereich Leute entlassen, kurz danach die Stelle neu besetzen (im Zweifelsfall mit denselben Personen), dafür weniger Lohn zahlen und die Ergänzung vom Staat zahlen lassen. Dies ist übrigens einer der Hauptgründe, warum wir das „Bedingungslose Grundeinkommen“ ablehnen, bei dem genau dieser Mechanismus zur Anwendung käme.

 

 

 

Pfändungsreif?
Im Gegensatz zu ver.di, der Auftraggeberin obiger Studie meinen wir aber, dass es 10 € die Stunde braucht, um wenigstens über die Pfändungsfreigrenze (aktuell 986 €) zu kommen.
Nach der Definition der EU lag die Armutsgrenze (60% des mittleren Einkommens) für einen Alleinstehenden im Jahr 2003 bei einem monatlichen Einkommen von 938 Euro.
Einkommensarmut
In der BRD arbeiten 2,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte für einen Nettolohn unterhalb der Pfändungsfreigrenze für Alleinstehende. Ca. 6,9 Millionen Voll- und Teilzeitbeschäftigte bekommen einen Stundenlohn, der die Niedriglohnschwelle von 66% des Medianeinkommens unterschreitet. (Das Medianeinkommen, auch Zentralwert, ist im Gegensatz zum arithmetischen Mittel nicht der Durchschnittswert – der von den „Ausreißern“ verfälscht wird – sondern gibt das gewichtete Mittel an. Demnach liegen 50 % aller Einkommen darüber und 50 % aller Einkommen darunter. Das M. gibt also an, wie viel Menschen „im Normalfall“ verdienen.)
Die Zahl der von Einkommensarmut Betroffenen steigt seit Mitte der Neunziger Jahre an. Seit der Einführung von Hartz IV und der Ausdehnung der Zumutbarkeitsreglungen müssen nahezu 1 Mio. Menschen – darunter 400.000 Vollzeitbeschäftigte – ihren Lohn mit ALG II aufstocken.

 

 

Leiharbeit
Heute gibt es 600 000 LeiharbeiterInnen (2000 noch 300 000). 2007 sollen es 20 % mehr werden. Die Hälfte der 225 000 Neueingestellten von 2006 waren LeiharbeiterInnen. 150 000 Menschen müssen einen Zweitjob annehmen, weil sie mit dem „normalen“ Verdienst von LeiharbeiterInnen von 7,30 € bis 8 € nicht klar kommen. LeiharbeiterInnen haben häufig wechselnde Arbeitsbedingungen und sind in den „Gast“betrieben weitgehend rechtlos.

 

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