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Länder

Minarett-Verbot in der Schweiz

Von Marco Feistmann | 01.01.2010

Am 29. November wurde in der Schweiz der Bau von Minaretten per Volksentscheid verboten. 1,5 Millionen Stimmberechtigte (57,5%) stimmten für dieses Anliegen. 1,1 Millionen widersetzten sich ihm. Die Stimmbeteiligung lag bei 53% und war somit relativ hoch.

Am 29. November wurde in der Schweiz der Bau von Minaretten per Volksentscheid verboten. 1,5 Millionen Stimmberechtigte (57,5%) stimmten für dieses Anliegen. 1,1 Millionen widersetzten sich ihm. Die Stimmbeteiligung lag bei 53% und war somit relativ hoch.

1,8  Millionen Ausländer­Innen (darunter zahlreiche MuslimInnen) waren von der Abstimmung ausgeschlossen. Das Schweizer Minarettverbot erntete bei rechten und rechtsradikalen Parteien in ganz Europa Applaus: „Aus der Schweiz kommt ein klares Zeichen: Ja zu Kirchtürmen, Nein zu Minaretten“, sagte der italienische Minister Roberto Calderoli von der Lega Nord. Die Schweiz habe (…) den politischen Islam in die Schranken gewiesen. Diese Meinung teilt Marine Le Pen vom französischen Front National. Von den österreichischen Rechtsparteien kommt ebenfalls Zustimmung. Martin Strutz, Generalsekretär der BZÖ-Partei des verstorbenen Kärtner Landeshauptmannes Jörg Haider, forderte auch für Österreich ein Bauverbot. Wie ist dieses erschreckende Abstimmungsergebnis zu erklären?
Fremdenfeindliche Islamophobie …
Praktizierende MuslimInnen verfügen in der Schweiz über etwa 150 meist bescheidene Gebetsräume („Hinterhofmoscheen“) und gerade mal über vier Moscheen mit Minaretten. Kein Muezzin ruft aus diesen Gebäuden öffentlich zum Gebet auf, obwohl das nach Auffassung der Initianten zwangsläufig auf den Bau von Minaretten folgt.

Kann da von einer „Machtentfaltung des Islam“ gesprochen werden, wie das die Befürworter des Minarettverbots behaupten1? Offensichtlich nicht. Wie bei anderen muslimfeindlichen Kampagnen, die in Zeiten des „Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus“ auf fruchtbaren Boden fallen, geht es beim Minarettverbot darum, die enormen Ängste und Verunsicherungen von breiten Schichten der Bevölkerung angesichts von Wirtschaftskrise und Sozialabbau auf einen „greifbaren Feind“ zu projizieren.

Das von Kreisen der bürgerlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der christlich-fundamentalistischen Eid­genössisch-Demokratischen Union (EDU) in die Wege geleitete Minarettverbot stigmatisiert Menschen, die in der Schweiz leben und arbeiten, und trägt zu ihrer gesellschaftlichen Diskriminierung bei.
… und soziale Spannungen
Können deswegen alle Ja-Stimmenden als Rassisten und als Leute abgetan werden, die die Abstimmungsfrage nicht verstanden haben, wie es regierungsnahe Kreise behaupten? Damit würden Hintergründe dieser Abstimmung verdunkelt.

Das Minarettverbot wurde in den metropolitanen Regionen, wo die meisten MuslimInnen leben, zum Teil deutlich abgelehnt. Es wurde in den „strukturschwachen“ ländlichen Gebieten und im Tessin massiv angenommen. Alle Grenzbezirke mit Ausnahme der Städte Basel und Genf stimmten für das Minarettverbot.

Das Beispiel des von Betriebsschließungen hart getroffenen Tessin, wo GrenzgängerInnen aus dem nahen (christlichen…) Norditalien zu Dumping-Lohnen angestellt werden, zeigt, dass die islamfeindliche Initiative vielen Menschen als Folie diente, um ihren Unmut angesichts von Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit zum Ausdruck zu bringen.

Für den metropolitanen Raum von Zürich kann festgestellt werden, dass „die Ja-Stimmenanteile tendenziell in den statushohen Gebieten (Städte Zürich und Winterthur, „Goldküste“) am niedrigsten [waren], am höchsten hingegen in den statusniedrigen (…) Gegenden (…) des Kantons“2.
Eine kapitalistische Erfolgsgeschichte
Die Schweiz ist entgegen weitverbreiteten Vorstellungen eines der am meisten internationalisierten und „weltoffenen“ und ökonomisch gesehen eines der imperialistischsten Länder der Welt. Sie bricht alle Rekorde beim Kapitalexport: Ihre Direktinvestitionen machen 149% des BIP aus, Schweizer Firmen lassen 2,4 Millionen Lohnabhängige in allen Kontinenten für sich arbeiten3. Drei Viertel der weltweit außerhalb des Ursprungslandes deponierten Gelder liegen auf Schweizer Banken. Fast ein Viertel der 4,2 Millionen Beschäftigten in der Schweiz sind AusländerInnen ohne politische Rechte und mit beschränkten sozialen Rechten.

Diese Konkurrenzvorteile verdankt die Schweizer Bourgeoisie einer großen politischen und sozialen Stabilität im Inland. Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 hat es keine wesentliche Änderung des politischen Regimes mehr gegeben. Die Sozialdemokratie (SP) und die Gewerkschaftsführungen ließen sich bald in ein verästeltes System der Klassenkollaboration einbinden. Seit 1959 hat sich die SP ununterbrochen an einer mehrheitlich bürgerlichen Regierung beteiligt.

Im wirtschaftlichen Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg benutzten die Kapitalisten ausländische ArbeiterInnen, um die Löhne unter Druck zu halten. Die Gewerkschaften setzten sich für Einschränkungen der Arbeitsimmigration ein, anstatt gemeinsam mit den ausländischen KollegInnen für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen aller zu kämpfen und der Konkurrenz unter den Lohnabhängigen, die der Kapitalismus immer wieder von Neuem hervorruft, zu entgegnen.

In den letzten Jahren boten SP und Gewerkschaftsführungen der Regierung und den Unternehmern die Hand bei der Einführung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU. Sie akzeptierten dabei die von der „Wirtschaft“ diktierte „Liberalisierung des Arbeitsmarktes“ und verzichteten darauf, wirksame Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping einzufordern und zu erkämpfen.
Angesichts der tiefen Integration der institutionellen Linken und der Gewerkschaften in das herrschende System haben Kräfte am rechten Rand des politischen Spektrums den sozialen Unmut von Teilen der arbeitenden Bevölkerung aufgegriffen und systematisch in eine fremdenfeindliche Richtung kanalisiert. Ulrich Schlüer, SVP-Abgeordneter und Gründer des „Egerkinger Komitees“, das die Initiative für ein Minarettverbot lanciert hat, war schon bei der ersten „Initiative gegen Überfremdung“ 1970 aktiv. Damals wollten er und seine Mitstreiter 300 000 AusländerInnen aus der Schweiz abschieben.
Sie riefen Arbeitskräfte, es kamen MuslimInnen
Heute leben 350 000 bis 400 000 Musliminnen und Muslime in der Schweiz, wovon etwa 10 bis 15% praktizierend sind. Die große Mehrheit von ihnen ist zwischen 1970 und 2000 aus der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz eingewandert, ein kleinerer Teil aus Afrika und aus Asien.

Die Schweizer Politik der Rekrutierung von Arbeitskräften spaltet die Lohnabhängigen. SchweizerInne, Niedergelassene, AufenthalterInnen, Papierlose usw. verfügen keine
swegs über „gleich lange Spieße“: „Heute entsteht ein System mit je nach bürgerlichen und sozialen Rechten unterschiedlich geschichteten Rechtsstellungen für Migranten: Oben befinden sich die Bürger aus EU-Ländern (…), dazwischen die Bürger aus Drittstaaten, unten die illegalen Migranten und schliesslich abgewiesene Asylsuchende, die mehrheitlich aus Entwicklungsländern stammen“4.
Die meisten Menschen mit muslimischem Hintergrund werden auf diese Weise diskriminiert und ausgegrenzt. Arbeitskräfte werden „reingeholt“, damit Profite erwirtschaftet werden. Sie sollen sich aber unterordnen und möglichst „unsichtbar“ bleiben. „Man stösst sich nicht am Kopftuch des weiblichen Raumpflegepersonals in den Büros: es löst erst Empörung aus, wenn es mit Stolz von Mädchen und jungen Frauen getragen wird, die in Ausbildung sind oder von Frauen, die der Kategorie der leitenden Angestellten angehören“5.
Schwäche der „Linken“

Während die fremdenfeindlichen Parteien durch eine aggressive Abstimmungskampagne mit Plakaten, in denen Minarette als bedrohliche Raketen dargestellt wurden, ihr Wählerpotenzial am 29. November voll mobilisieren konnten, blieb die Kampagne der bürgerlichen „Mitte“-Parteien und der Sozialdemokratie gegen das Minarettverbot äußerst schwach.

Die sozialdemokratische Außenministerin, Micheline Calmy-Rey, argumentierte zum Beispiel, bei Annahme des Minarettverbots werde die Schweiz ihren Einfluss bei der Weltbank und beim IWF verlieren. „Es sei unklug“, sagte Calmy-Rey, „unsere Partner mit einem Minarett-Verbot vor den Kopf zu stossen“. Auch wirtschaftlich könnte das Exportland Schweiz in Schwierigkeiten geraten, denn: „Die muslimischen Länder gehören ebenfalls zu unseren Kunden“6.

Zudem behaupteten auch diese selbsternannten VertreterInnen der aufgeklärten Vernunft, dass „der Islam“ ein „Problem“ darstellen würde. So forderten die sozialdemokratischen Frauen im Vorfeld der Abstimmung ein Verbot des Ganzkörperschleiers, der Burka, was zur antimuslimischen Stimmung beigetragen hat.

Die offizielle Schweiz hat den ultrarechten Islamophoben den Weg geebnet – durch jahrelangen sozialen Kahlschlag, durch Diskriminierung von MigrantInnen und durch eigenes Islambashing.
Gemeinsam für Gleichheit kämpfen
Die Antikapitalistische Linke hat sich gegen das Minarettverbot eingesetzt und sie hat sich an den Protestkundgebungen und Demonstrationen, die auf die Abstimmung vom 29. November gefolgt sind, aktiv beteiligt. Sie verteidigt das Recht von MuslimInnen, ihre Religion zu praktizieren und Minarette zu bauen. Sie kämpft für gleiche politische, ökonomische und soziale Rechte für alle Menschen, die in der Schweiz leben und arbeiten.

Ansätze dafür müssen auf der betrieblichen Ebene am Arbeitsplatz gefunden werden, wo Lohnabhängige gegen Entlassungen, für bessere Löhne und für gleiche Rechte kämpfen können.

1    Website des Initiativkomitees
2    statistik.info 12/09 (Statistisches Amt des Kanton Zürich)
3    Schweizerische Nationalbank, Direktinvestitionen 2008 (17.12.09)
4    Bundesamt für Statistik: Demos, 2/2006
5    Ligue de l’Enseignement, zit. in: Gilbert Achcar, Marxismus und Religion – einst und jetzt (im Internet)
6    Marianne Arens in: wsws.org

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