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Innenpolitik

Mein Leipzig lob ich mir

Von Korrespondent Leipzig | 01.06.2007

Nicht nur der G8-Gipfel findet dieses Jahr in der BRD statt. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft tagten am 24. und 25. Mai in Leipzig die europäischen Stadtentwicklungsminister – begleitet von Protesten. Gastgeber war Leipzigs ehemaliger Bürgermeister, der heutiger Bauminister Wolfgang Tiefensee. Tagungsort war unter anderem das historische Reichsgericht, in dem schon Carl von Ossietzky und Marinus van der Lubbe die Ehre hatten, verurteilt zu werden.

Nicht nur der G8-Gipfel findet dieses Jahr in der BRD statt. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft tagten am 24. und 25. Mai in Leipzig die europäischen Stadtentwicklungsminister – begleitet von Protesten. Gastgeber war Leipzigs ehemaliger Bürgermeister, der heutiger Bauminister Wolfgang Tiefensee. Tagungsort war unter anderem das historische Reichsgericht, in dem schon Carl von Ossietzky und Marinus van der Lubbe die Ehre hatten, verurteilt zu werden.

Um Produktivität zu demonstrieren und ihr eigentliches Handeln zu verschleiern, verabschiedeten die Minister unter anderem die von ihren SekretärInnen vorher ausgearbeitete „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“. In ihr ist von lauter schönen Dingen wie „kultureller Vielfalt“, „sozialer Balance“ und „Umweltqualität“ die Rede. Was allerdings in Wirklichkeit etwa unter der Verbesserung des „Gebäudebestand(s) benachteiligter Stadtquartiere“ zu verstehen ist, ist einzig die Steigerung von Mieteinnahmen und die Erhöhung der Immobilienwerte. Was für die bürgerlichen Minister „Integration“ bedeutet, lässt sich sehen, wenn private Sicherheitsdienste nicht zahlungsfähige Menschen aus dem Stadtbild entfernen. Nicht umsonst wird in der Charta positiv Bezug genommen auf die Lissabon-Strategie der EU, die zum Ziel hat, den Staatenbund zur Nummer Eins im imperialistischen Welt-Wettrennen zu machen. Letztlich handelt es sich bei der Leipzig-Charta um ein Musterbeispiel dafür, wie die kleine Minderheit der heutigen GesellschaftsinhaberInnen ihre Privatinteressen als Interessen der Gesamtgesellschaft verkauft.
Die reale Stadtentwicklungspolitik
Allerdings wird wohl kaum jemand dieses an sich wenig sagende Dokument ernsthaft gelesen haben, und so richtete sich der Protest gegen die Konferenz auch hauptsächlich gegen die real betriebene Stadtentwicklungspolitik, die bereits ausreichend Gründe für Unmut bietet. Beispielsweise sollen in Leipzig Sozialwohnungen abgerissen werden zwecks Platzbeschaffung für ein weiteres, noch gigantischeres Einkaufszentrum. Es mag unglaublich klingen, aber die Stadt, in der 80.000
Hartz-IV-EmpfängerInnen leben, die sich gezwungen fühlt, Stadtwerke und Verkehrsbetriebe zu verschleudern, leistet sich einen ca. 600 Millionen Euro teuren (Nahverkehrs)-Bahn-Tunnel unter der Innenstadt. Für ein Sozialticket für die 50.000 Langzeitarbeitslosen ist kein Geld übrig. Wohl aber für die 700 Kameras, die für eine für die ungehinderte Kapitalverwertung notwendige Atmosphäre sorgen. Auch reicht das Budget, um den Flughafen Leipzig/Halle zur Drehscheibe für die NATO auszubauen.
Stadtentwicklung als Kristallisationspunkt
Doch nicht nur in Leipzig, auch in anderen Städten werden linke Projekte kriminalisiert und angegriffen (siehe Kopenhagen, Berlin), werden Einrichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge „privatisiert“, wobei „Privatisierung“ jeweils nur die Profite betrifft, die Kosten werden weiterhin den Kommunen überlassen. Die Kommunal-und Stadtentwicklungspolitik ist der Kristallisationspunkt für viele Projekte der KapitaleignerInnen im täglichen Kampf um die Aufrechterhaltung der Durchschnittsprofitrate in Zeiten der permanenten Überproduktion.
Breites Protestbündnis
Die Breite und Schnelligkeit des eilig zusammengetrommelten Protest Bündnisses, das von lokalen linksradikalen Szene-Gruppen und alternativen Wohnprojekten über Sozialinitiativen bis zu überregionalen Organisationen wie Attac, SAV und RSB alles mit einbezog, ist nur eine angemessen Antwort auf die Schamlosigkeit der herrschenden Klasse, die glaubt, sich in der Geburtsstadt Karl Liebknechts alles erlauben zu können. Es stand schnell fest, eine Protestdemo muss, her um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auszunutzen. Ihr Motto sollte lauten: STADT FÜR ALLE! Gegen Privatisierung, Ausgrenzung und Überwachung!

Zu Redaktionsschluss war es leider noch nicht möglich, über Verlauf und Erfolg der Protestdemonstration  und die möglichen Auswirkungen der Anfang Mai angelaufenen Repressionswelle des bürgerlichen Staates gegen GlobalisierungskritkerInnen auf die Mobilisierung zu berichten. 

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