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Massive Proteste gegen Sparpolitik in London

Von Alan Thornett | 01.05.2011

Eine kämpferische halbe Million Menschen ging am 26. März in London auf die Straße gegen ein von der konservativ dominierten Regierungskoalition aufgelegtes Sparprogramm von 80 Mrd. £ (90 Mrd. €).

Eine kämpferische halbe Million Menschen ging am 26. März in London auf die Straße gegen ein von der konservativ dominierten Regierungskoalition aufgelegtes Sparprogramm von 80 Mrd. £ (90 Mrd. €).

Aufgerufen hierzu hatte der Trades Union Congress (TUC). Es war dies die größte Gewerkschaftsdemonstration in Großbritannien seit 30 Jahren – die Größte also seit den Massenprotesten gegen Margaret Thatcher’s Anti-Gewerkschafts-Gesetze zu Anfang der 1980er Jahre, als die Gewerkschaften noch doppelt so viele Mitglieder hatten wie heute.

Obwohl es sich um eine gewerkschaftliche Mobilisierung handelte – mit über 1 000 Gewerkschaftsflaggen – sah mensch auch eine beeindruckende Ansammlung von sozialen Initiativen gegen alle möglichen Einsparungen. So fanden sich unter den Demonstrierenden Initiativen zum Erhalt von öffentlichen Bibliotheken, Krankenhäusern, öffentlichem Dienst und Sozialleistungen, bis hin zu Aktivist­­Innen für die Rechte Behinderter und feministischen Gruppen. Letztere spiegeln wider, dass Frauen von den Einsparungen überproportional stark betroffen werden.

Es war dies auch ein Gegenschlag gegen eine rechte, brandschatzende, thatcheristische Regierungskoalition, die bestrebt ist, durch ein Bündel von sozialen Einschnitten und Privatisierungen das größte Sparprogramm seit den 1930er Jahren durchzusetzen, um die sozialstaatliche Nachkriegs-Epoche zu beenden und die Arbeiter­­Innenklasse für die Krise bezahlen zu lassen, die die Banken verursacht haben.

Es war eine massenhafte Antwort auf eine neue politische Periode – der kombinierten Krise der Ökonomie, Energieversorgung, Nahrungsmittelproduktion und Ökologie auf diesem Planeten. Großbritannien steckt in der tiefsten Krise aller großen, entwickelten kapitalistischen Länder und die Antwort der herrschenden Klasse ist, dass die arbeitende Klasse und die Ärmsten der Gesellschaft hierfür bezahlen.
Historischer Tiefstand
Jedoch rief der TUC nicht zur Demonstration auf als Teil einer entschlossenen Opposition gegen die Einschitte – weit gefehlt. Als die Gewerkschaften im September 2010 zur Demonstration aufriefen, war das das Mindeste, das der TUC, konfrontiert mit einem derartigen Kürzungsprogramm, tun konnte. Der Gewerkschaftskongress, der zu dieser Zeit stattfand, beschloss eine Resolution, die zu koordinierten Streiks gegen die Kürzungen aufrief – Streiks, die nie erklärt wurden. Hierzu wurde die Demonstration von der TUC-Führung als Alternative lanciert.

Als Ergebnis hiervon befindet sich die Zahl der Streiktage in Großbritannien auf einem katastrophalen historischen Tiefstand, denn die Gewerkschaftsbewegung leidet noch immer unter den Niederlagen der 1980er Jahre.
Hauptangriffsziel Öffentlicher Dienst
Die heutigen Kürzungen stellen die Gewerkschaftsbewegung vor die größte Herausforderung seit damals. Gleichzeitig ist der öffentliche Sektor, wo die Gewerkschaften ihre stärkste Basis haben, das Hauptziel der Angriffe mit einem Lohnstopp und einer halben Millionen zu streichenden Stellen. Die Beschäftigten des öffentlichen Sektors werden fälschlicherweise als überbezahlt und faul – mit fetten Pensionen – dargestellt. Das Kürzungsprogramm geht jedoch noch darüber hinaus und wird zu hunderttausenden Entlassungen im privaten Sektor führen – kombiniert mit großen Angriffen auf die Arbeitsbedingungen und die Rentenansprüche bei den Beschäftigten beider Bereiche.

Die katastrophale Antwort des größten Teils der Gewerkschaftsführungen auf all das wird noch übertroffen von der Untauglichkeit der Labour-Führung unter Ed Miliband, die durch den ideologischen Würgegriff von New Labour gehemmt wird, was sich wiederum in ihrer Programmatik widerspiegelt. Denn als die Labour Party im Amt war, setzte sie selbst Kürzungen und Privatisierungen durch. Diese Trägheit der Führungen von TUC und Labour überließ der heutigen Koalitionsregierung die Initiative in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit.

Selbst die Ereignisse zum Ende des letzten Jahres, eine inspirierende Revolte junger Menschen – Studierende, Schüler­­Innen und andere – die sich erhoben gegen die Erhöhung der Studiengebühren und die Einschnitte im höheren Bildungswesen, konnten den TUC nicht in Bewegung setzen, obwohl die Kämpfe gegen Kürzungen Auftrieb erhielten und Schwächen und Spaltungslinien innerhalb der Reihen der Regierung zum Vorschein treten ließen.
Streiks gefordert
Die massenhafte Antwort auf die Demonstration, die von der breiten Basis getragen war, forderte diese Trägheit jedoch offen heraus. Die Demonstration hat die Aktivist­­Innen inspiriert und erneut motiviert, von denen viele es nun als ihre Aufgabe ansehen, die Demonstration in eine Streikbewegung zu verwandeln. Einige der kleineren Gewerkschaften, besonders die Public and Commercial Services Union (PCS) rufen bereits zu einer koordinierten Aktion auf, insbesondere gegen die Rentenkürzungen.

Der PCS-Vertreter Mark Serwotka sagte am Ende der Demo: „Seht euch um in diesem Park. Stellt euch vor, was wäre, wenn wir nicht nur gemeinsam demonstrieren, sondern gemeinsam streiken würden.“ Auch Len McCluskey, der neue Generalsekretär der größten Gewerkschaft Unite bezog sich hierauf, als er sagte, diese Demonstration könne „nur der Anfang“ sein und alle dazu aufforderte, „den Kampf fortzusetzen, einschließlich koordinierter Streiks in der Industrie“. Die Gewerkschaften stehen nun vor der Aufgabe, hierauf aufzubauen und Streiks vorzubereiten.
Coalition of Resistance
Ein weiterer Erfolg der Demonstration ist, dass die Coalition of Resistance (CoR) als zentrale Kampagne gegen die Kürzungspolitik gegründet wurde. Zuvor hatte es drei nationale Koordinationen gegen die Kürzungen gegeben: die Recht auf Arbeit-Kampagne der Socialist Workers Party (SWP), das National Shop Stewards-Netzwerk der Socialist Party (SP) und die Coalition of Resistance, eine von Anfang an breite und pluralistische Initiative. Auf der Demonstration nun spielte CoR eine besondere Rolle. Es gab zwei politische Linien, die hervortraten. Die eine war die des TUC, die die Labour-Orientierung ihrer Führung widerspiegelt, die zu „weniger Kürzungen“ aufrief; die andere Linie wurde am deutlichsten von der CoR vertreten und lautete: „keine Kürzungen!“ CoR war damit die einzige landesweite Koordination, die auf der Demonstration präsent war. Sie produzierte eine große Anzahl von einfachen Plakaten, auf denen „No cuts“ gefordert wurde und die sehr gut ankamen und auf der gesamten Demo sichtbar waren. CoR verteilte auch 25 000 Flugblätter in Form von Zeitungen, um für
diesen Standpunkt zu werben. CoR stellte somit eine direkte und sichtbare Herausforderung gegenüber der Haltung des TUC dar, die es dann auch teilweise in die Medien schaffte.

Der Aufruf „keine Kürzungen“ der CoR war ebenso eine offene Herausforderung der Regierungslinie, die weder die Führung von Labour noch die von TUC zu revidieren bereit sind: Große Kürzungen seien unabwendbar wegen der Tiefe der Krise und der Höhe der britischen Staatsverschuldung. Dieser Standpunkt ist selbstverständlich Propaganda. Die Regierung ergreift die Gelegenheit und nutzt die Schulden als Anlass um Dinge zu tun, die längst in Planung waren.

Als ideologische Maßnahme funktionierte das jedoch, zumindest in gewissem Maße. Meinungsumfragen zeigen, dass es der Regierung gelungen ist, eine Mehrheit der Bevölkerung zu überzeugen, dass Kürzungen ein notwendiges Opfer angesichts der Krise sind. Dies wurde begünstigt durch den Mangel an Gegenstimmen sowohl von den großen Gewerkschaften als auch von Labour.

Eine weitere Initiative, die ebenfalls während der Demonstration eine Rolle gespielt hat war die Basisgruppe UK-uncut. Diese richtet sich gegen Steuerflucht des Großkapitals, welche in Großbritannien große Ausmaße angenommen hat, indem sie Läden von Großunternehmen besetzten, bei denen Steuerflucht stattfindet und dort ihre Aufrufe verbreiteten. Hiermit hatten sie einen weitaus größeren Erfolg als die anarchistischen Gruppen, die einfach Schaufensterscheiben von Geschäften und Banken einwarfen.

Die völlig unangemessene Polizeigewalt gegen UK-uncut, die einfach nur in Geschäftslokale gingen, Lieder sangen und gegen Steuerflucht argumentierten, zeigt den großen Hass der Staatsmacht ihnen gegenüber. Der Erfolg von CoR als ein Kampagnen-Rahmen gegen die die Kürzungen hatte auch einen Einfluss auf europäischer Ebene. Für den 1. Oktober ruft dieses Bündnis zu einer Konferenz auf, um die Kürzungspolitik in ganz Europa zu diskutieren. Hierzu sind Gewerkschaften und soziale Bewegungen vom ganzen Kontinent eingeladen.

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