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Länder

Lügen als Waffen

Von B. B. | 01.01.2010

Für den bürgerlichen Parlamentarismus geht es in der Debatte um das Kriegsverbrechen bei Kundus vor allem um die Stellung des Verteidigungsministers zu Guttenberg und um die Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr am Hindukusch. Uns geht es um die Verurteilung eines Kriegsverbrechens, den sofortigen Rückzug der deutschen Truppen und um die Auflösung der Bundeswehr.

Für den bürgerlichen Parlamentarismus geht es in der Debatte um das Kriegsverbrechen bei Kundus vor allem um die Stellung des Verteidigungsministers zu Guttenberg und um die Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr am Hindukusch. Uns geht es um die Verurteilung eines Kriegsverbrechens, den sofortigen Rückzug der deutschen Truppen und um die Auflösung der Bundeswehr.

Der Angriff von US-Bombern auf Befehl des deutschen Obersten Klein in der Nacht vom 3. auf den 4. September bei Kundus, die Ermordung von ca. 145 Zivilist­Innen, muss von sozialistischen Linken und den Verteidiger­Innen demokratischer Rechte als Kriegsverbrechen gewertet werden. Von der herrschenden Politik werden weiterhin Lügen über die Ereignisse verbreitet.
Lüge 1: Tankwagen als Ziel
Aus seinem eigenen Bericht vom 5.9.09 über das Massaker aus der Luft ergibt sich, dass Oberst Klein, damaliger Chef des Kommandos der deutschen Bundeswehreinheiten in der afghanischen Provinz Kundus – verharmlosend Provinz-Wiederaufbau-Team (PRT) genannt – den Befehl gab, die Ansammlung von Menschen bei den beiden entführten Tanklastwagen „durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten“.
Der Untersuchungsbericht vom 28.10.09 des obersten Kommandeurs der ISAF-Streitkräfte, General McChrystal, kommt bekanntlich bei der Bewertung von Oberst Kleins Einsatzbefehl zu dem Schluss: „Er hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge“. Das Bombardement war also kein Versehen, sondern Planung. Oberst Klein wollte die bei den Tankwagen vermuteten Taliban und deren Führung aus dem Distrikt Aliabad „vernichten“.

Verteidigungsminister zu Guttenberg blieb auch nach beiden Berichten von Oberst Klein und General McChrystal bei seiner Darstellung: „Was die Tanklaster angeht, so waren sie im Fall, dass sie flottgemacht worden wären, eine hohe Gefahr nicht nur für das deutsche Feldlager gewesen“1. Er schwätzte damit nur nach, was das Verteidigungsministerium vorgegeben hatte, wonach der Luftangriff hätte verhindern sollen, dass die Tanklaster zu rollenden Bomben umfunktioniert würden2. An dieser Mär knüpfen bürgerliche Medien und Bundeswehroffiziere nach wie vor an, wenn sie von der Bedrohung durch die Tanklastzüge als „rollende Bomben“ fabulieren3.
Dagegen spricht nicht nur, dass die Tanklaster festgefahren im Schlamm steckten. Auch hatte der ISAF-Regionalkommandeur in Nordafghanistan und Vorgesetzte von Oberst Klein, General Vollmer, am 4.9.09 berichtet, man sei an Ort und Stelle davon ausgegangen, dass die Tankwagen entleert würden und ihr Inhalt auf Pick-up-Fahrzeuge umgeladen würde, wovon der eine sich im Nachhinein als Traktor herausstellte.
Lüge 2: Bewaffnete Taliban
Die von den Medien genannten Zahlen der bei dem Massaker bei Kundus getöteten Menschen schwankten zunächst zwischen 17 und 142. Verteidigungsminister zu Guttenberg kam im SZ-Interview am 7.11.09 „persönlich“ zu dem Schluss, „dass es zivile Opfer gegeben hat“. Das hatte eine ISAF-Kommission bereits unmittelbar nach dem Bombenangriff festgestellt. Der ISAF-Bericht geht vage von 30 bis 40 getöteten Zivilist­Innen aus. Bis heute halten die Herrschenden daran fest, dass es sich überwiegend um tote „Taliban“ handele.
Die Süddeutsche Zeitung vom 12./13.12.09 beruft sich auf „Augenzeugen“, die berichteten, ca. fünf Stunden vor dem Bombenangriff hätten sich ca. 300 Menschen um die Tanklastzüge versammelt: „Taliban, Taliban-Sympathisanten und Unterstützer, ihre Familien und Dorfbewohner“. Darunter befanden sich lt. „Augenzeugen“ „80 Taliban-Kämpfer“, „von denen einige bewaffnet gewesen seien“. „Taliban“, die nicht bewaffnet sind, sind offensichtlich Zivilist­Innen. Der Stempel „Taliban“ musste allerdings nachträglich den toten Zivilist­Innen auf die verbrannte Stirn gedrückt werden, um das Kriegsverbrechen zu rechtfertigen.

Als weitere Lügen werden sich Behauptungen erweisen, wie „dem Luftschlag folgte eine Welle der Euphorie in der lokalen Bevölkerung“4.
Die Kriegsverbrecher sitzen in Berlin
Zu dem Einsatzbefehl ermuntert könnte sich Oberst Klein auch von dem neuen Verteidigungsminister zu Guttenberg gefühlt haben. Dieser hatte unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jung den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als „kriegsähnlichen Zustand“ bezeichnet und damit dem Offizierskorps aus dem Herzen gesprochen. Denn die Herren Offiziere reden vom „Krieg“ in Afghanistan, weil sie nicht nur Computersimulationen durchführen, sondern den Krieg auch ganz praktisch führen wollen. Das ist schließlich ihr Beruf. Insofern konnte Oberst Klein Herrn zu Guttenbergs schneidige Worte als Ermunterung und Rückendeckung, wenn nicht gar als Aufforderung verstehen. Letztendlich sind alle diejenigen Parteien für das Massaker mitverantwortlich, die den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geplant, beschlossen und organisiert haben, also SPD und Grüne, CDU/CSU und FDP, um „deutsche Interessen am Hindukusch zu verteidigen“, so der damalige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck.
Die Herrschenden im Streit
Das Massaker bei Kundus passt nicht in die neue Strategie der US-Streitkräfte in Afghanistan, die ihre Truppen verstärken, die afghanische Armee aufbauen und dann die ihnen feindlichen Teile der dort herrschenden Klassen kaufen wollen. Diesen US-Strategiewechsel, der seit ca. zwei Jahren gilt, hat die Bundeswehrspitze bisher nicht nachvollzogen; wird ihm aber folgen müssen. Daher kritisiert der Bericht des US-ISAF-Kommandeurs McChrystal den Einsatzbefehl des Obersten Klein, daher wurde der oberste Bundeswehrkommandeur Schneiderhan entlassen, der bis zuletzt Oberst Kleins Angriffsbefehl verteidigte. Auch in der Bundeswehr selbst gibt es Spannungen zwischen Offizieren, die Schneiderhans Linie folgen, und denen, die wie General Ramms auf die neue US-Strategie eingeschworen sind. Beim Lavieren zwischen diesen widersprüchlichen Interessen muss sich Verteidigungsminister zu Guttenberg selbst dauernd in Widersprüche verfangen, die er u. a. dadurch zu lösen sucht, dass er nach „Maulwürfen“ forschen lässt, die der Presse internes Material zuspielen.
Die parlamentarische Debatte
Der Bundestag hatte am 3.12.2009 die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) beschlossen. Die zusätzlichen Ausgaben werden dafür bis zum 13.12.2010 insgesamt 820,7 Mio. Euro betragen. Von den Abgeordneten der CDU/
CSU stimmten 229 dafür, 3 dagegen, 1 Enthaltung; bei der FDP 88 dafür, 2 dagegen; bei der SPD 121 dafür, 11 dagegen, 2 Enthaltungen; bei den Grünen 8 dafür, 19 dagegen, bei 40 Enthaltungen; bei der Linkspartei waren 70 Abgeordnete dagegen.

Nach der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses kam es am 16.12.2009 im Bundestag zu einer weiteren Debatte über den Luftangriff bei Kundus. Vor allem SPD und Grüne beteiligten sich. Die Bundesregierung ging auf die meisten Fragen unter Berufung auf die Pflicht zur Geheimhaltung und auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses erst gar nicht ein und versuchte, sich vor allem als Verteidigerin der deutschen Soldat­Innen in Afghanistan darzustellen.

Zwar wird der Untersuchungsausschuss noch manch wichtige Details zu dem Bombenangriff bei Kundus zutage fördern. Aber der parlamentarische Mechanismus läuft auf Verschleierung hinaus. Die Spitzen von SPD, Grüne und Linkspartei bekamen schon frühzeitig Informationen der Bundesregierung, die aber ebenfalls der Geheimhaltung unterliegen. SPD und Grüne zielen auf den Sturz zu Guttenbergs ab, um die angebliche Friedensmission in Afghanistan zu retten. Die Linkspartei tritt als einzige Bundestagspartei gegen den Krieg auf, macht aber nicht die imperialistischen Interessen der BRD zum Thema. Wie die Bundesregierung diese zu verteidigen gedenkt, deute die Rede von CDU-MdB Beck an (s. Kasten).
Neue Truppen nach Afghanistan?
Doppelt ärgerlich für die Herrschenden ist das Kriegsverbrechen in Afghanistan deshalb, weil es die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung stärkt, während sich die Bundesregierung gemäß der neuen US-Strategie verpflichtet sieht, mit der Afghanistan-Konferenz Ende Januar ein- bis dreitausend zusätzliche Bundeswehrsoldat­Innen nach Afghanistan zu schicken – als Schutztruppe für Warlords und Drogenbarone.
Aufgabe der demokratischen, linken und revolutionären Bewegung ist es, die Ablehnung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan in Massenaktionen wirksam werden zu lassen. Dazu ist eine bundesweite Demonstration in Berlin erforderlich!n

1    Süddeutsche Zeitung 7./8.11.09.
2    Süddeutsche Zeitung, 14.12.09.
3    Vgl. BILD 16.12.09, SZ 17.12.09.
4    Süddeutsche Zeitung 7./8.11.09.

 

„Mediale Hysterie“ und „schwere Waffen“
CDU und CSU gehen von einer „medialen Hysterie“ aus. „In der deutschen Öffentlichkeit (besteht) doch ein erheblicher Nachholbedarf bezüglich des Einsatzes militärischer Mittel. Was in anderen demokratischen Ländern unaufgeregt und sachlich bewertet wird, führt bei uns gleich zu einem politischen Erdbeben (…) Unsere Kommandeure vor Ort (…) müssen (…) auf der Basis der ihnen vorliegenden, mitunter unklaren Lageerkenntnisse entscheiden. (…) Dass dabei auch Fehler vorkommen, dürfte jedem einleuchten (…) Wer sich jetzt darüber aufregt, dass in einem kriegsähnlichen Umfeld auf Menschen geschossen wird, muss sich fragen lassen, in welcher Art von Realität er eigentlich lebt. (…) Die veränderte Sicherheitslage muss sich auch in der Ausrüstung der Truppe in Afghanistan niederschlagen. Deshalb rege ich an, Überlegungen zum Einsatz schwerer Waffen nicht mehr auszuweichen“ (CDU-MdB Ernst-Reinhard Beck, Oberst der Reserve, am 16. Dezember im Bundestag).

 

Die deutsche Presse lügt
Aus der Gegenüberstellung der beiden unten stehenden Berichte geht hervor, wie verlogen auch heute noch die deutsche Presse über die Opfer des Krieges in Afghanistan berichtet. Letztes Wochenende haben US-Soldaten in der Provinz Kunar im Osten Afghanistans 10 Zivilsten darunter 8 Schulkinder getötet. Der Provinzgouverneur von Kunar heißt Sayed Fazelullah Wahidi. Er bestätigt den Tod der Zivilsten. Aber die Deutsche Presse Agentur (dpa) schreibt das Gegenteil. Ein Vergleich mit dem Bericht von CNN.  Die gegensätzlichen Stellen sind hervorgehoben.
  „(…) Bei einem Luftangriff der Nato sind nach Angaben des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai im Osten des Landes mindestens zehn Zivilisten getötet worden. Unter den Opfern seien acht Schulkinder, hieß es in einer Erklärung des Präsidentenpalastes in Kabul am Montag weiter. (…) Dorfbewohner hatten zuvor berichtet, bei dem Luftangriff seien acht Zivilisten, allesamt Mitglieder einer Familie, getötet worden. Der Provinzgouverneur von Kunar, Sayed Fazelullah Wahidi, erklärte dagegen, nach ersten Erkenntnissen handele es sich bei den insgesamt elf Getöteten ausschließlich um Extremisten.
(Aus: dpa/ks, Afghanistan. Karsai – erneut tote Zivilisten bei Nato-Luftschlag, Montag, 28. Dezember 2009 20:02, http://www.morgenpost.de/politik/article1230173/Karsai-erneut-tote-Zivilisten-bei-Nato-Luftschlag.html)
Afghan official: 10 civilians killed in coalition
Kabul, Afghanistan (CNN) – U.S.-led forces in Afghanistan said Monday they are investigating reports that 10 Afghan civilians, including eight students, were killed Saturday in a coalition operation in the Narang district of Kunar province. (…) Said Fazelayallah, governor of Kunar province, told CNN Monday that 10 civilians were killed. Coalition forces said they killed their military targets, he said, but a delegation sent by the governor to investigate reported the civilian casualties. (…)“
(CNN‘s Atia Abawi and Journalist Matiullah Mati contributed to this report. http://www.cnn.com/2009/WORLD/asiapcf/12/28/afghanistan.deaths/index.html


M. Anwar Karimi

 

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