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Betrieb & Gewerkschaft

LokomotivführerInnen: Ein hochpolitischer Streik

Von B.B. | 01.09.2007

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Im Tarifkampf, den die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) führt, geht es um mehr als um höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Der Kampf hat sich zu einer politischen Auseinandersetzung um das Streikrecht in der BRD ausgeweitet. Wenn selbst der DGB-Vorsitzende Michael Sommer „Hände weg vom Streikrecht“ fordert, dann ist sogar der gemäßigtste aller gemäßigten Gewerkschaftsfunktionäre aus seiner sozialpartnerschaftlichen Ruhe aufgeschreckt.

Im Tarifkampf, den die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) führt, geht es um mehr als um höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Der Kampf hat sich zu einer politischen Auseinandersetzung um das Streikrecht in der BRD ausgeweitet.

Wenn selbst der DGB-Vorsitzende Michael Sommer „Hände weg vom Streikrecht“ fordert, dann ist sogar der gemäßigtste aller gemäßigten Gewerkschaftsfunktionäre aus seiner sozialpartnerschaftlichen Ruhe aufgeschreckt. Das Arbeitsgericht Nürnberg hatte auf Antrag der Railion Deutschland AG und der DB Fernverkehr AG mit einer einstweiligen Verfügung Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Güter- und Personenfernverkehr mit der Begründung verboten, dass schwere volkswirtschaftliche Schäden zu erwarten seien. Die Arbeitsgerichte in Düsseldorf und Mainz untersagten für den 9. und 10. Juli der GDL die Warnstreiks. Das Arbeitsgericht Chemnitz verbot der GDL Streiks im Regionalverkehr, da diese „unverhältnismäßig“ seien. Mit dem Nürnberger Urteil hätte zukünftig jeder Streik in der BRD verboten werden können. Diese Bedrohung schreckte selbst den DGB-Vorsitzenden auf. Der Widerspruch der GDL wurde in Nürnberg mit einem Vergleich beigelegt: Die Deutsche Bahn verzichtete auf Maßregelungen, die GDL verzichtet bis zum 27. August auf weitere Streiks. Beide setzen auf die Schlichtung des Konflikts. Die Gewerkschaftsbewegung sollte sich allerdings nichts vormachen. Diese Rechtsprechung zeigt, dass es der bürgerlichen Justiz an willfährigem Personal nicht fehlt, um eines der elementarsten Grundrechte der ArbeiterInnenklasse außer Kraft zu setzen.
Staat und Kapital
Die Urteilssprechung der Arbeitsgerichte in Düsseldorf, Chemnitz oder Nürnberg ist genauso wenig das Werk ein paar abgehobener RichterInnen, wie die Anrufung der Gerichte die Einzelleistung eines durchgeknallten Bahn-Managers Mehdorn ist. Insgesamt sechzehn Verfahren strengten verschiedene Unternehmen der DB gegen die GDL an. Hinter der Deutschen Bahn steckt der Bund als Eigentümer, hinter dem Bund die Regierung. Der Versuch das Streikrecht auszuhebeln geht damit auf die große Koalition von CDU/CSU und SPD zurück. Die Verantwortlichen für das Nürnberger Skandalurteil sitzen in Berlin auf der Regierungsbank.
Die Herren Hundt vom Arbeitgeberverband und Kannegießer von Gesamtmetall nahmen die Steilvorlage aus Berlin dankbar auf. Hundt möchte Streiks von „Spezialgewerkschaften“ wie der GDL verbieten lassen, wenn bereits ein Tarifvertrag existiert, der alle Beschäftigten erfasst. Kannegießer sieht Gefahren in einer „Aufspaltung des Gewerkschaftslagers“ und in einer sinkenden „Hemmschwelle, das Mittel des Streiks anzuwenden“. Er warnte vor „britischen Verhältnissen“. Die Kapitalvertreter, die dachten, sie könnten den Flächentarifvertrag durch Standortpolitik und gekaufte Betriebsräte ersetzen, bekommen während des Konjukturhochs Angst vor „Häuserkämpfen“, „wilden Streiks“ und „Splittergewerkschaften“.

Auch wenn solche Äußerungen wie einzelne Mosaiksteinchen noch kein Bild ergeben, so wird doch deutlich, dass es den KapitalvertreterInnen zum allgemeinen Angriff auf das Streikrecht nicht am nötigen Willen, sondern nur an der passenden politischen Situation fehlt.
GDL für „Moderation“
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer begrüßte den vor dem Nürnberger Arbeitsgericht getroffenen Vergleich. „Damit kann das Moderatorenverfahren in aller Ruhe durchgeführt werden“, so der GDL-Bundesvorsitzende Manfred Schell zur Schlichtung. Vielleicht rechnet sich ex-CDU-MdB Schell Einfluss auf die beiden „Moderatoren“ Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf aus: „Herr Geißler ist eine absolut integre Persönlichkeit und vor allem unparteiisch“. Wie „unparteiisch“ Geißler ist, wird sich vielleicht schon allzu bald herausstellen. In Wirklichkeit soll das versöhnende Schlichtungsverfahren mäßigend auf den Kampf der LokführerInnen wirken, womit deren Forderungen und Interessen drohen unter die Räder zu geraten. Anstatt gegen das Nürnberger Skandalurteil öffentlich mit Demon­strationen und Kundgebungen zu protestieren und die Streiks fortzusetzen, verzichtet die GDL darauf, ihr ökonomisches Gewicht in die klassenpolitische Waagschale zu werfen. Dabei handelt es sich nicht einmal um ein formelles Schlichtungsverfahren. Vielmehr verzichtete die GDL freiwillig auf weitere Streiks bis zur Beendigung der Moderation.
Die „Solidarität“ von TRANSNET
Die Gewerkschaft TRANSNET hatte nicht nur einen sehr „mäßigen“ Abschluss hingelegt (aufs Jahr umgerechnet real 2,8 % ). TRANSNET begrüßte auch eine Stellungnahme von ver.di zum Streik der LokführerInnen, worin der GDL eine „Zersplitterung der Bahnbeschäftigten“ vorgeworfen wird. „Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf eine gerechte Bezahlung; in einem großen Konzern kann aber keine Berufsgruppe besondere Privilegien für sich in Anspruch nehmen“, so der privilegierte TRANSNET-Vorsitzende Hansen. Bei der bloßen Stellungnahme blieb es aber nicht. Während die GDL in die Urabstimmung ging, sammelte TRANSNET zeitgleich in einer Kampagne in den DB-Betrieben 20 000 Unterschriften für ein angebliches „Votum für Solidarität“. In dem Votum sprachen sich die UnterzeichnerInnen gegen eine „Spaltung“ der Belegschaft aus, da dies die Gemeinschaft schwäche. Mit dem Ruf nach Solidarität auf den Lippen erwies sich die TRANSNET-Bürokratie um Hansen als Spalterin im Arbeitskampf.
Veraltete Branchengewerkschaften
Es war die Linke, die sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts für Industriegewerkschaften, d.h. für Branchengewerkschaften, einsetzte. Generell sind diese den Berufsgewerkschaften überlegen. Aber auch das Organisationsprinzip der Branchengewerkschaften passt nicht in die globalisierte Welt. Längst müsste es europaweit eine einzige einheitliche und Branchen übergreifende Gewerkschaft geben statt national, branchen- und berufsmäßig zersplitterte. Dem ist aber noch nicht so und die Gewerkschaftsbürokratie hat das geringste Interesse daran, dies zu ändern.
TRANSNET ist eine Branchen- und die GDL nur eine Berufsgewerkschaft, aber eine Gewerkschaft ist sie allemal. Den Beweis für ihre Streikfähigkeit, dafür, dass sie LokführerInnen auch im Kampf
organisiert, hat sie längst erbracht. Am 9. August standen für zwei Stunden alle Räder bei der S-Bahn Berlin GmbH still. Auch bei der S-Bahn Hamburg GmbH kam es zu erheblichen Störungen.

Doch während die Berufsgewerkschaft GDL hier und heute weitergehende Forderungen aufstellt (s. Kasten) und dafür gestreikt hat, hat die Führung der Branchengewerkschaft TRANSNET versucht, diesen Streik zu sabotieren und die Bahnbedien­steten gegen ihn aufzuhetzen. Das ist Streikbrechertum an der Seite der DB AG und nichts anderes!
Die Kritik an der GDL muss konkret sein, z.B. dass sie den Weg der Schlichtung eingeschlagen hat. Und wenn die GDL größtenteils nur LokführerInnen als Mitglieder hat, dann ist daran zu kritisieren, dass die GDL ohne das Begleitpersonal nicht in der Lage ist, fortschrittliche Kampfformen zu nutzen, wie z.B. alle Passagiere umsonst fahren zu lassen. Das würde einen Bahn-Streik in der Bevölkerung unglaublich populär machen. Aber auch TRANSNET ist meilenweit davon entfernt, solch fortschrittliche Methoden im Arbeitskampf anzuwenden.
Ein politischer Streik
Ein Streik bei der Bahn hat lähmende Auswirkungen auf die ganze Wirtschaft. Und wenn das DB-Management, der Staat, seine Regierung und Gerichte, die Unternehmerverbände, die DGB-Führung, verschiedene Einzelgewerkschaften und die GDL in einem Tarifkampf einbezogen sind, dann ist dies hochpolitischer offener Klassenkampf. Im bürgerlichen Staatsinteresse und dem der Kapitalverbände liegt es, eine Aufsplitterung der Gewerkschaftslandschaft und damit die Unberechenbarkeit von Arbeitskämpfen zu verhindern. Entsprechend führt die Deutsche Bahn die Auseinandersetzung. Hier trifft sie sich mit TRANSNET. Während es den KapitaleignerInnen um die Aufrechterhaltung ihrer Profitrate geht, geht es für die TRANSNET-Bürokratie und den DGB um die Aufrechterhaltung des eigenen Organisationsbereichs gegenüber einer konkurrierenden Gewerkschaft. Vor allem könnte das Beispiel der GDL Schule machen. Das soll unbedingt verhindert werden.

Und genau hier versagt die GDL-Leitung um Schell völlig: Sie führt die Lohnverhandlungen nur wie eine gewöhnliche Tarifaus­einandersetzung, nicht wie einen politischen Kampf. Sie sieht in den Parteienvertretern „Moderatoren“, wo hinter der Deutschen Bahn die Bundesregierung die Fäden zieht. Sie weicht zurück, wo Mehdorn und Konsorten zuschlagen. Ob TRANSNET oder GDL: Auch innerhalb der Bahngewerkschaften fehlen uns „französische Verhältnisse“.

 

Kapitalvertreter für Flächentarifverträge!
Arbeit„geber“präsident Hundt meint zum Lokführerstreik: Da bei der Bahn ein gültiger Tarifvertrag bereits existiere, sei der Flächentarifvertrag durch einen Arbeitskampf einer kleinen Gruppe von Beschäftigten „akut gefährdet“. Gegen einen gültigen Tarifvertrag darf nach Ansicht von Hundt aus Gründen der Tarifeinheit und der Friedenspflicht nicht gestreikt werden. Und Kannegießer von Gesamtmetall: „Die große Stärke der deutschen Industrie liegt bisher in den besonders vielfältigen ,Entwicklungs- und Wertschöpfungsketten` zwischen verschiedenen Unternehmen. Wer die Friedensfunktion des Flächentarifs gefährdet, setzt diese Stärke aufs Spiel“.

B.B.
Die Forderungen der GDL
  • •    Absenkung der Wochenarbeitszeit des Fahrpersonals von 41 auf 40 Stunden bei vollem Lohnausgleich;
  • •    Verbindliche tarifliche Regelungen eines Jahresruhetagesplanes für das Fahrpersonal;
  • •    Spürbare Verbesserungen der Schichtarbeitsbedingungen;
  • •    Verkürzung der ununterbrochenen Fahrzeit auf der Lokomotive von 5,30 Stunden auf 4,30 Stunden
  • •    Kräftige Lohnerhöhungen. Wenn alles zusammengerechnet wird, wären das 31 %.

Zur Erläuterung: Im Gegensatz z. B. zum Lastverkehr auf der Straße müssen bei LokführerInnen nicht 11 Stunden Ruhezeit zwischen zwei Schichten liegen, sondern nur 9 Stunden. In keinem vergleichbaren Land verdienen LokführerInnen so wenig wie in Deutschland. Zum Vergleich (beim Alter von 25 Jahren und 2 Jahren Berufserfahrung): Schweiz (bei maximalen Zulagen) 3 157, Frankreich 2 770, Spanien 2 650 Deutschland (hier wieder mit den maximalen Zulagen) ganze 1 588 Euro Gesamtnetto. Hinzu kommt, dass beispielsweise die KollegInnen in Frankreich 10 Jahre früher in Rente gehen als die LokführerInnen in Deutschland. Es ist ein absolutes Armutszeugnis der DGB-Gewerkschaften, dass sie der Hetze in den Medien („GDL will 31 % Lohnerhöhung“) nichts entgegensetzen und es ist ein Zeichen totaler moralischer Verkommenheit, wenn nicht auf den gewaltigen Nachholbedarf und das in absoluten Beträgen niedrige Einkommen hingewiesen wird, sondern auf Prozente. Damit braucht niemand dieser PolitikerInnen mehr auf die Frage zu antworten, wie mensch denn mit diesem Einkommen z. B. in München leben will. Das tun auch die wenigsten. Die meisten LokführerInnen wohnen deshalb sehr weit weg von den Großstädten, stehen morgens um 3 Uhr auf, fahren 100 und mehr Kilometer, um zur Arbeit zu kommen, haben unmögliche Schichtpläne, sind lange von zu Hause weg. Möchte Tiefensee für so wenig Geld einen so verantwortungsvollen Job leisten, wie dies die tausenden von LokführerInnen tun? Nein, aber er will die Bahn an die Börse bringen, und dafür braucht mensch billige Arbeitskraft, damit ordentliche Renditen zu erwarten sind.

D. B.

 

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