TEILEN
Innenpolitik

Linkspartei NRW: Vertrauensvotum für den bürgerlichen Staat?

Von Peter Berens | 01.01.2011

Die Zustimmung der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen zum Nachtragshaushalt der Landesregierung von SPD-Grünen hat in linken Medien eine heftige Debatte ausgelöst. Aber was ist eigentlich die „klassische“ marxistische Position zum kapitalistischen Staatshaushalt?

Die Zustimmung der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen zum Nachtragshaushalt der Landesregierung von SPD-Grünen hat in linken Medien eine heftige Debatte ausgelöst. Aber was ist eigentlich die „klassische“ marxistische Position zum kapitalistischen Staatshaushalt?

Mit der Verabschiedung des Nachtragshaushalts steigt der Landesetat NRW auf 56,18 Milliarden Euro, was die Nettoneuverschuldung von 6,6 auf 8,535 Milliarden Euro erhöht. Während bürgerliche Kommentare von der Zähmung der Linkspartei reden, lehnt die Kritik von links u. a. den Etatposten von 1,3 Mrd. Euro für die giftigen Risikopapiere der Westdeutschen Landesbank AG ab. Vor allem wurde kritisiert, dass zunächst der Landesrat der Linkspartei NRW einstimmig die Enthaltung bei der Abstimmung eingefordert hatte, dann aber sechs der elf Abgeordneten der Linkspartei dem Etat zustimmten. Die Spitze der NRW-Linkspartei verteidigte im Vorfeld der Abstimmung die beabsichtigte Enthaltung, weil ihre „roten Haltelinien“ (kein Sozialabbau, kein Stellenabbau im öffentlichen Dienst und keine Privatisierungspolitik) von der Landesregierung SPD-Grüne nicht überschritten worden seien, und entschuldigte im Nachhinein die Zustimmung der sechs Abgeordneten als „irrig“ (als ein Versehen).
Auffallend an der linken Debatte in- wie außerhalb der Linkspartei ist, dass niemand (auch niemand der 98 Delegierten des NRW-Landesrats) eine Fundamentalkritik an der Zustimmung zum Landeshaushalt äußerte. Denn nur von einem prinzipiellen Standpunkt aus lohnt sich die Auseinandersetzung, zumal die Diskussion in der Linkspartei im Jahr 2010 im Vergleich zu ihren Gründungsjahren verflacht ist.
Haushalts- statt Regie­rungs­frage
Einer der wichtigsten Streitpunkte zwischen der offiziell-marxistischen Mehrheit der SPD und dem Reformismus innerhalb der Sozialdemokratie ging vor 1914 um die Frage, wie sich die Partei gegenüber dem bürgerlichen Staat verhalten sollte. Diese Auseinandersetzung machte sich nicht wie bei den französischen Sozialist­­Innen an der Beteiligung an einer kapitalistischen Regierung fest, sondern an der Billigung des Staatshaushalts. Die Zustimmung zum Landeshaushalt durch die SPD in Baden wurde von vielen Parteitagen der SPD unter August Bebel verurteilt.

Die historische Debatte kann hier nur angerissen werden. Ihre Aufarbeitung scheint nicht nur angesichts der Zustimmung der Linkspartei NRW zum Nachtragshaushalt längst überfällig. Dort, wo die Linkspartei bereits an einer Landesregierung beteiligt war/ist, wurde diese wichtige Diskussion von der um die Regierungsfrage völlig überdeckt. Bei einer Aufarbeitung des „klassischen Standpunkts“ wären vor allem die Positionen von Kautsky, Bebel und Rosa Luxemburg zu berücksichtigen. Sie müsste um eine aktuelle Untersuchung der Funktion des Staatshaushalts in der neo­liberalen, kapitalistischen Gesellschaft ergänzt werden.
Rosa Luxemburg für Budgetverweigerung
Sicherlich kann die linke Positionierung zum heutigen Staatshaushalt nicht mit ein paar Zitaten von Rosa Luxemburg „erledigt“ werden. Sie vermitteln aber einen Eindruck von der grundsätzlichen Argumentation Rosa Luxemburgs zum Staatsbudget, die leider in der heutigen sozialistischen Bewegung weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Rosa Luxemburg trat der Auffassung entgegen, „daß die Budgetabstimmung eine Frage der Taktik und nicht des Prinzips sei und daß die Budgets der deutschen Einzelstaaten im Unterschied von dem des Reiches zum größten Teil nicht Militär-, sondern Kulturausgaben enthalten“1. Sie bestand auf der Position: „Tatsächlich verweigern wir dem Deutschen Reich die Mittel des steuerzahlenden Volkes nicht bloß deshalb, weil es ein Militärstaat, sondern vor allem, weil es ein bürgerlicher Klassenstaat ist. Letzteres bezieht sich aber in demselben Maße auf die deutschen Bundesstaaten“2.

„Seit der bürgerliche Parlamentarismus existiert, gilt die Bewilligung des Finanzgesetzes als ein Vertrauensvotum, die Ablehnung dagegen als Äußerung des Mißtrauens gegenüber dem Staate. Einer Regierung, mit der wir unzufrieden sind, bewilligen wir keine Existenzmittel […]“3.

„Die Sozialdemokratie zeichnet sich aber von den bürgerlichen Parteien gerade dadurch aus, daß sich ihre Opposition nicht bloß gegen diese oder jene, sondern gegen jede bürgerliche Regierung, weil gegen den Klassenstaat schlechthin richtet. Die Verweigerung der materiellen Mittel an diesen Staat kann für uns ebensowenig eine Frage der Zweckmäßigkeit sein wie der Kampf gegen die Klassenherrschaft der Bourgeoisie, wie unser Bestreben, das Lohnsystem zu beseitigen und den Sieg des Proletariats herbeizuführen. Es ist unser Wesen selbst als einer Partei des Klassenkampfes, das hier in Frage kommt, und von diesem Standpunkt aus besteht zwischen dem Budget des Reiches und dem der Einzelstaaten nicht der geringste Unterschied“4.
„Solange die Sozialdemokratie eine Minderheit im bürgerlichen Parlament bildet, hat ihr Votum in den meisten Fällen, speziell wo es sich um die Gesamtpolitik und den Bestand des Staates handelt, eine rein agitatorische Bedeutung. Dadurch, daß sie die unversöhnliche Haltung gegenüber der bürgerlichen Klassenherrschaft in entschiedener Weise zum Ausdruck bringt, ist die Budgetverweigerung für die Sozialdemokratie ein mächtiges Mittel, die Volkskreise über ihre parlamentarische Stellung aufzuklären. In der moralischen Wirkung auf das Volk liegt also die ausschlaggebende Bedeutung der sozialdemokratischen Budgetablehnung, diese behält sie aber nur, insofern sie eine ständige, eine grundsätzliche ist“5.
Vom Landesbudget zum 4. August 1914
Der Magdeburger Parteitag der SPD von 1910 nahm einen Antrag des linken Parteiflügels an, dass für den Fall einer erneuten Budgetbewilligung in Baden gegen die Mitglieder der SPD-Fraktion (in der Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung) ein Parteiausschlussverfahren eröffnet werde. Doch die badischen SPD-Abgeordneten um Ludwig Frank wurde nicht ausgeschlossen. Als es dann beim Ausbruch des 1. Weltkrieges um die Abstimmung der Kriegskredite im Reichstag ging, war es gerade Ludwig Frank, der „unter allen Umständen“ die Zustimmung der SPD-Abgeordneten durchzusetzen suchte und dafür die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten fraktionell organisierte. Bekanntlich befürwortete die SPD am 4. August 1914 die Kredite, die dem Deutschen Kaiserreich den Krieg ermöglichten. Nicht Rosa Luxemburg, sondern die Badener Reformist­­Innen hatten sich durchgesetzt. Die Entwicklung von der Bejahung des badischen Landes­etats zur Befürwortung der Kriegskredite zeigt die enorme politische Sprengkraft der Haushaltsfrage unter besonderen historischen Umständen, die u. a. die Spaltung der Arbeiter­­
Innenbewegung in SPD, USPD und KPD zur Folge hatte.
Parlamentarische Kombinationen
Das ist heute sicherlich nicht die Entwicklung der Linkspartei in NRW. Bedenklich ist allerdings, wenn für den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Landtag, Wolfgang Zimmermann, die (Haushalts-)Politik von SPD und Grünen „noch keinen grundlegenden Politikwechsel dar(stellt). Aber ich glaube nicht, dass es vermittelbar wäre, wenn wir nur deshalb diesen Nachtragshaushalt durchfallen lassen würden“. Die hier zum Ausdruck kommende Haltung, die auf parlamentarische Kombinationen setzt, ist meilenweit von der Position Rosa Luxemburgs entfernt. Eine Fundamentalopposition gibt es im Landesverband NRW, der als „links“ gilt, jedoch nicht, was auch daran liegt, dass die Linkspartei in ihrer Gesamtheit den Staat BRD nicht als Klassenstaat ansieht.n

1    Rosa Luxemburg, Die badische Budgetabstimmung,  in: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke 1893 – 1905, Bd. 1|2, Berlin 1974, S. 77.
2    Rosa Luxemburg, Die badische Budgetabstimmung,  in: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke 1893 – 1905, Bd. 1|2, Berlin 1974, S. 79 f. Alle Hervorhebungen von R. L.
3    Ebenda, S. 79.
4    Ebd., S. 79.
5    Ebd., S. 84.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite