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Kultur

Liedermacher Bernd Köhler

01.09.2004

Bernd Köhler lebt und arbeitet als Grafiker in Mannheim. In den 70er und 80er Jahren wurde er durch zahlreiche Veröffentlichungen aber noch mehr durch seine engagierten Auftritte als politischer Liedermacher bundesweit bekannt.

Bernd Köhler lebt und arbeitet als Grafiker in Mannheim. In den 70er und 80er Jahren wurde er durch zahlreiche Veröffentlichungen aber noch mehr durch seine engagierten Auftritte als politischer Liedermacher bundesweit bekannt.

Avanti: Bernd, Du hast im letzten Jahr nach langer Pause wieder ein politisches Musikprojekt begonnen – mit dem „Alstom-Chor“. Was hat Dich dazu motiviert?

Bernd: Das mit der Pause ist ja nicht ganz korrekt. Politische Musikprojekte gab es auch nachdem ich den „Liedermacher“ an den berühmten Nagel gehängt hatte. Das war Anfang der 90er Jahre. Es folgte eine experimentelle Phase mit unterschiedlichen Musikern zu ebenso unterschiedlichen Themen. Heraus kam z.B. eine Vertonung des Celan-Textes: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ oder Auftritte bei Solikonzerten für Mumia Abu Jamal, gegen den Nato-Krieg in Jugoslawien usw. Heraus kam auch eine Formation mit Namen „das kleine elektronische Weltorchester“, kurz „ewo2“, wo wir auch den Versuch unternehmen, historisch-politische Lieder mit neuen elektronischen Musikformen zu verbinden. Richtig ist, dass ich mit dem kleinen „Alstom-Chor“ zu meinen Wurzeln zurückgekehrt bin: Mit Betroffenen gemeinsam musikalische oder künstlerische Projekte zu machen. Motiviert dazu hat mich die Art und Weise wie der Arbeitskampf bei Alstom geführt wurde – initiiert aber haben das die KollegInnen selbst, die auf der Rückfahrt von einer Demo in Paris die Idee entwickelten, „wir brauchen ein Lied zur Unterstützung unserer Aktionen“ und dann den Kontakt mit mir aufnahmen.

Avanti: Du hast mit „unsre Chance: Résistance“ das Lied zum Kampf der AlstomkollegInnen geschrieben. Wie bist Du auf den Text gekommen?

Bernd: Zunächst hatte ich den Arbeitskampf mit Interesse in der Presse verfolgt, der Verlauf der Ereignisse war mir bekannt. Nach meiner Zusage gab es dann ein erstes Treffen im Besprechungszimmer des Betriebsrats, das dann auch unser Probenraum werden sollte. Außerdem besuchte ich Veranstaltungen, wo über die Zukunft des Konzerns diskutiert wurde, habe mir spezielle Aussagen, Formulierungen, Losungen notiert, mich einfach kundig gemacht bis sich das im Kopf zu Zeilen und Melodien zu verdichten begann… z.B. diese Sache mit dem Wechselgesang-Refrain: Mir war von Anfang an klar, dass das Lied eine Mitsingpassage braucht, die einfach zu merken und eindeutig in der Aussage ist. Von der Stimmung her, vielleicht ein bisschen französisch, nicht nur, weil es um einen französischen Konzern ging, sondern weil mich die Art des Kampfes, die Spontaneität und die Courage eher an französische, denn an deutsche Tugenden erinnerte. Die Resonanz beim ersten Vortrag hat mir gezeigt, dass ich den Ton getroffen hatte. Inhaltlich gab es einige Korrekturen – aber das Lied war fertig.

Avanti: Welche Bedeutung hat das Lied für die Auseinandersetzung bei Alstom gehabt?

Bernd: Schwer zu sagen. Das können die Leute dort sicher besser einschätzen. Ein Lied kann keinen Arbeitskampf führen, kann das persönliche Engagement nicht ersetzen, aber ein gutes Lied kann Entwicklungen fördern, kann Bewegungen zusammenführen. Ein Lied, gemeinsam in einer besonderen Situation gesungen – das kann prägend sein für ein ganzes Leben. In der politischen Arbeit wird das viel zu oft unterschätzt. „Kommando stur“ lockt doch niemanden mehr hinter dem Ofen hervor – unsere Vision von einem besseren Leben ist doch auch eine von Lebenslust und Phantasie, das muss erlebbar gemacht werden. Musik kann da viel leisten.
Ich glaube, am meisten Bedeutung aber hatte das Lied für diejenigen, die an der Entstehung direkt beteiligt waren. Mir ging es ja manchmal selbst so, dass ich auf der Fahrt zu einer Probe in der Mittagspause gedacht habe, warum tust du dir das nur an. Dann kamen die Kolleginnen und Kollegen dazu, öfter auch etwas abgenervt – aber nach einer Stunde Proben, Singen, Gequatsche und Lachen waren wir alle wieder gut drauf. Das haben alle bestätigt, dass ihnen diese Erfahrung echt was gebracht hat, sie für die gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb neu motiviert hat. „Est bien“, würde der Franzose sagen.

Avanti: Ihr habt nicht nur das Lied auf CD aufgenommen, sondern mittlerweile mehrere öffentliche Auftritte gehabt. Wie kam das bei den Leuten an?

Bernd: Die Menschen sehen, da machen Leute wie wir Musik für uns, über Themen, die uns bewegen. Schon das ist etwas Besonderes. Musik oder Kunst auf gleicher Augenhöhe sozusagen. Klar – alles hat seinen Stellenwert. Vortragskunst wie Oper, Punkbands und auch ein Sänger, wie der Euro-Contest-Max. Was wäre die Kultur ohne diese Vielfalt. Aber in diese Palette gehört unbedingt und unabdingbar, dass die Leute auch die Möglichkeit haben, vom Nur-Zuhörer zum Akteur zu werden. Das ist wie in der Politik. WissenschaftlerInnen, gute RednerInnen, gewiefte AnalytikerInnen – alles paletti – aber alles nichts wert, wenn es nicht auch darauf hinausläuft, Emanzipation und Eigenaktivität zu fördern. Da muss mensch nicht SozialistIn sein, aufrechte/r DemokratIn genügt schon, um das zu verstehen.
Das schönste Beispiel dafür, wie das Lied angenommen wurde, war unser Auftritt beim betrieblichen Aktionstag am 6. Dezember. Zum ersten Mal wurde der Song auf CD und live vorgestellt. Zwischen den Infoständen bauten wir uns immer wieder mal auf, um mit dem Lied einzuheizen – und jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, sah ich grinsende neue Gesichter im SängerInnen-Haufen. KollegInnen, Vertrauensleute aus anderen Betrieben, ein Textblatt in der Hand, die einfach auch mal dabei sein wollten und das unter den Bedingungen eben auch konnten.

Avanti: Der „Alstom-Chor“ hat sein Repertoire mittlerweile erweitert. Wie ist die Auswahl zustande gekommen?

Bernd: Mit der CD wurde der Song auch über die Ortsgrenzen hinaus bekannt. Eines Tages lief beim Betriebsrat ein Mail von Reinhard Frankl, einem GEW-Kollegen aus Aschaffenburg, ein. Der hatte unseren Text ins Fränkische übersetzt bzw. überarbeitet und nicht nur das, er hatte auch gleich einen eigenen Text – im fränkischen Dialekt zwar, aber dennoch verständlich – mitgeschickt. Thema: „30 Stunden wären auch schon genug“ – als offensive Antwort auf die Versuche der Unternehmer die 35-Stundenwoche wieder zurückzudrehen. Das kam gut an und passte auch zur Situation bei Alstom. Ich habe diesen Text dann ins Mannheimerische übertragen, auch ein wenig umgeschrieben – so ist es jetzt auch unser Lied geworden. Die Melodie stammt von Jonny Cash, – „60 Tons“, ein Lied über die Bergarbeiterstreiks in den USA. Helmut Hoffmann, unser Mann am Akkordeon hat dem Song gleich so einen Swing-Drive gegeben, dass alle automatisch mit den Fingern geschnippt haben. Helmut ist übrigens auch kein „Alstomer“, sondern Betriebsrat in einem anderen Mannheimer Unternehmen – du siehst, der „Alstom
-Chor“ ist schon auch eine grenzüberschreitende Angelegenheit.
Am Ungewöhnlichsten bisher war unsere Bearbeitung des gewerkschaftlichen Traditionsliedes „Brüder zur Sonne zur Freiheit“, dem wir für den Auftritt auf der Kundgebung zum 1. Mai, eine Rap-Phrase vor- und nachgestellt haben, „damit das Ganze mal Leben bekommt“. Das war nicht meine Idee – sondern ist als Joke während der Probe entstanden und wurde schnell für interessant befunden, zumindest so interessant, dass man es öffentlich mal ausprobiert. Ein anderes Lied ist „…ausgesperrt“, eine Ballade, die ich in der Zeit des Kampfes um die 35-Stundenwoche geschrieben habe – und die, bitter aber wahr, Wort für Wort noch aktuell ist!

Avanti: Was hast Du mit dem „Alstom-Chor“ in der näheren Zukunft vor?

Bernd: Ich würde die Frage lieber umdrehen, denn entscheidend ist, was der Chor weiter machen will. Der Chor ist ein offenes Projekt, das betrifft die wechselnde Beteiligung und auch die Perspektive. Geprobt wird, wenn was ansteht. Ich finde das ganz in Ordnung so. Durchorganisiert sind wir doch schon genug. In der Gewerkschaft, bei der Arbeit, in Parteien, Organisationen, in der Freizeit, für die Familie usw. – da sollte so was wie Kultur machen nicht zum Pflichtprogramm verkommen. So wie die Idee mit dem Lied aufkam, werden sich neue Aufgaben oder Anforderungen stellen oder auch mal eine Zeit lang nichts – die Beteiligten werden sich schon melden, wenn wieder was ansteht…

Avanti: Ist der „Alstom-Chor“ in der gegenwärtigen Situation der Bundesrepublik dazu verdammt, ein relativ isoliertes Projekt zu bleiben, oder ist er Vorläufer für eine Wiederbelebung des politischen Liedes der ArbeiterInnenbewegung?

Bernd: Ein Aufschwung sozialer Bewegungen wird auch eine Kunst und Kultur hervorbringen, die diesen Prozess begleitet. Das war historisch immer so. Das heißt, wenn sich im Lande nix rührt, wird der Alstom-Chor in der Tat ein isoliertes Projekt bleiben. Der Kampf um die 35-Stundenwoche vor 20 Jahren hat gezeigt, was in diesem Land möglich ist und wie viel kulturelle Pflänzchen plötzlich zu wachsen und zu blühen beginnen, wenn mit den postulierten gewerkschaftlichen Ansprüchen mal ernst gemacht wird. Klar, es wäre höchste Zeit – von daher ist das Lied vielleicht doch so was wie ein Zeichen an Völker, endlich die Signale zu hören…

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