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Länder

Leserbriefe zur Beilage Ukraine, Avanti 220

Von Leserbriefe | 22.05.2014

Zwei Leserbriefe erreichten die Redaktion per Email, die sich auf die Artikel und Stellungnahmen zur Ukraine in der Beilage von Avanti 220 beziehen. Wir veröffentlichen sie hier ungekürzt.

Zwei Leserbriefe erreichten die Redaktion per Email, die sich auf die Artikel und Stellungnahmen zur Ukraine in der Beilage von Avanti 220 beziehen. Wir veröffentlichen sie hier ungekürzt.

Liebe GenossInnen,

Ich muss nicht zu jedem Thema etwas Qualifiziertes sagen müssen, wenn ich eben nichts zu sagen habe. Aber dann ist es eben besser zu schweigen, oder ihr druckt vielleicht einfach mal „gute“ Papiere von anderen ab, auch wenn sie dummerweise aus der LINKEN kommen, etwa von Andrej Hunko, Gregor Gysi oder Wolfgang Gehrcke…

Aber diese (schon längst von den Ereignissen) überholten, nichts sagenden Artikel in Avanti 220 – voll mit Plattitüden wie: „Wir hoffen, dass die ukrainische Bevölkerung blablabla“ (S. IV, letzter Absatz, Erklärung zur Ukraine) – könnt ihr euch wirklich sparen. Ich finde das peinlich und erwarte von einer marxistischen Zeitschrift da wirklich mehr „Analyse“ und „Gehalt“!!

Mit solidarischen Grüßen

M. W., Haslach i.K., Avanti-Abonnent mit Sympathien für die IV. Internationale, 4. April 2014

PS: Ich schicke euch zum Thema ein Papier der LINKEN in der nächsten Mail…


Zur Ukraine
Die Ukraine ist wirtschaftlich und sprachlich ein uneinheitliches Land, was auch nicht mit schönen Beschreibungen nach dem Motto „Einheit durch Vielfalt“ verniedlicht werden kann. Die Westukraine tendierte in den letzten 150 Jahren mehr zum westlichen Teil Europas, während der Osten und Süden mehr zu einer ausgeprägten Nähe zu Russland, bzw. der früheren Sowjetunion tendierte. Dies liegt wesentlich an der überwiegenden russisch-sprachigen Bevölkerung und ihren tiefen verwandtschaftlichen, kulturellen Bindungen und ökonomischen Beziehungen zu Russland. Es darf auch nicht vergessen werden, dass der Nazi- Terror im Osten der Ukraine besonders wütete und dort die heftigsten militärischen Schlachten auf dem Boden der Ukraine stattfanden. Die Furcht vor dem Faschismus sitzt dort besonders tief – und nicht ohne bittersten Grund.

Im Unterschied zur Westukraine befindet sich die industrielle Basis im Osten des Landes, die im Vergleich zur EU schwache industrielle Wirtschaft ist eng verbunden mit der russischen Ökonomie, und es ist nicht übertrieben, wenn gesagt wird, dass die ukrainische Wirtschaft ganz wesentlich durch indirekte Subventionen (Energiepreise) durch Russland gestützt wurde.

Auf den Zusammenbruch der Sowjetunion und in den verbündeten ehemaligen RGW-Staaten folgte eine brutale Bereicherung ehemaliger Angehöriger der Bürokratie bzw. Nomenklatura am bisherigen Staats- und Volkseigentum auf Kosten der ArbeiterInnenklasse in allen Sektoren der Wirtschaft. Der immense Reichtum heutiger Oligarchen fußt nicht auf persönlicher Arbeit oder Cleverness, sondern auf „legalisiertem“ Betrug am Staatseigentum und Gewalt. Teile der herrschenden Bürokratie wechselten die Hemden – aus vorgeblichen Marxisten-Leninisten wurden fast über Nacht Kapitalisten ohne jeden Skrupel. Unter dem russischen Präsidenten Jelzin gab es einen Ausverkauf verbliebener ökonomischer Werte wie Ramsch und eine Auslieferung der ArbeiterInnenklasse an die neuen Damen und Herren der Marktwirtschaft. Die orientierungslose Klasse der Lohnabhängigen stand dieser Periode fast wehrlos gegenüber. Diese klassenpolitische Lage ist der lange Schatten des Stalinismus. Fast wie in feudalen Gesellschaften hängen die Lohnabhängigen mit ihren Hoffnungen an den Gnaden und Interessen heutiger Oligarchen.

Im Kapitalismus wird nicht danach gefragt woher die Milliarden der herrschenden Cliquen stammen, die sind im Club der „feinen Gesellschaft“ und ihrer Regierungen willkommen. Insofern verfolgen die EU und die USA in der post-sowjetischen Ära eine intensive Politik zur ökonomischen und geopolitischen Durchdringung Osteuropas, was mit Partnerschaftsabkommen bemäntelt wird. Das einzige Hindernis dabei ist Russland, welches seinen Einfluss nicht ohne Gegenwehr aufgeben will. Wir dürfen dabei nicht übersehen, dass der militärische Arm des transatlantischen Kapitalismus, die Nato, eine aggressive permanente Umzingelung Russlands betreibt. In diesem Zusammenhang ist die Sensibilität der russischen Regierung und Führung verständlich. Die Claims des Weltmarktes werden immer neu abgesteckt, mal mit zivilen Mitteln, mal mit militärischen – letzten Endes entscheidet darüber das Risiko-Niveau.

Die herrschende Klasse in der Ukraine hat in den vergangen 15 Jahren gegenüber der EU einen regelrechten Zick-Zack-Kurs von Annäherung und Distanzierung gefahren. Als nun der ukrainische Präsident Janukowytsch im November 2013 vom Assoziierungsabkommen mit der EU zurückruderte, kam es in Teilen der Bevölkerung zu Protesten dagegen. Angeblich kam die Weigerung Janukowytschs auf Druck Russlands zustande. Russland bot der Ukraine eine Zollunion an, die für die Ukraine wirtschaftlich bessere Bedingungen gehabt hätte als ein Freihandelsabkommen mit der EU. Ein Freihandelsabkommen unter wirtschaftlich so ungleichen Partnern wie der EU und der Ukraine hätte die Lage der ArbeiterInnenklasse zusätzlich verschärft. Auch wenn die Motive für den rückläufigen Kurs der ukrainischen Regierung nicht aus mitmenschlichen Erwägungen resultierten, wurde damit eine noch größere Verschlechterung
der Lebensverhältnisse vorerst ausgebremst. Nun entwickelte sich ein äußerst facettenreicher Protest dagegen – die Maidan-Bewegung.

Es mag sich dabei anfänglich um eine Protestbewegung gegen soziale und demokratische Missstände gehandelt haben. Fakt ist, dass sehr rasch die Maidan-Bewegung von reaktionären und faschistischen Kräften in ihrer Richtung dominiert wurde. Organisationen der revolutionären Linken spielten dabei, wenn überhaupt, nur eine äußerst marginale Rolle. EU und USA zögerten keine Sekunde, diese Proteste anzuheizen und zu unterstützen. Von Beginn warfen sich die EU-Vertreter dem letzten politischen Pack vom Maidan an die Brust. Wochenlang prasselte z. B. die einseitige Berichterstattung der westlichen „freien und unabhängigen“ Medien auf die Menschen in der BRD, und dennoch kam keine Stimmung in der Bevölkerung für ein noch aggressiveres Verhalten gegenüber Russland auf. Russland wurde schnell wieder zum Hort des Bösen erklärt und der Rechtsputsch gegen die ukrainische Regierung wurde als völlig legitim erklärt. Angesichts des realen Charakters der Maidan-Bewegung mit ihren offen faschistischen, antirussischen Banden ist es nur sinnvoll und zu begrüßen, dass auf der Krim ein Referendum über die Loslösung von der Ukraine durchgeführt wurde. Das Ergebnis davon war mehr als eindeutig und verständlich; es gibt gegenwärtig keine bessere Legitimation.

Die revolutionäre Linke sollte nicht so tun, als ob die kleinste Nischenexistenz ihrer Organisationen irgendeine bedeutsame Rolle gespielt hätte oder könnte. Es sieht diesbezüglich in der Ukraine noch trüber aus als bei uns. Die Erklärung vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale zur Ukraine liest sich wie Konglomerat aus „Sowohl, als auch und außerdem“. Es gibt auch bei diesem Konflikt für die bundesdeutsche revolutionäre Linke nur eine Haltung: gegen die aggressive Politik von EU, USA und Nato anzutreten. Wo möglich und angebracht solidarisch mit der ukrainischen revolutionären Linken, und ansonsten gilt hier wohl eher das Prinzip Hoffnung.

Paul Brandt, 13. April 2014

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