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Betrieb & Gewerkschaft

Leserbrief: Bahntarifrunde – Seltsame Rechnung

Von Manfred Arens | 01.06.2003

Seit Jahren lese ich die Avanti und mit besonderem Interesse die Artikel unter der Rubrik Betrieb und Gewerkschaft. Meist sind Eure Bewertungen des Ausgangs von Tarifrunden nachvollziehbar. […]

Seit Jahren lese ich die Avanti und mit besonderem Interesse die Artikel unter der Rubrik Betrieb und Gewerkschaft. Meist sind Eure Bewertungen des Ausgangs von Tarifrunden nachvollziehbar. […]

Verwundert hat mich aber eure Einschätzung der letzten Bahntarifrunde, vor allem aus zwei Gründen. Erstens komme ich beim Rechnen auf ein anderes Ergebnis. Rechne ich alles zusammen – die Einmalzahlungen dieses Jahr belaufen sich auf unter 2% und die 3,2% gibt es erst ab 1.5.2004 – dann liegt der Abschluss tabellenwirksam bei nur wenig über 1%, also doch beträchtlich unterhalb von dem, was die Kollegen bräuchten und wofür sie auch demonstriert haben. Die Stimmung (und zum Teil jedenfalls auch die Erwartung) war jedenfalls bei der Berliner Demo eine ganz andere. Auch die Laufzeit entspricht den Interessen des Bahnvorstands und des Gewerkschaftsvorstands. Beide wollen nicht so oft Tarifrunden durchstehen müssen. Dabei ist gerade das eine ganz wichtige Gelegenheit, innerbetrieblich Kraft zu entwickeln und auch zu verspüren, um so der tagtäglichen Vereinzelung entgegenzuwirken. Ich meine also nicht, dass das ein vertretbarer "Kompromiss" war, wie ihr schreibt. Haben die Kollegen wirklich ihre Kampfkraft in die Waagschale werfen können? Und haben sie diesem angeblichen "Kompromiss" zugestimmt? Ich meine nein!

Zweitens ist eure Bewertung der GDL [Gewerkschaft Deutscher Lokführer] zu einseitig und schematisch. Ganz klar kommt die GDL aus einem ständischen Zusammenhang und manches Verhalten ihres Vorstands zeugt noch heute davon. Insoweit habt ihr Recht.

Aber eine Gewerkschaft muss man an den Taten messen. Schon im Herbst hatte sie sich als kämpferischer erwiesen und so überhaupt Neuverhandlungen erzwungen. Nicht umsonst sind 1500 bis 2000 Kollegen zur GDL übergewechselt.

Dass der Vorstand der GDL dann im Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung aus Angst vor Schadensersatzansprüchen recht schnell eingeknickt ist und nur einen Zusatz zum bestehenden [Transnet-]Tarifvertrag für die eigene Berufsgruppe ausgehandelt hat, der jetzt kaum besser ist, als der Hansen-Abschluss, ist nicht so sehr verwunderlich. Schließlich ist die GDL keine klassenkämpferische Organisation. Aber ihre Interessenvertretungspolitik ist wenigstens ansatzweise etwas konsequenter als die von Transnet und weniger an die SPD angebunden. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, die KollegInnen im gesamten Bahnbereich zu mobilisieren und wirklich die Räder stillstehen zu lassen. Das hätte gezeigt, welch ungeheure Durchsetzungskraft durch einen Streik entwickelt werden kann.

Strategisch stellt sich für konsequente Gewerkschafter sicher die Frage: Wie kann man sowohl auf gewerkschaftliche Einheit hinwirken, wie auch gleichzeitig die fortschrittlichen Kollegen in einer klassenkämpferischen Tendenz sammeln. Für dieses Sammeln ist natürlich Klarheit die absolute Voraussetzung. Und da kann eine konsequent kämpfende GDL mehr beitragen als ein Nachlaufen hinter der Transnet-Führung, denn diese wird mit ihrer Politik (ähnlich wie die anderen Gewerkschaftsführungen) nur die Enttäuschung und Demoralisierung fördern. Schließlich hat sich die GDL nicht von der Transnet abgespalten und nach rechts entwickelt, sondern kommt vom Beamtendenken her und entwickelt heute de facto mehr authentische Gewerkschaftspositionen als Bahn-Aufsichtsrat Hansen und seine übrige Bürokratenclique.

Habt ihr nicht – meines Erachtens vollkommen zu Recht – seinerzeit auch den konsequenten Kampf der Cockpit-Kollegen unterstützt, obwohl auch das eine "ständische" Organisation ist, bzw. war? Der vergleichsweise entschlossene Kampf der Cockpit-Kollegen jedenfalls hat nicht die ver-di Kolllegen demoralisiert und ihnen den Eindruck der Spaltung vermittelt. Es war vielmehr ein Ansporn, selbst mehr zu verlangen. Vor allem aber hatte es damals gezeigt: Nur wer wirklich Druck ausübt kann etwas erreichen. Bisher hat die GDL sich noch nicht wirklich getraut und sie sucht auch noch nicht die Verbindung zu anderen Kollegen. Aber wenn die GDL in die Fußstapfen von Cockpit tritt (bzw. treten sollte), dann sollte man sie nicht als Spalter beschimpfen, sondern den Kampf konsequent unterstützen.

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