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Kuba vor großen Herausforderungen: Was bringen die Wirtschaftsreformen der kubanischen Bevölkerung?

Von Claudio Reiser | 01.01.2011

Am 18. Dezember hielt der kubanische Präsident Raul Castro eine Rede vor der Nationalversammlung Kubas und schwor die kubanische Bevölkerung auf die Wirtschaftsreformen ein. Er sprach dabei von einer „notwendigen Berichtigung und Aktualisierung des sozialistischen ökonomischen kubanischen Modells“.

Am 18. Dezember hielt der kubanische Präsident Raul Castro eine Rede vor der Nationalversammlung Kubas und schwor die kubanische Bevölkerung auf die Wirtschaftsreformen ein. Er sprach dabei von einer „notwendigen Berichtigung und Aktualisierung des sozialistischen ökonomischen kubanischen Modells“.

Er kündigte dabei den immer wieder verschobenen VI. Parteitag der kubanischen KP (Partido Comunista Cubana, PCC) an. Der letzte Parteitag liegt schon dreizehn Jahre zurück, der VI. Parteitag soll jetzt vom 16. bis zum 18. April 2011 stattfinden. Das Datum ist bewusst gewählt, es ist der 50. Jahrestag des Sieges über den Imperialismus anlässlich der Invasion in der „Schweinebucht“ (Kuba wehrte erfolgreich eine US-gesteuerte Intervention in der Playa Giron ab) und der Proklamation des sozialistischen Kubas.
Raul Castro erklärte in seiner Rede, alle geplanten Maßnahmen sollen „den Sozialismus in Kuba erhalten, stärken und verbessern“. Seiner Meinung nach verwechseln „viele Kubaner­Innen Sozialismus mit Unentgeltlichkeit und Beihilfen und Gleichheit mit Egalitarismus“.
Wirtschaftsreformen bestimmen die Diskussion
Seitdem Raul Castro am 1. August 2010 in der Nationalversammlung die Beschlüsse des Ministerrats, überflüssiges Personal in den Staatsbetrieben abzubauen, „als wichtige Entscheidungen, die einen strukturellen und konzeptionellen Wandel bedeuten“, ankündigte, ist eine rege Diskussion im Gange. Die konkrete Umsetzung dieser „Aktualisierung des kubanischen Wirtschaftsmodells“ begann dann mit der Ankündigung des kubanischen Gewerkschaftsverbandes (Central de Trabajadores de Cuba, CTC) am 14. September 2010, bis März des kommenden Jahres im staatlichen Sektor insgesamt 500 000 Arbeitsplätze zu streichen. Die CTC rechtfertigte diese Maßnahmen damit, „die Produktivität und die Qualität der Dienstleistungen zu erhöhen, die enormen Sozialausgaben zu senken sowie ungerechtfertigte Gratisleistungen zu streichen und verschwenderische Subventionen zu streichen“.

Nach Meinung Raul Castros ist jeder vierte von den 4,25 Millionen Beschäftigten, die vom Staat bezahlt werden (80 % der erwerbstätigen Bevölkerung Kubas) überflüssig. Die 500 000 Stellenstreichungen in diesem Sektor scheinen also nur die erste Stufe der „Reform“ zu sein.

Nachdem Kuba in den Jahren 2000 bis 2007 eine wirtschaftliche Erholung verzeichnet hatte – vor allem auch aufgrund der Unterstützung durch Venezuela und insgesamt durch die Möglichkeiten der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit anderen lateinamerikanischen Staaten innerhalb des Staatenbündnisses ALBA – brachte das Jahr 2008 einen starken Rückschlag. In diesem Jahr wurde Kuba von der weltweiten Wirtschaftskrise erfasst, und drei Wirbelstürme verwüsteten die Insel, die Folgen sind noch heute zu spüren. Das kubanische Wirtschaftsinstitut (Centro de Estudios sobre la Economia Cubana, CEC) benennt zusätzlich einige der Ursachen für die Verschärfung der Wirtschaftskrise: Da ist zum einen die Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Verfall des Weltmarktpreises für Nickel, die Verteuerung der Energie- und Nahrungsmittelimporte), aber auch interne strukturelle Probleme auf Kuba, wie Schwächen und Ungleichgewichte in der Planung und die extrem niedrige Produktivität in den staatlichen Agrarbetrieben, welche Kuba dazu zwingt, mehr als zwei Drittel der benötigten Lebensmittel zu importieren. Ein weiteres Problem sei das doppelte Währungssystem mit einem schwachen kubanischen Peso und einer starken konvertierbaren Währung (der konvertierbare Peso).

Deshalb hat Raul Castro seit seiner Amtsübernahme immer wieder auf die Notwendigkeit „struktureller Reformen“ hingewiesen. Diese Reformen, die einhergehen mit der Verurteilung des „Egalitarismus“, führten bereits in einigen Fällen zur Einschränkung für manche Teile der kubanischen Bevölkerung: So wurden Kantinen in Staatsbetrieben geschlossen, Stipendien und die Zahl der Studierenden an Unis reduziert. Das Rentenalter wurde um fünf Jahre angehoben, was in einem eklatanten Widerspruch zur angekündigten Stellenstreichung in den Staatsbetrieben steht, und es wird laut darüber nachgedacht das Bezugsscheinheft für Lebensmittel (libreta) abzuschaffen.
Bei großen Teilen der Bevölkerung haben diese Ankündigungen bzw. Überlegungen Unruhe ausgelöst. Noch dazu die Erklärung der CTC, welche die Reform „unter Leitung der Partei“ umsetzen soll: „Es wird ab jetzt nicht mehr möglich sein, entlassene Arbeiter zu schützen oder ihnen ein unbefristetes Einkommen zu garantieren“. Denjenigen, deren Stelle in Staatsbetrieben gestrichen wird, bietet man an, sich in anderen Bereichen, die auch staatlich sind, wo aber Personalmangel herrscht, einen neuen Job zu suchen, zum Beispiel in der Landwirtschaft, im Bauwesen und in der Industrie, oder die neuen Möglichkeiten der Selbstständigkeit zu nutzen, die noch weiter ausgeweitet werden sollen.

Viele in Kuba zweifeln daran, dass die Folgen der geplanten Massenentlassungen auf diese Weise eingedämmt werden können.
Wie wird diskutiert?
Es gibt seit Jahren eine Debatte über die strategische Entwicklung Kubas und den Stellenwert der sozialen Errungenschaften in dieser Entwicklung. Innerhalb der Regierung kann man grob drei Positionen unterscheiden:

Die Staatsführung, die für Reformen eintritt und „Egalitarismus“ für eines der Grundübel im kubanischen Sozialismus hält. Hier ist es sicher nicht ohne Bedeutung, dass inzwischen ehemalige Armeefunktionäre zahlreiche Posten besetzen und die Armee in ihren Betrieben schon seit Jahren als Vorreiter in Sachen Effizienzsteigerung gilt. Sie beklagen zunehmend die geringe Motivation der Arbeiter­Innen. Gegen die niedrige Arbeitsproduktivität und die „Ineffizienz“ des kubanischen Systems äußern sich Offiziere, die Fabriken leiten, in der Weise, dass Kuba sich nach dem Vorbild Vietnams oder Chinas entwickeln müsse.

Eine zweite Position wird im Wesentlichen von Funktionären der PCC und einigen Verwaltungsbeamten vertreten. Sie wollen am liebsten nichts ändern, da sie Angst haben, dass ein nicht mehr kontrollierbarer Prozess in Gang gesetzt wird.

Eine weitere Position wird von Intellektuellen, Studenten, PCC-Aktivisten und Künstlern vertreten. Sie fordern vor allem mehr Demokratie in den politischen Institutionen, in den Betrieben und in der Gesellschaft. Ein Teil von ihnen sieht durch die verstärkte Einführung von Marktmechanismen und die Öffnung zu mehr ausländischen Direktinvestitionen die Gefahr von „mehr Kapitalismus“ in Kuba. Diesen Standpunkt vertreten sie trotz der Zusicherungen des kubanischen Präsidenten, der betonte
hatte, es gehe um eine Stärkung und Verbesserung des kubanischen Sozialismus. Was Kuba ihrer Ansicht nach dagegen benötige, ist ein Weg der Kollektivierung und der demokratischen Transformation der Ökonomie und der Politik.

Der bevorstehende Parteitag wird eine große Bedeutung für die weitere Entwicklung in Kuba haben. Zentrales Thema dort wird die ökonomische Situation des Landes sein. Die politische und ökonomische Kommission der Partei hat dazu Thesen vorgelegt. Sie sind in einem 32 Seiten umfassenden Dokument enthalten, auf das an dieser Stelle zurückkommen werden.

Raul Castro verband die Präsentation des Dokuments vor der kubanischen Nationalversammlung mit der Aufforderung an alle Führungsgremien, aus den begangenen „Irrtümern und Fehlern der letzten 50 Jahre“ zu lernen. Dieses Papier soll bis Ende Februar 2011 in den Massenorganisationen diskutiert werden.

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