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Betrieb & Gewerkschaft

Klimawandel macht hungrig

Von Thadeus Pato | 01.05.2008

Bei dem Thema „Gesundheit und Klimawandel“ fällt den meisten spontan allenfalls die Gefahr der Malariaausbreitung nach Europa (wegen der steigenden Durchschnittstemperaturen) oder die steigende Zahl der Hitzetoten wegen der immer häufiger auftretenden Extremwetterereignisse ein. Aber was ist eine basale Grundlage für Gesundheit? Eine ausreichende Ernährung. Unter- oder fehlernährte Menschen sind abwehrgeschwächt und krankheitsanfällig: Hunger macht krank, und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernährungslage in den Ländern des Südens sind bereits jetzt dramatisch.

Bei dem Thema „Gesundheit und Klimawandel“ fällt den meisten spontan allenfalls die Gefahr der Malariaausbreitung nach Europa (wegen der steigenden Durchschnittstemperaturen) oder die steigende Zahl der Hitzetoten wegen der immer häufiger auftretenden Extremwetterereignisse ein. Aber was ist eine basale Grundlage für Gesundheit? Eine ausreichende Ernährung. Unter- oder fehlernährte Menschen sind abwehrgeschwächt und krankheitsanfällig: Hunger macht krank, und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernährungslage in den Ländern des Südens sind bereits jetzt dramatisch.

Zwar gibt es (noch) keinen objektiven Mangel an Reis und Weizen, aber die Preise sind drastisch angestiegen. Wie die FAZ am 12.4. meldete, hat sich amerikanischer Reis seit dem Sommer 2007 bei den hochwertigen Sorten um mehr als 100 Prozent verteuert. Dabei ist derzeit die Produktion noch in etwa ausreichend. Das Landwirtschaftsministerium in Washington (USDA) hat kürzlich einen neuen Bericht veröffentlicht, in dem es die Weltproduktion 2007/08 auf den Rekord von 425,3 Millionen Tonnen (Basis Mühlenreis) schätzt, verglichen mit 420,6 Millionen Tonnen in der vergangenen Saison. Der Verbrauch soll von 420,9 Millionen Tonnen auf 424,3 Millionen Tonnen zunehmen. Auch dies wäre ein neuer Höchststand.
Massive Preissteigerungen
Die FAZ hat zwar Beruhigendes zu melden: „Bei Weizen ist nach den zurückliegenden Preissprüngen seit Ende Februar eine deutliche Entspannung eingetreten. Hier stand über Monate hinweg vor allem der in Minneapolis gehandelte hocheiweißhaltige Mühlenweizen im Vordergrund. Seit dem Sommer 2007 hatten sich die Preise in der Spitze mehr als verdreifacht, bevor der Umschwung einsetzte. Vorübergehend hat er rund die Hälfte des vorausgegangenen Anstiegs wieder zunichte gemacht. Dies lässt sich unter anderem damit erklären, dass kurzfristig agierende Spekulanten ausgestiegen sind beziehungsweise zu Zwangsliquidationen von Kaufengagements gezwungen wurden.“ Aber das bedeutet immer noch, dass eine Preissteigerung von 150 % bestehen bleibt. Und das ist für Länder, in denen die Einkünfte der Masse der Bevölkerung gerade zum nackten Überleben ausreichen, eine Katastrophe.

Der Schweizer Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, sagte es ebenso offen wie eindeutig: Der Anbau von Pflanzen zur Produktion von sogenanntem Biosprit ist „Verbrechen gegen die Menschheit“. Denn es gibt drei Gründe, die wesentlich für den derzeitigen Boom der Preise für Grundnahrungsmittel verantwortlich sind:
Zum einen der großflächige Anbau von Pflanzen für die Erzeugung von Treibstoff. Diese Flächen werden, da letzteres lukrativer ist, der Produktion von Nahrungsmitteln für den lokalen Markt entzogen. Die Bundesrepublik in Gestalt des ehemaligen VW-Lobbyisten und jetzigen Umweltministers Gabriel ist hier an vorderster Front dabei: Wider besseren Wissens preist Gabriel den „Biosprit“ als Lösung für umweltfreundlichen Transport an und bedient dabei die Interessen der Automobilindustrie. Die will um jeden Preis, und sei es um den des Klimawandels, vermeiden, dass sich die schlichte Erkenntnis durchsetzt, dass die Autogesellschaft am Ende ist. Und so lässt jeder Liter Biosprit, der hier und anderswo durch die Zapfsäulen läuft, irgendwo auf der Welt jemanden hungrig zurück – oder verhungernd, denn es wurden vom Welternährungsprogramm bereits Millionen von Hungertoten prognostiziert. Damit die Staus auf deutschen Autobahnen weiter wachsen können, werden überall Flächen, auf denen bisher Grundnahrungsmittel zur lokalen und regionalen Versorgung produziert wurden, umgewidmet und Mono- und Plantagenkulturen ersetzen die Diversität. Und da, wo zusätzlich Flächen geschaffen werden, wird der Regenwald abgeholzt oder abgebrannt – mit den entsprechenden Folgen für das Weltklima.

Zum zweiten die Politik des Internationalen Währungsfonds, der die verschuldeten Länder dazu zwingt, für den Export, statt für die lokalen Bedürfnisse zu produzieren – um mit den erwirtschafteten Devisen die Schulden tilgen zu können. Mit den gleichen Folgen: So wird Plantagenwirtschaft mit Kakao und Kaffee und aber auch Zuckerrohr und Mais für die Spritproduktion, statt für Grundnahrungsmittel für die eigene Bevölkerung gefördert und wie gesagt großflächig der Regenwald abgeholzt, um Fläche zu gewinnen. Der Druck von IWF und Weltbank zwingt bei ihnen verschuldete Länder (und wer ist das inzwischen nicht?) dazu, Devisen zu erwirtschaften, um Zinsen und Tilgung zahlen zu können – und das geht nur über den Export.

Zum dritten die unmittelbaren Folgen des Klimawandels selbst: Die ansteigende Zahl extremer Wetterereignisse in verschiedenen Teilen der Welt hat regional in den letzten Jahren wiederholt zur Vernichtung ganzer Saisonernten geführt.
Diese dramatischen Auswirkungen des Klimawandels sind perverserweise zu einem erheblichen Teil also eine direkte Folge von Entscheidungen, die seitens der Herrschenden in den industriell entwickelten Ländern als das Gegenteil, nämlich als Maßnahmen zum Klimaschutz, verkauft werden. Hinter dem Alarm, der betreffend die drohende Hungerkatastrophe jetzt geschlagen wird, steht die simple Tatsache, dass als direkte Folge der Nahrungsmittelverteuerung und/oder –knappheit ganze Länder und Regionen politisch instabil werden. Und deshalb wird derzeit mit dem Klingelbeutel umhergegangen, um durch Hilfslieferungen das Schlimmste zu verhindern, nämlich den Aufstand der Hungernden. Ansonsten wären ja die schönen Geschäfte in Gefahr, die das traute Dreierbündnis zwischen der Agrarindustrie, der Automobilbranche und ihren HelfershelferInnen in der Politik meinten so clever eingefädelt zu haben. Die einen wie Herr Gabriel machen den Umweltapostel, und die beiden anderen verdienen daran*. Dass die dramatische Lage des Weltklimas nichts weniger erfordern würde als eine sofortige und radikale Abwendung vom Individualverkehr, also ein Ende der Autogesellschaft (neben vielen anderen Maßnahmen) ist dabei den Agierenden in diesem Schmierenstück vollkommen klar. Aber ihnen ist ebenso klar, dass eine derartige Überlegung die herrschende Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern würde: Wo kämen wir hin, wenn die Frage, was wozu wie produziert wird, und für wen, nicht nach den heiligen Gesetzen des freien Marktes, sondern danach entschieden würde, welche Auswirkungen es auf die Lebensumwelt des Menschen hat, auf das Klima, oder, allgemeiner gesagt, welchen gesellschaftlichen Nutzen oder Schaden es stiftet. Und das nicht für ein einzelnes Land, sondern für den ganzen Globus?
Monokulturen?< /span>
Im jüngsten Weltagrarbericht, der am 15.4. veröffentlicht wurde, übten die über 400 beteiligten Wissenschaftler­Innen heftige Kritik an der derzeitigen Agrarpolitik und ihren Folgen. Ihr Statement ist ein klares Plädoyer gegen die herrschende, auf großflächige Monokulturen setzende Agrarindustrie. Sie treten für eine diversifizierte, auf Biodünger und traditionelle Pflanzensorten setzende, auf regionaler Vermarktung basierende Landwirtschaft ein. Auch ihre Analysen belegen, dass die Verknappung bestimmter Grundnahrungsmittel und die resultierende Explosion der Lebensmittelpreise zu einem großen Teil auf die Produktion von Agrarsprit zurückzuführen ist.

Der deutsche Schriftsteller Erich Kästner schrieb einmal einen Liedtext mit dem Titel: „Hunger ist heilbar“. Das mag stimmen, aber mit marktwirtschaftlichen Methoden ist er es nicht.


*    Und auch am Hunger und seinen Folgen wird dann wieder gut verdient: Die Pharmaindustrie an der Behandlung der Mangelerkrankungen und Sekundärfolgen, bestimmte Länder wiederum an dem Verkauf ihrer Getreideüberschüsse an die entsprechenden Hilfsorganisationen. Die USA zum Beispiel beobachten seit Jahrzehnten systematisch in bestimmten Gebieten wie dem Südsudan per Flugzeug- und Satellitenbeobachtung die Ernteaussichten und melden das an die heimischen Farmer, die dann an der Getreidebörse die entsprechenden Termingeschäfte tätigen können.

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