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Betrieb & Gewerkschaft

Ja zu den Gewerkschaften! Nein zu ihrer nationalistischen Politik!

Von B. B. | 01.11.2011

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben einen Aufruf „Ja zu Europa! Ja zum Euro!“ veröffentlicht, in dem sie für die „Zustimmung zum Rettungsschirm EFSF“ werben. Der Aufruf, der sich an die Bundestagsabgeordneten vor deren Abstimmung am 29. September richtete, geht von einer durch und durch nationalistischen Haltung aus.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben einen Aufruf „Ja zu Europa! Ja zum Euro!“ veröffentlicht, in dem sie für die „Zustimmung zum Rettungsschirm EFSF“ werben. Der Aufruf, der sich an die Bundestagsabgeordneten vor deren Abstimmung am 29. September richtete, geht von einer durch und durch nationalistischen Haltung aus.

Mit dem Aufruf bestätigte sich wieder einmal, dass eine „Große Koalition“ aus CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Unternehmerverbänden die Grundzüge der Politik bestimmt – ihr Juniorpartner ist der Deutsche Gewerkschaftsbund.

Der Aufruf der DGB-Führung sorgt sich um „Griechenland“, den „Euro“, „das gemeinsame europäische Projekt“, die „Währungsunion“, die „Europäische Integration“ und die „Zukunft“. Das sind für den DGB feste Koordinaten in einem politischen Weltbild, das nicht hinterfragt werden möchte. Bedroht wird es durch den „Zerfall der gemeinsamen Währung“ und durch die „Spekulanten“, die „Wohlstand und Beschäftigung“ gefährden. Während sich die Proteste an der Wall Street zu einer Bewegung ausweiten, während auf Veranstaltungen quer durch die Republik das kapitalistische System rauf und runter analysiert und kritisiert wird, während selbst die bürgerliche Presse die Auswüchse des „Kapitalismus“ an den Pranger stellt, hält die DGB-Führung Schildwache an seinem Sterbebett. Der DGB-Führung ist nicht etwa die Krise des Kapitalismus einfach nur entgangen. Sie gehört vielmehr zu den Letzten, die diese Krise bewusst leugnen. In der Weltwirtschaftskrise tritt die Gewerkschaftsführung als „Stabilitätsfaktor“ auf.
Die Forderungen des DGB
Nicht besser als um seine Analyse steht es um die Forderungen des DGB-Aufrufs: soziale Weiterentwicklung Europas, mehr Demokratie, Wirtschafts- und Finanzregulierung der Finanzmärkte, Tarifautonomie, Wachstumsförderung, die „Beschäftigung sichert und den Euro stabilisiert“. Auf dem Markt der Allgemeinplätze ist gerade Schlussverkauf.

Auch der DGB-Führung dürfte bekannt sein, dass die Kahlschlagprogramme, mit denen die Lohnabhängigen in Griechenland, Portugal, Irland, Island, Italien, Spanien und anderswo gepeinigt werden, dem Kahlschlag der sozialen Leistungen und nicht ihrer Weiterentwicklung dienen, dass dort die Spardiktate durch EU-Kommission und IWF die „Demokratie“ aushebeln und die Tarifautonomie gleich mit, dass die Wirtschafts- und Finanzregulierung den Banken zugutekommt, dass die Wachstumsförderung dem Kapital dient und dass die „Stabilisierung des Euro“ Massenentlassungen bedeutet. Aber der DGB handelt getreu seiner Standortlogik. Weil Deutschland andere Länder in der EU niederkonkurriert und damit in der Weltwirtschaftskrise zu den Gewinnern zählt, lautet die verborgene Überschrift des DGB-Aufrufs „Heiliger St. Florian, verschon` mein Haus, zünd` andere an“!

Geradezu beschämend für jedes Gewerkschaftsmitglied ist das Signal an die Bundestagsabgeordneten, dass die DGB-Führung durchaus mit Ausgabenkürzungen und sozialen Einschnitten einverstanden ist, wenn nicht „nur darüber“ die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden. Dass auch Vermögende, hohe Einkommen und Kapitaleinkünfte zur Bewältigung der Krise einen deutlich höheren Beitrag leisten sollen – während die Lohnabhängigen einen niedrigeren Beitrag zu zahlen haben –, bestätigt nur den gewerkschaftlichen Verzichtskurs. Wird also Sarkozys Reichensteuer von Merkel übernommen, dann findet sich die DGB-Führung mit jedem Kahlschlagprogramm ab.
Die Wahl der Mittel
Welche Mittel will der DGB gegen die drohenden Gefahren einsetzen? Streiks, Demonstrationen, Protestkundgebungen? Keine! Die DGB-Bürokratie will nicht selbst aktiv werden, sondern vertraut auf die europäischen Regierungen und die EU-Kommission. Und wenn die deutschen Gewerkschaften im Unterschied zu denen in vielen anderen EU-Ländern auf den offenen Klassenkampf verzichten, dann müssen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ran. Dazu brauchen sie nicht viel. Sie müssen „vor allem eine mutige Politik“ machen. Die bürokratische Hoffnung auf den bürgerlichen Parlamentarismus ist empörend, belegt doch die Geschichte, dass gerade die deutsche Bourgeoisie und ihre parlamentarische Vertretung zu den feigsten, rückgrats- und charakterlosesten Exemplaren ihrer weltweiten Klasse gehören. Helden sind sie nur, wenn es um Ausbeutung, Unterdrückung und Vernichtung geht.

Die Krise, die die DGB-Führung nicht benennen will, ignoriert jedoch die Gewerkschaften nicht. In ihren Vorständen scheinen Angst und Panik zu herrschen. Denn wenn die schlimmste Krise des Kapitalismus die Gewerkschaften in Portugal, Spanien, Griechenland, Irland und Italien zu Demonstrationen, Generalstreiks und Protestkundgebungen von Hunderttausenden und Millionen Menschen zwingt, aber die einzige Antwort der DGB-Bürokratie ein nichtssagender Appell an die Bundestagsabgeordneten ist, dann zeigt das, dass die Gewerkschaftsführung jedes Zutrauen zu sich selbst und ihrer Riesenorganisation von 6,2 Millionen Mitgliedern verloren hat und selbst zu jeder „mutigen Politik“ unfähig ist. Und da auch die Bundestagsabgeordneten lesen und verstehen können, was dieser Appell gewerkschaftlicher Mutlosigkeit bedeutet, dürften sie ihn als Aufforderung verstehen, auch hierzulande ein Kahlschlagprogramm aufzulegen und durchzuziehen.
Der Nationalismus des DGB
Das schlimmste Merkmal des DGB-Aufrufs ist sein tiefsitzender Nationalismus. Zwar warnt die DGB-Führung darin vor „nationaler Abgrenzung“, zieht aber tatsächlich zu den anderen europäischen Gewerkschaften und der ArbeiterInnenklasse in den anderen EU-Ländern eine Mauer hoch. Denn in Portugal, Griechenland und anderswo brauchen die GewerkschafterInnen heute unsere Solidarität, die der DGB verweigert.
In Portugal ist mit dem PEC IV bereits das vierte Sparprogramm in weniger als zwölf Monaten aufgelegt. Um die Neuverschuldung des Staatshaushaltes bis 2013 wieder unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. So wurde:

  • seit Juli 2010 bereits zweimal die Mehrwertsteuer auf jetzt 23 % erhöht,
  • das Arbeitslosengeld um 25 % gekürzt,
  • die Einkommen im öffentlichen Dienst um bis zu 10 % gesenkt,
  • der Kündigungsschutz gelockert,
  • die Renten gekürzt bzw. eingefroren
  • Staatsunternehmen privatisiert.

Dafür soll es von EU und IWF für
drei Jahre Bürgschaften über 80 Milliarden Euro geben, die vielleicht von der European Financial Stability Facility (EFSF), einer Aktiengesellschaft der EU, aus dem Topf der 440 Mrd. Euro gegen einen drohenden Staatsbankrott zur Verfügung gestellt werden – natürlich nur gegen die Auflagen, die für die Lohnabhängigen ein umfassendes Kürzungsprogramm bedeuten. Was der DGB als “Rettungsschirm” schönfärbt, denunziert der portugiesische Gewerkschaftsdachverband CGPT richtig als „Kriegserklärung an die Arbeiter“.
Nicht viel anders in Irland. Bis 2014 sollen zehn Milliarden Euro eingespart und 5 Milliarden Euro durch Steuererhöhungen eingenommen werden. Dafür geben IWF 22,5 Mrd. Euro und die EU 85 Milliarden Kredit. Zu den Kürzungen gehören:

  • Erhöhung der Einkommenssteuer für eineN IndustriearbeiterIn, was -5 % vom Lohn heißt,
  • Kindergeld -120 Euro pro Kind im Jahr,
  • Pensionen über 12 000 Euro pro Jahr -4 % Kürzung,
  • Erhöhung der Rentenversicherung für die 350 000 Angestellten im Öffentlichen Dienst,
  • Einkommen für Neueinsteiger im Öffentlichen Dienst -10 %,
  • Einführung von Grundsteuer und Wasser-Steuer,
  • Studiengebühren auf 3000 Euro verdoppelt.


Der Rettungsschirm des EFSF ist also nur die Vorderseite der Medaille, auf deren Rückseite die Sparprogramme gegen die Lohnabhängigen eingeprägt sind.
Internationale Aktion
Ob aus Überzeugung oder nur zum Dampfablassen – die Proteste gegen den Kahlschlag bei den Sozialleistungen und gegen die massive Absenkung des Lebensstandards sind groß. Im November 2010 mobilisierten die Gewerkschaften in Irland 100 000 Menschen, und 40 000 StudentInnen gingen gegen die Erhöhung der Studiengebühren auf die Straßen. In Portugal erklärten die Gewerkschaften im November 2010 den Generalstreik. Dem folgte im März 2011 eine spontane Mobilisierung von 300 000 Menschen, zu der vier junge Erwerbslose über facebook aufgerufen hatten. Kurze Zeit später zogen die Gewerkschaften nach, die durch die spontane Bewegung unter Druck kamen, auch aktiv zu werden. Im Oktober mobilisierten die Gewerkschaften erneut 180 000 Menschen. Ob spontan oder gewerkschaftlich organisiert – die ArbeiterInnenbewegung protestiert in vielen Ländern Europas, aber die DGB-Führung verweigert die Solidarität.

Die Proteste haben aber so lange keine Aussicht auf Erfolg, wie sie einzeln einer zentralisierten Politik der EU gegenüberstehen, die die ArbeiterInnenbewegung isolieren und ihr Land für Land ein Sparpaket aufzwingen will. Was fehlt, ist eine gemeinsame internationale Antwort der gesamten europäischen ArbeiterInnenklasse und ihrer Organisationen. Dazu gehört auch, innerhalb der deutschen Gewerkschaften dem Nationalismus der DGB-Bürokratie eine internationalistische Perspektive entgegenzusetzen.

 

Wer verdient an der Privatisierung?
Die portugiesische Fluggesellschaft TAP soll an die Lufthansa verkauft werden. Für den 20-prozentigen Staatsanteil des port. Energiekonzerns EDP interessiert sich EON. Der Flughafen Athens (schon 40 % bei Hochtief) könnte an die Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport gehen. 10 % Staatsanteil an der griechische Telefongesellschaft OTE kommen zur Deutschen Telekom, die dann 40 % hält. Für die griechische Waffenschmiede Hellenic Defence Systems ist Rheinmetall als strategischer Partner im Gespräch.
Der FDP-Politiker Schäffler und der CDU-Politiker Schlarmann schlugen sogar den Verkauf von griechischen Inseln vor.   D.B.

 

 

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