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Länder

Italien im Zeichen der Krise und des Widerstands

Von MiWe | 01.02.2011

Wie im übrigen Europa sind auch in Italien Regierung und KapitaleignerInnen bemüht, die Lasten der Weltwirtschaftskrise auf die Bevölkerung und die Lohnabhängigen abzuwälzen. Hierbei greifen sie den Auflagen vor, die von EU, IWF und WB Griechenland und Irland auferlegt wurden. Spanien und Portugal hatten in vor­auseilendem Gehorsam schon Ähnliches beschlossen. Aber nicht nur die Krise hat das Land eingeholt, auch der Widerstand gegen die Krisenabwälzung breitet sich jetzt aus.

Wie im übrigen Europa sind auch in Italien Regierung und KapitaleignerInnen bemüht, die Lasten der Weltwirtschaftskrise auf die Bevölkerung und die Lohnabhängigen abzuwälzen. Hierbei greifen sie den Auflagen vor, die von EU, IWF und WB Griechenland und Irland auferlegt wurden. Spanien und Portugal hatten in vor­auseilendem Gehorsam schon Ähnliches beschlossen. Aber nicht nur die Krise hat das Land eingeholt, auch der Widerstand gegen die Krisenabwälzung breitet sich jetzt aus.

In der Tat ist die Position der noch weltweit siebtgrößten Volkswirtschaft alles andere als komfortabel: Mit einer Verschuldung von 120% des Bruttoinlandsprodukts rangiert das Land gleichauf mit Griechenland und hält zugleich ¼ der Gesamtverschuldung der EU. Im internationalen Ranking der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit ist es auf Rang 48 zurückgefallen. Das Wirtschaftswachstum liegt am unteren Ende der europäischen Skala und die Jugendarbeitslosigkeit bei 25%.

Mag Berlusconis Handlungsfähigkeit auch durch die Sorge um seine juristische und geschäftliche Unversehrtheit angeschlagen sein, so ist doch die Sanierung des Systems und vor allem der Profitrate die Hauptsorge der Regierung. Gemäß der gängigen neoliberalen Rezeptur werden die öffentlichen Ausgaben gesenkt und die Errungenschaften der Arbeiterbewegung ins Visier genommen.
Sparpolitik
Der Kulturhaushalt wird das dritte Mal in Folge und für 2011 gleich um 40% gekürzt und liegt aktuell bei 0,2% der Gesamtausgaben. Wie immer sind die kleineren Institutionen und die freie Kunst- und Kulturszene die Hauptleidtragenden des Subventionsschwundes. Gegen die Bedrohung vieler tausend Arbeitsplätze in diesem Bereich kam es im November zu Protesten, an denen sich 250 000 Betroffene beteiligten.

Den öffentlich Beschäftigten wird unter Bruch der bestehenden Tarifverträge ein Einfrieren der Löhne bis 2013 und umfangreiche Stellenkürzungen zugemutet, indem nur noch jede fünfte freiwerdende Stelle neu besetzt werden soll.

Auch die RentnerInnen (vor allem die künftigen) sind von den Sparplänen betroffen. Um die vollen Altersbezüge zu erhalten, soll fortan mindestens bis zum 61. Lebensjahr gearbeitet werden, oder mensch muss über 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. War es bisher möglich, an vier Zeitpunkten im Jahr in die Rente zu gehen, soll es demnächst nur noch einen Termin geben. Damit wird faktisch auch das Renteneintrittsalter um mindestens ein halbes Jahr erhöht. Bei Frauen im Staatsdienst soll das Renteneintrittsalter früher als bisher ge­plant an das der Männer von 60 auf 65 Jahre angepasst werden. Auch die Arbeitsunfähigkeitsrente wird verändert. Statt 74% muss künftig eine Invalidität von 80% nachgewiesen werden. Zudem sollen die Anträge schärfer geprüft werden, weil angeblich in 15% der Fälle die Invalidenrente zu Unrecht gezahlt werde.

Besonders stark betroffen sollen die Regionen und die Kommunen sein (fast 15 Milliarden Euro weniger Transferzahlungen des Staates). Das muss zu Einsparungen um ca. 30% und somit zur Gefährdung aller regionalen Sozialleistungen führen. Eine Konsequenz sollen höhere Gebühren im Gesundheitssystem sein, das in Italien regional strukturiert ist. Um die Einschnitte teilweise auszugleichen, werden die Kommunen und Regionen andere Gebühren anheben. Gegen diese Sparmaßnahmen wurde seitens der Oppositionsparteien und der größten Gewerkschaft CGIL, die weiterhin von einem Sozialpakt mit dem Unternehmerverband träumt, nur sehr halbherzig mobilisiert.

Die spektakulärste Reform betrifft das Bildungswesen und wurde Ende Dezember 2010 beschlossen. Italien ist das OECD-Land, das mit knapp unter 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts am zweitwenigsten für Bildung aufwendet; der OECD-Schnitt liegt bei 6,2 Prozent. Trotzdem werden die Hochschulfinanzen, nach einer Kürzung um 279 Millionen Euro 2010, in diesem Jahr um weitere 550 Millionen Euro zusammengestrichen. In der Folge soll die Zahl der Universitätsdozenten und Professoren drastisch reduziert werden, wissenschaftliche Mitarbeiter erhalten nur noch einmal verlängerbare Zeitverträge. Durch die Unterstellung der Hochschulen unter einen Verwaltungsrat, der zu 40% extern besetzt wird, kommen private Investoren zum Zug und können ihren Einfluss auf die Lehrinhalte geltend machen.
Proteste
Dagegen hatte es bereits in den Vormonaten massive Proteste seitens der Betroffenen gegeben, die sich auch gegen die gleichfalls beschlossene Mittelschulreform richteten. In der Woche vor der Verabschiedung fanden die bislang größten Demonstrationen statt, die auch auf breite Unterstützung durch andere Bewegungen – Arbeitende, Erwerbslose, prekär Beschäftigte, Initiativen gegen die geplante Müllverbrennungsanlage bei Neapel etc. – stießen. Hierbei entlud sich der geballte Protest gegen die Arroganz der Herrschenden, verstärkt durch den Stimmenkauf, mit dem die Regierung das Misstrauensvotum knapp überstand: In Palermo wurde der Flughafen blockiert, in Mailand die Börse besetzt und in Rom versammelten sich über 100 000 DemonstrantInnen, die auch vor der Sicherheitszone nicht haltmachten und sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Die Regierung reagierte mit scharfer Repression und ließ Jugendliche von Schnellgerichten aburteilen. Dennoch ebbten die Proteste nicht ab und wurden erst durch die (Hoch-)Schulferien – vorläufig – unterbrochen.

Privatisiert werden sollen Bereiche der staatlichen Daseinsfürsorge. Laut Gesetz sollen ab 2012 vollkommen oder zum Teil privatisierte Gesellschaften die Wasserversorgung übernehmen. Die Gemeindebetriebe müssen mindestens bis zu 40-Prozent ihrer Aktien an Private abgeben, wobei dieser private Aktionär die Führung der Gesellschaft übernehmen muss. Dagegen regt sich Widerstand in der ganzen Gesellschaft: Im „Forum der Bewegungen fürs Wasser“ sind Hunderte Komitees zusammengeschlossen, die per Referendum die Abschaffung dieses Gesetzes erzwingen wollen. Die für die Einleitung des Referendums notwendigen 1,4 Mio. Stimmen konnten in kürzester Zeit gesammelt werden und bis Mitte Februar wird über die Abhaltung der Volksabstimmung entschieden werden.
Unternehmeroffensive
Für die Herrschenden ist aktuell unklar, ob sie weiter auf das System Berlusconi setzen oder einen neuen Burgfrieden in der konzertierten Aktion mit den „kooperationswilligen“ Gewerkschaften herstellen sollen. Trotz dieser Verunsicherung schreitet die Offensive gegen die Lohnabhängigen unvermindert voran, indem die Arbeitsbedingungen flexibilisiert, die Arbeits
zeiten angehoben und die Löhne gesenkt werden. Pa­rallel greifen Werksschließungen und Produktionsauslagerungen.

Die Vorreiterrolle kommt dem Fiat-Konzern unter Konzernchef Marchionne zu. Das einstige Markenzeichen der italienischen Industrie hat den Aufstieg zum Global Player vorangetrieben und produziert in ausländischen Betrieben (Serbien, Polen, Türkei…) inzwischen mehr Fahrzeuge als in Italien selbst. Erst kürzlich wurde der Bau eines neuen Produktionswerks in Brasilien begonnen, in dem ab 2014 rund 200 000 Autos jährlich gefertigt werden sollen. Von 240 000 Beschäftigten arbeiten lediglich noch 80 000 in Italien. Der Einbruch des Automobilsektors im Zuge der Weltwirtschaftskrise hat diesen Umstrukturierungsprozess noch beschleunigt und das Erpressungspotenzial gegen die Beschäftigten erhöht. Das Werk im sizilianischen Termini Imerese wird 2012 geschlossen, und in Pomigliano bei Neapel mit einer Betriebsauslastung von aktuell nur 14% wurden die 5200 Beschäftigten unter Androhung massiven Personalabbaus erpresst. Sie sollen folgenden Änderungen zustimmen:

  • Längere Arbeitszeit durch Verkürzung der Pausen
  • Wegfall der Wochenendzuschläge bei Samstagsarbeit
  • Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, wenn in einer Abteilung die Fehlquote über dem gesamtbetrieblichen Durchschnitt liegt
  • Überwachung der Bewegungen im Betrieb durch ein elektronisches System
  • Individuelle Arbeitsverträge statt der jetzigen Kollektivverträge
  • Verzicht der Gewerkschaften, diese Vereinbarungen künftig durch Streiks zu ändern.


Diese Betriebsvereinbarung wurde von den beiden kleineren Gewerkschaften UIL und CISL rasch akzeptiert, während die FIOM den Einflüsterungen ihres Dachverbands CGIL widerstand und ablehnte. Das daraufhin von Marchionne anberaumte Plebiszit der Beschäftigten erbrachte nicht das von der Unternehmensleitung festgelegte Quorum. Da die für diesen Fall angedrohte Nichtverlagerung der Produktion des Fiat-Panda nach Pomigliano zu einem ernsthaften Reputationsschaden in der Öffentlichkeit geführt hätte, beschloss das Unternehmen die Gründung einer Tochtergesellschaft, die nicht dem Unternehmerverband (Confindustria) angehören und somit außerhalb des Flächentarifvertrags sein wird. Die Beschäftigten des Werkes in Pomigliano sollen zwar übernommen werden, müssen aber ihre schriftliche Zustimmung zu dem o.g. Hausvertrag geben.

Das Ziel ist die Zerschlagung des bisherigen Systems mit hoher Tarifbindung und die Ausgrenzung der aktiven GewerkschafterInnen – v. a. aus der FIOM und den Basisgewerkschaften. Andere Unternehmen haben bereits angekündigt, dem Beispiel zu folgen und aus dem bestehenden Tarifvertrag auszusteigen. Flankiert wird dies durch Regierungsvorhaben, das „statuto dei lavoratori“ – also die arbeitsrechtlichen Errungenschaften – aufzuweichen. Pomigliano war das Pilotprojekt – nach dem gleichen Muster wird der Konflikt in dem Turiner Werk Mirafiori gesucht.

Mirafiori gilt noch heute als beispielhaft für die italienische Arbeiterbewegung der Nachkriegszeit. Hier wurden 1969 exemplarische Erfolge in den Arbeitskämpfen erzielt, und hier erlitt die Arbeiterbewegung 1980 eine historische Niederlage, die u. a. zur Liquidierung breiter Teile der Arbeiteravantgarde in den Betrieben und zur Abschaffung der scala mobile (gleitende Lohnskala) führte. Hier also wird die Belegschaft analog zu Pomigliano mit Investitionszusagen – und damit dem Erhalt von Arbeitsplätzen – gegen den Verzicht auf ihre Rechte erpresst. Auch hier haben UIL und CISL unterschrieben und die FIOM abgelehnt. Mitte Januar sollte die Belegschaft abstimmen, wobei die Konzernleitung in Anbetracht der militanten Tradition des Werkes das Quorum bei lediglich 50% angesetzt hat. Inzwischen haben 54% zugestimmt, was eine wichtige Wende bedeutet. Nationale Tarifverträge verlieren damit zunehmend an Wert.
Aber die Gegenwehr ist angelaufen. Die FIOM hat zu einer achtstündigen Arbeitsniederlegung aller MetallarbeiterInnen am 28. Januar aufgerufen. Die parlamentarische Opposition fiel den Metallern erwartungsgemäß in den Rücken und forderte die FIOM „um das Schicksal Turins willen“ zur Annahme des Diktats auf. Der Dachverband CGIL übt sich wie stets in der Quadratur des Kreises und bittet Unternehmer und Regierung um mehr „Ausgewogenheit“ und „Augenmaß“. Da außerhalb der Basisgewerkschaften auf offiziell gewerkschaftlicher Seite nur mit dem Engagement der FIOM zu rechnen ist, haben sich bereits letztes Jahr im ganzen Land Komitees „Uniti contro la crisi“ gegründet, die von den sozialen Bewegungen gemeinsam mit militanten Gewerkschaftern getragen werden. Dieses Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte ist die Voraussetzung für einen Erfolg.

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