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Iranische Protestbewegung: Probleme – Perspektiven

Von Ali Behrokhi | 01.02.2010

Die iranische Volkswirtschaft ist chronisch krank. Und ihre Krankheit hat immer weniger Chancen einer Heilung, solange sie in den Händen der islamischen Republik bleibt.

Die iranische Volkswirtschaft ist chronisch krank. Und ihre Krankheit hat immer weniger Chancen einer Heilung, solange sie in den Händen der islamischen Republik bleibt.

Mit einem Blick auf die ökonomischen Verhältnisse werden die Dimensionen der Zerstörung klar, die das Ergebnis des herrschenden politischen Systems ist. Das zentrale Element dieses Systems ist das Prinzip der Führerschaft der Schriftgelehrten  („Welayate Faghi“). Ein schiitischer Geistlicher als Führer (Rahbar) steht an der Spitze dieses Systems, der alle Staatsorgane (Parlament, Präsident, Justiz, Militär…) „führt“ und niemandem Rechenschaft schuldig ist außer Gott!?… In diesem System entscheidet die Nähe zum Kreis des „Führers“ über die Höhe des politischen Einflusses und wirtschaftlichen Reichtums. So reproduziert diese politische Ordnung Vetternwirtschaft, Korruption und Günstlingsmentalität.

Die Bilanz der 30 jährigen Herrschaft der islamischen Republik im sozio-ökonomischen Bereich kann mit folgenden Worten zusammengefasst werden:

  • Zerstörung der sowieso sehr schwach entwickelten sozialen Strukturen des Landes!
  • Verschärfung der wirtschaftlichen Abhängigkeit Irans vom imperialistischen Ausland!

Iran gehört zu den klassischen Erdöl exportierenden Ländern; in der Rangfolge der Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) steht es auf dem zweiten Platz und im Weltmaßstab hält es die dritte Position. Im Klartext heißt das: auf der einen Seite bis zu über 90 % Prozent Abhängigkeit des iranischen Staatshaushalts von den „segensreichen“ Petrodollars, riesiger Kapitalüberschuss für ein parasitäres Regime, das sich bereichert und seine Anhängerschaft mit Almosen bei Laune hält. Auf der anderen Seite monokulturelle Dominanz eines einzigen Wirtschaftszweigs und ständige Schwächung und Benachteiligung aller anderen  produktiven Teile der Wirtschaft, Überausbeutung der Naturressourcen, deren Ausverkauf – speziell im iranischen Fall oft auf dem Schwarzmarkt und unter dem regulären Preis! Ein vergleichender Blick auf die iranische Öl- bzw. Wirtschaftspolitik von heute zeigt, dass das Regime der islamischen Republik strukturell genau so reaktionär ist und gegen die Wirtschaftsinteressen des Landes handelt, wie sein Vorgängerregime oder die feudalistischen Öl-Monarchien in der Golfregion!

Während immer mehr Gelder aus dem Ölgeschäft ins Land fließen – und dies gilt besonders für die letzten zwei, drei Jahre! – verlieren immer mehr Familien wirtschaftlich den Boden unter den Füßen, rutschen in die Armutsfalle und leben unter dem Existenzminimum.

Ein bestimmender Faktor in der lähmenden Wirtschaftsmisere ist der: Die Handels- und Wirtschaftspolitik des Regimes zerstört systematisch die Lebensgrundlagen der einheimischen Produzenten. Konsumgüter werden chaotisch und unkontrolliert importiert.
Das führt dazu, dass der iranische Markt seit Jahren von Waren aus dem Ausland überschwemmt ist und die Eigenprodukte verderben, bleiben im Lager und können nicht verkauft werden.

Die Importeure sind alle ohne Ausnahme Würdenträger des Regimes, genießen Sonderprivilegien, zahlen keine Zollgebühren, weil sie eigene Seehäfen, Flugplätze, Transit- und Transportverbindungen in Eigenregie verwalten. Die auf dieser Weise importierte Ware wechselt mehrmals den Besitzer und verursacht ein unproduktives System von Zwischenhändlern, Mittelsmännern und Wiederverkäufern…  Das Regime der islamischen Republik ist also weder gewillt noch in der Lage, daran etwas zu ändern.
Der „marktwirtschaftliche“ Beitrag des Regimes zur Linderung des Problems besteht darin, frisches Geld aus dem Öl-Topf in dieses kranke Wirtschaftssystem zu pumpen oder Almosen zu verteilen – und dies treibt die Inflation in die Höhe. Nach Angaben des Regimes wird für das Jahr 2009 mit einer Inflationsrate von 20-25 Prozent gerechnet. Unabhängige iranische und internationale Beobachter gehen von einer Inflationsrate von 50-60 Prozent für den gleichen Zeitraum aus (Le Monde Diplomatique Juni 2009).
Damit die Disharmonie und Misswirtschaft in der iranischen Volkswirtschaft etwas deutlicher wird, noch eine statistische Zahl: Nach eigenen Angaben hat das Regime in den beiden Jahren 2007-2008 umgerechnet 120 Milliarden Dollar aus dem Ölgeschäft erhalten. Aus diesem Geld hat das Land jährlich (also für die Jahre 2007/08) jeweils ca. 55 Milliarden für Importe ausgegeben. Man sollte nicht den Fehler machen und meinen, diese Gelder würden für High-Tech-Anlagen, Schwere Maschinen und Schlüsselindustrien ausgegeben.

Iran ist ein Flächenland mit traditioneller Viehzucht und Landwirtschaft. Seit Urzeiten wurden Produkte dieser Wirtschaftszweige aus Iran exportiert. Heute ist Iran auch landwirtschaftlich extrem importabhängig. Im Jahre 30 der islamischen Republik importiert Iran neben Damenwäsche Toilettenartikel, Reis, Weizen, Eier, Fleisch, Obstsorten und Molkereiprodukte…
Deutschland gehört neben China und der Schweiz seit Jahrzehnten zu den engsten Partnern der Mullahs und exportiert dorthin nicht nur Rüstungs- und Schwerindustrie, sondern auch Hähnchen, Käse…!
Angesichts dieser Tatsachen erübrigt sich eigentlich die Frage; welche Geister sind es, die die Politik dieses Regimes mit dieser verheerenden Bilanz als „antiimperialistisch“! einstufen?

Ebenso die „Atomambitionen“ des Regimes sind – wie seine anderen „antiimperialistischen Züge“ – in erster Linie auf dem Gebiet der Propaganda, der Scheingefechte, der Imagepflege und der Ablenkung zu suchen. Was darin keinen  Platz hat und dabei keine Berücksichtigung findet sind Fortschrittsgedanken und die Interessen des iranischen Volkes.
Sowohl das Regime der islamischen Republik als auch die Gegenseite des Konflikts („Die internationale Staatengemeinschaft“) missbrauchen die „iranische Atomfrage“.

Das iranische Regime spielt auf Zeit und versucht mit Verzögerungstaktik, sich aus der innenpolitischen Krise und der außenpolitischen Isolation zu retten.
Die Atomfrage bietet den sechs Ländern (USA, Russland, England, Frankreich, China und Deutschland) die Gelegenheit, als Vertreter und Sprecher der „Staatengemeinschaft“ aufzutreten und die Rolle des Schiedsrichters zu spielen. Diese Länder sind in Iran und in der Region aber Teil des Konflikts! Alle Technologien, die für den Bau der „Bombe“ benötigt werden, lieferten und liefern nach wie vor in erster Linie diese sechs Länder nach Iran und in die Region. USA, Russland und Deutschland sind der Reihe nach die größten Waffenproduzenten und Waffenexporteure der Welt. Alle Kriege, die „dort unten“ geführt werden, sind in erster Linie  amerikanische, russische deutsche…Hegemonialkriege. Diese sechs Länder missbr
auchen die „iranische Atomfrage“, weil sie ihnen für ihre jetzigen und künftigen Interventionen  im Iran und in der Region  als die ideale Entschuldigung und Ausrede dient – hätte es diesen „Konflikt“ nicht gegeben, hätten sie ihn (wie im Falle Iraks) erfunden…
Protestbewegung
Der Sommer 2009 wurde zu einem richtigen Einschnitt. Die Kämpfe, die ständig an Radikalität gewinnen, stellen definitiv einen Wendepunkt im politischen Leben der iranischen Gesellschaft dar. Auf der einen Seite verliert das Regime unter dem Druck der demokratischen Bewegung, immer mehr an Stabilität. Es verfolgt, verhaftet und ermordet nicht nur unschuldige Menschen auf offener Straße, sondern auch Leute aus den eigenen Reihen! Mit anderen Worten: Das Regime ist längst nicht mehr in der Lage, so zu regieren wie bisher. Auf der anderen Seite werden dank des rasanten Fortschritts der Demokratiebewegung die Fronten immer deutlicher und klarer. In den unterschiedlichen politischen Lagern werden inzwischen für völlig andere Ziele gekämpft. Während Regierungsoppositionelle wie Moussawi, Karoobi,…immer wieder erklären, dass sie dem „Erbe des Imam Khomeini“ treu seien und ihre Forderungen innerhalb der Verfassung der islamischen Republik durchsetzen wollten, sterben auf den Straßen Irans Frauen und Männer für die Verwirklichung demokratischer Grundrechte, die innerhalb dieses Systems mit dem „Führer“ an der Spitze nicht zu haben sind.

Bekanntlich kam es im vergangenen Sommer zwischen den verschiedenen Fraktionen an der Spitze der islamischen Republik wegen der Verteilung der Ämter und der Teilhabe am wirtschaftlichen Gewinn zu Streitigkeiten.
Den Gegnerinnen und Gegnern des Regimes gelang es zwar, den Streit auf die Straße zu tragen und daraus eine der mächtigsten Anti-Regime-Kampag­ne der letzten Jahre zu machen. Dabei ging aber auch ein Teil der Regierungsopposition auf die Straße.
Die Sprecherinnen und Sprecher der „regierungsnahen grünen Opposition“, haben die Aufgabe, die demokratische Bewegung zu zügeln und in „legale Bahnen“ zu lenken.

Wie sieht aber die „islamische Legalität“ nach über 30 jähriger Erfahrung  der islamischen Republik in Iran und nach der „reinen Lehre“ aus? Abhacken der Körperteile von Dieben, Steinigen von Frauen nach „Ehebruch“, Vergewaltigung von Gefangenen in Gefängnissen, Terror gegen Andersdenkende auf offener Straße,….

Inzwischen erfahren die „islamischen Legalisten“, die vergebens versuchen, einem Phänomen aus dem Vormittelalter ein demokratisches Antlitz zu verpassen, Unterstützung aus der Ecke der Geheimdiplomatie. Mehr im imperialistischen Ausland als in Iran selbst sind heftige Anstrengungen hinter verschlossenen Türen und am grünen Tisch im Gange, um Gespräche und Verhandlungen zwischen der Regierung von Putschpräsident Ahmadinejad auf der einen Seite und der Regierungsopposition auf der anderen Seite zu vermitteln und es zu einem „guten Ende“ zu bringen. Einige ehemalige Kommandanten der Elitetruppe der islamischen Republik („Wächter-Armee“/Pasdaran) wie „Herr Ganji und Herr Sazegara…, Filmemacher und Künstler, die in ihren Werken den „Imam Khomeini“ bewunderten wie Herr Makhmalbaf und islamischer „Theoretiker und Philosoph“, der als einer der Köpfe der „islamischen Kulturrevolution“(!) und der Uni-Schließungen der Jahre 1980/81 fungierte wie Herr Soroush, befinden sich im amerikanischen und europäischen Ausland. Ihnen werden global wirksam Medien wie BBC, CNN, ARTE…zu Verfügung gestellt; sie haben die Aufgabe den „liberalen Islam“ zu predigen und  die Demokratiebewegung zur „Räson“ zu bringen, bevor sie „außer Kontrolle gerät“! Amerikanische, britische, deutsche Medien mischen sich dreist in die aktuelle politische Debatte in Iran ein und geben „Herrn Präsident Ahmadinejad“ Ratschläge, die Regierung in Teheran solle mit der Opposition in Iran und „Teilen der Opposition“ im Ausland in Verhandlungen treten und den Weg für eine „Koalitionsregierung“ frei machen…(so zu lesen u. a. in der deutschen Wochenzeitschrift „Die ZEIT“ in den Monaten September-Oktober 2009).

Wie bekannt, gelang es dem putschis­tischen Flügel des Regimes mit blutiger Unterdrückung die Massenproteste vom vergangenen Sommer taktisch zurückzudrängen. Dabei kam eine unbekannte Zahl von Menschen auf offener Straße ums Leben, Tausende wurden verhaftet, viele von ihnen sitzen immer noch in den Folterkammern. „Kahrizak“ ist der Name einer dieser Folterstätten. Im Kahrizak-Gefängnis, ein Vorort von Teheran, wurden viele junge Protestlerinnen und Protestler bis zum Tode geschlagen, misshandelt, vergewaltigt!

In abscheulichen Schauprozessen werden Gefangene gezwungen, gegen sich selbst auszusagen. Öffentliche Hinrichtungen, die seit Sommer 2009 verstärkt in allen Städten Irans stattfinden, gehören zu weiteren Abschreckungsmaßnahmen des Regimes.
Neben solchen Verbrechen versucht das Regime, mit Drohungen die iranische Gesellschaft von Demonstrationen und politischen Aktivitäten abzuhalten. Täglich veröffentlichen das staatliche Fernsehen und unter Zensur stehende Zeitungen Verlautbarungen der Polizei; jede Art von Demonstration, jede gerufene Parole gegen die Obrigkeit, jede Menschenansammlung sei verboten, werde verfolgt und strengstens bestraft…

Trotz Terror und Drohung gelingt es der iranischen Demokratie-Bewegung, die wenigen Möglichkeiten klug zu nutzen, um ihren Fortbestand, ihre Stärke zu demonstrieren.

Im Iran herrscht inzwischen eine nackte Militärdiktatur. Sensible Regionen, wie Iranisch Kurdistan, oder wichtige Betriebe, Hochschulen und öffentliche Plätze der Großstädte des Landes werden direkt von Militärs (Pasdaran) und Miliz (Basij) kontrolliert. Dies ist die eine Seite der Medaille! Die andere Seite ist die: Das Regime ist auf öffentliche Auftritte und Aufmärsche angewiesen. Solche Tage und Szenarien braucht das Regime, um zum einen seine immer weniger werdende  Anhängerschar zusammenzuhalten und zum anderen sich und dem Rest der Welt „Macht“ und „Stärke“ zu suggerieren. Dafür sind im Iran der letzten 30 Jahre religiöse und politische Veranstaltungstage für das Regime reserviert.
Seit Sommer 2009 gelingt es der demokratischen Protestbewegung in Iran, solche Tage für sich in Anspruch zu nehmen und das Regime ernsthaft in Verlegenheit zu bringen.

Zwischen Anfang November und Ende Dezember 2009 gab es drei „staatliche reservierte“ Tage, alle drei Tage wurden Tage der Proteste gegen das Regime:

  • Der 3. November (der 13. Tag des achten iranischen Monats „Aban“) ist vom Regime als Tag der Besetzung der US-Botschaft durch die „Studenten der Imam-Linie“ im Jahr 1979 und als „Tag der Schüler“ deklariert. Seit 30 Jahren finden an diesem Tag Aufmärsche statt, die den „Imam-Khomeini“ und „seine Jünger“ hochleben lassen. Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr dieser Tag von der ideenreichen iranischen Protestbewegung umfunktioniert, Tausende riefen an d
    iesem Tag „Tod dem Diktator“,„Ahmadinejad verschwinde“…
  • Der 6. Dezember des Jahres 2009 fiel mit dem 16. Tag des neunten iranischen Monats „Azar“ zusammen. Seit 1953 gilt der „16. Azar“ als Tag der iranischen Studentenbewegung. Nach dem CIA-Putsch im August 1953 kam im Dezember 1953 der damalige Vizepräsident der USA Nixon nach Iran, um die „getane Arbeit“ (!) zu inspizieren. Gegen diesen Besuch demonstrierten iranische Studenten, die Schah-Armee schoss auf sie und tötete drei von ihnen. Seit 30 Jahren missbraucht das Regime diesen Tag und schickt seine Horden auf die Straße. In diesem Jahr gehörte der 16. „Azar“ tatsächlich den iranischen Studierenden. Dem Regime gelang es trotz Drohung und Überwachung nicht, die Kontrolle aufrechtzuerhalten. In mehr als 30 iranischen Städten wünschten mehrere 100 000 junge Leute den Würdenträgern des Regimes den Tod!
  • Das „Aschura-Fest“ ist, für die schiitischen Gläubigen allgemein und für den Schiitischen Klerus besonders, einer der wichtigsten religiösen Tage des Jahres. Am Aschura-Tag soll nach schiitischem Glauben Imam Hossein, Enkel des Propheten Mohammad, im Kampf gefallen sein. Das islamische Regime in Iran feiert diesen Tag mit besonderer Inbrunst. Die Aschura-Feierlichkeiten des Jahres 2009 fanden in den Tagen 26.-28. Dezember statt. Internationale Beobachter­Innen sind sich einig, dass in diesen Tagen schätzungsweise, wie im Juni 2009, zwischen drei bis fünf Millionen Menschen auf Irans Straßen dem Diktator den Tod wünschten…

Die Weiterentwicklung der Proteste seit Sommer 2009 erlauben auf jeden Fall folgende Schlussfolgerung: Die Demokratie-Bewegung hat längst die Vorstellungen und Forderungen der grünen Protagonisten hinter sich gelassen. Die „Grünen“ (Farbe des Islams!) wollen Verbesserungen und Reformen innerhalb des bestehenden Systems. Die Protestbewegung kämpft für soziale Gerechtigkeit und demokratische Grundrechte, die nur mit dem Sturz der islamischen Republik zu verwirklichen sind.

Anfang Februar 2010 ist der Jahrestag der gescheiterten iranischen Februarrevolution und der Machtergreifung des Regimes der islamischen Republik. Vollkommen unabhängig davon, was die Tage im Februar bringen; im Sommer und erst recht im Herbst 2009 hat das iranische Volk durch die Kämpfe sein Selbstbewusstsein und seine Würde zurückgewonnen.

 

Dieser Text ist einem Redebeitrag entnommen, den der Verfasser in den letzten Monaten auf Iran-Veranstaltungen gehalten hat. 

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