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Iran: Der vielseitige Präsident

Von Harry Tuttle | 28.07.2013

Mit Hassan Rohani hat bei den iranischen Präsidentschaftswahlen nicht ein Reformer, sondern ein Repräsentant des klerikalen Establishments gesiegt.

Mit Hassan Rohani hat bei den iranischen Präsidentschaftswahlen nicht ein Reformer, sondern ein Repräsentant des klerikalen Establishments gesiegt.

Hassan Rohani, der zukünftige Präsident des Iran, ist ein vielseitiger Mann. Im geistlichen Rang eines Mujtahid1 stehend, ist er zur eigenständigen Auslegung des islamischen Rechts befugt, er kommandierte aber auch im iranisch- irakischen Krieg (1980-1988) Bodentruppen und leitete eine Abteilung der Luftabwehr, war kurzzeitig Gefängnisdirektor, immer wieder diplomatischer Unterhändler, amtierte als stellvertretender Parlamentssprecher, führt seit mehr als 20 Jahren ein „Institut für strategische Forschung“ und gibt Zeitschriften zu außenpolitischen Fragen heraus.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Geistliche sich in die Politik einmischen, doch nur im Iran bilden sie eine herrschende Kaste. Das von Ayatollah Khomeini entwickelte System der velayat e-faqih (Statthalterschaft des Rechtsgelehrten) besagt, dass ein Geistlicher in Vertretung des verborgenen Imams bis zu dessen Rückkehr als Erlöser das Staatsoberhaupt („Revolutionsführer“, derzeit Ali Khamenei) sein muss und Geistliche den Rahmen der legalen Politik bestimmen. Viele Geistliche kritisieren diese Lehre, doch aus den 180.000 Klerikern hat sich eine Führungsschicht gebildet.

Die Kleriker müssen sich die Macht allerdings mit Repräsentanten des Militärs und der Bourgeoisie teilen. Die sozialen Milieus überschneiden sich, so gebietet Hashemi Rafsanjani, der von 1989 bis 1997 als Präsident amtierte und als Hodjatolislam den zweithöchsten Rang der Geistlichkeit innehat, über ein familiäres Wirtschaftsimperium mit Milliardenwert. Hohe Geistliche leiten „Stiftungen“, die faktisch Konzerne sind; und das Offizierskorps der Revolutionswächter bildet eine undurchschaubare Militärbourgeoisie, die manchen Schätzungen zufolge ein Drittel der Wirtschaft kontrolliert. Das parlamentarische System im Iran dient vor allem dazu, Interessenkonflikte unter den Machthabern zu kanalisieren.
Strenge Wächter
Mit der bürgerlichen Demokratie hat es nur die Formalitäten gemein. Dass alle Amtsträger der islamistischen Staatsdoktrin folgen, gilt als selbstverständlich, genügt aber nicht. Von knapp 700 KandidatInnen hatte der Wächterrat nur acht zu den Präsidentschaftswahlen am 14. Juni 2013 zugelassen. Frauen durften von vorneherein nicht mit einer Zulassung rechnen; dass selbst Rafsanjani, auch nach dem Ende seiner Präsidentschaft einer der einflussreichsten Männer des Landes, ausgeschlossen wurde, zeigt, dass der Kreis der Herrschenden immer enger wird und die Machtkämpfe härter ausgetragen werden.

Das musste auch der bisherige Präsident Mahmoud Ahmadinejad erfahren. Ursprünglich ein Günstling Khameneis, agierte er zu selbständig. Sein Versuch, den Islamismus um einen persischen Nationalismus zu ergänzen, stieß auf Widerstand im Klerus, und der von ihm als Nachfolger auserkorene Esfandiar Rahim Mashai durfte nicht kandidieren. Sieht man von den nachrevolutionären Jahren 1979 bis 1981 ab, in der die Islamisten ihre innenpolitischen Gegner beseitigten, war der iranische Präsident bis 2005 immer ein Kleriker. Auf den Laien Ahmadinejad folgt nun wieder der Geistliche Rohani.

Dass die Geistlichkeit nun ihre Macht gegenüber der Militärbourgeoisie, deren Repräsentant Ahmadinejad war, und der von Rafsanjani vertretenen zivilen Bourgeoisie gestärkt hat, ist nicht der einzige Grund, an dem Rohani vielfach zugesprochenen Status des Reformers zu zweifeln. 1999 forderte er die Todesstrafe für Studierende, die bei Protesten angeblich Staatseigentum beschädigt hatten; mit den Protesten gegen die Wahlfälschung 2009 hat er sich nie solidarisiert. Überdies ist er seit mindestens 20 Jahren einer der wichtigsten Vertrauensmänner Khameneis.
Keine Kompromisse
Dass Rohani im Wahlkampf offen über die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sprach, könnte ihm die absolute Mehrheit von etwas mehr als 50 Prozent verschafft haben; Zweifel an der offiziell hohen Wahlbeteiligung von 72 Prozent sind jedoch angebracht. Sicher ist, dass Rohani, selbst wenn er wirklich zum Reformer geworden sein sollte, die Probleme des Landes nicht lösen kann. Denn deren Ursache ist ein Herrschaftssystem, das die üblichen Verheerungen des Kapitalismus durch ideologischen Terror und korrupten Klientelismus verschärft.

So gingen die Erlöse der unter Ahmadinejad intensivierten Privatisierung vornehmlich an dessen Günstlinge, Offiziere der Revolutionswächter erhielten Direktorenposten, die Schläger der Bassij-Milizen2 Vorzugsaktien. Wenn Rohani nun den Anteil der Geistlichen wieder erhöht, wird das nichts daran ändern, dass ArbeiterInnen oft monatelang der Lohn nicht ausgezahlt wird und die Öleinnahmen von derzeit mehr als 110 Milliarden Dollar pro Jahr den Armen vorenthalten werden. Da das Herrschaftssystem mit der Ideologie steht und fällt, sind grundsätzliche Veränderungen ausgeschlossen.

Extremes Patriarchat, Unterdrückung jeder dissidenten Lebensäußerung, Marginalisierung der Mittelschicht, Entrechtung der Lohnabhängigen, Verarmung – die Faktoren, die die arabischen Revolten verursachten, prägen in noch härterer Form das Leben im Iran. Die Proteste des Jahres 2009 hatten kein geringeres Ausmaß als die Aufstände in Tunesien und Ägypten, wurden je
doch kompromisslos unterdrückt. Die Machthaber hätten aber nicht 300.000 Soldaten, Paramilitärs und Polizisten für die „Sicherheit der Wahlen“ bereitgestellt, wenn sie nicht wüssten, dass der nächste Aufstand nur eine Frage der Zeit ist.

Fußnoten:
1 Mujtahid stellt eine Funktionskennzeichnung dar. Der Betreffende gilt als qualifiziert, etwas mehr zu tun als nachzubeten.
2 Die Basssij sind eine zur Unterstützung des Regimes gegründete Freiwilligenmiliz.

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