TEILEN
Länder

Interview mit Boguslaw Zietek: Im Kampf für die Rechte der ArbeiterInnen in Polen

Von A. Blechschmidt, T. Nießner | 01.06.2010

Der Gewerkschaftsführer und Vorsitzende der Polnischen Arbeitspartei, Boguslaw Zietek, nahm als Beobachter Ende Februar 2010 am 16. Weltkongress der IV. Internationale teil und gab der Avanti folgendes Interview.

Der Gewerkschaftsführer und Vorsitzende der Polnischen Arbeitspartei, Boguslaw Zietek, nahm als Beobachter Ende Februar 2010 am 16. Weltkongress der IV. Internationale teil und gab der Avanti folgendes Interview.

Avanti: Kannst du dich und deine Organisation, die Polnische Arbeitspartei, kurz vorstellen?

Boguslaw: Ich bin der Vorsitzende der Polnischen Arbeitspartei (PPP) und der Präsident der Gewerkschaft August 1980. Die PPP ist eine Partei, die von der Gewerkschaft gegründet wurde und ihr politisches Instrument darstellt. Ziel beider Organisationen ist es, die Interessen der polnischen ArbeiterInnen zu vertreten. Vor einigen Jahren waren die Mitglieder der Gewerkschaft zu dem Entschluss gekommen, dass es notwendig ist, eine eigene politische Partei aufzubauen, um ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren und gleichzeitig eine politische Repräsentation zu schaffen. Die daraufhin gegründete PPP beteiligt sich seit fünf Jahren an allen Wahlen, die stattfinden, sowohl für das Parlament, wie auch auf der lokalen Ebene und der Präsidentschafts­ebene. Auf der politischen Ebene versucht diese Partei die Gesamtinteressen der polnischen ArbeiterInnen zu vertreten, nicht nur die ihrer eigenen Mitglieder, sondern der gesamten Klasse. In der Gründungsphase der Partei war es zunächst so, dass nur Angehörige der Gewerkschaft Mitglied in der Partei werden konnten, weil letztere schließlich der politische Ausdruck der Gewerkschaft sein sollte. Inzwischen ist man dazu übergegangen, die PPP auch für Menschen zu öffnen, die nicht Mitglied der Gewerkschaft sind. So können heutzutage z. B. auch StudentInnen oder Intellektuelle der Polnischen Arbeitspartei beitreten.

Welche Schwerpunkte habt ihr in eurer politischen Arbeit?

Boguslaw: Wir versuchen in allen Bereichen politisch aktiv zu sein, die das Leben der ArbeiterInnen betreffen. Es gibt kein ausgewähltes Arbeitsfeld. Neben den klassischen gewerkschaftlichen Fragen sind wir auch in anderen Bereichen aktiv, wie z. B. zum Thema Krieg: Wir treten für den Abzug der polnischen Truppen aus Afghanistan und dem Irak ein. Daher haben wir uns u.a. auch an den Protesten gegen die Stationierung US-amerikanischer Raketen in Polen beteiligt. Ein weiteres wichtiges Thema für uns ist der Kampf für die Rechte der Frauen. Wir unterstützen aktiv die Frauenbewegung, weil der politische Druck von rechts in der polnischen Gesellschaft heute immer mehr zunimmt. Um noch ein weiteres Beispiel zu geben: Wir beteiligen uns auch an dem Kampf der MieterInnen, die aus ihren Wohnungen rausgeworfen werden sollen, was ein sehr verbreitetes Phänomen momentan in Polen ist. Es gibt eine sehr starke Protestbewegung derjenigen MieterInnen, die auf breiter Front aus ihren Wohnungen gedrängt werden. Unser Hauptbetätigungsfeld ist allerdings die unmittelbare Lage der ArbeiterInnen, also das, was von der Gewerkschaftsarbeit ausgeht. Ein wichtiges Thema für uns ist daher z. B. der Mindestlohn, der ja momentan nicht nur in Polen in breiten Kreisen diskutiert wird. Des Weiteren spielt der Kampf gegen die Privatisierung sowohl des Gesundheitssektors, als auch des Öffentlichen Dienstes und der Telekommunikation, eine wichtige Rolle in unserer politischen Arbeit.

In welcher Weise schreiten die Angriffe auf das Rentensystem in Polen voran?

Boguslaw: Die Rechtsregierung, die zurzeit in Polen regiert, ist entschlossen, die Rentenreform weiterzuführen, welche von der Vorgängerregierung vor zwei Jahren initiiert wurde. Es gibt eine Konterreform auf breiter Ebene, was die Renten angeht, sowohl bzgl. des möglichen früheren Eintritts in die Rente, welcher abgeschafft werden soll, als auch in Bezug auf das normale Renteneintrittsalter, welches angehoben werden soll. Auf beiden Ebenen gibt es hier eine Rückwärtsentwicklung, die im Zusammenhang mit anderen Sozialabbaumaßnahmen steht. Für die nächsten zwei Jahre plant das Parlament, das Renteneintrittsalter von heute 60 Jahre für die Frauen und 65 Jahre für die Männer, auf 67 für alle zu erhöhen. Die Regierung orientiert sich dabei an dem Rentenmodell in Deutschland. Außerdem soll demnächst das vorgezogene Renteneintrittsalter für bestimmte Berufsgruppen abgeschafft werden, wie es bisher z. B. für die Staatsbediensteten galt, für die Polizei, Angehörige der Armee und andere Beamte. Bereits vor einem Jahr schon wurde das Recht auf einen vorgezogenen Renteneintritt für die Beschäftigen im Metall-, Chemie- und Energiesektor abgeschafft. Dafür wurde damals extra die Verfassung geändert, mit der Zustimmung der sozialdemokratischen Partei. In zwei Jahren, wenn die Rentenreform so umgesetzt sein wird, wie die Regierung es plant, wird es nur noch eine Berufsgruppe geben, die das Recht auf einen vorgezogenen Renteneintritt hat – dies werden die Priester sein.

Unser Ziel ist es hingegen, die Organisationen der radikalen Linken in Europa dafür zu gewinnen, gemeinsam zur Verteidigung der Renten aktiv zu werden. Ein solcher Angriff auf die Renten wird ja in vielen Ländern heute betrieben, daher denken wir, dass dies ein günstiges Terrain ist, um auf europäischer, also internationaler, Ebene zusammenzuarbeiten. In Polen kommt heute erschwerend hinzu, dass schon seit einigen Jahren das Rentensystem privatisiert ist. Hierdurch ist es besonders schwierig, den Widerstand aufzubauen, da jetzt nicht nur gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters gekämpft werden muss, sondern gegen das Rentensystem als Ganzes. Während der Umstellung des Rentensystems wurde es nicht einfach nur privatisiert, sondern es wurde von einem Umlage­system, auf ein kapitalgedecktes Rentensystem umgestellt. Vor der Umstellung bekamen die KollegInnen 60 % des vorherigen Einkommens als Rente. In dem neuen System sind es nur noch 30-35 %, also praktisch eine Halbierung des Rentenniveaus.

Was unterscheidet eure Gewerkschaft August 1980 von der alten Gewerkschaft Solidarnosc?

Boguslaw: Solidarnosc ist verantwortlich für die Restauration des Kapitalismus. Seit dem Beginn der Umstellung des Wirtschaftssystems hat diese Organisation alle Einzelmaßnahmen zur Restaurierung des Kapitalismus und die damit verbundenen Angriffe auf die arbeitende Klasse mitgetragen. Sie ist verantwortlich für die Privatisierung der ehemaligen staatlichen Betriebe, für die Schließung von Unternehmen und die Entlassung von ArbeiterInnen. Solidarnosc ist u. a. auch direkt verantwortlich für die Privatisierung des Rentensystems. Ihre eigene politische Repräsentation hat dies auf Regierungsebene umgesetzt. Der heutige Präsident des Europaparlaments war zu dieser Zeit der Ministerpräsident von Polen und politischer Vertreter der Solidarnosc. Auch an der Privatisierung des Gesundheitssystems war diese Gewerkschaft beteiligt.

Im Zuge dieser Privatisierung des Gesundheitssystems war eine Maßnahme z. B. die Kürzung der Leistungen. Heute wird Solidarnosc daher in Polen als eine rechte Gewerkschaft angesehen. Man kann es am besten mit den Worten von Lech Walesa zusammenfassen (Anmerkung Avan
ti: ehemaliger Vorsitzender der Solidarnosc und Präsident Polens zwischen 1990 und 1995), der 1998 sagte: „Wir können keine große Gewerkschaft gebrauchen, denn die kann die Umstellung auf den Kapitalismus nur erschweren“. Wir als Gewerkschaft August 1980 beziehen uns im Gegensatz dazu auf die große Zeit der Arbeiterrevolte 1980/81 als Solidarnosc noch kämpferisch war, in dieser positiven Tradition stehen wir. Die Solidarnosc von heute ist das Gegenteil. Denn die Arbeiter von 1980/81 haben nicht dafür gestreikt, dass der Kapitalismus restauriert wird, dies war nicht ihr Ziel.

Wie groß ist eure Gewerkschaft, in welchen Bereichen habt ihr Einfluss?

Boguslaw: Wir sind eine landesweite Gewerkschaft, aber unsere Hauptbastion, unsere große Stärke, liegt in Schlesien. Vor allem in den Bergwerken und in der umliegenden Region, auch in der Automobilindustrie sind wir heute gut verankert. Bei Fiat sind wir die größte Gewerkschaft. Im Energiesektor, in den öffentlichen Verkehrsbetrieben und in den großen Supermärkten exis­tiert darüber hinaus auch ein recht großer Einfluss unserer Gewerkschaft. So wurde z. B. der erst­e Streik in einer Supermarktkette in Polen, bei Tesco, von August 1980 organisiert. Um auch unter den Studierenden an Einfluss zu gewinnen, haben wir jetzt außerdem damit begonnen, eine Studierendengewerkschaft zu gründen.

Vielen Dank für das Interview 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite