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Geschichte und Philosophie

„In Hamburg fiel der erste Schuss“

Von joe hill | 01.10.2003

hieß es optimistisch in einem Lied der KPD, welches vom Hamburger Aufstand vom 23.-25. Oktober 1923 handelte. Tatsächlich waren die Ereignisse jedoch nicht der Beginn, sondern der Endpunkt einer revolutionären Welle.

hieß es optimistisch in einem Lied der KPD, welches vom Hamburger Aufstand vom 23.-25. Oktober 1923 handelte. Tatsächlich waren die Ereignisse jedoch nicht der Beginn, sondern der Endpunkt einer revolutionären Welle.

Das Jahr 1923 war in Deutschland von massiven Krisen und Konflikten geprägt, von welchen die Inflation, die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen sowie rechte Aktivitäten, welche im Hitlerputsch am 09. November 1923 in München mündeten, am bekanntesten sind. Auch kam es zu massiven Streikbewegungen, ausgelöst durch die hohen Reallohnverluste und die Versuche des Kapitals, die Krise auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Vielfach standen hier Mitglieder der KPD an der Spitze, die KommunistInnen gewannen an Popularität. So gelang es ihr bei Wahlen fast mit der SPD gleichzuziehen und die Mehrheit in wichtigen Gewerkschaften wie in der Berliner Metallindustrie zu erringen, die Hegemonie der Sozialdemokratie in der ArbeiterInnenbewegung zu brechen. Vor diesem Hintergrund stand auch die Revolution – auch im Bewußtsein der ArbeiterInnen – wieder auf der Tagesordnung. Aufstandsvorbereitungen wurden getroffen, sowjetische Militärexperten reisten nach Deutschland

Am 10. Oktober trat die KPD in Thüringen und Sachsen in Regierungskoalitionen mit der SPD ein, u.a. um die Bewaffnung dortiger ArbeiterInnenmilizen zu unterstützen und um den Konflikt der dortigen linkssozialdemokratischen Regierungen mit der Berliner Zentralregierung zu verschärfen. Als Reichspräsident Ebert (SPD) am 20. Oktober die beiden SPD-KPD Landesregierungen absetzte und Reichswehrtruppen einsetzte, hoffte mensch auf einen Aufruf einer ArbeiterInnenkonferenz in Chemnitz am Tag darauf zum Generalstreik, in dessen Windschatten dann der bewaffnete Aufstand beginnen sollte. Als dieser Aufruf ausblieb, bekam die KPD-Führung unter Brandler und Thalheimer kalte Füße und beschloss, nicht zum Generalstreik oder zum Aufstand aufzurufen.
Panne oder Kalkül?
Warum der Aufstand im Hamburg dennoch stattfand, ist bis heute nicht befriedigend geklärt. Es wird sowohl darüber spekuliert, dass der Kurier der KPD-Leitung zu früh nach Hamburg abreiste, bevor der Aufstand abgesagt wurde, dass die Hamburger KPD sich bewusst dem Beschluss der Zentrale widersetzte oder wiederum die Zentrale die zum linken Parteiflügel gehörende Hamburger KPD in einen isoliertes Abenteuer führte. Der in der Kürze der Zeit schlecht organisierte Aufstand unter der Führung von Lazar Stern, Albert Schreiner und Hugo Urbahns begann jedenfalls in den Morgenstunden des 23. Oktober.

Einige hundert bewaffnete KPD-Mitglieder besetzten in Hamburg und einigen Nachbarorten Polizeiwachen und strategisch wichtige Orte. Dabei kam es zu ersten Kämpfen, viele Plätze wurden relativ schnell von der Ordnungspolizei, die von sozialdemokratischen Hilfstruppen unterstützt wurde, zurückerobert, in vielen Hamburger Stadtteilen und im benachbarten Altona blieb es ruhig. Am Ende des Tages konnten sich die Aufständischen lediglich in Barmbek und dem Vorort Schiffbek halten, wo die Unterstützung aus der Bevölkerung am intensivsten war. Aber auch hier gelang es der Polizei den Aufstand in den nächsten Tagen niederzuschlagen. Ca. 90 Tote, 270 Verletzte, 1400 Strafverfahren und 300 Verurteilungen war die Antwort des bürgerlichen Staates und der in Hamburg regierenden SPD auf den Aufstand. Der Funke einer derartigen isolierten Aktion konnte nicht das "Feuer der Revolution" (Hugo Urbahns) entzünden; die Schuld dafür ist aber nicht bei den revolutionären KämpferInnen in Hamburg zu suchen.

 

„1923“
Im Oktober 1923 verpasste die Parteiführung der KPD um Heinrich Brandler eine revolutionäre Situation kampflos. Er hatte auf einer Betriebsrätekonferenz in Chemnitz den Generalstreik gegen die Absetzung der sächsischen SPD-KPD-Regierung durch Reichsregierung und Reichswehr gefordert. Nachdem sich die linken SozialdemokratInnen gegen Streiks ausgesprochen hatten, blies das ZK der KPD auf Vorschlag Brandlers den geplanten bewaffneten Aufstand ab.
„1923“ war eine historische Niederlage. Mit ihr stabilisierte sich der Kapitalismus international und sie ermöglichte in der Sowjetunion den Sieg der Bürokratie unter Sinowjew-Kamenew-Stalin gegenüber der Linken Opposition Trotzkis. Für Trotzki und GenossInnen war der deutsche Oktober das klassische Beispiel für eine kampflose Kapitulation:
„Solange die Parole des Aufstandes für die Führer der deutschen kommunistischen Partei eine vorwiegend – wenn nicht ausschließlich – agitatorische Bedeutung hatte, haben diese die Frage von der bewaffneten Macht des Feindes (Reichswehr, faschistische Verbände, Polizei) einfach ignoriert. Ihnen schien, dass bei der ständig anwachsenden revolutionären Bewegung die militärische Aufgabe von selbst gelöst werden würde. Als aber dieses Problem in den Vordergrund rückte, haben die Genossen, die bis dahin die bewaffneten Kräfte des Feindes als nicht existierend angesehen hatten, den neuen Fehler begangen, diese Kräfte zu überschätzen. Sie nahmen die Angaben über die Zahl der bewaffneten Streitkräfte der Bourgeoisie für vollwertig und sie summierten sie mit den Kräften der Reichswehr und der Polizei, rundeten sie nach oben ab (bis zu einer halben Million und mehr) und erhielten so eine kompakte, bis an die Zähne bewaffnete Macht, die vollständig ausreichend war, ihre eigenen Anstrengungen zu paralysieren“. (Leo Trotzki, 1917. Die Lehren der Revolution, Hannover 1977).
B. B.

 

 

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