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Innenpolitik

Im zweiten Anlauf durch die Hintertür

Von Thadeus Pato | 01.11.2011

Es ist immer wieder rührend, wie viel Mühe sich die jeweils Verantwortlichen geben, für durchaus anrüchige Vorhaben Bezeichnungen zu finden, die das Gegenteil suggerieren.

Es ist immer wieder rührend, wie viel Mühe sich die jeweils Verantwortlichen geben, für durchaus anrüchige Vorhaben Bezeichnungen zu finden, die das Gegenteil suggerieren.

Das Wort „Gesundheitskarte“ klingt gut und tröstlich, so, als könne man sich seiner Gesundheit schlicht durch den Besitz einer harmlosen Plastikkarte versichern.

Dreizehn Jahre hat es gedauert, bis nun die flächendeckende Einführung der Gesundheitskarte verkündet wurde. Bereits 2008 hatten wir in der Avanti darauf hingewiesen, dass das Vorhaben, sämtliche PatientInnendaten als sog. Elektronische Patientenakte extern zu speichern und über die sog. Gesundheitskarte abrufbar zu machen, erstens erhebliche Sicherheitsprobleme, was den Datenschutz betrifft, aufweist, und zweitens dem Missbrauch durch staatliche Institutionen Tür und Tor öffnet. Entsprechend machten seinerzeit sowohl PatientInnenverbände, Ärzteorganisationen als auch der Chaos Computer Club gegen das Projekt Front. Der Deutsche Ärztetag 2008 hatte z. B. eine völlige Neukonzeption und die Erprobung einer alternativen Lösung für die elektronische Patientenakte gefordert, nämlich schlicht einen USB-Stick, der beim Patienten verbleibt. Auf der Karte selbst sollten allenfalls bestimmte, im Notfall wesentliche Daten gespeichert werden (etwa Informationen über Allergien, Blutgruppe o.ä.). 2010 wurde die Regierung aufgefordert, das Projekt einzustellen. Stattdessen probiert man es nun erneut.
Salamitaktik
Aufgrund der Tatsache, dass es dem mit der Umsetzung beauftragten Firmenkonsortium – das Projektkonsortium „bIT4health“ („better IT for better health“) bestand ursprünglich aus den Unternehmen IBM Deutschland GmbH, dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO), der SAP Deutschland AG & Co KG, der InterComponentWare AG und der ORGA Kartensysteme GmbH – bisher nicht gelungen ist, eine funktionierende Gesamtlösung vorzulegen, und der Widerstand gegen das Monsterprojekt (noch) nicht ganz erlahmt ist, wird es jetzt nach dem Prinzip der Salamitaktik eingeführt. Noch in diesem Jahr sollen knapp sieben Millionen gesetzlich Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte erhalten – gesetzlich ist eine Ausgabequote von 10 Prozent für 2011 vorgesehen, bis 2013 sollen alle 70 Millionen Versicherten die Karte haben.

Allerdings leistet die neue Karte von ihren Funktionen her zunächst nicht mehr als die alte. Lediglich das Foto auf ihr ist neu. Die „restlichen“ Funktionen, insbesondere die elektronische Patientenakte, sollen dann „schrittweise“ eingeführt werden. Aber es wurden bereits weitere Begehrlichkeiten laut: So hat der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Müller, bereits gefordert, dass auf der Karte auch „Hinweise auf Vollmachten und Organspendebereitschaft“ hinterlegt werden sollen.
Wem nutzt das?
Für Frau Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen, ist die Sache klar: Für die Kassen sei eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit zu erwarten. Und die Kassenärztliche Vereinigung sieht „deutliche Praxiserleichterungen“. Soweit die vordergründigen ökonomischen Interessen.

Es wäre andererseits Unsinn, zu leugnen, dass die Verfügbarkeit aller Befunde eines Patienten sowohl für die Diagnosefindung wie auch betreffend die Vermeidung unnötiger und u.U. schädlicher Doppeluntersuchungen (wie beim Röntgenbild) einen eindeutigen Vorteil bieten würde und ihm somit auch zugutekäme.

Das Problem liegt in der Art der Datenspeicherung und -verwaltung. Nach den zentral gespeicherten Daten wird eine Unzahl von Interessenten gieren: Demografen, Epidemiologen, Statistiker aller Art, Pharma- und andere Medizinkonzerne etc. pp. Auch wenn heute (zunächst) gesetzlich festgelegt ist, dass die Versicherten dem Zugriff ausdrücklich zustimmen müssen, ist nicht gewährleistet, dass das auch so bleibt, oder dass nicht, etwa unter dem Vorwand „existenzieller Gefahrensituationen“ wie z. B. der Terroristenhatz oder einer Epidemie, dann doch „Ausnahmen“ zugelassen werden.

Es kommt noch etwas hinzu: In der „gematik“, die das Projekt betreibt, daran muss man erinnern, sitzen auch Vertreter der „Arbeitgeber“ – und die haben ebenfalls aus den verschiedensten Gründen ein Interesse an dem Datenberg, der da angehäuft werden soll.
Von Alternativen, wie noch 2008 von den Ärzteverbänden gefordert, ist nicht mehr die Rede. Sie waren auch nie ernsthaft erwogen worden. Und deshalb sollte man sich wehren.

TiPP!
Wie das geht? Einfach unter folgender Webadresse nachschauen. Tipps zur Frage „Was Sie tun können, wenn Ihre Kasse ein Foto für die ‚Gesundheitskarte‘ verlangt“: http://www.stoppt-die-e-card.de/index.php?/archives/135-Was-Sie-tun-koennen,-wenn-Ihre-Kasse-ein-Foto-fuer-die-Gesundheitskarte-verlangt.html

 

 

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