TEILEN
Innenpolitik

Im Krisenkarussell

Von Guenther Sandleben | 01.10.2011

Die sich gegenwärtig zuspitzende Krise ist eine direkte Folge des großen Crashs von 2008. Damals verhinderten die Staaten durch ihre Rettungsschirme und Konjunkturprogramme sowohl eine schwere Erschütterung des kapitalistischen Systems als auch eine sich selbst verstärkende Entwertungsspirale des Kapitals.

Die sich gegenwärtig zuspitzende Krise ist eine direkte Folge des großen Crashs von 2008. Damals verhinderten die Staaten durch ihre Rettungsschirme und Konjunkturprogramme sowohl eine schwere Erschütterung des kapitalistischen Systems als auch eine sich selbst verstärkende Entwertungsspirale des Kapitals.

Der ökonomische Bereinigungsprozess zur Herstellung eines neuen Gleichgewichts war blockiert. Notleidende private Kredite wurden durch öffentliche Kredite ersetzt, mit der Folge, dass die Staatsverschuldung und die Bilanzsummen der Notenbanken sprunghaft stiegen. Durch diese Rettungsaktionen wanderten die Entwertungsrisiken vom Kapitalsektor in den Staatssektor. Die Risiken, die der große Crash offenbarte, sind im Gesamtsystem geblieben, nur dass sie teilweise der Staat übernommen hat.1

Ab Frühjahr 2010 verschärfte sich die Staatsschuldenkrise in einem solchen Ausmaß, dass sie vor allem in der Eurozone eine neue Qualität erhielt. Im Frühjahr 2010 standen Griechenland, im Herbst 2010 Irland und im April 2011 Portugal vor einem Staatsbankrott. Seitdem droht die Staatsschuldenkrise auf weitere Länder überzuspringen, mit der Gefahr, dass die Eurozone auseinanderbricht. Um das zu verhindern, wurde der Euro-Rettungsschirm EFSF gespannt und weiter aufgestockt, über den Ende September auch der Bundestag entscheiden wird.
Von der Verschuldungskrise sind keineswegs nur Länder der Eurozone betroffen; Japan, die USA und Großbritannien befinden sich in einer vergleichbar ernsten Situation. Insgesamt gesehen signalisieren die Fiskalkrisen eine neue Stufe der Verschuldung: Wurde anfangs der notleidende private Kredit durch den öffentlichen Kredit des jeweiligen Staates ersetzt, so wird jetzt der notleidende öffentliche Kredit einiger besonders gefährdeter Staaten mehr und mehr durch den Kredit anderer, noch einigermaßen kreditwürdiger Staaten ersetzt. Angesichts der auch hier bestehenden hohen Verschuldung ist dieser Anker bereits brüchig.

Rückblickend betrachtet war die bisherige Schuldenpolitik nichts anderes als eine Politik des Krisen-Aufschubs: Die massive Entwertung des Kapitals zur Bereinigung der Krise fand nicht statt; die Risiken sind geblieben, nur dass sie anders verteilt sind und inzwischen die Staatsfinanzen, das Vertrauen in die Notenbank und den Zusammenhalt des Euroraums untergraben.

Mit dieser schweren Bürde steht die kapitalistische Wirtschaft jetzt vor einer weiteren zyklischen Krisenverschärfung, deren Vorboten nicht nur in den USA, sondern inzwischen auch in Deutschland nicht mehr zu übersehen sind und Anlass geben, dass beispielsweise die OECD und das Kieler Institut für Weltwirtschaft eine schrumpfende deutsche Wirtschaft für das vierte Quartal prognostizieren. Die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten und die neuerlichen Liquiditätsschwierigkeiten einiger Banken weisen gleichfalls auf sich zuspitzende Widersprüche und Gegensätze hin, diesmal aber unter der besonderen Last der Vergangenheit. Fragen wir, ohne die Dinge schönzureden: Was kommt da auf uns zu, wenn sich das Krisenkarussell weiter beschleunigt und welche Maßnahmen werden vorgeschlagen, um die Katastrophe zu verhindern?
1. Erneute Überproduktionskrise
Gestützt auf die umfangreichen Konjunkturprogramme, vor allem die Amerikas und Chinas, erholte sich der Weltmarkt ab dem zweiten Halbjahr 2009. China wuchs trotz der Exporteinbrüche im Jahr 2009 immer noch um 8 %. Dies wurde erreicht durch massive Investitionen in Infrastruktur und Produktionskapazitäten. Zehntausende Kilometer neuer Auto- und Schnellbahnen entstanden, zu den 50 gerade erst eröffneten Flughäfen wurden 45 weitere eingeweiht, neue Wohnblocks und Fabriken schossen empor. China investierte fast 50 % des Sozialprodukts. Die auf eine solche Weise geschaffene hohe Nachfrage verdeckte die Überproduktionskrise, die keineswegs bereinigt war. Die Nachfrage kam der deutschen Exportwirtschaft mit ihrer dazu passenden Produktpalette zugute. Die dafür erforderlichen Produktionskapazitäten standen bereit, da der Staat sie durch großzügige Kurzarbeiterregelungen und Hilfsprogramme für Unternehmer vor der Entwertung und einer physischen Vernichtung gerettet hatte.

Deutschland gehe gestärkt aus der Krise hervor, verkündeten die Politiker mit Blick auf die Produktionskraft, die sie politisch aufrechterhalten hatten. Nun laufen die Konjunkturprogramme aus. Damit endet nicht nur der politisch entfachte Nachfrageschub, die neu geschaffenen Kapazitäten drängen zusammen mit den zuvor geschaffenen auf den Weltmarkt. Auch China hat Verschuldungsprobleme, die einer Neuauflage von Konjunkturprogrammen entgegenstehen: Zählt man lokale, regionale und nationale Schulden zusammen, liegt dort die Verschuldungsrate bei 80 % (USA: 100 %; EU: 82 %). Die im Juli um 7,4 % gegenüber dem Vormonat eingebrochene Auslandsnachfrage für die deutsche Industrie ist ein deutliches Zeichen für eine Überproduktionskrise auf dem Weltmarkt.
2. Finanzkrise
Der Kurssturz an den Börsen – angeführt von Bankaktien – ist ein wichtiger Indikator für die Rezessionsgefahren und der damit einhergehenden Erschütterung des Kredits. Die neuerliche Vertrauenskrise unter den Banken führt dazu, dass sie ihre überschüssige Liquidität trotz geringerer Verzinsung bei der EZB statt bei anderen Banken anlegen. Mitte September 2011 erreichte das Misstrauen ein derart großes Ausmaß, dass US-amerikanische Institutionen europäischen Banken keine Dollar-Kredite am US-Geldmarkt zur Verfügung stellten. Zur Linderung der Not griffen die vier größten Notenbanken ein, um die Banken bei voller Zuteilung mit Dollarkrediten zu versorgen. Neben den neuen Schwierigkeiten kommen die Altlasten hinzu: Vor allem die Schuldenkrise in Südeuropa führt zu Abschreibungsbedarf bei den dorthin vergebenen Krediten. Die Ratingagentur Moody’s reagierte auf den Bonitätsverlust mit einer Herabstufung französischer Banken. Weil die Refinanzierung wegen der Vertrauenskrise schwieriger wird, will die französische Bank BNP Paribas Vermögen im Wert von rd. 70 Mrd. Euro verkaufen, was den Druck auf die Finanzmärkte erhöhen muss.
3. Staatsschuldenkrise
Hier spielt die schwere Bürde der Vergangenheit eine besondere Rolle. Die Verschuldungsquote der Industrieländer liegt im Durchschnitt bei fast 100 %. Die Kreditwürdigkeit Griechenlands, Portugals und Irlands ist bereits so stark erschüttert, dass sie keine Kredite mehr am Kapitalmarkt erhalten; Spanien und Italien gelingt die Kreditaufnahme nur noch dank der Interventionen der EZB, die durch Käufe spanischer und italienischer Anleihen einen Anstieg der entsprechenden Zinsen verhindert. Zudem verhandelt Italien mit der chinesischen Regierung über mögliche Käufe von Staatsanleihen. Die Lage ist derart labil, dass Länder plötzlich vom K
apitalmarkt abgeschnitten werden können, wie es bei Griechenland, Portugal und Irland geschah. „Das kann auch größeren, hoch entwickelten Volkswirtschaften passieren“, vermerkte EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark am Vorabend seiner Rücktritts-Ankündigung in der „Irish Times“. Wenn sich die Überproduktionskrise weiter zuspitzen sollte, wird das die Staatsfinanzen zusätzlich erheblich schwächen, mit der Gefahr, dass die schwelende Fiskalkrise in weitere Staatspleiten umschlägt. Bereits jetzt haben selbst die noch nicht ins Gerede gekommenen Staaten an Handlungsfähigkeit eingebüßt. Sie verfügen kaum noch über die Finanzkraft, konjunkturpolitisch zu agieren. Ihre vielfach durchgepeitschten Sparprogramme können die Handlungsfähigkeit keineswegs kurzfristig herstellen, da sie – wie Griechenland zeigt – die Konjunktur zusätzlich belasten und damit erst einmal die Staatsfinanzen untergraben. Statt die Geschäfte des Kapitals zu stimulieren, werden die Staaten mehr und mehr selbst zu einer Last. Staatsbankrotte, die einen Bankenzusammenbruch mit einem vorübergehenden Stillstand der Wirtschaft auslösen, werden immer wahrscheinlicher. In der Diskussion über eine geordnete Insolvenz Griechenlands wird ein solcher Fall bereits durchgespielt.
4. EZB- und Euro-Krise
Die Notenbanken spielen in dieser Krise eine besondere Rolle. Als „Lender of Last Resort“ (Kreditgeber der letzten Zuflucht) können sie alle nötigen Kredite in beliebiger Höhe in der Währung, in der sie ihre Banknoten emittieren, zur Verfügung stellen. Sie können dies tun, solange man ihnen vertraut. Das Vertrauen ist das Wichtigste was sie besitzen, denn die Banknoten, mit denen sie ihren Kredit auszahlen, sind durch keine wirklichen Werte hinterlegt. Eine Golddeckung oder Anbindung an das Gold, wie gelegentlich gefordert, gibt es nicht. Ihre Krise ist daher immer zugleich eine Vertrauenskrise, d. h. ein Vertrauensverlust in das von ihr emittierte Geld. Sollte sie eintreten, verliert das Geld mehr und mehr seine Fähigkeit, den Waren als allgemeines Tauschmittel zu dienen. Es büßt an Kaufkraft ein, mit der Gefahr einer sich beschleunigenden Inflation. Alle, die das Geld bzw. Ansprüche darauf besitzen, wollen es schnell loswerden, im Waren- wie im Kreditverkehr.

„Quantitative Easing“ (QE), was euphemistisch mengenmäßige geldpolitische Lockerung bedeutet, nennen die Notenbanken ihre riskante Geldpolitik, die in Europa und den USA mit dem großen Crash einsetzte. Die Notenbanken senken seitdem die Bonitätsanforderungen für Wertpapiere, die sie für die Vergabe von Bankkrediten entgegennehmen. Griechische Anleihen auf Ramschniveau gehören ebenso dazu wie irische oder portugiesische Papiere. Die EZB leiht gegen fragwürdige Wertpapiere so viel aus, wie die Banken brauchen.

Hinzu kommt, dass die Notenbanken ihre selbst gedruckten Banknoten dem Staat zur Finanzierung seiner Ausgaben als Kredit zur Verfügung stellen. Ökonomisch läuft diese „monetäre Staatsfinanzierung“ auf eine Geldfälschung hinaus: Der Staat geht nicht mit dem Geld anderer Leute einkaufen, das als Wertzeichen nur eine verwandelte Form des Warenwerts wäre, sondern mit frisch gedruckten Papierzetteln. Die US-Notenbank Fed besitzt nach den Ankaufprogrammen QE1 und QE2 US-Anleihen im Wert von 600 Mrd. US-$, die Bank von England 200 Mrd. Pfund. Anfangs noch etwas zögerlich öffnet die EZB mehr und mehr die Tür für solche Anleihe-Käufe. Mitte September 2011 besaß sie Anleihen finanzschwacher Euro-Länder in Höhe von 143 Mrd. Euro; fast die Hälfte davon kaufte sie erst in den vorangegangenen vier Wochen, hauptsächlich um die Zinsen für italienische und spanische Anleihen niedrig zu halten. Sie stellte sich in den Dienst der Fiskalpolitik. Die mit solchen Anleihe-Käufen verbundenen Risiken verteilen sich auf alle Länder, sodass hier eine Haftungsgemeinschaft besteht, die von deutscher Seite vehement abgelehnt wird. Für Jürgen Stark war das ein Grund für seine Rücktritts-Ankündigung, ebenso für den ehemaligen Bundesbankchef Axel Weber, der seinen Posten im Frühjahr aufgab.

Die EZB gewinnt mehr und mehr die Qualität einer Bad Bank, da in ihrer aufgeblähten Bilanz risikoreiche Wertpapiere stecken. Wenn sich nun die Wirtschaftskrise und in Reaktion darauf auch die Staatsschuldenkrise weiter zuspitzen, besteht die Gefahr, dass sie wegen eines raschen Wertverfalls der risikoreichen Papiere rasch an Vertrauen verliert. Eine Flucht aus dem Euro könnte einsetzen. Dieser Währungsverfall würde mit einer galoppierenden Inflation, möglicherweise noch mit einer Währungsreform einhergehen.
5. Krise der Währungsunion
Das Projekt Währungsunion wird bereits mehr und mehr infrage gestellt. Im Vordergrund des Streits steht das Problem, wer für die Staatsschulden haftet. Eine vor allem von Italien geforderte Haftungsgemeinschaft, etwa durch die Herausgabe von Euro-Bonds und durch eine erhebliche Vergrößerung des Rettungsfonds EFSF, lehnen die finanziell besser gestellten Staaten darunter Deutschland ab, da das für sie zu höheren Zinsen und zur Übernahme fremder Schulden führen würde. Sie wollen erst einmal die Staatsfinanzen der Problemländer kontrollieren, was Mitte August zu dem Vorschlag von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy führte, eine „echte europäische Wirtschaftsregierung“ zu etablieren. Das einstige Ziel von damals, die Währungsunion sei nur ein erster Schritt für eine Wirtschafts- und einer späteren politischen Union blitzte auf. Dass diese Initiative gleich wieder im Sand verlief, und statt dessen öffentlich über eine geordnete Staatsinsolvenz einschließlich eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone diskutiert wurde, zeigt, wie wenig Chancen ein vereintes Europa auf kapitalistischer Grundlage hat.

Je mehr sich alle Seiten der Krise zuspitzen, umso stärker treten die nationalen Kapitalinteressen innerhalb des gemeinsamen Währungsraums hervor. Jedes Land will die Folgen der Krise möglichst auf den Nachbarn abwälzen, keineswegs aber deren Lasten übernehmen. Um dies zu tun, ist die finanzielle Handlungsfähigkeit besonders wichtig, die schon deshalb nicht durch eine Übernahme fremder Schulden untergraben werden darf. Das Kapital scheint nur eine eingeschränkte europäische Solidarität zu kennen, die gebrochen wird durch das Standortinteresse des jeweiligen Landes. Solange es innerhalb einer Währungsunion mehr zu gewinnen als zu verlieren gibt, bleibt man zusammen, andernfalls trennt man sich. Im Süden Europas hat das Kapital an Konkurrenzfähigkeit auch gegenüber Asien und Osteuropa verloren. Statt durch eine Abwertung der Währung einen Ausgleich zu erhalten, ist der Euro wegen der besonderen Wirtschaftskraft und der höheren Produktivität in Deutschland zeitweise gestiegen. Solche Bruchlinien zwischen den verschiedenen nationalen Produktivitätsniveaus bilden einen Sprengsatz für die Währungsunion. Die dramatisch wachsenden Ungleichgewichte zwischen den nationalen Leistungsbilanzen kennzeichnen die verzerrten Konkurrenzverhältnisse. In dem Maße, wie sich die Konkurrenz durch die Überproduktionskrise zuspitzt, werden zugleich die Schwierigkeiten zunehmen, die zu einer Rückabwicklung der Währungsunion führen könnten. In einem s
olchen Fall würden die nationalen Gespenster der Vergangenheit rasch zurückkehren, die sich bereits den Weg zu bahnen beginnen in den Mythen vom „faulen und korrupten Griechen“, der sich durch Manipulation statistischen Materials in die Eurozone mogelte, die europäische Einheitswährung an den Rand des Zusammenbruchs brachte und nun den hart arbeitenden Deutschen auf der Tasche liegt.
6. Gibt es eine Lösung?
Politiker und Ökonomen sind ratlos, wie die sich allseitig zuspitzende Krise zu lösen ist. Ihre Maßnahmen und Vorschläge gehen nicht über das hinaus, was schon während des großen Crashs keine wirkliche Lösung brachte. US-Präsident Obama brachte ein weiteres Konjunkturprogramm in Höhe von 447 Mrd. Dollar ins Spiel, um die ökonomische Stagnation zu beenden, wohl wissend, dass die vorangegangenen Konjunkturprogramme eine Krisenlinderung nur um den Preis einer künftigen Verschärfung der Krise brachten. Die Fed denkt über neue Anleihekäufe nach, die bislang nur zu einer Konzentration der Risiken in der eigenen Bilanz, nicht aber zu einer wirklichen Bereinigung der Krise beigetragen haben. Die Griechen müssten sich jetzt anstrengen, als wären sie im Krieg, leitete Ministerpräsident Papandreou eine weitere Bewegung in der Verelendungsspirale ein, obwohl alle bisherigen Sparanstrengungen nur zu einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Depression geführt haben. Die anderen Länder wie Großbritannien, Spanien, Italien und mit Einschränkungen auch Deutschland folgen auf Abstand diesem Sparkurs, ohne dass sich die Verschuldungssituation verbessert hätte.

Auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik von Anfang September 2011, dem größten Volkswirtekongress im deutschsprachigen Raum, diskutierte man über „die Ordnung der Weltwirtschaft: Lektionen aus der Krise“, ohne auch nur eine Vorstellung zu haben, wie man wirklich aus der Krise herauskommt. Ökonomie-Professoren wie Martin Hellwig vom Max-Planck-Institut und Beatrice Weder di Mauro vom Sachverständigenrat forderten, die Eigenkapitalquoten der Banken zu erhöhen bzw. ein internationales Insolvenzrecht für systemrelevante Banken zu schaffen. Der Bonner Makroökonom Gernot Müller präsentierte ein neokeynesianisches Modell, das nur die hausbackene neoliberale These wiederholte, wonach Ausgabenkürzungen des Staates die Risikoprämien an den Finanzmärkten sinken ließen, was die private Nachfrage anrege. Der Genfer Makroökonom Charles Wyplosz verlangte von der EZB, noch mehr zu tun, indem sie eine Garantie für sämtliche Staatsschulden ausspreche. Wie in der Politik werden auch hier nur die untauglichen Mittel der Vergangenheit wiederholt. Dass Wissenschaft und Politik keinen Ausweg wissen, ist eine Konsequenz ihrer bürgerlichen Befangenheit. Sie benötigen eine Mischung aus Oberflächlichkeit und Schönfärberei, um gerade die kritischen Punkte des kapitalistischen Systems nicht berühren zu müssen. Sie gelangen nur zu solchen Vorschlägen, die systemkonform sind, die also die Grundfesten des Systems unangetastet lassen, aus denen heraus die Krise aber entstanden ist.

Wir stehen am Beginn einer außerordentlichen Krisenentwicklung, die neben zyklischen Krisenprozessen zusätzlich die schweren Bürden des großen Crashs enthält. Dies ist ein gefährliches Gemisch, das Nationalismus und Barbarei in sich trägt. Soll eine politische und soziale Katastrophe verhindert werden, auf die die kapitalistische Welt unvermeidlich zusteuert, müssen die Weichen grundlegend anders als bisher gestellt werden.

1     Einzelheiten dazu in: „Die kapitalistische Krise und was wir ihr entgegensetzen“. Erschienen in der Reihe: Internationale Theorie, Heft 35, zu bestellen über die Redaktionsadresse.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite