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Innenpolitik

Ihre Love-Parade ist vorbei!

Von B.B. | 01.09.2010

Seitdem die Love-Parade im Ruhrgebiet stattfindet, ist sie den Raver­Innen aus der Hand genommen. Aus einem überwiegend selbst organisierten Fest wurde die Love-Parade endgültig zu einer rein kommerziellen Veranstaltung des McFit-Besitzers Schaller.

Seitdem die Love-Parade im Ruhrgebiet stattfindet, ist sie den Raver­Innen aus der Hand genommen. Aus einem überwiegend selbst organisierten Fest wurde die Love-Parade endgültig zu einer rein kommerziellen Veranstaltung des McFit-Besitzers Schaller.

Das Einzige, was an der Love-Parade 2007 in Essen und 2008 in Dortmund stimmig war, waren der Techno und die Menschen, die tanzen und feiern wollten. Dass das Fest der Liebe 2010 in Duisburg mit einundzwanzig Toten und über fünfhundert Verletzten endete, ist tragisch. Es ist auch ein Ergebnis der mangelhaften Verkehrsstrukturen im Ruhrgebiet. Ihre völlige Unzulänglichkeit für eine Massenveranstaltung geht weit über den politischen Horizont kleiner Lokalpolitiker­Innen, wie den des Duisburger Oberbürgermeisters Sauerland, oder über die nationalistische Borniertheit von Pro-NRW hinaus.
Aufklärung von wem?
Wer Aufklärung von den verantwortlichen Politiker­Innen, der Verwaltung, der Polizei und vom McFit-Besitzer Schaller verlangt, wird vergeblich hoffen. Sie alle logen systematisch, was die Besuchszahlen der Love-Parade in Essen, Dortmund und Duisburg betrifft. Angeblich würden, so ließen Schaller und CDU-Sauerland verlauten, über 1,4 Millionen Besucher­Innen nach Duisburg anreisen. Für die Love-Parade in Dortmund wurden 1,6 Millionen, für die in Essen 1,2 Millionen Besucher­Innen angegeben. Die Zahlen waren frei erfunden. Der Veranstalter multiplizierte die tatsächlichen Besuchszahlen mit drei und nannte nur der Versicherung die realen Zahlen. In Duisburg kamen anscheinend ca. 300 000 Menschen zur Love-Parade, in Dortmund und Essen sollen es nicht mehr als 500 000 gewesen sein. Aber die gefälschten Zahlen von Schaller wurden von Politik, Verwaltung und Polizei bestätigt. Mit der Werbewirkung sollten die Umsätze von McFit ebenso aufpoliert werden wie das Image der Städte und ihrer Bürgermeister. Von diesen Institutionen, die die einfachsten Besuchsstatistiken fälschen, ist nicht zu erwarten, dass sie zur Aufklärung der Verantwortlichkeiten für die von ihnen mit verursachte Katastrophe in Duisburg beitragen – ganz im Gegenteil. Erste Medienberichte, nach denen die Toten zu Tode getrampelt worden seien, wurden später dahin „korrigiert“, sie hätten sich im Gedränge Brustverletzungen zugezogen, denen sie erlegen wären. Es soll aber eine richtige Panik gegeben haben.
Keine Sicherheit bei Massenveranstaltungen im Ruhrgebiet?
Die größte Stadt der BRD ist nicht Berlin, sondern mit über 5 Millionen Einwohner­Innen die Metropole Ruhrgebiet, wovon Duisburg, Dortmund, Essen oder Oberhausen nicht mehr als Stadtteile sind. Zwar spazierten erst kürzlich drei Millionen Menschen über die A 40, aber dafür war sie von Duisburg bis Dortmund gesperrt. Eine Massenveranstaltung mit mehreren hunderttausend Menschen passt in keine einzige „Stadt“ des Ruhrgebiets. Das fängt schon bei den Bahnhöfen an. Die Treppenausgänge von den Gleisen des Duisburger Hauptbahnhofs hin zum Busbahnhof / U-Bahn, über die die Besuchermassen zur Love-Parade geleitet wurden, reichen von ca. 2,15 Meter bis ca. 3,20 Meter Breite. Der gesamte Ausgang Busbahnhof ist ein einziger „Tunnel“, wo sich die Massen wie die Heringe drängten.

Am 20. Februar 2010 stellte die SPD-Fraktion im Duisburger Stadtrat einen Antrag, in dem es u. a. hieß: „Der Rat der Stadt begrüßt die Durchführung der Loveparade in Duisburg“. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Keine/r der Abgeordneten von SPD, CDU, Grünen, FDP, DWG-Fraktion und Linkspartei stimmte aus Sicherheitsbedenken dagegen. Über die Sicherheitsfrage konnte allein schon deshalb nicht diskutiert werden, weil die ganze Ratssitzung von 08:00 Uhr bis 08:42 Uhr dauerte. Der SPD-Antrag wurde also „durchgewunken“. Einwände hatte es nur gegen die Kosten der Großveranstaltung gegeben. Als diese Frage geklärt schien, stimmten alle Parteien der Love-Parade zu. Warum soll nur Oberbürgermeister Sauerland zurücktreten, wenn für die Tragödie alle Rathausparteien politische Mitverantwortung tragen?

Schon ein Jahr zuvor bei der Abfahrt von der Love-Parade 2008 ließ die Polizei nur schubweise die Massen in den Dortmunder Hauptbahnhof. Die Bahnsteige waren überfüllt. In dem tunnelartigen Hauptgang am Fuß der Bahnsteige warteten die Menschen stundenlang, um auf die Bahnsteige hoch zu dürfen, die von Sicherheitskräften abgesperrt waren. Viele schnappten nach Luft, manche wurden ohnmächtig.  Dass nicht schon damals Schlimmeres passierte, grenzt an ein Wunder.
Die Bahnhöfe in jeder Stadt im Ruhrgebiet sind für Tausende, vielleicht auch für Zehntausende ausgelegt, aber für Hunderttausende sind sie es in keinem Fall. Die Metropole Ruhrgebiet braucht für solche Großveranstaltungen, wo die Menschen über die Stadtgrenzen hinweg zusammen feiern wollen, ein eigenes Gelände mit Bahnhof, Bahnsteigen, Ein- und Ausgängen, die so „überdimensioniert“ sind, dass sie Hunderttausende fassen können. Zu einer stadtübergreifenden Strukturpolitik für das ganze Ruhrgebiet sind die bürgerlichen Parteien SPD, CDU und Grüne aber nicht in der Lage. Ihre Kirchturmpolitik endet jeweils bei „ihrer“ Love-Parade, „ihrem“ CentrO. in „ihrer“ Stadt.
Größer, weiter … Schaller!
Die Love-Parade im Ruhrgebiet wurde von der Firma Lopavent ausgerichtet, die dem McFit-Besitzer Schaller gehört, der dort auch Geschäftsführer ist. Mit den Klitschko-Brüdern und der Love-Parade versucht Schaller, seiner McFit-Kette ein cooles Image zu geben. Dr. Motte, einer der Gründer der Love-Parade, brachte es auf den Punkt: „Jetzt hat sich das ja gezeigt: Es stand ja nur Größenwahn und Egoismus und Geldgier an erster Stelle. Und darunter mussten leider sehr viele Menschen leiden, und sind auch Menschen gestorben. Und deshalb muss ich sagen: Profit tötet Menschen“.

Mit der Tragödie kehrt sich alles ins Gegenteil: Bei den kommenden Prozessen werden noch manche Machenschaften über die Organisation der Love-Parade ans Tageslicht kommen. Dass McFit-Schaller und CDU-Sauerland z. B. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden, ist von der herrschenden Klassenjustiz kaum zu erwarten. Eine politische oder moralische Verantwortung wollen sie nicht übernehmen. In Düsseldorf ist ein Metallarbeiter nach über dreißig Jahren Betriebszugehörigkeit entlassen worden, weil er angeblich nicht einen halben Liter Milch genommen hat, der ihm täglich als Arbeiter zusteht, sondern eine zusätzliche Tüte „gestohlen“ haben soll. Aber ein Oberbürgermeister Sauerland tritt ebensowenig zurück, wie irgendein anderer politischer (Mit)Verantwortlicher. Doch bis an ihr Lebensende wird Schaller und Sauerland, ihrem Politik- und Unternehmensgebahren die Verantwortung für die einundzwanzig Toten anhaften.

Rassismus hat viele Gesichter
2004 berichtete der Rundfunk Berlin-Brandenburg in einer Sendung Klartext davon, dass „bei McFit Ausländer systematisch abgewiesen wurden“ (FAZ-Sonntagszeitung, 06.01.2008). Das Fernsehmagazin Kontraste berichtete am 10.06.04, dass auch bei McFit in Berlin die Kunden nicht nur „gesund, jung, attraktiv“, sondern „vor allem deutsch“ sein sollten. Sonst könnte es Probleme mit der Aufnahme geben. Selbst die deutsche Staatsangehörigkeit öffne nicht jede Tür. Vielerorts genüge es schon, einfach nur „ausländisch“ auszusehen, um ausgegrenzt zu werden. Ein verdeckt gedrehtes Video von Kontraste in einem McFit-Studio bestätigte: „Ausländer haben tatsächlich kaum eine Chance, hier aufgenommen zu werden. An der Anmeldung muß der junge Türke seinen Pass vorlegen – und siehe da: in ganz Deutschland gäbe es leider keinen freien Trainingsplatz. Diskriminierung bei McFit. Das läßt sich nach den Kontraste-Recherchen nicht mehr leugnen“.

2010 will die rassistische Partei Pro-NRW in Duisburg um jeden Preis Fuß zu fassen. Sie feindet Sauerland wegen seiner Unterstützung für den Bau der Merkez-Moschee an. Nach ihrem gescheiterten Aufmarsch gegen die Moschee versucht sie nun die Debatte um die Verantwortung für die Katastrophe der Loveparade politisch für sich auszunutzen, allein auf die Person von Sauerland zu lenken und mit der Hetze gegen Migrant­Innen zu verbinden.
Auch wenn ProNRW und McFit direkt nichts miteinander zu tun haben: Der Rassismus hat viele Gesichter: Eines davon war 2004 das von McFit und ein anderes ist 2010 das von ProNRW. Jeder Form von Rassismus gilt es auch beim Aufmarsch von Pro-NRW am 28.8.2010 in Duisburg entgegenzutreten.
„Love-Parade“ zurück in die Hand der Raver­Innen!
Die Love-Parade war einmal eine Bewegung, die ursprünglich nicht-kommerziell und allein dem Techno verpflichtet war. Dass die Loveparade von ihren „Erfindern“ an Schaller „verkauft“ wurde, passte in die hohe Zeit des „Neoliberalismus“. Die Raver­Innen gingen tagsüber brav ihrem Beruf oder Studium nach und versuchten nachts, mit Party dem öden Alltag und heute der Krise des Kapitalismus zu entfliehen.

Die Love-Parade der Schaller und Sauerland ist vorbei. Wem wirklich der Techno am Herzen liegt, wird eine neue „Love-Parade“ auf die Beine stellen – selbstverwaltet, nicht profitorientiert und mit dem Wissen, wohin es führt, wenn eine Bewegung von Geschäftemachern gekauft und zusammen mit bürgerlichen Politiker­Innen kommerzialisiert wird. Für einen Neuanfang sind wie bei der ersten Love-Parade 1989 nur einhundertfünfzig Raver­Innen nötig, die wie damals die Veranstaltung als politische Demo anmelden und eine Anlage auf einem VW-Bus.

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