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Betrieb & Gewerkschaft

IG Metall-Gewerkschaftstag: Keine angemessene Antwort auf die Herausforderungen

Von D. Berger | 01.04.2004

Vor und auf dem Gewerkschaftstag wurden noch mal die bekannten Positionen der beiden Hauptströmungen in der IG Metall abgesteckt, aber wirkliche Richtungsentscheidungen wurden vertagt.

Vor und auf dem Gewerkschaftstag wurden noch mal die bekannten Positionen der beiden Hauptströmungen in der IG Metall abgesteckt, aber wirkliche Richtungsentscheidungen wurden vertagt.

So war z. B. das Positionspapier der Bezirksleiter von NRW, Küste und Bayern Raus aus der Wagenburg nicht Gegenstand der Diskussion, aber deswegen war es nicht einflusslos. Einige Delegierten haben in ihren Redebeiträgen die dort benutzten Formulierungen aufgegriffen, mensch solle doch die "betrieblichen Realitäten zur Kenntnis nehmen." Damit umschreiben in aller Regel Betriebsratsfürsten aus manchen Großbetrieben und konservative Hauptamtliche ihre wohlwollende Untätigkeit gegenüber der allgemeinen Tendenz zur Deregulierung der Arbeitsbedingungen, v. a. der Arbeitszeiten. Ihr Argument: Mensch müsse mit Verträgen die unterschiedlichen Realitäten in den Betrieben "einfangen" und sie nicht im Widerspruch zu den existierenden Tarifverträgen stehen lassen. Wir passen also die Tarifverträge der schlechten Realität an, statt umgekehrt für die Veränderung der Verhältnisse zu kämpfen. In Wirklichkeit wird damit der Flächentarifvertrag ausgehöhlt und das Wirken vieler Betriebsräte in Richtung Deregulierung abgesegnet.
Wichtige Debatten vertagt
Diese und andere wichtige Fragen wurden gerade nicht systematisch diskutiert, so dass die IG Metall weiterhin nicht in der Lage ist, die Tendenz zur Differenzierung zu bekämpfen. Nicht einmal der vom 2. Vorsitzender der IGM, Huber, in den letzten zwei Jahren immer wieder vorgetragene Wunsch, zweistufige Tarifverträge abzuschließen, wurde ernsthaft diskutiert. Huber hat seine Positionen nicht geändert und sie vor dem Gewerkschaftstag in einem FR-Interview noch einmal durchblicken lassen. Aber seine Ausführungen – Huber sprach nur zur Eröffnung und griff in die Sachdebatten nicht ein – blieben im Allgemeinen hängen. Aus den Interviews wurde auch deutlich, dass er die Agenda 2010 nur "sozial gerecht" gestalten will. Auch Huber will den Sozialstaat "umbauen". Ganz im Gegensatz zu Peters, der die Agenda 2010 rundweg ablehnt und für diese Position auf dem Gewerkschaftstag, zum Teil recht engagiert, geworben hat.

Aber der Vorstand insgesamt hatte keine klare Position zur Frage: Was tun? Zwar ist es Peters nach dem Desaster vom Sommer um die 35-Stundenwoche in Ostdeutschland einigermaßen gelungen, den Gewerkschaftstag bei seinen inhaltlichen Ausführungen mitzureißen, doch wirklich klassenkämpferische Positionen waren unter den Delegierten eindeutig in der Minderheit. Und auch mit Peters Rhetorik wurden noch keine Aktivitäten eingeleitet. Kein Wunder, dass z.B. der Aachener Antrag abgelehnt wurde, der da lautete: "Der Vorstand wird aufgefordert, alles dafür zu tun, dass massenhafter Widerstand gegen beabsichtigte Kürzungen/Verschlechterungen unseres Sozialsystems entwickelt wird. Dabei ist auch das Mittel des Generalstreiks anzuwenden." Und zur Demo am 1. November in Berlin konnte mensch sich lediglich auf die Erklärung verständigen, dass die IG Metall nicht dazu aufrufe, es aber gern sehe, "wenn viele Metaller daran teilnehmen."
Distanz zur SPD
Dass die Regierungs- und Parteienvertreter (SPD, Grüne, FDP, CDU) sehr kalt empfangen wurden, war zwar in diesem Ausmaß neu, aber angesichts der aktuellen Angriffe nicht überraschend, erst recht nicht nach Schröders rotzfrecher Rede. Viele Delegierte waren geradezu schockiert, als Schröder abkotzte: "Überfordert euch nicht, ich bin geringen Beifall gewöhnt."

Vor allem der breite und – vergleichsweise gut organisierte – Protest gegen Überlegungen zur Einschränkung der Tarifautonomie hat die Organisation zusammengebracht und blieb nach außen nicht ohne Wirkung, auch wenn ganz selbstredend die betrieblichen Aktionen (insgesamt 12.000 KollegInnen sind bei Porsche, Bosch und DaimlerChrysler auf die Straße gegangen) der entscheidende Hebel zur Verteidigung der Tarifautonomie und des Tarifvorbehalts im Betriebsverfassungsgesetz sind. Deswegen ist es besonders schlimm, wenn der 1. Bevollmächtigte der Verwaltungsstelle Stuttgart, Jürgen Stamm, erklärte: "Es wird keinen zentralen Aufruf der IG Metall dazu geben." Auch die Debatte über die grundlegende Ausrichtung der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wurde weitgehend ausgespart.

Politisch am bedeutsamsten ist eine Tendenz, die auf diesem Gewerkschaftstag so deutlich wie noch nie hervorgetreten ist und selbst in der Grundsatzrede vom 1. Vorsitzenden Peters in Bürokratenmanier eher zurückhaltend formuliert wurde. Es ist die klare Feststellung, dass die SPD nicht mehr "die" Partei für die Gewerkschaften ist. In der letzten Zeit häufen sich die politisch motivierten Parteiaustritte aus der SPD, auch von Hauptamtlichen der Gewerkschaft. So erklärte z.B. der Bevollmächtigte der IG Metall Aalen, Roland Hamm nach 27 Jahren Parteimitgliedschaft seinen Austritt in einem Interview der Südwest Presse vom 14.10.03: "Wir müssen nun versuchen, in einem breiten Bündnis den Widerstand zu organisieren." In diesem Jahr hat die SPD allein bis Ende Oktober schon 11% ihrer Mitglieder verloren. Seit Jahrzehnten gab es nicht mehr so viele schriftlich begründete Austrittserklärungen.

Viele Redebeiträge auf dem Gewerkschaftstag griffen nicht nur die Regierung, sondern auch ganz scharf die SPD an. Hier drückte sich vor allem Enttäuschung und Wut aus. In den meisten Fällen wurde noch nicht die Notwendigkeit der Schaffung einer neuen, einer klassenkämpferischen Partei benannt. Aber mensch kann doch verspüren, dass sich hier langsam ein politisches Vakuum entwickelt, das übrigens von der PDS gerade nicht zu füllen wäre, erst recht nicht nach ihrem Parteitag vom 25./26. Oktober, auf dem sie weiter nach rechts gerückt ist und ihre Beteiligung an der neoliberalen Regierungspolitik in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern verteidigt hat. Schön war z. B. das Pappschild der IG Metall-Jugend: "Wer heute noch der SPD vertraut, dem hat man das Gehirn geklaut."

 

Zweistufige Tarifverträge …
Der Grundgedanke einer Gewerkschaft liegt im gemeinsamen Schutz gegen Angriffe des Kapitals sowie in der Einsicht, dass Verbesserungen bei Lohn- und Arbeitsbedingungen nur in einer breiten Front durchgesetzt werden können. Nur so lässt sich genügend Durchsetzungskraft entwickeln und die Konkurrenz unter den KollegInnen und zwischen den Belegschaften mindestens im Ansatz überwinden.
Bestimmte Betriebsratsfürsten jedoch bringen in Zeiten, in denen “ihr Laden brummt”, immer wieder den Gedanken ins Gespräch, man solle sich von den kleineren, meist nicht so durchsetzungsfähigen Belegschaften “in der Fläche” nicht auf einen mageren Abschluss “begrenzen” lassen. Man solle deswegen zweistufig, “differenziert”, vorgehen und für die Fläche nur einen niedrigen Abschluss tätigen und für die florierenden Unternehmen eine
zweite Runde (zweite Stufe) anschließen, bei der dann für diese Betriebe eine zweite Komponente ausgehandelt wird.
Fatal daran ist: Erstens wird auch nach diesem Modell ein Gesamtvolumen vereinbart, was der Abschluss “kosten” soll. Es wird also umverteilt zugunsten der Belegschaften in Großbetrieben, wo in der Regel besser verdient wird. Die Kluft wird also größer. Die Interessen werden sich auseinander entwickeln.
Zweitens wird damit auch das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit unterhöhlt, bzw. praktisch sabotiert. Und drittens schafft dies die Grundlage dafür, dass dann in absehbarer Zeit der Flächentarifvertrag jegliche Bedeutung verliert und früher oder später jede Belegschaft auf sich allein gestellt ist. Wenn dann Belegschaften in Großbetrieben z. B. wegen geplanter Massenentlassungen Solidarität gebrauchen können, wird sie noch schwieriger zu organisieren sein
Der Gewerkschaftstag hat jetzt beschlossen, den Vorstand aufzufordern, bis Ende 2005 “die mittelfristige tarifpolitische Planung zu erstellen.” In der Zwischenzeit hat der zweite Vorsitzende Huber, er ist für Tarifpolitik zuständig, erst mal freie Hand, gewisse Fakten zu schaffen. Auf die aufmerksame Mitgliedschaft und das Stehvermögen in den Tarifkommissionen wird es jetzt ankommen, ihm Fesseln anzulegen.
D. B.

 

 

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