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Kultur

Hugo Blanco: „Wir Indios“

Von J.-F. Anders | 21.02.2012

Vor Kurzem erschien das Buch von Hugo Blanco: „Wir Indios – Der Kampf der Indígenas gegen rassistische Unterdrückung und die Zerstörung der Umwelt“.

Vor Kurzem erschien das Buch von Hugo Blanco: „Wir Indios – Der Kampf der Indígenas gegen rassistische Unterdrückung und die Zerstörung der Umwelt“.

„Auf dem Gebiet des heutigen Peru hat unser Volk, heute als Indios1 bezeichnet, die Katastrophe der spanischen Invasion erlitten, die große Teile seiner Kultur zerstörte, ohne einen Ersatz zu schaffen, indem sie ihm nicht nur die spanische Kultur aufzwang, sondern mit allgemeiner Verelendung und Ausrottung einherging. Dieser Prozess der Unterwerfung hat nicht aufgehört. In späterer Zeit folgte die Aggression der Yankees und heute die des Neoliberalismus mit seinem Anspruch der ,Globalisierung‘ … Man behandelt uns als ein minderwertiges Volk, man beschneidet unsere Rechte, man missachtet unsere Kultur… Wir sind davon bedroht, ausgelöscht zu werden und wir wehren uns dagegen.“
Wie sieht der Widerstand der Indios konkret aus? Und welche Erfolgsaussichten hat er in Peru und anderswo? Auf diese Fragen geht Hugo Blanco in seinem Buch ein, das im letzten Herbst auf Deutsch erschien.
Wer ist Hugo Blanco?
Hugo Blanco Galdós, geboren 1934 in Cuzco (Peru), organisierte ab 1958 Indiobauern in Gewerkschaften und war Anführer von Bauernaufständen, die zu Landbesetzungen führten. Außerdem organisierte er bäuerliche Selbstverteidigungsorgane und führte sie an, damit diese die „Landreform von unten“ gegen die Pistoleros der Großgrundbesitzer und die Polizei verteidigt werden konnte.
Hugo Blanco wurde 1963 vom Militär gefangen genommen und 1967 dank einer internationalen Solidaritätskampagne, die die IV. Internationale für ihren Genossen initiiert hatte, nicht zum Tod, sondern „nur“ zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.

1970 amnestiert, 1971 nach Chile deportiert und seit 1973 in Schweden im Exil, kehrte er 1978 nach Peru zurück und wurde ins Parlament gewählt. 1992 musste er nach Mexiko fliehen, weil sein Leben durch den Geheimdienst der Regierung und durch die maoistische Guerilla „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad“) bedroht war.

1997 nach Peru zurückgekehrt, wurde er 2008 unter der Anklage, „Gewalt und Widerstand gegen die staatliche Autorität“ begangen zu haben, verhaftet. Nach seiner Freilassung organisierte er 2009 eine Protestkampagne gegen ein Massaker, das unter der sozialdemokratischen Regierung von Alan García bei einer Demonstration an Indios in der Amazonasregion verübt wurde.
Gegenwärtig lebt er in Cuzco und gibt dort die Zeitschrift „Lucha Indígena“ (Der Kampf der Indigenen) heraus, die dazu dient, die Kämpfe der internationalen indigenen Bewegung zur Verteidigung der „Mutter Natur“ (Pachamama) und der kollektiven demokratischen Lebensweise der Indios bekannt zu machen.
Übersicht über den Inhalt des Buchs
Die deutsche Ausgabe ist gegenüber der spanischen von 2010 um zwei aktuelle Beiträge von Hugo Blanco und um ein informatives Vorwort von Michael Löwy erweitert. Zentral ist die Darstellung und Analyse vor allem zweier Themen: der Kampf um die Agrarreform von unten und der Kampf der indigenen Bevölkerung ums Überleben. Die zu verschiedenen Zeiten verfassten zwölf Beiträge Hugo Blancos umfassen außerdem einen Briefwechsel mit dem peruanischen Schriftsteller José Mariá Arguedas, eine Kritik des Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa und dessen Verteidigung des Neoliberalismus, Berichte über Massaker, Überlegungen über das Verhältnis der Indios zur Natur, über rassische Diskriminierung, über Koka (im Unterschied zur Droge Kokain) und über Folter („In der Nacht sind die Schreie der Gefolterten zu hören … Ich fühlte, welche Schande es ist, dass die Menschen ruhig und mit einem Lächeln durch die Straßen im Zentrum von Lima spazieren, obwohl sie Bescheid wissen. Denn sie wissen Bescheid, in Lima und überall auf der Welt …“).
Die Strategie des Neoliberalismus in Peru
„Die multinationalen Konzerne, die Gläubigen der neoliberalen Religion, scheuen sich nicht, die Natur anzugreifen oder Gruppen von Menschen auszurotten, denn alles, was sie interessiert, ist, möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit einzustreichen. Sie vergiften das Wasser, entwurzeln Bäume, zerstören den Regenwald des Amazonas, die Mutter der Amazonasvölker.“
„Das Großkapital setzt bei seinen Raubzügen gegen das Volk, das sich gegen die Ausplünderung wehrt, alle Mittel ein: Polizei, Militär, Justiz, die von ihm manipulierte Presse usw. Alle lassen sich von seinem Geld kaufen und so kann es seinen Raubzug gegen die Umwelt fortsetzen und diejenigen, die sich gegen seine Verbrechen verteidigen, ermorden oder ins Gefängnis bringen. Selbstverständlich handeln sie im Namen des ,Fortschritts‘, des ,Gesetzes‘ und der ,Ordnung‘.“

„Was hat der ,Fortschritt‘ Peru gebracht? Überfischung der Sardinenbestände, Vergiftung des Meeres, kulturelle Zerstörung und Armut. Die Proteine der Sardinen aus einem der reichsten Meere der Erde kommen nicht unseren Kindern zugute, sondern den Katzen und Hunden in Europa und USA; das Geld geht nach Norden oder an wenige reiche Familien (in Peru).“

„Die gesamte gegenwärtige Organisationsform des Landes richtet sich in vielerlei Hinsicht nach den Interessen unserer Herren, in erster Linie von Ausländern; sie dient nicht der peruanischen Bevölkerung, wie behauptet wird. Diejenigen, die beauftragt sind, die kolonialen Interessen zu verwalten, sorgen auch für ihre eigenen, ihre Untergebenen tun ihrerseits das Gleiche. Auf diese Weise wird Peru von oben nach unten ausgenommen, man beraubt uns auf allen Ebenen, angefangen bei den großen und mächtigen multinationalen Konzernen bis hin zu den armen Polizeibeamten oder Sekretären beim Amtsgericht, und aus diesem Grund sterben wir vor Hunger …“

Hugo Blanco erinnert „an die Hungersnöte, bei denen die Gringos (nett, wie sie nun mal sind!) uns als Almosen verdorbenen Mais und ,Milch‘ in Pulverform schicken; sie treffen in der Kirchengemeinde, in der Gemeinde oder bei der Regierung ein, und anschließend werden sie an die Schweine der Großgrundbesitzer verfüttert.

Ich verlange nicht, dass man ­diese Almosen an uns verteilt, ich verlange, dass man uns zurückgibt, was uns gehört, damit es keine Hungersnot mehr gibt. Mein Vetter, Zenón Galdos, verlangte die Verteilung der Almosen; das kam ihn teuer zu stehen; weil er das verlangt hatte, erschoss ihn Señor Araujo, Bürgermeister von Huanoquite. Señor Araujo ist nicht im Gefängnis, er ist aus guter Familie.“
„Die Richter, die Guardias, die gesamte Obrigkeit, stehen auf der Seite der Reichen; für den Indio gibt es keine Gerechtigkeit. Nur wenn er kämpft, erreicht er etwas.“
Der Kampf um Land
Streik bei
den Bauern in Peru bedeutete, dass die Bauern nicht mehr zur Arbeit auf den Feldern des Gutsbesitzers gingen, sondern ihre eigenen Parzellen bearbeiteten. Hugo Blanco berichtet von einem dieser Streiks:
„Als der Streik neun Monate andauerte, beriefen wir eine Versammlung ein, auf der verkündet wurde:
,Bis heute haben wir Gespräche mit dem Gutsbesitzer gefordert, und er wollte nicht mit uns sprechen. Ab heute wollen wir nicht mehr mit ihm sprechen, auch wenn er es wünscht. Heute endet der Streik und beginnt die Agrarreform. Von diesem Moment an gehört der Boden dem, der ihn bearbeitet … Tierra o muerte! (Land oder Tod!).‘“
Das war der Beginn der „Landreform von unten“.
Bewaffneter Widerstand
Als Gutsbesitzer damit drohten, die Bauern zu töten, beschwerten die sich bei der Polizei. Die Polizei reagierte auf ihre Klage mit den Worten: „Unerzogene Indios! Ihr habt dem Herrn das Land weggenommen, und er hat das Recht, euch wie Hunde zu erschießen!“
Die einzige Möglichkeit für die Bauern war, eine bewaffnete Selbstverteidigung zu organisieren.

Hugo Blanco „Da wir wissen, dass die Reichen in letzter Instanz die Kugeln sprechen lassen, müssen wir lernen, uns zu verteidigen.“ Sonst kommt es immer wieder zu Massakern wie dem vom 9.2.2001, von dem Hugo Blanco berichtet:
„Die Stimmung der Menschen war fröhlich…. Plötzlich hörte ich Schüsse. Ich sah neben mir drei Menschen zu Boden fallen, tot oder verletzt. Wir warfen uns auf den Boden. Die Kugeln kamen von allen Seiten. Ich begriff, dass wir es mit einer Bande von feigen Mördern und Killern zu tun hatten …. Nie sah ich so wütende Gesichter. Ganz ohne Angst vor dem Tod. Unter den vielen zornigen Stimmen konnte ich einige deutlich vernehmen: ,Mörder!‘ ,Feiglinge!‘ ,Bringt uns doch alle um!‘

Ich konnte mir nie eine so geballte Wut vorstellen. Menschen, die sich einer Bande von feigen, bewaffneten Mördern entgegenstellen, unbewaffnet. Wie wäre es erst, wenn meine Brüder bewaffnet wären. Wirklich, jetzt verstehe ich mehr als je zuvor, dass der Sieg unser wäre.“
Die von Hugo Blanco organisierte Guerilla diente „nicht dazu, anstelle der Bauern zu handeln, sondern ihre Entscheidung zu unterstützen.“
Damit grenzt sie sich ab von „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad):
„Eine Partei, die antrat, um die Armen Perus zu verteidigen, endete damit, dass schließlich die Mehrheit ihrer Opfer Bauern, Arbeiter und Slumbewohner waren, darunter viele tapfere Führer der Armen. Welche Logik führte sie dorthin? Die sektiererische Logik, dass jeder Andersdenkende mein Feind ist.“

Ebenso grenzt sie sich ab von „Movimiento Revolucionario Tupac Amaru“ („Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru“):
„Seine Logik glich der von ,Superman‘. Die Mitglieder von MRTA waren die Retter eines desorganisierten Volkes; dazu unternahmen sie mutige Aktionen, jedoch losgelöst von der Volksbewegung. Wir glauben nicht an rettende Supermänner, wir sind der Meinung, dass sich das Volk nur selbst befreien kann, indem es sich organisiert und kämpft.“
Widerstand der indigenen Dorfgemeinschaften
Wie Hugo Blancos Berichte eindrucksvoll zeigen, gibt es eine „unglaubliche Widerstandskraft der indigenen Bevölkerung und der ­Institutionen des agrarischen Kommunismus“ (Rosa Luxemburg) gegen die kapitalistische ,Modernisierung‘. Der Grund dafür ist die soziale Organisation der Indio-Gemeinden: „Es gibt keinen Chef, der sie führt, sondern das Kollektiv, die Gemeinde tut es selbst.“ „Die gesamte Bevölkerung entscheidet darüber, welcher Bedarf in den jeweiligen Zonen des Distrikts besteht. … Da die Gemeindeverwaltung sehr wenig Geld erhält, arbeiten die Bewohner in kollektiver Form und unentgeltlich, ein alter klassischer Brauch des ayllu (der Dorfgemeinschaft)“. Wo die Indiogemeinschaft es durchsetzen kann, sich selbst zu verwalten, da ist kein Dorf ohne Wasser und Straßenverbindung – was laut Hugo Blanco in einem von den multinationalen Konzernen extrem ausgebeuteten Land wie Peru viel heißt.
Perspektiven
Hugo Blanco sieht für den Kampf der indigenen Bevölkerung folgende Perspektive: Die Rebellion des Volkes der Indios wird weitergehen, solange es Opfer von Unterdrückung ist.“

„Die ,Zivilisation‘ hat sich von der Natur entfernt und bekämpft sie. Die Weisheit der ,primitiven‘ Völker besteht darin, dass sie sich als integrierenden Bestandteil der Natur betrachten. Sie sind sich dessen bewusst, dass die gegen die Natur gerichteten Angriffe sich gegen die Menschen selbst richten.“„Wenn nicht die multinationalen Konzerne herrschen würden, sondern das Volk, die Menschheit selbst, gäbe es weder die selbstmörderische Zerstörung der Umwelt noch das Elend, die sich beide gegenwärtig in erschreckender Weise verschärfen.“

1    Hugo Blanco benutzt in seinem Buch den Begriff „Indio“, obwohl dieser Begriff, wie Blanco selbst schreibt, „inkorrekt“ ist. Er ist eine abwertende, koloniale Fremdbezeichnung. Hugo Blanco benutzt ihn dennoch, wie er schreibt, wegen seiner Verständlichkeit und meint ihn dann sozusagen in Anführungsstrichen, d. h.: trotzig-ironisch.

Hugo Blanco: Wir Indios – Der Kampf der Indígenas gegen rassistische Unterdrückung und die Zerstörung der Umwelt
Neuer ISP-Verlag Köln/Karlsruhe, Oktober 2011.
Preis: 19,80 €, 175 Seiten,
ISBN 978-3-89 900-137-2

 

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