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Hommage an Anna Solidarno[

Von Barbara Schulz | 01.06.2010

Anna Solidarność nennt die polnische Zeitung Rzeczpospolita Anna Walentynowicz, die kämpferische, unbequeme, widerborstige Mitbegründerin der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność 1980 in Polen. Anna Walentinowicz starb am 10. April dieses Jahres beim Absturz des Flugzeuges, in dem sie mit dem Präsidenten Polens zu den Feierlichkeiten in Katyn flog.

Anna Solidarnosc nennt die polnische Zeitung Rzeczpospolita Anna Walentynowicz, die kämpferische, unbequeme, widerborstige Mitbegründerin der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność 1980 in Polen. Anna Walentinowicz starb am 10. April dieses Jahres beim Absturz des Flugzeuges, in dem sie mit dem Präsidenten Polens zu den Feierlichkeiten in Katyn flog.

Ursprünglich wollte sie im Zug fahren, scheute dann aber die Anstrengung, schließlich war sie 80 Jahre alt und hatte ein hartes, bewegtes Leben gelebt. Anna Walentynowicz wurde am 15.8.1929 in Rowne, heute Ukraine, geboren. Schon als Zehnjährige wurde sie Waise und arbeitete als Kind auf einem Bauernhof, kein ganz ungewöhnliches Schicksal für damalige Verhältnisse. Als sie 1945 nach Gdansk/Danzig kam, begann sie als Arbeiterin, schließlich wurde sie auf der Leninwerft zur Schweißerin ausgebildet. Und sie war eine ausgezeichnete Arbeiterin im doppelten Sinn – 270 % Sollerfüllung, dafür gab es die übliche Auszeichnung. Hier begann der erste Ärger. Anna Walentynowicz bemerkte, dass die Prämie für Männer höher war als für Frauen und verlangte „equal pay“ – würden wir heute sagen. Das brachte ihr einen achtstündigen Aufenthalt bei der Polizei zum Verhör ein. Die schwere Arbeit als Schweißerin hielt sie nicht durch und ließ sich zur Kranführerin ausbilden. Ihr ganzes Leben setzte sie sich für die Arbeitenden ein, sie war auch 1970 für Streik und im Streik.
Ausgangspunkt Leninwerft
Ende 1978 entstand in der Leninwerft eine freie Gewerkschaft, wie ein Kern, der das Entstehen von Solidarność erleichterte. Preiserhöhungen verursachten 1980 in Polen Unruhe; es gab Streiks. Auf der Leninwerft wurde der Streik ausgelöst durch die Entlassung von Anna Walentynowicz kurz vor ihrer möglichen Pensionierung. Der Streik entwickelte sich zu einem Besetzungsstreik, der sich auf andere Betriebe Polens ausdehnte. Von Mitte August wurden Verhandlungen mit der Regierung geführt, betriebsöffentlich, mit Übertragung auf das Betriebsgelände und darüber hinaus, d. h. jeder und jede Interessierte konnte die Verhandlungen verfolgen. Vorbildlich! 18 Tage hielten die Arbeitenden die Werft besetzt. Die Wiedereinstellung von Anna Walentynowicz und einige materielle Forderungen wurden zugestanden und Walesa, Führer der Streikbewegung, wollte den Streik beenden. Anna Walentynowicz und die Basis lehnen ab. Inzwischen gab es ein überregionales Komitee. Die Streiks gingen weiter und erweiterte Forderungen wurden verhandelt.
Zulassung von Solidarnosc
Die 21 Forderungen für eine neue Orientierung wurden zugestanden, mit der wichtigsten, der Zulassung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność, die binnen weniger Monate 10 Millionen Mitglieder hatte. Anna Walentynowicz sah Walesa hier schon als den Zögerer, sie selbst agierte aber aus der zweiten Reihe erfolgreich.

Als im Dezember 1981 das Kriegsrecht ausgerufen wurde und Solidarność suspendiert wurde, kam Anna Walentynowicz wie viele andere ins Gefängnis bzw. kurzfrist­ig in die Psychiatrie, eine gängige Methode, denn „wer gegen uns ist, muss verrückt sein“. In der Folge wurde sie noch mehrfach verhaftet; es wurde sogar ein Versuch unternommen, sie zu vergiften. Geheimdienstakten zeigen, dass die Zersetzungsmethode, die wir aus den Machenschaften der Stasi kennen, gegen sie wie gegen Solidarność angewandt wurde. Aber sie ließ nicht nach, wurde erneut verhaftet, weil sie an der Ehrung der Bergleute der Grube Wujek teilnahm, die die Zomo, eine paramilitärisch Einheit zur Aufstandsbekämpfung, getötet hatte. Anna Walentynowicz hatte Walesa im Verdacht, schon 1970 eine Erklärung zur Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst SB unterzeichnet zu haben. Ob Walesa der Informant „Bolek“ war, ist nicht gesichert. Anna Walentynowicz verließt Solidarność, weil sie mit deren weiteren Arbeit nicht einverstanden war, unterstützte zeitweise die Abspaltung Kämpfende Solidarność im Untergrund und lehnte, als sich 1989 der Wechsel ankündigt, ihre Beteiligung am „Runden Tisch“ ab. Die alten Kräfte waren ihr zu präsent. Walesa wurde 1990 Polens Staatspräsident, Anna Walentynowicz mischte sich weiterhin in Arbeitskämpfe ein.

Ihr Weg wurde zwiespältig. Sie näherte sich der Kirche an, war antikommunistisch, wohl eher antistalinistisch, kritisierte aber die gesellschaftliche Entwicklung, die die alten Seilschaften bei der Privatisierung  bevorzugten, stand weiterhin in sozialen Fragen an der Seite der Arbeitenden.

Ihre Widerständigkeit zeigte sie z. B. auch, als der Regisseur Schlön­dorff ihr Leben zur Vorlage für einen Film nimmt, wobei sie sich dagegen wehrt, dass ihr Leben „boulevarisiert“ wird; sie würde sich wohl auch nicht „Ikone“ nennen wollen.

Auch wenn ich mit manchem an ihrem Verhalten der letzten Jahre nicht übereinstimme, bleibt ihre Arbeit für eine freie Gewerkschaft ihr historisches Verdienst. Die körperlich kleine, kämpferische und eigenwillige Frau verdient Achtung. Respekt vor ihrem großen Mut!

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