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Innenpolitik

Hagen: Die Kommune in der Krise

Von Walter Weiß | 01.07.2009

Die hoch verschuldete Stadt Hagen/Ruhr, unrühmlich durch die pauschalisierte Abrechnungspraxis der ARGE (Arbeitsgemeinschaft) bei Heizkosten für Bezieher­Innen des ALG II in die Schlagzeilen geraten, realisiert ein Sparpaket, das es in sich hat. Betroffen sind insbesondere der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPVN) und der Kulturbereich.

Die hoch verschuldete Stadt Hagen/Ruhr, unrühmlich durch die pauschalisierte Abrechnungspraxis der ARGE (Arbeitsgemeinschaft) bei Heizkosten für Bezieher­Innen des ALG II in die Schlagzeilen geraten, realisiert ein Sparpaket, das es in sich hat. Betroffen sind insbesondere der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPVN) und der Kulturbereich.

Nicht nur Hagen, auch weitere 180 Kommunen in NRW, sind hochverschuldet. Im Einzelnen gibt es dafür auch zum Teil lokale Ursachen, aber die Wurzeln liegen tiefer. Fast die Hälfte der Kassenkredite zur Liquiditätssicherung in Höhe von 28 Milliarden Euro fallen auf NRW, speziell auf das Ruhrgebiet.
Die Lage der Kommunen
So gehört der Raum um Dortmund, zu dem auch Hagen zählt, nach dem Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, zu den besonders schlecht aufgestellten Regionen. Eine der Ursachen ist sicher der seit Jahrzehnten stattfindende Strukturwandel in den Bereich Bergbau und Stahl. Und manche Sorgenkinder wie Nokia und Opel machten in den letzten Jahren überregionale Schlagzeilen. Die hohe Verschuldung ist also nur bedingt ein Resultat dessen, was unter Finanzkrise firmiert. Steigende Erwerbslosigkeit, der Wegfall sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse (u. a. durch Ein-Euro-Jobs als Folge der Agenda 2010), sinkende Steuern und der Bevölkerungsrückgang bedingten die fiskalpolitische Talfahrt der Kommunen. Hagens Bevölkerung fiel von zeitweise über 230.000 Bürger­Innen auf zurzeit rund 194.000 Einwohner­Innen. Und die Talfahrt nimmt kein Ende.

Die ökonomischen und sozialen Folgen von Schröders Agenda und des neoliberalen Raubtierkapitalismus treffen vor allem die Städte und Gemeinden. Im Prinzip ist die kommunale Haushaltskrise nicht selbst gemacht. Allerdings gibt es auch lokal nachhaltige Verfehlungen.

So fühlte man sich im Hagener Rathaus berufen, den global player zu spielen und beteiligte sich an Geschäften mit Derivaten. Der Schuss ging daneben und die unglückseligen Akteure bescherten der Stadt 50 Millionen Euro zusätzliche Schulden. Nennenswerte Konsequenzen hatte das für die Derivatenzocker nicht. Sparen wurde die Devise, obwohl das Deutsche Institut für Urbanistik einen Investitionsbedarf von 704 Milliarden Euro im Zeitraum 2006 bis 2020 im kommunalen Bereich reklamiert.

Nicht zu vergessen ist, dass die seit langer Zeit bestehende Unterfinanzierung auf Gemeindeebene auch das Ergebnis der Tatsache ist, dass die Kommunen bei über 90 % ihrer Aktivitäten Bundes- und Landesgesetze umsetzen müssen.

Dabei üben die Bezirksregierungen als Kommunalaufsicht massiven Druck auf Städte und Gemeinden aus, um Sparpakete – zulasten der Bevölkerung – zu schultern. Objekt der Begierde ist hierbei die öffentliche Daseinsvorsorge wie der ÖPVN und der kulturelle Sektor, die ja keineswegs Luxusgüter darstellen, sondern essenzieller Bestandteil einer funktionsfähigen Kommune sind. Wie das in der Praxis aussieht, illustriert das Hagener Beispiel.
Verkehrspolitischer Kahlschlag
Die Hauptbenutzer­Innen des ÖPVN sind Auszubildende, Migrant­Innen, Berufstätige ohne PKW und Rentner­Innen. An diesen Gruppen setzen nun die Sparpakete an. Schon das erste Sparpaket stellte den regulären Busverkehr um 20.30 Uhr ein und stellte auf den Nachtexpressverkehr mit großen Zeittakten und defizitärer Unterversorgung ganzer Stadtgebiete um. Ab 14. Juni wurde das Angebot nun drastisch reduziert. Zwei Buslinien, darunter eine Schnellbuslinie, wurden ersatzlos gestrichen. Rund 40 Busfahrer­Innen assoziierter Unternehmen verlieren wohl ihren Arbeitsplatz. Menschen mit langen Arbeitszeiten wie in der Pflege, bei Discountern, in der Gastronomie u.s.w. können nur unter schwierigsten Bedingungen abends den Heimweg in hoffnungslos überfüllten Bussen antreten. Die Busse bedienen nun mit weitschweifigen Fahrrouten diverse Stadtviertel. Diese ungebetenen Sightseeing-Touren sind zudem extrem zeitaufwendig, die, nicht zuletzt bedingt durch zahlreiche Eingemeindungen, durch das großflächige Stadtgebiet führen. Und der erste Nachtexpress – und das gehört ins Guinessbuch der Rekorde – fährt sonntags bereits um 19.30 Uhr.
Letztlich ist der ÖPVN eine der Lebensadern jeder größeren Gemeinde. Seine Reduzierung beschleunigt nur den evidenten Niedergang der Ruhrgebietsstadt Hagen. Zudem wird er die stark durch Feinstaubemission belastete Stadt durch einen vermehrten Individualverkehr zusätzlich schädigen. Der wird konsequent durch den jährlichen Autosalon befördert, der sinnvollerweise in der Fußgängerzone stattfindet.

Die Reduzierung des Angebots kommt einer indirekten Fahrpreiserhöhung gleich, der die offizielle in Kürze folgen wird. Und durch die Verkürzung der Kurzstrecke wurde in der Vergangenheit eine weitere Preiserhöhung verwirklicht. Da konnte der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr nicht abseitsstehen und entwickelte mit der Preisstufe D eine weitere erhöhte Einnahmequelle. Die Berufstätigen können sich dem nicht entziehen und werden für ihr ökologisch korrektes Verkehrsverhalten noch bestraft. Und für die zahlreichen Menschen in prekären Lebensverhältnissen, in Hagen mindestens 30 000, wird die Busfahrt zum Luxus.
Die Linke im Rat der Stadt
Völlig abgehoben von den sozialen Problemen der Bevölkerung agiert die Fraktion der Linkspartei im Rat. Sie ist fairerweise nicht mit dem Kreisverband der Partei zu verwechseln, der sich schon einmal von der Fraktion einstimmig distanziert hat. Die nach einem der ihren benannte Faust-Gruppe forderte im Rat ein Sparpaket in Höhe von 150 Millionen Euro, während die Ratsmehrheit „nur“ 120 Millionen Euro beschloss. Damit überholte sie die nicht schlecht staunende FDP sozialpolitisch noch rechts. Das begründete ein Fraktionsmitglied damit, dass damit eine größere Auswahl beim Kürzen bestehe. Im Original weiter: „Wenn dies nicht befolgt wird, bleiben zum Schluss nur noch Kürzungen im Sozialbereich übrig.“ Dass diese Kürzungen dann zum Exitus sämtlicher Kultureinrichtungen und massiven Entlassungen bei der Stadtverwaltung geführt hätten, bleibt unerwähnt.

Äußerungen und eine Positionierung zum Derivatenskandal sind allerdings bisher nicht bekannt. Und dann werden auch neue Mitglieder rekrutiert, die Eintrittsformulare bleiben in der Schublade und werden sehr spät an den Landesverband gefaxt, um den Einspruch von Altmitgliedern zu verhindern. Und so gewinnt mensch dann auch ein Verfahren vor der Landesschiedskommission. Glücklicherweise existiert mittlerweile eine kritische online-Seite (www.doppelwacholder.de), die diese Missstände beim Namen nennt.
Die Kultur – Objekt der Begierde< /span>
Von den Sparzwängen bedroht sind Einrichtungen, die auch finanziell schwächeren Gruppen eine Teilnahme am kulturellen Leben durch kostenlose oder preiswerte Veranstaltungen ermöglichen. Das sind unter anderem das AllerWelthaus oder das Kulturzentrum Pelmke, in dem auch die Veranstaltungen des Linken Dialog Hagen stattfinden. Auch Jugendzentren finden sich in der Regel auf solchen Streichlisten. Die offenen Kulturveranstaltungen des „Muschelsalats“ finden dieses Jahr ihr Ende und spülen satte 20.000 Euro in den Säckel des Stadtkämmerers.

Die Existenz des renommierten Theater Hagen steht auf dem Spiel. Von der Reduzierung des Kulturzuschusses in Höhe von 6 Millionen Euro entfällt mit 4.9 Millionen Euro der größte Anteil auf das Theater. Dies entspricht dem Willen der Arnsberger Kommunalaufsicht. Orchester, Ballett und das Musiktheater würden dann komplett aufgelöst. Nach unseren Informationen handelt es sich um 188 Arbeitsplätze. Viele Betroffene treffen sich dann im nächsten Sommer mit den entlassenen Busfahrer­Innen in den Gängen der ARGE.

Die Sinnlosigkeit solcher Sparpakete wird deutlich angesichts milliardenschweren Einnahmenausfälle der Kommunen durch Steuersenkungen. Die betragen dieses Jahr in Hagen 8,1 Millionen Euro, anno 2010 16 Millionen Euro und dürften sich durch die Abzugsfähigkeit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 21 Millionen Euro summieren.
Erster Widerstand
Nach Vorstellungen des RSB wäre es besser gewesen, frühzeitig gegen die Ausdünnung des Busverkehrs zu mobilisieren. Im Rat der Stadt wendet sich die bürgerliche Gruppe „Hagen Aktiv“ ziemlich konsequent gegen diese Sparpolitik und vertritt einzelne progressive Forderungen. Bei ihrer Unterschriftensammlung zum Erhalt bzw. Wiederherstellung eines adäquaten Busnetzes wird sie von der sozialistischen „Gruppe Weiße Taube“ unterstützt, die in der Frage der Heizkostenpauschalsierung erfolgreich gegen die ARGE agierte. Am 25. Juni fand eine Demonstration zum Erhalt der Kultur in Hagen statt. Sie, wie alle Ansätze des Widerstands, gilt es zu unterstützen und ein breites langfristiges Bündnis gegen den Sozialkahlschlag in der Kommune aufzubauen.

Die Pläne für eine Agenda 2020 liegen bereits in der Schublade und werden nach der Bundestagswahl das Tageslicht erblicken. Dem heißt es mit Georg Büchners Aufruf aus dem „Hessischen Landboten“ entgegenzutreten: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

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