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Länder

Griechenland: Das große Nebelwerfen

Von Thadeus Pato | 01.06.2010

In den letzten Wochen fand in den deutschen Medien ein intensives Griechen-Bashing statt. Statt sich mit den wirklichen Ursachen der Krise zu befassen, hatten die Verantwortlichen offensichtlich den rassistischen Comic „Asterix bei den Griechen“ gelesen, in dem die in den einschlägigen Zeitungsartikeln von SPIEGEL bis BILD geäußerten Vorurteile in geballter Form nachzulesen sind. Aber dieses Einprügeln auf „die Griechen“ hatte System. Die wirklichen Ursachen der sogenannten Griechenlandkrise sollten möglichst im Dunklen bleiben.

In den letzten Wochen fand in den deutschen Medien ein intensives Griechen-Bashing statt. Statt sich mit den wirklichen Ursachen der Krise zu befassen, hatten die Verantwortlichen offensichtlich den rassistischen Comic „Asterix bei den Griechen“ gelesen, in dem die in den einschlägigen Zeitungsartikeln von SPIEGEL bis BILD geäußerten Vorurteile in geballter Form nachzulesen sind. Aber dieses Einprügeln auf „die Griechen“ hatte System. Die wirklichen Ursachen der sogenannten Griechenlandkrise sollten möglichst im Dunklen bleiben.

Was steckt dahinter?

Die tief greifende Verwertungskrise des kapitalistischen Systems ist nicht vorbei, auch wenn die offizielle Politik fleißig das Pfeifen im Walde übt und permanent das Gegenteil beteuert. Die exorbitante Verschuldung der Staatshaushalte, die mit den kürzlich beschlossenen Stützungsmaßnahmen von 750 Milliarden für den im Sinkflug befindlichen Euro einen neuen Höhepunkt erreicht hat, hat zwar bisher einen kompletten Kollaps des Kredit- und Währungssystems verhindert, aber das eigentliche Problem nicht lösen können: Die Profitraten sind nicht wesentlich gestiegen, die produzierende Wirtschaft kommt in den westeuropäischen und amerikanischen Industriestaaten, wenn überhaupt, nur sehr schleppend in Gang, und mit der weiteren Aushöhlung der Binnenkaufkraft in den am meisten verschuldeten Ländern durch die radikalen Sparprogramme, die von EZB und IWF verordnet wurden, wird der Effekt der Stützungsmaßnahmen zu einem großen Teil konterkariert.

Nicht von ungefähr sind einige der radikaleren Marktwirtschaftler der Meinung, dass man Länder wie Griechenland schlicht pleitegehen lassen solle.

So einfach ist das allerdings nicht. Schließlich verlören bei einem Staatsbankrott nicht nur die Spekulanten, die in den letzten Wochen die Zinsen für griechische Staatsanleihen zeitweilig auf atemberaubende 10 % (und darüber) getrieben haben, ihr Geld, sondern auch die Staaten, die Kredite vergeben oder für solche gebürgt haben. Da aber die Verschuldung z. B. der BRD nicht wesentlich hinter der von Ländern wie Spanien zurücksteht, wäre dann unter Umständen ein Dominoeffekt die Folge. Exakt dies ist der Grund, warum jetzt dem schlechten Geld noch einmal 750 Milliarden mehr oder weniger gutes hinterhergeworfen wird.
Wer profitiert?
Die interessante Frage, in welchen Taschen denn die ganzen im Laufe der Jahre aufgelaufenen Schuldenmilliarden gelandet sind, ist relativ simpel zu beantworten: In den gleichen Taschen, in denen jetzt die exorbitanten Zinszahlungen für die griechischen (und anderen) Kredite verschwinden. Nicht angekommen ist das Geld jedenfalls bei denen, die heute in Griechenland und anderswo auf die Straße gehen, weil sie die Zeche bezahlen sollen.

Die europäischen Regierungen, die EZB und die europäische Kommission versuchen, bringt man es auf den Punkt, mit aller Macht zu verschleiern, dass es weder „die Griechen“, noch „die Italiener“, noch „die Spanier“, noch „die Portugiesen“ sind, die das aktuelle Schulden- und Finanzdesaster zu verantworten haben. Sie haben davon nichts gehabt: Ein Viertel der griechischen Beschäftigten verdient weniger als 750 € – bei einem ähnlichen Preisniveau wie in Deutschland. Es sind die Besitzenden in der europäischen Union, und zwar die aller Länder, die an den Spekulationen, der Schuldenpyramide und aktuell an der Finanzkrise der verschuldeten Mitgliedsländer prächtig verdient haben. Und jetzt, da ihnen der drohende Staatsbankrott einiger dieser Staaten die Bilanzen zu verhageln droht, steht plötzlich das ominöse „Wir“ im Raum, mit dem man ausgerechnet die in Haftung nehmen will, die von der Deregulierungspolitik der letzten Jahrzehnte keine sprudelnden Dividenden, Boni oder Rekordexporterlöse gehabt haben, sondern prekäre Beschäftigungsverhältnisse, periodische Arbeitslosigkeit, Lohndrückerei und erzwungene Mobilität. Als die deutsche Kanzlerin in der Bundestagsdebatte vom 19. Mai auftrat, legte sie die Stirn in mahnende Falten und beschwor die Volksgemeinschaft: Auch „wir“ hätten die letzten 40 Jahre über unsere Verhältnisse gelebt – ein Satz, der angesichts von Hartz IV und Rentenkürzung einerseits und den Rekordgehältern der Bank- und Industriemanager andererseits ebenso unverfroren wie zynisch ist.
Und dann wird von Seiten der EU-Politiker auch noch so getan, als habe sich Griechenland sozusagen in die Eurozone gemogelt. Natürlich hätte die EU-Kommission wissen können (und hat es mit ziemlicher Sicherheit auch gewusst), dass die Angaben zur griechischen Staatsverschuldung geschönt waren. Gekümmert hat das allerdings damals niemand, nicht zuletzt deshalb, weil Griechenland einer der wichtigsten NATO-Stützpunkte in der EU ist. Dass man das Land deshalb u. a. mit deutschen U-Booten, Leopard-Panzern und Eurofightern bis an die Zähne bewaffnet hat, wird jetzt ebenfalls „den Griechen“ angelastet, die „über ihre Verhältnisse“ gelebt hätten.
Und wer bezahlt?
Was mit den rassistischen Ausfällen Griechenland betreffend verschleiert werden soll, ist schlicht, dass wir es mit einer veritablen Systemkrise zu tun haben, und dass es auf diese Krise nur zwei mögliche Antworten gibt: Entweder man ändert das gesamte System, oder man versucht das Problem auf dem Rücken derer zu lösen, die für sie nicht verantwortlich sind. Und letzteres wird jetzt (zunächst einmal) bei den Schwächsten durchexerziert. Das Sparprogramm der griechischen Regierung ist beispiellos – bisher. Portugal hat bereits nachgezogen und andere werden folgen. Auch in Deutschland sind neue soziale Grausamkeiten in der Pipeline.
Helfen wird es nichts. Die strukturelle Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft ist nicht gelöst – und ist auf diese Weise auch nicht zu lösen. Die kurzatmige Finanzpolitik der EU gewährt allenfalls einen Aufschub. Aber für den zu erwartenden Crash hat man mit großem Mediengetöse schon einmal vorsorglich einen Schuldigen aufgebaut: Wahlweise geht es gegen die „korrupten“ Griechen oder die „faulen“ Italiener. Wer da korrupt, faul, spekulationsgeil und noch dazu überbezahlt ist, wird verschwiegen. Denn das ist eine verschwindend kleine Schicht von Besitzenden. Und sie sitzen überall – für sie gibt es keine Grenzen. Die Hilfen für Griechenland sind demgemäß auch keine Hilfen für „die Griechen“. Es sind Hilfen für alle die, die an der griechischen (und sonstigen) Verschuldung die ganzen Jahre klotzig verdient haben und jetzt ihr Geld zu verlieren drohen. U
nd bezahlen soll das selbstverständlich jemand anderes: heute die griechischen Arbeiter­­Innen, Arbeitslosen, Rentner­­Innen, Studierenden und Schüler­­Innen, morgen die in Portugal, Italien, Spanien, und übermorgen die im Rest der EU.

Und deshalb ist Solidarität nicht mit „Griechenland“, sondern mit denen, die das drakonische Sparprogramm auszubaden haben, und die völlig zu Recht jetzt dagegen protestieren, das Gebot der Stunde. Dem aus nur zu offensichtlichen Gründen geschürten Rassismus der Internationale des Kapitals muss die internationale Solidarität derer entgegengestellt werden, die nach denen, die jetzt in Griechenland zur Kasse gebeten werden, als nächste dran sind. Und das werden die abhängig Beschäftigten, die Jugendlichen, die Rentner­­Innen, die Erwerbslosen und die vor den Folgen der kombinierten Wirtschafts- und Umweltkrise flüchtenden Migrant­­Innen in ganz Europa sein. Und deshalb bleibt zu hoffen und dafür zu arbeiten, dass der Widerstand in Griechenland gegen die sozialen Grausamkeiten der Regierung zugunsten des internationalen Kapitals nur der Anfang eines Widerstandes ist, der die nationalen Grenzen sprengt.

Und das Ziel dieses Widerstandes kann nicht eine „Umschuldung“ o.ä. sein, wie es z. B. der wissenschaftliche Beirat von attac fordert. Es handelt sich hier nicht um die Folgen von „politischen Fehlern“, sondern um eine Krise des kapitalistischen Systems insgesamt. Systemische Ursachen aber kann man nicht mit Placebos behandeln – da muss man schon das System selbst ändern.

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