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Betrieb & Gewerkschaft

Gewerkschaften in der Sackgasse

Von D.B. | 01.07.2003

Auch den Gewerkschaftsvorständen ist klar, dass die zur Zeit geplanten Sozialabbaumaßnahmen nur die Vorbereitung für noch schlimmere Einschnitte sind. Aber Widerstand zu organisieren gegen einen sozialdemokratischen Kanzler, das ist heute noch viel weniger als früher Sache der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie. Dafür hat der Neoliberalismus zu sehr Einzug in ihr Denken erhalten.

Auch den Gewerkschaftsvorständen ist klar, dass die zur Zeit geplanten Sozialabbaumaßnahmen nur die Vorbereitung für noch schlimmere Einschnitte sind. Aber Widerstand zu organisieren gegen einen sozialdemokratischen Kanzler, das ist heute noch viel weniger als früher Sache der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie. Dafür hat der Neoliberalismus zu sehr Einzug in ihr Denken erhalten.

Wie zu befürchten war, wurde inzwischen die vergleichsweise lahme Beteiligung an den Protesten vom 24. Mai als Beleg dafür herangezogen, dass nicht mehr drin sei. Dabei lag es sowohl an der schlechten Organisierung wie vor allem an der inhaltlich nicht überzeugenden Argumentation der Gewerkschaftsbürokratie. Die KollegInnen sehen den Sinn dieser Aktionen nicht ein. Zum einen war nicht absehbar, was ein Protesttag an einem Samstag bewirken soll, wenn nicht klar ist, dass er nur der Auftakt für Aktionen ist, die die Gegenseite wirklich treffen.

Zum anderen war die Hauptparole der IG Metall „Reformen ja, aber sozial gerecht gestalten" wenig überzeugend. Bei den anderen Gewerkschaften war es meist noch schlimmer.

Die KollegInnen behielten damit das Gefühl, dass auch die Gewerkschaften nicht uneingeschränkt die Interessen der Malocher verteidigen. An keiner Stelle wurden die Bereicherung des Kapitals und die aktive Schützenhilfe der Regierung klar benannt. Weitergehende Proteste von unten blieben isoliert und auch die Aktionen der IGM-Verwaltungsstelle Schweinfurt (s. letzte Avanti) blieben eine Ausnahme und zogen keine Kreise. So hat die Gewerkschaftsbürokratie zunächst einmal freie Hand bei ihrem Anpassungskurs. Der muss aber jetzt politisch verkauft werden. Also hat der IGM-Vorstand (genauer: Zwickel) bei Schröder um ein Gespräch nachgesucht (es war wohl gemerkt nicht umgekehrt!). Zwickel hatte vor, bei diesem Gespräch Kompromisslinien auszuloten.

Doch Schröder hatte gleichzeitig sig-nalisiert, dass er an keiner Stelle von seiner Linie abweichen will. Daraufhin hat der IGM-Vorstand seinen Ersten Vorsitzenden – zunächst einmal – beim Kungeln gebremst und ihm den Auftrag erteilt, die Ablehnung der Agenda 2010 zu begründen. Wieviel davon zu halten ist, sieht mensch schon allein daran, dass die IG Metall keinen weiteren Widerstand angekündigt hat.
Unterschiedliche Linien
So bürokratisch verkommen alle Gewerkschaftsvorstände auch sind, innerhalb der Gesamtorganisation gibt es sehr wohl – zum Glück – noch unterschiedliche Positionen. Auch im Apparat werden Gegenmodelle verfolgt, die zwar keine direkte Kampfperspektive weisen, die aber zumindest die Debatte über Alternativen zum neoliberalen Umbau der Sozialversicherungen und darüber zum Neoliberalismus überhaupt erleichtern. Einige der diesbezüglichen Materialien von der Wirtschaftsabteilung von ver.di (Internet) sind teilweise ganz brauchbar. Politisch schwach bleibt die Galionsfigur der Apparatlinken, IGM-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 23. 6.03. legt er zunächst dar, dass die sozialen Grausamkeiten des neuesten CDU-Konzepts zur Gesundheitsreform eine „Illusion marktradialer Konservativer" ist und greift dann Seehofers Vorschlag einer „Bürgerversicherung" auf. Nach diesem Konzept müssen alle Einkünfte, somit auch Kapitaleinkünfte, für die Beitragszahlung herangezogen werden. Dies ist zunächst ein positiver Schritt. Doch warum will Schmitthenner wie bei der Rentenversicherung die Beitragsbemessungsgrenze nur auf 5.100 Euro anheben und nicht ganz wegfallen lassen. Dann wäre er wenigstens im Einklang mit einer alten Beschlusslage der IG Metall vom Gewerkschaftstag 1977. Außerdem sät er Illusionen, wenn er der CDU einen Kuhhandel vorschlägt: Wenn die CDU die „Bürgerversicherung" akzeptiert, dann verzichtet die Gewerkschaft auf ihre Forderung nach einer „Gesundheitsabgabe zu Lasten der Arbeitgeber". Der zentrale Schwachpunkt seiner Argumentation ist der Bezug auf eine anzustrebende „Beitragsentlastung". Ein anderer Ansatz ist trotz seiner inhaltlichen Schwächen für uns direkter aufgreifbar: der von der Chemnitzer IGM-Veraltungsstelle herausgegebene Chemnitzer Appell.
Schwäche der Gewerkschaftslinken
Politisch und organisatorisch ist die Gewerkschaftslinke den anstehenden Aufgaben alles andere als gewachsen. Dabei müsste gerade heute massiv und überörtlich auf einer möglichst gleich gelagerten Linie den KollegInnen und vor allem den ehrenamtlichen FunktionärInnen klar gemacht werden, dass eine Organisierung des Widerstands von unten die einzige Chance ist, der Zersetzung der Gewerkschaft entgegenzuwirken. Denn das Kungeln mit Schröder stellt das gewerkschaftliche Selbstverständnis von Grund auf in Frage. Warum sollen die KollegInnen – wenn die Gewerkschaft nichts bewirkt – überhaupt in der Organisation bleiben bzw. ihr beitreten?

Die Gewerkschaftslinke muss sich an das Organisieren und das Koordinieren der verschiedenen betrieblichen und lokalen Widerstandsaktionen machen. Dies muss in Verbindung gebracht werden mit dem Kampf gegen Massenentlassungen und Werksschließungen. Deswegen gibt es in den kommenden Wochen 2 Dinge anzupacken.

  1. Festlegung eines bundesweiten Aktionstages im Herbst zusammen mit anderen Strukturen (wie Attac, Anti-Hartz-Bündnissen usw.), aber ohne auf den gewerkschaftlichen Segen von oben zu warten.

  2. Organisierung und Absprachen mit verschiedenen linksgewerkschaftlichen Kräften und Kräften aus der Antiglobalisierungsbewegung, um einen gemeinsamen größeren Kongress (gegen Hartz, Rürup, Agenda usw.) für den Herbst vorzubereiten.
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