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Innenpolitik

Gesundheitsreform: Es zahlen immer die Gleichen – nur nicht die Reichen

Von Thadeus Pato | 01.09.2010

Die Pläne für die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung liegen auf dem Tisch. Durchgesetzt hat sich dabei ein grundsätzliches Prinzip unserer Gesellschaft: Entlastung für die Reichen, Belastung für die Armen.

Die Pläne für die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung liegen auf dem Tisch. Durchgesetzt hat sich dabei ein grundsätzliches Prinzip unserer Gesellschaft: Entlastung für die Reichen, Belastung für die Armen.

Die zentrale Massnahme in der Liste von sozialen Grausamkeiten, die der Herr Rösler zusammengestellt hat, ist das späte Geschenk von FDP und CDU/CSU für das Kapital: Der Arbeitgeberanteil an den Krankenkassenbeiträgen wird „auf unbestimmte Zeit“ eingefroren.
Geschenkpackung …
Und das heißt, der Anteil wird kontinuierlich sinken und irgendwann verschwinden. Denn erstens liegt er aufgrund der mannigfachen, von den Versicherten allein zu tragenden Zuzahlungen bereits jetzt deutlich unter den ursprünglichen 50 Prozent und zweitens wurde gleichzeitig die Begrenzung für die „Zusatzbeiträge“, die von den Kassen seit der letzten Reform erhoben  werden können und die von den Versicherten allein getragen werden müssen, aufgehoben. Wenn mensch die durchschnittlichen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zugrundelegt, dürfte in den nächsten zehn Jahren der Arbeitgeberanteil auf eine marginale Größe sinken. Die zu erwartende Inflation wird diesen Prozess noch beschleunigen. Damit hat sich das Kapital in einem zentralen Punkt endlich durchgesetzt. Dass die gleichzeitig verkündete (letztmalige) Anhebung des Beitragssatzes noch zur Hälfte von den Arbeitgebern mitbezahlt werden muss, können sie angesichts dieses zu erwartenden Milliardengeschenkes verschmerzen – dementsprechend gab es auch erstmals nicht das sonst übliche Gezeter. Hundt und Konsorten waren mit ihrem Philipp Rösler sehr zufrieden.
…  wer bezahlt …
Besonders perfide an dem geplanten Gesetzespaket ist die Vorspiegelung eines „sozialen Ausgleichs“. Der soll darin bestehen, dass der Zusatzbeitrag nach oben gedeckelt ist, nämlich auf maximal zwei Prozent des Bruttoeinkommens. Das bezieht sich aber wohlgemerkt nicht auf den konkreten Beitrag, den die/der Einzelne an seine Versicherung zahlt, sondern auf den durchschnittlichen Zusatzbeitrag aller Kassen, so dass man auch „Pech“ haben kann und die zwei Prozent überschritten werden. Bezahlt wird der Ausgleich aus Steuermitteln. Das bei der schreienden Ungerechtigkeit des Steuersystems als „Sozialausgleich“ zu bezeichnen, ist eine der Unverfrorenheiten, die mensch mittlerweile von Herrn Rösler gewohnt ist. Er selbst kündigt auf der Website des Gesundheitsministeriums bereits an, dass sich der Zusatzbeitrag bis 2014 auf etwa 16 Euro monatlich belaufen dürfte, also das Doppelte von dem, was derzeit die Mitglieder der Kassen bezahlen, die den Beitrag aus Finanznot bereits erheben.
… und wer nicht
Weitgehend ungeschoren kommen allerdings die davon, die die Finanzmisere der Solidarversicherung im Wesentlichen zu verantworten haben, nämlich die Profiteur­Innen des völlig überdimensionierten und teilweise gesundheitspolitisch kontraproduktiven Medizinwesens. Die Pharmaindustrie zum Beispiel, die Rösler publikumswirksam zur Kasse bitten wollte, hat mit einem simplen Trick seine Pläne bereits teilweise ausgehebelt: Sie hat rasch die Preise erhöht, um sie dann um den geforderten Betrag „senken“ zu können. Und mit der Umstellung der Finanzierung nimmt auch der Druck auf die „Leistungserbringer“ ab. Um das zu verstehen, muss mensch sich vor Augen halten, dass die sogenannte paritätische Finanzierung bedeutete, dass die exorbitanten Gewinne, die das im „Gesundheitsmarkt“ tätige Kapital erzielt, bei diesem System jeweils zur Hälfte aus der Kasse von anderen Kapitalfraktionen mitbezahlt werden, die das naturgemäß gerne vermeiden würden. Letztere waren es, die in den jeweils herrschenden Parteien bisher dafür gesorgt haben, dass von Zeit zu Zeit versucht wurde, die Kostenbremse zu ziehen. In dem Moment wo, wie jetzt festgelegt, die zukünftigen Kostensteigerungen ausschließlich von den Versicherten getragen werden, sind sie diese Sorge los – und damit hat das Gesamtkapital zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der eine Teil – die nicht in der Medizinindustrie Engagierten – braucht den anderen nicht mehr mitzufinanzieren, und letzterer hat den freien Gesundheitsmarkt, den er sich schon immer gewünscht hatte. Zwar nicht ganz so radikal, wie er es gerne hätte, nämlich mit einer völligen Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung, aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Die Konsequenzen
Für die Versicherten allerdings hat die Neuregelung den Effekt einer de facto-Lohnkürzung. Hinzu kommt, dass durch die nicht an das Einkommen gekoppelten Zusatzbeiträge die bisher nicht durchsetzbare Kopfpauschale durch die Hintertür schrittweise eingeführt wird und den Rest des Solidarprinzips, der noch übriggeblieben ist, weiter untergräbt.

Der Gesundheitsminister gibt zu, dass diese Reform nicht der Weisheit letzter Schluss sei. Das ist richtig: Auch diese Neuregelung wird das System weder billiger noch besser machen, denn das ist mit einer privatwirtschaftlichen Verfasstheit nicht zu erreichen. Zu erreichen ist damit nur das, was eigentlich bezweckt ist, aber nicht gesagt wird: Gesundheit ist in einer kapitalistischen Gesellschaft eine gewöhnliche Ware. Und von einer Ware bekommt mensch nur so viel, wie er/sie bezahlen kann. Da dies dem Wahlvolk trotz entsprechender Propaganda bisher nicht plausibel gemacht werden konnte, musste die Salamitaktik gewählt werden. Nach inzwischen fast dreißig Jahren Säbelns an der Wurst der Solidarversicherung ist nicht mehr viel davon übrig. Es ist aber davon auszugehen, dass der Gesundheitsminister den Rest schon noch verputzen wird. Herr Rösler hat einmal gesagt, wenn er es nicht schaffen würde, eine vernünftige Gesundheitsreform hinzubekommen, dann wolle ihn „niemand mehr als Minister haben“. Er hat damals vergessen, hinzuzufügen, wen er mit „niemand“ meinte: Niemand aus der Gesundheitsbranche und den sonstigen Kapitalfraktionen. Die Sorge ist er  los. Für die ist er jetzt Darling Rösler.

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