TEILEN
Innenpolitik

Gesundheitsreform 2007: Untauglicher Versuch am untauglichen Objekt

Von Thadeus Pato | 01.02.2007

Keiner will sie, die neueste Gesundheitsreform. Der Spiegel fasste sie in der Überschrift „Sieg der Lobby“ zusammen, die privaten Krankenversicherungen zetern, sie stünden vor dem Ruin und die Süddeutsche Zeitung stellte in einem Kommentar fest, dass sie die Annahme widerlege, dass man das Wort Murks eigentlich nicht steigern könne. Eigentlich gab es zwischen den Koalitionspartnern keine Einigungsmöglichkeit:

Keiner will sie, die neueste Gesundheitsreform. Der Spiegel fasste sie in der Überschrift „Sieg der Lobby“ zusammen, die privaten Krankenversicherungen zetern, sie stünden vor dem Ruin und die Süddeutsche Zeitung stellte in einem Kommentar fest, dass sie die Annahme widerlege, dass man das Wort Murks eigentlich nicht steigern könne.

Eigentlich gab es zwischen den Koalitionspartnern keine Einigungsmöglichkeit: Die einen wollten eine sogenannte Bürgerversicherung (die diesen Namen nicht verdient), die anderen eine sogenannte Kopfpauschale (beschönigende Bezeichnung für einen großen Schritt hin zur endgültigen Privatisierung der Krankenversorgung). Was jetzt herausgekommen ist, stellt nichts anderes dar als eine Konstruktion, die allenfalls geeignet ist, das leidige Thema maximal bis zum Ende dieser Legislaturperiode vom Tisch zu bekommen und die gröbsten Finanzprobleme temporär zu lösen. Weichen stellt diese Reform allerdings trotzdem …
Der Gesundheitsfonds – Geschenk für das Kapital
Eine zentrale Maßnahme ist der sogenannte Gesundheitsfonds, der ab 2009 eingeführt werden soll. Dieser stellt in zweierlei Hinsicht eine Abwendung vom bisherigen Finanzierungssystem dar: Einerseits ist er der Einstieg in eine zusätzliche Steuerfinanzierung, da neben den Beiträgen auch ein Steuerzuschuss mit einfließt. Den Weg der Steuerfinanzierung favorisieren gewisse Kreise in der SPD, unter anderem der Margarinelobbyist Karl Lauterbach. Der Pferdefuß dabei ist, dass das nichts anderes ist als ein verdeckter Zusatzbeitrag, denn das Steueraufkommen stammt ja zum allergrößten Teil aus der Lohnsteuer. Das heißt auch, dass damit im Prinzip die Arbeitgeber entlastet werden – und da sind sich die Koalitionäre ja auch einig, dass eine „Verminderung der Lohnzusatzkosten“ her müsse. Steuern sollen angeblich dafür in dieser Legislaturperiode nicht erhöht werden. Ab 2009/2010 allerdings werden Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen. Das Geld soll in die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder fließen. Wo die Mittel herkommen sollen, ist nicht bekannt. Die volle Finanzierung der Kinderversicherung kostet nämlich nach entsprechenden Berechnungen rund 16 Milliarden Euro, wie die SZ vermeldete.
Hinzukommt, dass, wenn die Kassen trotz des Fonds mit dem Geld nicht auskommen, sie einen Zusatzbeitrag erheben können. Bis acht Euro monatlich gibt es auch keine Bedürftigkeitsprüfung. Man kann sicher sein, dass dieser Zusatzbeitrag bei den Kassen mit den „schlechten Risiken“ schneller kommen wird, als die PolitikerInnen „Reform“ sagen können.

Angesichts dieser Sachlage ist es schon ziemlich unverfroren, wenn das Gesundheitsministerium (BMG) in seiner Präsentation der Reform behauptet: „Dies ist die erste Gesundheitsreform seit vielen Jahren, durch die keine Zuzahlungen erhöht werden“.
Wettbewerb als Selbstzweck
Einerseits beteuert das BMG in seiner Stellungnahme, das Gesetz diene dazu, mehr Wettbewerb zwischen den Kassen zu ermöglichen. Andererseits wird durch den Einheitsbeitrag und den Risikostrukturausgleich dafür gesorgt, dass eine Konvergenz stattfindet. Ziel ist schlicht, die Kassen einerseits zu Fusionen zu zwingen – was ausdrücklich erwünscht ist – und auch anderweitig den Rationalisierungsdruck zu erhöhen. Mehr können die Kassen auch nicht tun, denn sie haben weder einen Einfluß auf den Krankenstand der Bevölkerung, noch können sie die Handlungsweise der Ärzte und insbesondere die Preispolitik der Medizinindustrie beeinflussen. Selbst klassische bürgerliche Ökonomen stellen in den einschlägigen Lehrbüchern der Gesundheitsökonomie fest, dass Wettbewerb im Gesundheitssektor nicht funktioniere, weil keine „Waffengleichheit“ bestehe. Aber lesen scheint die Stärke der Gesundheitsministerin nicht zu sein.
Und die Ärzte?
Die könnten eigentlich ganz zufrieden sein: Für die Vertragsärzte in der gesetzlichen Krankenversicherung wird zum 1. Januar 2009 eine neue Gebührenordnung mit festen Euro-Preisen eingeführt. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass diese Vergütungsregelung eine Kostenexplosion nach sich ziehen wird, wenn keine Kontrollmechanismen eingeführt werden. Und davon steht nirgends etwas zu lesen. Man muss nur an den Kostenschub erinnern der stattfand, als Anfang der sechziger Jahre die Vergütung der Ärzte vom Pauschal- auf das Einzelleistungssystem umgestellt wurde. Die spätere Regelung mit flexiblen Punktwerten war die Notbremse, die angesichts dieses Kostenschubs später gezogen wurde.
Und die Medizinindustrie?
Die hält sich bedeckt – sie ist fast ungeschoren davongekommen. Ihre Lobby hat exzellent gearbeitet. Zu den ausufernden Medikamentenpreisen säuselt Frau Schmidt in ihrer Verlautbarung lediglich: „Die Kosten für Arzneimittel gehören zu den ausgabentreibenden Faktoren im Gesundheitswesen. Deshalb wird der Arzneimittelbereich stärker für den Wettbewerb geöffnet. Krankenkassen und Apotheker erhalten erweiterte Möglichkeiten, mit den Herstellern günstigere Preise zu vereinbaren.“
Wie das geschehen soll, steht nirgends. Von Festpreisen oder ähnlichem ist keine Rede mehr.
Die restlichen Nutznießer aus der Medizinindustrie werden gar nicht erst erwähnt und die Tatsache, dass die in den letzten Jahren entstandenen Krankenhauskonzerne (auf dem Rücken der Beschäftigten) satte Gewinne abwerfen, bleibt vornehm unerwähnt – es handelt sich ja um eine Wachstumsbranche.
Und die Privatkassen?
Deren Lobby – allen voran die CSU – ist natürlich auch tätig geworden. Den für sie schlimmsten Fall haben sie folgerichtig abwenden können: In den Risikostrukturausgleich wurden sie nicht einbezogen. Die Pille, die unversicherten Selbständigen aufnehmen und einen Basistarif anbieten zu müssen, mussten sie zwar schlucken, aber sie haben sicherheitshalber schon einmal angekündigt, dass sie sich dabei eher am Höchstbeitrag der gesetzlichen Kassen orientieren wollen. Was die Schonung der Privatkassen allerdings mit einer dem Allgemeinwohl dienenden Gesundheitspllitik zu tun haben soll, diese Frage wurde von dem Herrn Stoiber, der sich diesbezüglich besonders in Zeug legte, nicht beantwortet.
Es geht um alles Mögliche – aber nicht um Gesundheit
Eines scheint keiner der Journalisten, die unisono in allen Gazetten das neueste Produkt der CDSPU verreißen, bemerkt zu haben: Über Gesundheitspolitik wurde eigentlich gar nicht gesprochen. Es ging und geht ausschließlich um Finan
zen. Die entscheidende Frage, nämlich, wie eine für alle gleiche, rationale und nicht dem Gusto des medizinisch-industriellen Komplexes überlassene Krankenversorgung zu realisieren sei, wurde sicherheitshalber erst gar nicht gestellt. Alle beschlossenen Maßnahmen zielen schlicht darauf ab, das bestehende unzulängliche System durch Umschichtungen und zusätzlichen Geldzufluss für eine Weile gängig zu halten – bis zur nächsten Finanzkrise, und die kommt bestimmt, das zeigt sich nicht nur an der Beitragserhöhung in diesem Jahr.

Dass der vorliegende „Gesundheitskompromiss“ (eine nachgerade grauenhafte Wortschöpfung) so ausgefallen ist, dass seine Halbwertszeit bei maximal zwei Jahren liegt, scheint vordergründig zunächst einmal daran zu liegen, dass die beiden beteiligten Parteien unvereinbare Konzepte vertreten. In Wirklichkeit steckt etwas ganz anderes dahinter: Solange der fundamentale Widerspruch nicht aufgelöst wird, dass die von den Versicherten kollektiv und solidarisch aufgebrachten Mittel für ihre Krankenversorgung in den Taschen nach dem Profitprinzip arbeitender Kapitalgruppen und KleinunternehmerInnen verschwinden, denen an einer effektiven, rationalen und sicheren Versorgung relativ wenig, an einer Ausweitung ihrer Gewinnchancen allerdings sehr viel liegt, sind Reformen wie die aktuelle nur zu einem geeignet – und da sind sich dann auch die beiden angeblich so hart ringenden Kontrahenten von CDU/CSU und SPD wieder einig: Den Marsch in die endgültige marktwirtschaftliche Deregulierung des Krankenversorgungssystems weiter zu beschleunigen. Dass alle Betroffenen unisono schimpfen, hat einen einzigen Grund: Es geht ihnen immer noch nicht schnell genug.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite