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Innenpolitik

Gesundheitspolitik: Der Henkersknecht

Von Thadeus Pato | 01.12.2009

Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet die Medizinindustrie nun schon daran, den deutschen Medizinbetrieb endgültig den Interessen der Kapitalverwertung gemäß zuzurichten. Der neue Gesundheitsminister führt die Politik seiner Vorgänger­Innen Seehofer (CSU), Fischer (Grüne) und Schmidt (SPD) fort. Das Neue ist, dass er erstmals auch offen sagt, wo die Reise hingehen soll.

Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet die Medizinindustrie nun schon daran, den deutschen Medizinbetrieb endgültig den Interessen der Kapitalverwertung gemäß zuzurichten. Der neue Gesundheitsminister führt die Politik seiner Vorgänger­Innen Seehofer (CSU), Fischer (Grüne) und Schmidt (SPD) fort. Das Neue ist, dass er erstmals auch offen sagt, wo die Reise hingehen soll.

Krise und Gesundheitspolitik hängen eng miteinander zusammen. Die Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals, die in der aktuellen Wirtschaftskrise gipfeln, bestehen ja nicht erst seit gestern. Und so übten die Kapitaleigner­­Innen, die renditeträchtige(re) Anlagemöglichkeiten suchten, schon seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts Druck auf die Politik aus, endlich den Medizinbetrieb, der in Deutschland durch das Kostenerstattungsprinzip im Krankenhausbereich und durch die Solidarversicherung zu einem gewissen Teil ihrem Zugriff entzogen war, endlich zu einem ganz gewöhnlichen Geschäft zuzurichten. Der erste große Durchbruch fand mit der Einführung der Fallpauschalen im Krankenhaus statt. Erstmals war es dadurch möglich, mit eingesetztem Kapital attraktive Renditen zu erzielen. Und so wurden in den letzten Jahren in atemberaubendem Tempo öffentliche Krankenhäuser, einschließlich Universitätskliniken, den privaten Klinikkonzernen wie Rhön, Sana, Asklepios, Helios und anderen zum Fraß vorgeworfen (s. "Krankenhausprivatisierung: Unter Geiern" in Avanti 167.).

Die Profite stimmten; dass die Qualität der Krankenversorgung und die Interessen der Beschäftig­ten dabei auf der Strecke blieben, das wird nach wie vor möglichst verschwiegen. Eigentlich war ja laut Gesetz auch vorgesehen, dass mit der Einführung des sogenannten DRG-Systems im Krankenhaus eine Qualitätssicherung stattfinden solle. Das hat man allerdings bis heute nicht in nennenswertem Umfang getan. Sonst wäre ja unter Umständen herausgekommen, dass die Profite, die die vorher ständig defizitären Krankenhäuser plötzlich einfuhren, auf dem Rücken von PatientInnen und Beschäftigten erwirtschaftet werden.
Der Herr Rösler
…hat ganz offensichtlich einen klaren Auftrag. Nachdem die Bastion der öffentlichen Krankenhäuser von CDU und SPD geschleift wurde, soll nun die Solidarversicherung gekippt werden. Wer des Lesens mächtig war, konnte es vorher wissen: Schon der später vom Himmel gefallene FDP-Spendenbetrüger Möllemann hatte die Zielvorgabe Anfang der Neunziger klar formuliert: Basisabsicherung, eine Art Versorgung light – als Pflichtleistung, um alles andere hat sich jedeR selbst zu kümmern, also eine private Zusatzversicherung abzuschließen.

Da dieses Modell fatal an die Zustände in den USA erinnert, die die jetzige Administration dort gerade zu ändern versucht, hat man es etwas anders formuliert. Das System heißt „Kopfpauschale“. Allerdings ist das exakt das Verfahren in den Privatversicherungen. Und der eingefrorene Arbeitgeberanteil wird sich mittelfristig durch die Inflation sozusagen von selbst erledigen. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Kapital wird entlastet, denn die Maßnahme entspricht de facto einer Lohnkürzung, und die Kostensteigerungen im Medizinwesen können ungebremst weitergehen, denn in Zukunft sollen die Krankenkassen die Beiträge selbstständig anpassen können. Eine Begründung hat Rösler natürlich auch parat: Die Krankenkassen seien nicht für sozialen Ausgleich da, dafür sei die Steuerpolitik zuständig. Folgerichtig sollen die Armen ihre Kassenbeiträge aus Steuermitteln subventioniert bekommen. Wie verlogen diese Argumentation ist, braucht wohl kaum betont zu werden. Erstens ist die Steuerpolitik bisher schon extrem unsozial und wird soeben mit der Änderung der Erbschaftssteuer noch unsozialer gemacht (von der Streichung der Vermögenssteuer unter Kohl einmal ganz abgesehen). Zweitens geht es den Herren Rösler und Konsorten um etwas ganz anderes: Die Leute sollen endlich kapieren, dass es sich bei medizinischen Leistungen nicht um einen sozialen Grundanspruch handelt, sondern um eine ganz gewöhnliche Ware, die auf einem ganz gewöhnlichen Markt gehandelt wird und die dann logischerweise auch nur so weit erhältlich ist, wie der individuelle Geldbeutel reicht.
Die CDU/CSU
…findet das Vorpreschen des gesundheitspolitischen Rambos aus Niedersachsen insgeheim gut. Denn sie wird zunächst die Kopfpauschale, zumindest in ihrer radikalen Form, verhindern und sich damit als Hüterin der Solidarversicherung darstellen, während gleichzeitig im Windschatten dieser Diskussion mit dem Einfrieren des Arbeitgeberanteils die Interessen des Kapitals bedient werden. Und in ein, zwei Jahren, wenn der Krise zweiter Teil zuschlägt, wird man dann auf den Herrn Rösler zurückkommen. Im Moment ist allerdings die Rollenverteilung „guter Polizist – böser Polizist“ zwischen den Koalitionspartnern klar. Aber es handelt sich um ein langfristiges gemeinsames Projekt. Bei den Krankenhäusern hat man auch zwanzig Jahre gebraucht, um die Deregulierung endgültig durchzusetzen. Der Herr Rösler darf gerne den Henkersknecht spielen und die Folterinstrumente schon einmal zeigen, angewendet werden sie erst später. Dazu bedarf es allerdings noch eines erheblichen Bewusstseinswandels bei den Betroffenen.
Das Wahlvolk
…will nämlich nicht so, wie es die regierende Koalition gerne hätte. Seit Jahrzehnten gibt es in sämtlichen Umfragen stabile Mehrheiten für die Beibehaltung der Solidarversicherung. Und die Erfahrungen mit der Krankenhausprivatisierung zeigen, dass auch diese Maßnahme nicht auf Gegenliebe bei den Betroffenen stößt. Bei dem Bürgerentscheid in Hamburg seinerzeit fiel der Senat mit seinen Verkaufsplänen glatt durch. Allerdings hinderte das die VorzeigedemokratInnen im Hamburger Rathaus natürlich nicht daran, trotzdem zu verkaufen.

Wie brisant das Thema Gesundheitspolitik ist, zeigte sich vor Kurzem auch im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn, der für seine stabilen 60-Prozent-Wahlergebnisse für die CSU berühmt ist. Hier wollte die Landrätin die drei Kreiskrankenhäuser nach mit Steuermitteln erfolgter Sanierung für schlappe 20 Millionen an die Rhön-Kliniken-Kette (an der mit Fidelity, einer der weltweit größten Anlagefonds beteiligt ist) verscherbeln. Vorher hatte mit Asklepios ein anderer Konzern, der für den Kreis die Verwaltung der Häuser geführt hatte, die Drecksarbeit erledigt und sie heruntergewirtschaftet. Vergeblich: Beim Bieterverfahren zog Asklepios den Kürzeren.
Doch Landrätin und Rhön-Kliniken hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Eine Initiative organisierte einen Bürgerentscheid, der am 8.November
stattfand. Es gab eine Abstimmungsbeteiligung von 53 % – fast so hoch wie bei den letzten Kommunalwahlen – und ein Ergebnis von 89 Prozent gegen die Privatisierung. Und das, obwohl die Landrätin vorher mit Tricks und Drohungen fast alle Bürgermeister, Kreis- und Stadträte der betroffenen Region auf ihre Seite gezogen hatte.
Festzuhalten bleibt
…dass die absolute Mehrheit der Bevölkerung keine Privatisierung des Medizinbetriebs will. Da, wo abgestimmt wird, sind die Ergebnisse klar. Dass sich die herrschende Politik darum nicht kümmert, ist ebenso offensichtlich. Man kann eben nicht zwei Herren dienen, und da entscheidet man sich im Zweifelsfall für die Interessen der Wirtschaft. Die zahlt schließlich auch besser. Festzuhalten bleibt aber auch, dass es möglich ist, erfolgreich Gegenwehr zu leisten. Die Gewerkschaften wären hier an erster Stelle gefordert, zum Beispiel was das Einfrieren des Arbeitgeberanteils an den Kassenbeiträgen betrifft. Eines sollten sie allerdings wissen: Verhandlungsspielraum gibt es nicht. Jetzt muss mobilisiert werden!

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