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Innenpolitik

Gegen den sozialen Kahlschlag: Gemeinsam den Widerstand organisieren!

Von B. B. | 01.10.2009

Der bürgerliche Parlamentarismus ist ein System der herrschenden bürgerlichen Klasse. Das belegen die Bundestagswahlen 2009. Die „Mehrheit“, auf die sich die neue Regierung aus CDU/CSU und FDP stützt, umfasst 20,9 Mio. von 43,3 Mio. gültigen Stimmen – und damit eine Minderheit. Das sind nur ein Drittel aller Wahlberechtigten. 18 Mio. Menschen haben an der Bundestagswahl nicht teilgenommen.

Der bürgerliche Parlamentarismus ist ein System der herrschenden bürgerlichen Klasse. Das belegen die Bundestagswahlen 2009. Die „Mehrheit“, auf die sich die neue Regierung aus CDU/CSU und FDP stützt, umfasst 20,9 Mio. von 43,3 Mio. gültigen Stimmen – und damit eine Minderheit. Das sind nur ein Drittel aller Wahlberechtigten. 18 Mio. Menschen haben an der Bundestagswahl nicht teilgenommen.

In dieser „gelebten Demokratie“ ist es auch möglich, dass eine CDU 1,3 Mio. Stimmen verliert, aber 14 Sitze im Bundestag gewinnt. Nur in einem Rätesystem der direkten Demokratie ist die große Mehrheit der Bevölkerung in der Lage, sich zu organisieren, ihren politischen Willen zu artikulieren und eine entsprechende Regierung hervorzubringen.

Die offen prokapitalistischen Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne wurden von 35,5 Mio. Menschen gewählt. Das sind 5,7 Mio. WählerInnen weniger als 2005. Das ist ein ganz erheblicher Einschnitt, der vor allem darauf beruht, dass 4 Millionen Menschen nicht zur Urne gingen, die 2005 noch zur Hälfte SPD gewählt haben. Dieser „Wahlboykott“ ist diffus, findet noch keine parteipolitische Entsprechung und wird auch durch die Radikalisierung an den parlamentarischen Polen nicht aufgefangen. Diese NichtwählerInnen könnten bei einer Erholung der Konjunktur wieder von den etablierten Parteien eingefangen werden oder umgekehrt, bei einer Verschärfung der Krise nach links, radikal links oder nach rechts gehen.
Die Radikalisierung an den Polen
Wie tief der Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten in die Gesellschaft eingedrungen ist, zeigt das Ergebnis der FDP, die 1,7 Mio. Stimmen gewonnen hat. Obwohl die Krise die Tauglichkeit seiner Rezepte drastisch widerlegt, klammern sich die ÄrztInnen, AnwältInnen, Selbstständigen, ManagerInnen, leitenden Angestellten, Meister, hohen BeamtInnen, Mittel- und KleinunternehmerInnen an die Ansichten von vorgestern, mit der Hoffnung, dass sie sich mit Steuervergünstigungen, Senkung der Lohnnebenkosten oder Verschlechterungen des Arbeitsrechts in klingender Münze bezahlt machen. Der Kleinbürger, dem die Krise mit dem Messer droht, radikalisiert sich. Von ihm beeinflusst sind hauptsächlich höhere Schichten der abhängig Beschäftigten, die ihrer ganzen Lebenssituation nach dem Kleinbürgertum am nächsten stehen, aber sogar Erwerbslose. Die FaschistInnen und rechten NationalistInnen sind bei der Bundestagswahl um fast 200000 Stimmen auf nun 828000 zurückgegangen.

Neben der FDP hat vor allem Die Linke gewonnen, die 1 Mio. WählerInnen mehr zählt als 2005. Das stärkt die Linkspartei. Aber wenn die SPD 6 Mio. WählerInnen verliert und Die Linke eine Million Stimmen gewinnt, dann ist das noch lange kein gesellschaftsumwälzender „Linkstrend“.

Die Polarisierung bei den Wahlen ist ansatzweise ein ferner Ausdruck einer Radikalisierung in den Tiefen der Gesellschaft, einer Frontstellung der grundlegenden Klassen Proletariat und Bourgeoisie, die aber auf der parlamentarischen Ebene keinen entsprechend politischen Klassenausdruck findet, vor allem weil Die Linke den Klassengegensatz ignoriert.
Eine Radikalisierung an den Polen muss naturgemäß dort treffen, wo sich die offen bürgerlichen Parteien selbst orten und ihre WählerInnen vermuten: in der „parlamentarischen Mitte“. Bei der Bundestagswahl 2005 wurden die „Parteien der Mitte“ CDU/CSU, SPD und Grüne noch von 36,6 Mio. Menschen gewählt. 2009 stimmen nur noch 29,2 Mio. WählerInnen für sie – also 7,4 Mio. weniger.
Der Einbruch der SPD
Die SPD hat 6,2 Mio. WählerInnen verloren. Das ist für eine bürgerliche Wahlpartei ein ungeheurer Einschnitt, der vor allem die 76 Bundestagsabgeordneten schmerzen wird, die ihren Sitz verloren haben.

Die Krise der SPD liegt zum einen in einem Verlust an Glaubwürdigkeit, der auf dem Widerspruch zwischen sozialem Anspruch und Hartz IV-Realität und zur Rente mit 67 Jahren beruht. Falsche Versprechen können Lohnabhängige nach vier Jahren vergessen oder verzeihen. Hartz IV und Rente mit 67 gehören aber zur Existenzbewältigung vieler, der sie sich Tag für Tag stellen müssen. Vergeblich versuchte die SPD im Wahlkampf, soziale Forderungen glaubwürdig vorzutragen.

Zweitens hat die SPD mit Der Linken eine Konkurrenz bekommen, die diesen sozialen Anspruch glaubwürdiger verkörpert. Und Drittens ist Die Linke mittlerweile auf allen Ebenen parlamentarisch und in jeder Stadt organisatorisch vertreten.
Die SPD wird nicht einfach zusammenbrechen. Sie wird sich in der Opposition wiederbeleben können, aber sie kann wegen der Konkurrenz Der Linken nicht einfach zu alter Größe zurückkehren. Das macht die Dauerkrise der SPD zwischen Regierung CDU/CSU-FDP und Der Linken aus.
Der Wahlerfolg Der Linken
Als parlamentarisch-reformistische Partei eilt Die Linke von Erfolg zu Erfolg. Mit jedem Wahlsieg wird sie sich mehr in das herrschende System integrieren. Bei den Kommunalwahlen in NRW erreichte Die Linke ca. 2000 Mandate in Stadträten, Ausschüssen usw. – bei 8000 Mitgliedern. Die Wahlerfolge bei Bundes- und Landtagswahlen stärken die Parteispitze und den Parteiapparat, nicht die „antikapitalistische Linke“, die in der Gesamtpartei nur noch ein Schattendasein führt. Jede linkssozialistische oder revolutionäre Kritik an der Parteiführung muss angesichts der Wahlerfolge als bloße Nörgelei empfunden werden. Mit den Wahlerfolgen treten neue Mitglieder ein, die sich, wenn sie nicht auf Karriere abzielen, an ihnen berauschen. Der Ruf nach Regierungsbeteiligungen wird immer lauter werden, denn „wie soll man sonst etwas ändern?“. Damit wird auch der Druck zur Anpassung auf diejenigen radikalen Linken größer, die innerhalb der Partei Die Linke wirken wollen.

Auch außerhalb ihrer Reihen hält die Sogwirkung Der Linken auf alle anderen linken Strömungen an. Das zeigen auch die Wahlergebnisse der linksradikalen Organisationen, die bei der Bundestagswahl angetreten waren. Die MLPD, die schon bei den letzten Kommunalwahlen in NRW Sitze verlor, verlor bei der Bundestagswahl ein Drittel ihrer Zweitstimmen. Die PSG, die keine Organisation im praktisch-politischen Sinne ist, kam nur noch auf ein Fünftel ihrer Stimmen von 2005. Einzig die Piratenpartei – die keine linke Organisation ist – hat aus dem Nichts 845000 Menschen für sich gewinnen können.
Außerparlamentarische Möglichkeiten
Die neue Bundesregierung ist in einer schwierigen Lage. Sie muss nicht nur ein Kahlschlagprogramm auflegen, um die Kosten der Krise zu bezahlen. Sie muss auch dieses Programm durchsetzen, wo doch
die große Mehrheit der Lohnabhängigen weiß, dass die BankerInnen und ManagerInnen – und nicht sie selbst – für die Krise verantwortlich sind. Alle aufgestauten Ängste vor Arbeitsplatzabbau, alle Empörung über soziale Kürzungen, der ganze Hass auf das verkommene System der Reichen und Einflussreichen kann sich hier entladen.

Und die Bundesregierung muss den sozialen Kahlschlag ohne die SPD bewerkstelligen, die bei der Großen Koalition als Ansprechpartnerin der Gewerkschaften für deren Zurückhaltung sorgte. Dies macht breite Mobilisierungen der Gewerkschaften möglich, aber auch andere Mobilisierungen z. B. gegen das Atomprogramm oder gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Die Aufgaben der revolutionären Linken ist es, an diesen Mobilisierungen vorwärtstreibend teilzunehmen, die breiter als bisher werden können. Getrennt marschieren, vereint die CDU-CSU-FDP schlagen!

Gleichzeitig muss die antikapitalistische und revolutionäre Linke ihre Identität wahren. Dieses kann bei den jetzigen Verschiebung der innerlinken Kräfteverhältnisse zugunsten der Partei Die Linke  schnell zu einer Existenzfrage für revolutionäre Linke werden. Um so dringender ist es, für eine intensive Diskussion und enge praktische Zusammenarbeit der antikapitalistisch-revolutionären Organisationen unabhängig von der Partei Die Linke einzutreten.

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