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Innenpolitik

Friedensdemo am Friedensgipfel?

Von Korrespondentin Potsdam | 01.05.2009

Am 4. April 2009 feierte die NATO ihr sechzigjähriges Bestehen. Den 20 000 DemonstrantInnen, die an dem Tag nach Strasbourg kamen, war allerdings alles andere als nach Feiern zumute.

Am 4. April 2009 feierte die NATO ihr sechzigjähriges Bestehen. Den 20 000 DemonstrantInnen, die an dem Tag nach Strasbourg kamen, war allerdings alles andere als nach Feiern zumute.

Es waren mindestens 2 500 Menschen, die am 4. April um drei Uhr morgens ihre Zelte im Protestcamp verließen, um den Natogipfel aktiv zu blockieren. Aufgrund der breitflächigen Zerstreuung ist keine genaue Mengenangabe möglich. Allerdings ermöglichte die Organisationsform eine Hochrechnung, die aber einzelne und kleinere Gruppen außen vor lässt.

Geteilt in fünf „Finger“ versuchten die Demonstrationszüge, auf verschiedenen Wegen in die Innenstadt zu gelangen, die zur roten Zone deklariert war. Jeder Finger zerfiel nur wenig später in Fahnen, der lila Finger beispielsweise in das lila Kreuz und das lila Dreieck. Zu jeder Fahne gehörte ein Mensch mit Megafon und Walkie-Talkie sowie zwei SanitäterInnen und ungefähr 150 Demonstrierende. Kaum eine halbe Stunde unterwegs erfolgte der erste Angriff. Vorwarnungslos flog das Tränengas, später auf einem anderen Weg ereignete sich dasselbe.
Beeindruckenderweise wurde die Entscheidung über das weitere Vorgehen sehr demokratisch getroffen: Jede Bezugsgruppe wurde aufgefordert, einen Delegierten zur Fahne zu schicken. Dort wurden verschiedene Möglichkeiten diskutiert und dann in den Gruppen abgestimmt – ein Prozedere, das keine zehn Minuten gedauert hat. Gemeinsam wurde der Beschluss gefasst, durch das Tränengas hindurchzugehen und den Weg über einen Bahndamm zu nehmen.

Auch dort waren bereits Polizisten stationiert, dieses Mal schossen sie nicht nur mit Tränengas, sondern auch mit Schockgranaten auf die Demonstranten. Diese verursachten, wenn sie auf ein geschütztes Körperteil trafen, „nur“ Prellungen und heftige Blutergüsse, Demonstranten die an einem ungeschützten Körperteil getroffen wurden, trugen allerdings auch blutige Wunden davon.Auch zu dieser frühen Stunde war der Rückhalt in der Bevölkerung deutlich zu spüren: Es öffneten sich immer wieder Fenster, von denen aus AnwohnerInnen die vorbeiziehenden Gruppen zu Sprechchören animierten. Ebenso bemerkenswert war die Hilfsbereitschaft einiger älterer Ortsansässiger, die bereitwillig leere Wasserflaschen auffüllten oder sogar zwischen einem Laden und der Demonstration pendelten, um neues Wasser heranzuschaffen, welches in größeren Mengen benötigt wurde, um das Tränengas wieder aus den Augen zu spülen.

Leider gelang es trotz aller Mühen nur einer einzigen Gruppe, bis in die Innenstadt vorzudringen. Die Übrigen versammelten sich unterdessen an einer Brücke, über die die offiziell genehmigte Demonstration später führen sollte, um sich an dieser zu beteiligen. Aus einem nicht erkennbaren Grund griffen die Polizisten auf der Brücke allerdings immer wieder die DemonstrantInnen an, drückten ihnen geladene Tränengas-Pistolen auf die Brust, traten Menschen, die nicht schnell genug aufstehen und zurückweichen konnten und schossen, als die DemonstrantInnen einfach nur zurückwichen, Tränengas in die Menge. Trotzdem ging von den Demonstrierenden keine Gegengewalt aus, sie blieben lediglich mit offenen, erhobenen Händen stehen und skandierten „Wir sind friedlich! Was seid ihr?“ – ein Anlass für die Polizisten ihr Ziel, das Zurückweichen der Menge um ungefähr drei Meter, mit noch mehr Tränengas und erneutem Schockgranaten-Beschuss durchzusetzen. Dieses Szenario spielte sich wiederholt ab.

Später am Nachmittag, als sich immer mehr Menschen an diesem Ort versammelten, wurde der Weg unter einem stundenlangen Tränengasangriff Stück für Stück freigegeben. Die Demonstration selbst folgte leider eher ungeordnet, ohne Sprechchöre und nicht in einer großen, sondern eher in vielen kleinen Gruppen. Die Polizei zog sich von diesem Moment an vollkommen zurück, auch als das dritte Gebäude angezündet wurde, ließ sich weder ein Polizist, noch die Feuerwehr blicken – stundenlang. Als nach langem Brennen das Feuer ansehnlich groß war, rückten allerdings einige Journalisten an, die Berichte über gewalttätige DemonstrantInnen verfassten.

Doch das werden nicht die Bilder sein, die von diesem Tag hängen bleiben werden. Hängen bleiben werden die spontane, aber reibungslos funktionierende Zusammenarbeit in kritischen Momenten und die große Solidarität zwischen den Demonstranten.

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