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Frankreich nach der Präsidentschaftswahl: Was wird aus der NPA?

Von Rafael Alcaraz-Mor | 21.06.2012

Der Autor ist Mitglied der NPA-Jugend von Rouen und des nationalen Jugendsekretariats der NPA.

Der Autor ist Mitglied der NPA-Jugend von Rouen und des nationalen Jugendsekretariats der NPA.

Das Ausmaß der Krise und die Sparmaßnahmen haben die Glaubwürdigkeit der regierenden UMP von Nicolas Sarkozy untergraben. Der Wahlausgang ist vor allem Ausdruck der Ablehnung dieser autoritären Rechten.
Der Kandidat der Sozialistischen Partei (PS), François Hollande, geht als Wahlsieger hervor, obwohl er zu keinem Zeitpunkt erklärt hat, dass er mit der Austeritätspolitik, die heute in der EU betrieben wird, brechen will. Mit 51,6 % sind wir weit von der klaren Mehrheit entfernt, die die Meinungsumfragen verhießen, und im Gegensatz zur Wahl Mitterands 1981 und 1988 wurde er ohne einen massiven Stimmenzuwachs der Linken gewählt.
Gespaltene Rechte
Das Kräfteverhältnis beim ersten Wahlgang zeigte ganz klar die Überlegenheit der Rechten auf: 56 % gegenüber 44 %. Aber die Rechte war gespalten. Zum einen hat François Bayrou, seit 2002 Mitte-Rechts-Kandidat, zum ersten Mal dazu aufgerufen, beim zweiten Wahlgang den PS-Kandidaten zu wählen. Auf der extremen Rechten hat die Front National von Marine Le Pen 18 % der Stimmen erzielt, das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Dies ist eine rassistische Partei, die ihre ganze Politik auf die Ausgrenzung und Ausweisung von Migrant­Innen, den Austritt aus der EU und die Rückkehr zum Franc ausrichtet.

Jenseits ihrer üblichen Wähler­Innenschaft ist diese Partei vielen als eine Anti-System-Partei erschienen, gegen die Politik, die für die heutigen Zustände verantwortlich ist. Sie fand Anklang in unteren Schichten der Bevölkerung, aber auch – und das ist neu – bei jungen Menschen. Marine Le Pen setzt künftig sicherlich auf den Zerfall der UMP und hofft, von einer Neuformierung der Rechten zu profitieren. Die Radikalisierung Sarkozys zwischen den beiden Wahlgängen mit dem Ziel, dadurch die Wähler­Innenschaft der FN zu gewinnen, kann nur dazu beitragen, der FN diese Aufgabe zu erleichtern
Kräfteverhältnis auf der Linken
Die Front de Gauche (FDG, Linksfront), ein Bündnis der Kommunistischen Partei (PC) und der Linkspartei (PdG) von Jean-Luc Mélenchon, erzielte 11 % (sechsmal so viel wie die PC 2007), darunter viele Stimmen der radikalen Linken. Es gelang ihr, Hunderttausende zu riesigen Kundgebungen in Paris, Toulouse und Marseille zu mobilisieren. Diese massive Politisierung links der Sozialistischen Partei (PS) für Forderungen, die wir übrigens teilen – Mindestlohn von 1700 €, Rente mit 60 oder etwa das Verbot von Entlassungen –, ist ein sehr positives Element dieser Kampagne. Aber in die radikalen Töne Mélenchons mischten sich auch lobende Worte für die französische Nation und die Souveränität der Republik, was zuweilen in Richtung Unterstützung des französischen Imperialismus geht. Die FDG hat zur Veränderung der Gesellschaft nur die Nutzung der vorhandenen Institutionen und die Wahlen – Mélenchon nennt sie „Bürgerrevolution“ – im Auge. Von daher auch das zwiespältige Verhältnis zur PS: auf der einen Seite ein Kandidat, der angibt, nur in eine Regierung einzutreten, die er selbst anführt, und auf der der anderen Seite eine PC, die für die Parlamentswahlen als Ziel ausgibt, „eine linke Mehrheit für die Nationalversammlung zu wählen, mit einem Maximum an Abgeordneten der Linksfront.“

Die Grünen erleiden eine richtige Wahlschlappe und bekommen nur noch 2,3 % der Stimmen gegenüber 16 % bei den Europawahlen und 12 % bei den Regionalwahlen. Dieses Ergebnis ist zum Teil der Kandidatin, Eva Joly, zuzuschreiben, aber vor allem ihrem Abkommen für eine Regierungsbeteiligung mit der PS im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen – und zwar schon vor dem ersten Präsidentschaftswahlgang –, das auf alle ihre eigenen Forderungen in der Atomfrage verzichtet.

Unser Kandidat, Philipp Poutou, erzielt nur 1,15 % der Stimmen, weit unterhalb der 4 % für Olivier Besancenot von 2007. Aber dieses Ergebnis spiegelt nicht die Sympathie wider, die in der Kampagne bemerkbar war, vor allem in den letzten zwei Wochen, als ähnlich viele Menschen zu den Veranstaltungen kamen wie 2007 und auch viele Kontakte geknüpft werden konnten. Diese Kampagne lief unter besonders schwierigen Bedingungen: Es war ein unbekannter Kandidat, der wenig auf Medienauftritte vorbereitet war und von einer nur knappen Mehrheit der Partei aufgestellt worden war, einer gespaltenen und in Krise befindlichen Partei, einem Rückgang von Mitgliedern und einer Unterstützung von Mélenchon durch ehemalige Leitungsmitglieder der NPA. Dennoch gelang es uns, unser soziales und ökologisches Sofort-Programm gegen die Krise bekannt zu machen und zu vermitteln, dass es für seine Durchsetzung auf den Kampf und die Organisierung der Ausgebeuteten ankommt.
Die Regierung Hollande und die Parlamentswahlen
Die weltweite Wirtschaftskrise hält an, nirgendwo ist es den Kapitalisten gelungen, sie einzudämmen. In Frankreich wird sich wie überall in Europa die wirtschaftliche Lage verschlimmern. François Hollande hat uns versprochen, der „Sparpolitik einen Sinn“ zu geben: Er wird also letztlich gemäß der Linie von Papandreou, Zapatero und Sócrates eine linke Sparpolitik durchsetzen. Das wird der Front National gerade recht sein, weil sie dann von der Wut profitieren will, die mit der Desillusionierung einhergehen wird. Da die extreme Rechte in der französischen politischen Landschaft besser verankert ist, wird ihr das hier besser gelingen als in Griechenland.

Bei den Wahlen im Juni hofft die Linksfront ihre Parlamentsfraktion zu stärken. Um ihre Wählerschaft zu halten, muss sie versuchen, als eine unabhängige Kraft zu erscheinen. Da es jedoch in Frankreich kein Verhältniswahlrecht, dafür aber zwei Wahlgänge gibt, ist die Partei dazu gezwungen, mit der PS Wahlabsprachen zu treffen, um überhaupt Abgeordnete ins Parlament zu bekommen. Aus diesem Widerspruch ergibt sich die Gewundenheit ihrer Erklärungen, die so sehr die Gefahr herausstellen, die sich angesichts der Rechten und der extremen Rechten aus der Spaltung der Linken ergibt. Erst nach der Wahl und der anschließenden Regierungsbildung werden wir sehen, ob und in welcher Form die Linksfront die Regierung Hollande stützen oder sich sogar daran beteiligen wird. Auf jeden Fall ist sicher, dass eine politische Formation die Sparpolitik nicht bekämpfen kann, wenn sie gleichzeitig deren Umsetzung – ob direkt oder indirekt – unterstützt.

Für die NPA stehen die Parlamentswahlen in der Kontinuität der Poutou-Kampagne. Wir werden versuchen, ein Maximum an öffentlichen Veranstaltungen durchzuführen, um unser Sofortprogramm bekannt zu machen und unsre Verankerung zu verstärken. Und es gibt eine zweite Begründung, und die ist „einträglich“, denn die Wahlbeteiligung ermöglicht den Bezug von Wahlgeldern für die nächsten fünf Jahre, unter der Voraussetzung, dass die Partei mehr als 1 % der Stimmen erzielt. D
ies ist eine richtige Herausforderung, denn eine solche Wahl mobilisiert weit weniger und wir haben in der Vergangenheit bei den Parlamentswahlen jeweils weniger Stimmen bekommen als bei den Präsidentschaftswahlen.
Welcher Spielraum für die Antikapitalisten?
Die Linksfront hat sich links der PS etabliert und dabei fast den gesamten Platz der radikalen Linken besetzt. Um eine linke Opposition gegen die Regierung Hollande voranzubringen und eine Sammlung der Antikapitalist­Innen zu fördern, ist die NPA darauf angewiesen, eine klare Politik gegenüber der Linksfront zu entwickeln. Sie muss sich an Hunderttausende Wähler­Innen wenden, die mit ihrer Stimmabgabe und ihrer Beteiligung an Initiativen der Linksfront einen radikalen, sozialen und demokratischen Inhalt verbunden haben. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass diese Front von der KP und Mélenchon geführt wird, die dort ihre eigenen Interessen vertreten, und dass die Basis dort über keine demokratischen Strukturen verfügt. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass es sich dabei um eine reformistische Formation handelt, die alles daransetzen wird, die Massenbewegungen zu kanalisieren, unterzuordnen und sie mit den staatlichen Institutionen vereinbar zu machen. Das ist die Erfahrung, die wir anlässlich des Kampfes gegen die Rentenreform gemacht haben: Für Millionen von kämpfenden Arbeiter­Innen stand damals der Generalstreik an, und Mélenchon war für ein Referendum. Jedes mal, wenn ein Kampf auf der Tagesordnung steht, müssen wir darauf gefasst sein, dass die Linksfront es ablehnen wird, in Konfrontation zum Kapital zu gehen.

Über diese Fragen werden wir auf unsrer nationalen Konferenz Anfang Juli diskutieren. Die Führer­Innen der Antikapitalistischen Linken (GA) – einer Strömung, die ca. 40 % der NPA-Mitgliedschaft umfasst – scheinen entschlossen, sich der Linksfront anzuschließen. Demgegenüber schätzt die heutige Führung der NPA die Lage so ein, dass es für eine wirkungsvolle Präsenz im politischen Geschehen – gemeinsame Aktionen anstoßen und gleichzeitig sich alle Möglichkeiten der Kritik bewahren – eine NPA braucht, die unabhängig von der Linksfront ist. Dies ist die einzige strategische Option, die die historische Kontinuität der revolutionären Strömung bewahrt. n
Übers. D. B.

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