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Länder

Flutkatastrophe in Pakistan: Krieg, Korruption und Klimawandel

Von Thadeus Pato | 01.10.2010

Ein Drittel des Landes überschwemmt, Millionen Menschen auf der Flucht, tausende Tote, über sechs Millionen Menschen sind ausschließlich auf humanitäre Hilfe angewiesen – nach dem verheerenden Erdbeben von 2005 wurde Pakistan dieses Jahr von „La Niña“ heimgesucht. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die zugesagten Hilfsgelder auch diesmal wieder in den falschen Taschen verschwinden.

Ein Drittel des Landes überschwemmt, Millionen Menschen auf der Flucht, tausende Tote, über sechs Millionen Menschen sind ausschließlich auf humanitäre Hilfe angewiesen – nach dem verheerenden Erdbeben von 2005 wurde Pakistan dieses Jahr von „La Niña“ heimgesucht. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die zugesagten Hilfsgelder auch diesmal wieder in den falschen Taschen verschwinden.

Die Medien werden nicht müde, zu beteuern, dass die Katastrophe ein reines Naturphänomen sei und mit dem menschengemachten Klimawandel nichts zu tun habe. Das ist allenfalls eine Halbwahrheit. Warum?
Ursachenforschung
Bis vor Kurzem waren die Meteorolog­­Innen der Meinung, dass das seit Langem bekannte ENSO-Phänomen (El Niño – Southern Oscillation) und seine zyklischen Schwankungen mit der Erderwärmung nichts zu tun hätten. Was ist nun ENSO eigentlich?
Grob gesagt funktioniert die Sache so: Wird die Wasserzirkulation in der Tiefe des pazifischen Ozeans vor der Küste Südamerikas behindert, dann bildet sich eine erwärmte Schicht Oberflächenwassers, die sich weit nach Westen erstreckt. Dies kann geschehen, wenn die starken Passatwinde, die in der Regel von Osten kommen und Wasser von der Küste „wegschieben“ und kaltes Tiefenwasser aufsteigen lassen, sich zeitweise abschwächen. Dann dringt warmes Oberflächenwasser des Zentralpazifik bis zur südamerikanischen Küste vor. Dieses erwärmt die Luft und sorgt dafür, dass die globale Temperatur bis zu 0,2 Grad wärmer ist als in Zeiten stärkerer Durchmischung des Wassers im Pazifik. Diese zeitweilige zusätzliche Erwärmung von Oberflächenwasser und Luft zieht in den folgenden Monaten in viele andere Regionen und trägt möglicherweise zu Hitzewellen an anderen Orten bei. Das nennt man dann El Niño, weil es üblicherweise im Winter geschieht, also um die Weihnachtszeit (El Nino heißt im Spanischen das Christkind).

“La Niña“ wiederum ist sozusagen die Kehrseite des Phänomens. Wenn die Passatwinde nicht schwach, sonders besonders kräftig sind, lassen sie kaltes Tiefenwasser vor Südamerika verstärkt aufsteigen und sorgen für kaltes Oberflächenwasser im äquatorialen Pazifik. Das verursacht unter anderem starke Niederschläge in Südostasien.
Zusammen sind El Nino und La Nina die Phasen des ENSO-Zyklus, wobei dieser eigentlich kein Zyklus ist, sondern eine chaotische Abfolge der Phasen, die jeweils stärker oder schwächer ausgeprägt sein können. Aus den ENSO-Phasen resultieren Wetterauswirkungen unterschiedlicher Art. Die jetzigen desaströsen Niederschläge in Pakistan (und auch in Indonesien) und das folgende Hochwasser werden auf La Niña zurückgeführt.
ENSO-Zyklus und Klimawandel
In letzter Zeit häufen sich allerdings Hinweise, dass die Veränderungen im ENSO-Zyklus etwas mit dem Klimawandel zu tun haben. Eine neue Studie der NASA (s. http://sealevel.jpl.nasa.gov/) von Tong Lee und Michael McPhaden vom Jet Propulsion Laboratory der NASA stellt fest, dass sich in den letzten 20 Jahren die Stärke des zentralpazifischen El Niño verdoppelt hat. Dieser Trend erklärt fast die gesamte Erwärmung der Meeresoberflächentemperaturen in diesem Raum. Diese Entwicklung ist von vielen Klimamodellen so vorausberechnet worden. Doch da der ENSO-Zyklus in Stärke und genauer Ausprägung schwankt und in den Auswirkungen Kopplungen mit anderen Zyklen zeigt, ist es schwierig, Wetterereignisse genau dem Stand des ENSO-Zyklus zuzuschreiben oder zu bestimmen, wie stark sich die globale Erwärmung darauf auswirkt. Doch wenn es sich weiter bestätigt, dass die globale Erwärmung den ENSO-Zyklus sowohl verändert wie auch intensiviert, dann kann das bedeuten, dass die jeweilig damit verbundenen Trockenzeiten (z. B. in Australien, Indonesien und Kalifornien bei einem El Niño) oder massiven Regenfälle (in Indonesien, Teilen Amerikas und sogar Pakistan und dem West­en Indiens in der Monsunregenzeit bei einer La Niña, wie derzeit) an Stärke mit der globalen Erwärmung zunehmen werden. Obwohl mensch also sagen kann, dass die Extremniederschläge in Pakistan und Indonesien durch die gegenwärtige La Niña-Phase begünstigt wurden, ist das Ausmaß vielleicht auch eine Folge der globalen Erwärmung. Für den El Nino gibt es bereits Belege für diese Vermutung.
Konsequenzen?
Die hat das pakistanische Regime aus den soeben geschilderten wissenschaftlichen Erkenntnissen bis heute nicht gezogen. Statt in Deichbau, Schutzmaßnahmen und Aufbau eines Warnsystems wurde das Geld in andere Projekte gesteckt – oder schlicht in die eigene Tasche geschoben: Allein von 2001 bis 2009 erhielt Pakistan aus den USA Militärhilfe in Höhe von 10 Milliarden Dollar. 2007 waren es 5,3 Milliarden jährlich (New York Times, Dezember 2007). Bezahlt wurde das Geld angeblich für die Bekämpfung der Taliban. Allerdings berichtete ein sich Anonymität zusichern lassender US-Offizieller dem britischen Guardian bereits am 28.8.2008, dass nach seiner Schätzung nur 30 % der Gelder tatsächlich dafür ausgegeben wurden und der Rest für alles Mögliche, z. B. „ein neues Haus für einen Armeegeneral“. Der Daily Telegraph wiederum berichtete vor Kurzem, dass nach dem Erdbeben 2005 ca. 367 Millionen Euro an Hilfsgeldern veruntreut worden seien. Diese Mittel seien von vornherein nie in die Kasse der für die Hilfsmaßnahmen zuständigen Behörde ERRA geflossen. Man darf gespannt sein, wie viele der Gelder, die der pakistanischen Räuberbande in Regierungsgestalt zugesagt wurden, dieses Mal da ankommen, wo sie gebraucht werden.
Es geht auch anders
Angesichts der Untätigkeit und Korruptheit der herrschenden Klasse in Pakistan verwundert es nicht, dass befürchtet wird, dass die Islamist­­Innen von der desaströsen Situation profitieren könnten. Und diese Gefahr ist, wie die Kräfte der radikalen Linken dort bestätigen, real. Den Glauben an die Regierung und die USA, die noch kurz vor der Überschwemmung das als eine der ersten Regionen betroffene Swat-Tal mit Drohnen bombardierten, haben die Menschen längst verloren. Vertrauenswürdig ist, wer hilft, und wer das uneigennützig tut. Und deshalb begreifen die Genoss­­Innen von der Labour Relief Campaign in Pakistan, die bereits seit Wochen konkrete Hilfe vor Ort leisten und dafür sammeln, ihre Aktion nicht nur als humanitären Akt, sondern als politische Aktion.
Sie sagen und schreiben offen, dass ihre Aktivität sich ebenso gegen die korrupte und am Tropf der USA hängende Regierung Pakistans richtet, wie gegen die Islamist­­Innen mit ihrer ebenso menschenveracht
enden, undemokratischen und frauenfeindlichen Ideologie. Sie propagieren nicht nur Solidarität und Egalität, sie praktizieren sie. Die lebensnotwendige direkte Hilfe ersetzt bei ihnen nicht die politische Aktion, wie bei den sogenannten humanitären Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, das sich im Zweifelsfall auf seine verbriefte „politische Neutralität“ zurückzieht, sondern sie betonen, dass sie diese Hilfe für die am stärksten Betroffenen als politisch begreifen.

Denn ohne einen radikalen politischen Wandel bleibt auch in Pakistan jegliche Hilfsmaßnahme in der Perspektivlosigkeit stecken: diese Katastrophe wird, bestätigen sich die Vermutungen der Klimaforscher­­Innen (s.o.), nicht die letzte sein und die herrschende Klasse des Landes hat bisher keinerlei Anstalten gemacht, für die Zukunft entsprechende Vorsorge zu treffen. Stattdessen werden Summen in die Atomrüstung und den Krieg gesteckt, gegen die die jetzt zugesagten Hilfsgelder der UNO sich wie Almosen ausnehmen.

Dagegen hilft nur die Selbststätigkeit und Selbstorganisation der Unterdrückten. Und dazu ist die Hilfsaktion der LRC das richtige Mittel.

Dringende Spenden zur Hilfe der pakistanischen Bevölkerung benötigt

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