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Betrieb & Gewerkschaft

Es gibt keine Alternative zur Arbeitszeitverkürzung

Von D.B. | 01.01.2004

Neoliberalismus ist grundsätzlich nichts Anderes als der ganz gewöhnliche Kapitalismus. Im Unterschied zur keynesianischen Variante treten hier nur eben die brutalen, die menschenverachtenden Seiten, aber auch die argumentativen Widersprüche deutlicher hervor. Die aktuelle Arbeitszeitpolitik der Herrschenden ist ein Ausdruck davon. Doch die Gewerkschaftsbewegung setzt dem nichts entgegen.

Neoliberalismus ist grundsätzlich nichts Anderes als der ganz gewöhnliche Kapitalismus. Im Unterschied zur keynesianischen Variante treten hier nur eben die brutalen, die menschenverachtenden Seiten, aber auch die argumentativen Widersprüche deutlicher hervor. Die aktuelle Arbeitszeitpolitik der Herrschenden ist ein Ausdruck davon. Doch die Gewerkschaftsbewegung setzt dem nichts entgegen.

Die Argumentation von Kabinett & Kapital zur Rechtfertigung ihrer Umverteilungspolitik stützt sich auf völlig falsche Tatsachenbehauptungen. Die deutsche Wirtschaft müsse konkurrenzfähiger werden, die Arbeitskosten sollen sinken und die Arbeitszeit verlängert werden.

Tatsächlich liegt die durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit in Deutschland mit 39,9 Stunden in der Woche gerade mal um 0,1 Stunden unter dem EU-Durchschnitt. Die Arbeitsproduktivität als nach kapitalistischen Kriterien einzige wirklich relevante Größe ist in den letzten Jahren in Deutschland stärker gestiegen als in den wichtigsten konkurrierenden Volkswirtschaften1. Wäre dies nicht so, könnte auch der Export nicht so boomen und die deutsche Wirtschaft "Exportweltmeister" sein, die mehr Waren exportiert als die größte Volkswirtschaft USA. 2003 betrug der bundesdeutsche Außenhandelsüberschuss ca. 135 Mrd. Euro.
Geißel Erwerbslosigkeit
Die Erwerbslosigkeit kann im Kapitalismus nicht abgeschafft werden. Ihr Ausmaß ist jedoch das zentrale Moment, das das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen bestimmt. Eine hohe Erwerbslosigkeit senkt nicht nur den Lebensstandard der unmittelbar Betroffenen, sie diszipliniert die Noch-Beschäftigten und schränkt ihre Kampfbereitschaft wesentlich ein.

Dies zeigt sich auch in Ländern, wo die ArbeiterInnenklasse politisierter ist, etwa in Italien oder Spanien. In Frankreich z. B. kam es im letzten Frühjahr nur deshalb nicht zum Generalstreik, weil u. a. die KollegInnen im privaten Sektor – trotz größter Sympathien mit den Protesten – im Falle der Arbeitsverweigerung um ihren Arbeitsplatz fürchteten. Ohne hohe Massenarbeitslosigkeit hätten die Manöver der Gewerkschaftsbürokratie von CFDT bis CGT nicht ausgereicht, die Streikbereitschaft zu bremsen.

Zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit gehört der Kampf für ein menschenwürdiges Mindesteinkommen für Alle – ob erwerbslos oder nicht. Dies würde die Angst vor dem Absturz in die Armut mildern und die Kampfbereitschaft stärken. Auch die Forderung nach gesellschaftlich nützlichen Beschäftigungsprogrammen ist sinnvoll.
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Einkommens- und Personalausgleich
Eine Arbeitszeitverkürzung hat nicht die Besetzung neuer Arbeitsplätze im Verhältnis eins zu eins zur Folge (siehe Kasten). Denn Rationalisierungen sind weiterhin möglich und greifen auch in Zukunft. Oft ist es schwer, die Arbeitsbedingungen so zu definieren, dass bei einer verkürzten Arbeitszeit nicht doch wieder die Arbeitsintensität verschärft wird. Um den Kampf erfolgreich zu führen, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:
Überzeugung der Öffentlichkeit
Vor allem die KollegInnen in den Betrieben wie auch die erwerbslosen KollegInnen müssen überzeugt werden. Eine solche Kampagne muss nachvollziehbare Modellrechnungen verbreiten (siehe Kasten), die Hand in Hand mit dem Nachweis gehen müssen, dass diese Gesellschaft sehr reich ist, sich aber der Reichtum in den Händen Weniger konzentriert. Ebenso muss herausgearbeitet werden, dass die Erwerbslosigkeit einen hohen materiellen und menschlichen Preis verlangt, durch den viel Kreativität verloren geht.

Notwendig ist auch der radikale Abbau der 1,8 Mrd. Überstunden, die jährlich geleistet werden. Die Dunkelziffer nicht bezahlter Überstunden liegt bei geschätzten 0,3 – 0,5 Mrd. Stunden. Der Abbau der Überstunden brächte mindestens 500 000 neue Arbeitsplätze.

Bei den anstehenden und zukünftigen Tarifverhandlungen müssen alle Ausnahmeregelungen von manteltarifvertraglichen Arbeitszeitbestimmungen aufgekündigt werden. So ist es im Bereich der IG Metall je nach Tarifgebiet möglich, trotz offizieller 35-Stundenwoche 13 oder gar 18 Prozent der Beschäftigten 40 Stunden arbeiten zu lassen.

Eine erfolgreiche Mobilisierung wird nur möglich sein, wenn unmissverständlich klargestellt wird, dass es ausschließlich um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich bei definierten Arbeitsbedingungen geht. Beschlüsse von Gewerkschaftstagen reichen nicht.

Nennenswerte Auswirkungen auf die Zahl der Erwerbslosen kann eine Arbeitszeitverkürzung nur haben, wenn sie für möglichst große Bereiche und in großen Schritten durchgesetzt wird. Die Verkürzung von einer Stunde oder weniger in der Woche wird durch Rationalisierungen aufgefangen. Die Stoßrichtung eines solchen Kampfes sollte sein: Arbeitszeitverkürzung – bis alle Arbeit haben!

1 vgl. dazu WSI-Mitteilungen 11/2003, S. 644 ff

 

Negativer Beweis
In Hessen werden über die Arbeitszeitverlängerung an den Schulen 1500 ausscheidende LehrerInnen nicht ersetzt. Diese Stelleneinsparung ist das erklärte Ziel der Landesregierung. Hier wird – im Negativen – der unumstößliche Zusammenhang von Arbeitszeit und der Zahl der Erwerbslosen belegt.

 

 

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