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Erklärung der Konferenz der Europäischen Antikapitalistischen Linken, Kopenhagen, 9. und 10. Dezember 2002

09.12.2002

Die Offensive der Rechten und die Verantwortung der Linken

Europa befindet sich an einem politischen Wendepunkt, die Linke steht vor neuen Herausforderungen.

Von 1998 bis 2001 führten sozialdemokratische Parteien 12 von den 15 Mitgliedsstaaten der EU. Sie nutzten ihre Positionen jedoch nicht, um mit der neoliberalen Politik zu brechen. Zusammen mit der Hauptrichtung in der Arbeiterbewegung behielten sie ihre Identifikation mit der EU bei, sie machten keinen Versuch, die neoliberale Offensive zu stoppen, so dass es für normale Menschen fast unmöglich wurde, zwischen der Sozialdemokratie und der bürgerlichen Politik einen Unterschied zu erblicken.

Die Antworten der europäischen Regierungen auf das gegenwärtige Abgleiten der Weltwirtschaft in eine Rezession lautet: mehr Deregulierung, mehr Privatisierungen, ein verstärktes Vorantreiben neoliberaler Lösungen.

Diese Politik hat die Arbeiterklasse mit voller Wucht getroffen und Millionen von abhängig Beschäftigten und Jugendlichen in Unsicherheit, Elend und Verzweiflung gestürzt. Dadurch haben Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bei größeren Teilen der Mittelschichten sowie Teilen der Arbeiterklasse und der Jugend Fuß fassen können. Die sozialdemokratischen Parteien tragen somit den wesentlichen Anteil der Verantwortung dafür, dass in vielen europäischen Ländern Rechtsregierungen ins Amt gekommen sind.

Aber nun prallt die politische Offensive der herrschenden Klassen zum ersten Mal seit zwanzig Jahren mit einer bemerkenswerten neuen sozialen Bewegung zusammen, welche von einer neuen Generation von Jugendlichen getragen wird, die global, internationalistisch und offensiv, zugleich auch von Anfang an systemoppositionell ist. Seit etwa zwei Jahren vollzieht sich, in einem Rhythmus und einem Umfang, der von Land zu Land unterschiedlich ist, eine Verbindung zwischen der Arbeiterklasse und der globalisierungskritischen Bewegung. Das Europäische Sozialforum in Florenz ist eine Demonstration von diesem Zusammengehen gewesen, das sich auf eine Reihe von Generalstreiks in Spanien, Italien, in Portugal und auf eine generellen Aufschwung der Arbeiterkämpfe stützt.

In Anbetracht der Lähmung der sozialdemokratischen Parteien liegt es in der Verantwortung der Linken – und insbesondere der antikapitalistischen Linken –, eine starke und glaubwürdige Opposition gegen die laufende neoliberale Politik zu bilden. Das Ziel besteht darin, ein Bündnis zwischen den neuen sozialen Bewegungen und der traditionellen Arbeiterbewegung zu bilden. In dieser Perspektive erklärt die Konferenz der Antikapitalistischen Linken, die in Kopenhagen stattfindet, das Folgende:

1. Menschen vor Profite

Die ökonomische Basis der EU ist der einheitliche Markt – die freie Zirkulation von Kapital, Arbeit und Waren. Im Namen des Wettbewerbs müssen wesentliche Versorgungseinrichtungen wie Telekommunikation, elektrischer Strom, Postdienste und öffentlicher Verkehr privatisiert werden, damit der Markt für andere geöffnet wird. Auf keinem Gebiet, gleich welchem, darf eine Erwägung über ein nationales Interesse in Betracht gezogen werden. Die Gemeinschafts-Richtlinien oder Verordnungen, die den einheitlichen Umweltmarkt oder Arbeitsmarkt beherrschen, beruhen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, damit jegliche "Wettbewerbsverzerrung" vermieden wird. In wenigen Jahren hat die Umsetzung dieser Politik dazu geführt, dass die Telekommunikationsunternehmen, die Postdienste und der Energiesektor privatisiert worden sind oder dass dies ansteht. Die Folge ist, dass diese Dienstleistungen teurer, umweltschädlicher und weniger zuverlässig geworden sind. Öffentliche Dienste wie die Altenpflege, Kinderbetreuung, Buslinien und viele andere sind an den Privatbereich verpachtet worden. Das hat zu einem höheren Energieverbrauch, drastischen Umweltbelastungen und schlechteren Diensten für die Bürgerinnen und Bürger vor allem in Gebieten weitab von den Ballungszentren geführt.

Die EU stellt die Profite über die gesellschaftlichen Bedürfnisse. Wir stellen die Interessen der Menschen über die Profite.

Wir wollen die Gesellschaft in sämtliche Rechte wieder einsetzen, damit das öffentliche Interesse vor den Interessen der Märkte kommt. Der öffentliche Dienst muss entsprechend der Rechte der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Anforderungen an gute Dienstleistungen ausgerichtet sein. Wir wollen, dass das soziale Recht wiederhergestellt wird, dass dem Umweltschutz und dem Erhalt der Arbeitsplätze und [guter] Arbeitsbedingungen der Vorrang vor den Regeln des Wettbewerbs zukommt. Für uns ist es wesentlich, dass der Beeinträchtigung der Natur und der Existenzbedingungen der Menschen vorgebeugt wird.

Die Anforderungen der EU haben dem Arbeitsmarkt ein Klima scharfen Wettbewerbs, von Stress und sozialer Marginalisierung aufgezwungen. Menschen über 50, ImmigrantInnen und alleinstehende Mütter sind die großen VerliererInnen. Zudem unterminieren die Europäische Kommission und der Europäische Rat mit dem Erlassen ihrer Richtlinien langsam, aber sicher das System freier Verhandlungen zwischen Beschäftigten und Unternehmensleitungen. Diese Richtlinien werden dem Arbeitsmarkt übergestülpt und sollen über ausgehandelte Übereinkünfte umgesetzt werden. Diejenigen Teile von Übereinkünften, die aufgrund der Richtlinien Vorbehalten unterliegen, können solange nicht umgesetzt werden, wie die Richtlinie in Kraft ist.

Arbeitsmarktpolitik besteht für die EU in der Regulierung des Binnenmarkts. Wir wollen in die entgegengesetzte Richtung gehen. Wir wollen, dass das Recht der Arbeiterbewegung auf freies Aushandeln der bestmöglichen Ergebnisse ihrer Kämpfe (einschließlich Streiks) gewährleistet ist, sei es über Tarifverträge oder gesetzliche Regelungen. Wir kämpfen gemeinsam auf europäischer Ebene, um die systematische Konkurrenz unter den Arbeiterklassen der verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU zu überwinden und die Spekulation der Multis gegen unsere Löhne und Arbeitsbedingungen zu verhindern.

Unser Alternativprogramm ist einfach, leicht anzuwenden und klar umrissen. Es gibt den gesellschaftlichen Bedürfnissen den Vorrang vor den Profiten. Wir wollen diese ökonomische, soziale, politische und kulturelle Alterna
tive zum Gemeingut der gesamten Menschheit werden lassen. Wir sind der Auffassung, dass die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Menschen die oberste Priorität haben müssen. Dies schließt alle notwendigen Maßnahmen ein, auch Eingriffe in das Privateigentum.

2. Das Volk soll entscheiden – für gleiche Rechte aller Männer und Frauen

Mit dem Beitritt der hierum ersuchenden Länder zur EU entstehen neue Herausforderungen für die Linke. Die Aufteilung in Mitgliedsländer und Nicht-Mitgliedsländer wird durch eine Teilung innerhalb der EU selber unter Mitglieder erster und zweiter Güte, nämlich den bisherigen und den neu beigetretenen Ländern, sowie zwischen den Arbeiterklasse in Westeuropa und in Osteuropa ersetzt werden. Da beide in der EU sind, bieten sich dem europäischen Großkapital billige Arbeitskräfte, die der Überausbeutung unterworfen werden, über keine Kampftraditionen und keine starke Gewerkschaften, keine ausgedehnten sozialen Rechte verfügen. Hieraus ergibt sich, dass ein gemeinsamer Kampf für gemeinsame Forderungen in gemeinsamen sozialen Organisationen notwendig ist, um die ungleichen sozialen Bedingungen zu überwinden.

Seit Jahren hat die EU den osteuropäischen Ländern als Bedingung für ihren Beitritt zur EU die neoliberale Agenda aufgezwungen. Jetzt diktiert die EU der osteuropäischen Bevölkerung im Rahmen der Beitrittsverhandlungen ungleiche Handelsbedingungen. Die EU verlangt von den beitrittswilligen Ländern, dass sie die europäische Gesetzgebung und die Verordnungen unverändert anwenden, während sie beispielsweise den Bauern der beitrittswilligen Ländern das Recht auf dieselben landwirtschaftlichen Zuschüsse verweigern, das für die gegenwärtigen Mitgliedsländer in Kraft ist. Die Folgen werden mit Sicherheit ein Zusammenbruch der Landwirtschaft in Osteuropa und der mit ihr verbundenen Industrie sein, und die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen von Hunderttausenden werden sich dramatisch verschlechtern.

Die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL) ist gegen die unannehmbaren Bedingungen, die in den Verhandlungen über die Erweiterung der EU gestellt werden. Die EAL verlangt, dass die neuen osteuropäischen Mitgliedsländern günstige Beitrittsbedingungen erhalten, bei denen die massive soziale Krise in Rechnung gestellt wird, die auf die kapitalistische "Umstrukturierung" ihrer Wirtschaft zurückgeht. Die osteuropäischen Länder, die der EU beitreten werden, sollten vom ersten Tag an auf demselben Weg und im gleichen Umfang Zugang zu den Fonds haben, die den gegenwärtigen Mitgliedsstaaten zur Verfügung stehen, mit einer positiven Diskriminierung zugunsten der ärmsten Regionen. Der Transfer der Subventionen darf nicht direkt von der EU-Kommission an einzelne Personen, Regionen, Fabriken oder Landwirtschaftsbetriebe verlaufen, sondern muss über die demokratischen Institutionen dieser Länder laufen und unter der Kontrolle der betroffenen Bevölkerung stehen. Eine rasche Angleichung der sozialen Bedingungen an den westlichen Teil der EU liegt im Interesse der arbeitenden Menschen in der gesamten EU.

Die antikapitalistische Linke verpflichtet sich, Kontakte zu der osteuropäischen Linken und mit denen, die in den fortschrittlichen sozialen Bewegungen aktiv sind, zu entwickeln und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

In der Türkei unterstützen wir alle fortschrittlichen Kräfte in diesem Land – das immer noch unter der Herrschaft der Militärkaste steht – in ihrem Kampf für radikale Veränderung auf den Gebieten Rechtsprechung, Menschenrechte und Demokratie auf politischer Ebene. Wir erklären unsere besondere Solidarität mit dem kurdischen Kampf in seinem Kampf für seinen nationalen, demokratischen, politischen, kulturellen Rechte.

Vor dem Hintergrund der Diskriminierungen, denen die ImmigrantInnen ausgesetzt sind, und der Verschlechterung der Lebensbedingungen für die einheimischen abhängig Beschäftigten führt der neoliberale Kapitalismus zu einer Zunahme der Spannung und der Spaltung zwischen den Armen des Landes und den neu Hinzugekommenen – am Arbeitsplatz, in der Schule, im Stadtteil. Es geht um das tagtägliche Überleben durch den Zugang zu einer (beschwerlichen) Arbeit, einem (jämmerlichen) Lohn, einer (heruntergekommenen) Behausung, einer (verwahrlosten) Schule und einer (minimalen) medizinischen Versorgung. Das Ergebnis ist eine menschlich unerträgliche Situation für die immigrierten ArbeiterInnen und eine bedrohliche Spaltung in der Welt der Arbeit. Das löste eine verschärfte Konkurrenz zwischen den einheimischen und den eingewanderten ArbeiterInnen aus, was zu einer allgemeinen Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen für beide führt. Wir sind für die Öffnung der Grenzen. Sie müsste zugleich mit einem "Marshall-Plan" verbunden sein, mit dem der Lebensstandard der ärmsten Schichten der Bevölkerung radikal und sofort verbessert wird, damit der gegenwärtige "Krieg unter den Armen", zwischen denen, die bereits da sind, und denen, die neu kommen, beendet wird. Anderenfalls entstünde ein fruchtbarer Nährboden für die extreme Rechte und die faschistischen Parteien.

Wir sind gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit, ob sie vom Staat oder der Bevölkerung ausgeht. Wir solidarisieren uns mit allen Opfern der diskriminierenden Politik der Regierungen und des Kapitals. Wir fordern für alle Frauen und Männer, die in unseren Ländern leben, volle soziale und politische Rechte mit sofortiger Wirkung. Wir sind uns aber dessen bewusst, dass es notwendig ist, an die Wurzel des Problems zu gehen: Wir müssen dafür kämpfen und uns organisieren, um die Solidarität und die Einheit im Lager der Lohnabhängigen zu entwickeln und gleiche Löhne, gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen für MigrantInnen und Einheimische sowie für Männer und Frauen fordern. Hierfür muss die Arbeiterbewegung eine radikale Wende vollziehen und aufhören, einheimische abhängig Beschäftigte und diejenigen, die erst vor kurzem zugezogen sind, und die männlichen und weiblichen abhängig Beschäftigten einander entgegen zu stellen. Das bedeutet, dass die Organisierung der neu zugezogenen abhängig Beschäftigten zu einer moralischen und sozialen Priorität werden muss, damit sie an denselben Kämpfen aktiv teilnehmen können, mit denselben Forderungen, in denselben Organisationen und mit demselben Programm: "die gesellschaftlichen Bedürfnisse müssen vor den Profiten kommen".

3. Den Krieg gegen den Irak ablehnen, Frieden und Solidarität zwischen den Völk
ern fördern

Die USA wollen einen Krieg gegen Saddam Hussein, um ihn und seine Anhänger im irakischen Militär- und Sicherheitsapparat zu beseitigen. Die USA wollen ein proamerikanisches Regime installieren und dafür in den oberen Rängen der irakischen Armee ihre Gehilfen auswählen.

Wenn Bush einen Krieg gegen den Irak will, ist sein Ziel – wie es im Golfkrieg 1990/91 der Fall war – die Absicherung der ökonomischen und politischen Interessen der USA. Dass heißt sicherzustellen, dass die irakischen Ölvorräte, die zweitgrößten in der Region, für die Wirtschaft der USA und des Westens zur Verfügung stehen. Es geht darum, im Irak ein Regime ins Amt zu bringen, das den US-Interessen freundlich gegenüber steht. Es geht jedoch auch um langfristige Pläne der USA im Hinblick auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Wenn das gegenwärtige Regime des Irak beseitigt wird, werden die USA eine absolut dominierende Rolle im Nahen Osten bekommen.

Die EAL ist gegen diesen imperialistischen Krieg, der dem irakischen Volk nicht helfen wird, Demokratie und Gerechtigkeit zu erreichen – ganz im Gegenteil.

Ein Nein zu einem Krieg unter Führung der USA gegen den Irak ist kein "Ja" zur Diktatur von Saddam Hussein. Ein Nein zum Krieg heißt nicht die Chemiewaffen oder andere Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein akzeptieren. Der hat gezeigt, dass er dazu fähig ist, sie gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, ohne dass es die leisesten Proteste seitens der USA, Britannien oder der übrigen westlichen Welt gegeben und ohne dass dies dazu geführt hätte, dass ein Krieg gegen den Irak in Betracht gezogen wurde.

Auf der anderen Seite haben die jahrelangen Sanktionen Hunderttausende von irakischen Menschenleben gekostet, Millionen von Menschen hungern, und der Gesundheits- wie der Bildungsbereich im Irak liegt in Ruinen. Wir wissen, dass Saddam Hussein das Geld, das er aufgrund der Ausnahmen von dem Embargo, die von der UN für die Wiederaufnahme von Medikamenten- und Nahrungsmittellieferungen usw. in den Irak genehmigt worden sind, durch Öllieferungen einnimmt, zynisch missbraucht. Dies rechtfertigt aber in keiner Weise die gegenwärtigen UN-Sanktionen, denen in erster Linie die irakische Bevölkerung zum Opfer fällt.

Deshalb ist die EAL der Ansicht, dass der Aufbau einer breiten und massenhaften internationalen Friedensbewegung ihre Priorität ist. Und um zu den friedlichen Bedingungen beizutragen, die notwendig sind, damit das irakische Volk mit der Diktatur von Saddam Hussein bricht, verpflichten wir uns insbesondere, in ganz Europa für einen Aktionstag gegen den Krieg am 15. Februar 2003 zu mobilisieren.

4. Ein EU-Konvent für die Bourgeoisie

Die Strukturen der EU sind von Anfang an despotisch gewesen. Im wesentlichen sind die exekutiven, legislativen und verfassunggebenden Befugnisse jetzt – mehr denn je – in den Händen der Bourgeoisie, insbesondere der Bourgeoisien der größeren Ländern, organisiert in den europäischen Ministerräten, dem Europäischen Rat (zusammengesetzt aus den Staats- und Regierungschefs) und der Regierungskonferenz. Damit erreicht die EU nicht einmal das Niveau von parlamentarischer bürgerlicher Demokratie, das es in ihren Mitgliedsstaaten noch gibt.

Die Bourgeoisie hat sich für die nahe Zukunft viel vorgenommen, verschiedene Ziele, die allesamt mit ihrem Bestreben zu tun haben, eine europäische Großmacht zu schaffen: die Marktannexion der osteuropäischen Länder; die Aufnahme des Vereinigten Königreichs, von Dänemark und Schweden in die Währungsunion; die Bildung einer "Wirtschaftsregierung", die für die Synchronisierung der Wirtschaftspolitik mit der Europäischen Zentralbank von wesentlicher Bedeutung ist; die rasche Aufstellung einer europäischen Armee, die im Fall von größeren gesellschaftlichen Krisen eingesetzt werden kann, wie sie sich in Europa abzeichnen; ein stärkeres diplomatisches, politisches und militärisches Eingreifen der EU auf der internationalen Bühne.

Es ist zu erkennen, dass die politischen Bedingungen zu der Frage der EU in den verschiedenen Ländern der EU unterschiedlich sind. In Schottland und in England, in Schweden und in Dänemark hat sich die Linke mehrheitlich dafür entschieden, sich bei den Volksentscheiden gegen den Euro auszusprechen, der eng an den Pakt für Stabilität und Wachstum gekoppelt ist. In anderen Ländern, in denen der Euro bereits eingeführt worden ist, müssen die zentralen Kampagnen andere Formen annehmen.

Der Konvent ist eine Parodie auf Demokratie, es hat keine öffentliche Debatte über verschiedene Vorstellungen und Vorschläge stattgefunden, niemand hat von WählerInnen ein Mandat erhalten, um dergleichen zu vertreten, es gibt keine demokratische Instanz, um darüber zu diskutieren und zu entscheiden. Faktisch sind es die Regierungen der EU, die auf despotische Weise beschlossen haben, ihre "Knappen" benennen, um den gesamten Prozess strikt unter Kontrolle zu behalten.

Der undemokratische Charakter des Konvents spiegelt die reaktionären Ziele der herrschenden Klassen wider: 1. eine Leitungsstruktur für einen supranationalen imperialistischen Staat einzurichten; 2. hierfür eine "demokratische" Fassade aufzubauen, die ein Mindestmass von Legitimität in der Bevölkerung für sich in Anspruch nehmen kann; 3. eine Ausdehnung von sozialen Rechten, die es innerhalb der Mitgliedsstaaten gibt, um jeden Preis zu verhindern.

Dieser Staatsapparat ist weder zu benutzen noch reformierbar. Er muss gestürzt werden, um den Weg für einen radikalen demokratischen Prozess von unten zu öffnen. Die Völker müssen entscheiden können, in welchem Europa sie leben wollen, wie die institutionellen Verhältnisse zwischen den Staaten, die dazu gehören, und die ökonomischen und sozialen Grundlagen aussehen sein sollen. Derartige radikale Demokratie zu erringen, wird notwendigerweise mit einem Sturz der neoliberalen Politik und ihrer Ersetzung durch soziale Sofortmassnahmen im Interesse der Lohnabhängigen und der ärmsten Schichten der Gesellschaft Hand in Hand gehen. Von jetzt an sollten wir fordern, dass über jeden neuen Vertrag oder eine neue Verfassung ein Volksentscheid abgehalten wird, der in allen Staaten und Beitrittsländern gleichzeitig abgehalten wird. Doch letzten Endes müssen die europ&
auml;ischen Völker selber darüber diskutieren und entscheiden, wie sie zusammenleben werden.

5. Eine europäische antikapitalistische Linke ist notwendig

Wir, antikapitalistische Parteien und Bewegungen in Europa, sind gegen die EU, ihre Institutionen und ihre Politik, nicht um unsere kapitalistischen Nationalstaaten zu verteidigen, sondern weil wir für die Bildung eines anderen, eines auf Solidarität gegründeten Europa sind. Wir kämpfen für eine demokratische sozialistische Gesellschaft, ohne Ausbeutung der arbeitenden Menschen und Unterdrückung der Frauen, gegründet auf eine dauerhafte ökologische Entwicklung und einen Sozialismus der Selbstverwaltung. Dies ist ein schwieriger Weg, und er wird Zeit brauchen.

Doch findet in Europa seit vielen Jahren zum ersten Mal auf der Ebene der Kämpfe, in den sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen sowie auf Wahlebene klar und sichtbar eine politische Polarisierung statt. Diese antikapitalistische Polarisierung entwickelt sich nicht auf der Grundlage von abstrakten ideologischen Debatten, sondern auf der Grundlage: Vorrang für die gesellschaftlichen Bedürfnissen vor den Profiten.

Wir ziehen hieraus die Schlussfolgerung, dass wir dringend die Perspektive einer europäischen politischen Formation entwickeln müssen, die ein Raum und ein Prozess sein soll, in dem die Kräfte der alternativen antikapitalistischen Linken, politische und soziale Kräfte, gemeinsam diskutieren und handeln können, um Schritte voran zu tun.

Die Organisationen, die im Rahmen der Konferenzen der Europäischen Antikapitalistischen Linken zusammenkommen, tun Schritte voran. Erstens bekräftigen wir unsere eigenständige politische Identität, die sich in einem gemeinsamen "Logo" konkretisieren wird. Zweitens beginnen wir – als Grundlage für gemeinsames Handeln – an detaillierten Positionen zu den Fragen im Zusammenhang mit Immigration und zu der Charta der sozialen Rechte zu arbeiten. Schließlich wird die nächste Konferenz der EAL, die sechste, im Juni 2003 in Griechenland stattfinden.

Aus dem Englischen übersetzt von Wilfried Dubois, unter Berücksichtigung der französischen Fassung.

Quellen:

Declaration from the Conference of the European Anti-Capitalist Left, Copenhagen, December 9 – 10, 2002
(E-Mails aus Brüssel bzw. London, 19. bzw. 20. Januar 2002).

Déclaration de la Conférence de la gauche anticapitaliste européenne (GACE), Copenhague, 9-10 décembre 2002
(E-Mail aus Brüssel, 19. Januar 2002).

Siehe auch:

"Gauche anticapitaliste européenne. Déclaration des 9-10 décembre 2002" (gekürzt), in: solidaritéS. Le socialisme par en bas, Genève, Nr. 20, 15. Januar 2003, S. 12/13.

"Copenhague: La gauche anticapitaliste européenne" (gekürzt), in: Rouge, Nr. 1998, 2. Januar 2003, S. 10.

"Déclaration de la Conférence de la Gauche Anticapitaliste Européenne. Copenhague (9 et 10 Décembre 2002", in: Critique Communiste. Revue de la Ligue communiste révolutionnaire (section française de la IVe Internationale), Nr. 168, Frühjahr 2003, S. 14-21.

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